Leitsatz (redaktionell)

Verwahrt der Versicherte, der sich auf dem Heimweg von der Arbeitsstätte befindet, seinen Hausschlüssel in seiner Aktentasche, dann ist es zur Vollendung des versicherten Wegs notwendig, den Hausschlüssel aus der Aktentasche herauszuholen, um die Haustür aufzuschließen. Dabei ist es gleichgültig, ob der Schlüssel in der Hosen- oder Aktentasche aufbewahrt wird. Wird der Schlüssel aber derart aufbewahrt, daß er unversehens aus der Tasche herausschnellen kann, und verliert der Versicherte durch Schleudereinwirkung ein Auge, so ist dieser Vorgang der unversicherten privaten Sphäre zuzurechnen.

 

Normenkette

RVO § 550 Fassung: 1963-04-30

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 8. Juli 1965 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger ist als Korrektor in einer Buch- und Verlagsdruckerei beschäftigt. Er wohnt in einem Mehrfamilienhaus. Am 14. April 1960 erlitt er einen Unfall. Über dessen Hergang enthält das angefochtene Urteil des Berufungsgerichts, das insoweit im übrigen auf den Inhalt der Rentenfeststellungsakten und somit auch auf die in diesen Akten befindliche - vom Sozialgericht (SG) ebenfalls seiner Entscheidung zugrunde gelegte - Unfallschilderung des Klägers gegenüber seiner Krankenkasse Bezug genommen hat, folgende Feststellungen:

Als der Kläger am 14. April 1960 abends von der Arbeitsstätte nach Hause zurückkehrte, suchte er, vor der Haustür angelangt, in seiner Aktentasche vergeblich nach dem Hausschlüssel. In der Aktentasche befanden sich eine Trainingshose, Turnschuhe, eine Thermosflasche sowie zwei Bündel Korrekturfahnen, die mit Gummibändern zusammengehalten wurden. In der Annahme, daß sich der Schlüssel vielleicht in einer Falte der Trainingshose befinde, zog der Kläger die Hose heraus und machte mit ihr eine Schüttelbewegung. In diesem Augenblick schnellte der Hausschlüssel gegen das linke Auge des Klägers. Ob dieser Vorgang auf eine Zugwirkung der an der Trainingshose befindlichen oder der um die Korrekturfahnen gezogenen Gummibänder zurückzuführen ist, vermag der Kläger nicht anzugeben; das Berufungsgericht konnte dies auch nicht auf andere Weise feststellen. Durch die Schleuderwirkung wurde das linke Auge so in Mitleidenschaft gezogen, daß es schließlich operativ entfernt werden mußte.

Die Beklagte versagte durch Bescheid vom 10. August 1960 die begehrte Unfallentschädigung, weil ein ursächlicher Zusammenhang des schädigenden Ereignisses mit der beruflichen Tätigkeit nicht vorliege; der Anteil, den der betriebsbezogene Heimweg an dem Zustandekommen der Verletzung gehabt habe, sei unbedeutend und rein zufälliger Natur, für die Art und Schwere der Verletzung seien allein persönliche Umstände entscheidend.

Das SG Köln hat durch Urteil vom 29. Mai 1962 die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides verurteilt, den Unfall des Klägers als Arbeitsunfall zu entschädigen, weil das Aufschließen der Haustür und die dazu erforderlichen Vorbereitungshandlungen noch zum unfallgeschützten Weg von der Arbeitsstätte gehörten.

Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat durch Urteil vom 8. Juli 1965 auf die Berufung der Beklagten die Entscheidung des SG geändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Zwar liege bei der Suche nach dem Hausschlüssel und beim - vom Kläger beabsichtigten - Öffnen der Haustür ein örtlicher und zeitlicher Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit noch vor, weil der Weg von der Arbeitsstätte erst mit dem Betreten des häuslichen Bereichs beendet sei. Die Verletzung des Klägers beruhe aber auf einer aus einem eigenwirtschaftlichen Bereich stammenden Gefahr, die sich eben so gut bei anderer Gelegenheit hätte ereignen können. Die rechtlich allein wesentliche Ursache der Verletzung sei die besondere Art der Aufbewahrung des Hausschlüssels gewesen. Diese habe indessen in keinem rechtserheblichen Zusammenhang mit der betrieblichen Sphäre gestanden, sondern sei ausschließlich dem privaten Bereich des Klägers zuzurechnen. Die Tatsache, daß sich der Kläger auf einem Weg von der Arbeitsstätte befunden habe, habe für das Zustandekommen der Verletzung nicht mehr als eine zufällige Bedeutung gehabt. Zu dem Unfall sei es nicht wegen der Notwendigkeit, den Schlüssel für das Öffnen der Haustür zu benutzen, sondern infolge der besonderen allein vom Kläger zu vertretenden Art der Aufbewahrung des Hausschlüssels gekommen. Es könne dahingestellt bleiben, ob die Rechtslage anders zu beurteilen sei, wenn festgestellt werden könne, daß die Zugwirkung der um die Korrekturfahnen gelegten Gummibänder zu der Augenverletzung beigetragen habe. Da dies nicht als erwiesen angesehen werden könne, gehe dies zu Lasten des Klägers; dieser sei selbst nicht in der Lage, insoweit zuverlässige Angaben zu machen.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Der Kläger hat Revision eingelegt und diese durch seine Prozeßbevollmächtigten im wesentlichen wie folgt begründen lassen:

Der Kläger sei einer typischen Wegegefahr erlegen. Die Suche nach dem Hausschlüssel könne nicht als wegefremde Tätigkeit angesehen werden, denn der Kläger sei bestrebt gewesen, möglichst schnell seine häuslich-private Sphäre aufzusuchen. Möglicherweise habe der Kläger durch die Art der Aufbewahrung des Schlüssels eine erhöhte Gefahr heraufbeschworen; die Gefahrerhöhung sei vom Kläger aber nicht aus versicherungsfremden Gründen veranlaßt worden und sei deshalb versicherungsrechtlich ohne Bedeutung. Solange der Kläger seinen häuslichen Bereich noch nicht erreicht habe, sei er der bei der Entnahme des Schlüssels aus der Aktentasche innewohnenden Gefahr ausgesetzt gewesen.

Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Wesentliche Ursache des Unfalls sei die Eigenart der Aufbewahrungsweise des Hausschlüssels gewesen. Die dadurch hervorgerufene Gefahr sei aber dem unversicherten persönlichen Lebensbereich des Klägers zuzurechnen.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Köln zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II

Die Revision ist nicht begründet.

Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats endet der Weg von der Arbeitsstätte mit dem Durchschreiten der Außenhaustür des Gebäudes, in dem der Versicherte wohnt (BSG 2, 239; SozR 37, 52, 57 zu § 543 RVO aF; Urteil des erkennenden Senats vom 25. Februar 1965 - 2 RU 180/64). Der Versicherungsschutz für Unfälle auf solchen Wegen setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats nicht nur einen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit voraus (§ 543 RVO in der - hier maßgeblichen - Fassung vor dem Inkrafttreten des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes - RVO aF -), er fordert vielmehr einen inneren Zusammenhang. Nicht jeder Unfall, den jemand beim Zurücklegen des Weges von oder zur Arbeitsstätte erleidet, steht deshalb unter Versicherungsschutz (BSG 1, 171, 172; 8, 53, 55).

Die Frage, ob bei der Rückkehr von der Arbeitsstätte das Öffnen der Haustür und dazu notwendige Vorbereitungshandlungen, wie die Suche nach dem Hausschlüssel, mit der betrieblichen Tätigkeit innerlich zusammenhängen oder bereits zum unversicherten persönlichen Lebensbereich gehören, hat der Senat bisher nicht entschieden. Bei der hierbei vorzunehmenden rechtlichen Wertung wird die Erwägung, daß das Aufschließen der Haustür für den Versicherten notwendig ist, um seinen Weg von der Arbeitsstätte zu beenden und in seinen privaten - unversicherten - Lebensbereich zu gelangen, nicht unberücksichtigt bleiben können. Indessen bedarf diese Frage aus Anlaß der vorliegenden Streitsache keiner Entscheidung.

Wie das Berufungsgericht mit im allgemeinen, wenn auch nicht in allen Einzelheiten zutreffender Begründung ausgeführt hat, ist hier der nach § 543 RVO aF erforderliche innere Zusammenhang schon wegen der besonderen Tatumstände des Unfallhergangs nicht gegeben. Das LSG ist - unangegriffen - davon ausgegangen, daß sich der Unfall infolge der Art der Aufbewahrung des Hausschlüssels durch den Kläger und folglich der dadurch bedingten Art der Suche nach dem Schlüssel ereignet hat. Dieser Umstand ist, wie das Berufungsgericht nicht verkannt hat, als die rechtliche wesentliche Ursache für den Unfall anzusehen. Der durch diese besondere Eigenart gekennzeichnete Sachverhalt ist aber nicht mehr der Zurücklegung des Heimweges von der Arbeit, sondern der privaten Sphäre des Klägers zuzurechnen (vgl. auch RVA, EuM 23, 421). Die vom Kläger geübte Art und Weise der Aufbewahrung und Suche nach dem Hausschlüssel hängt mit der Zurücklegung des Weges von der Arbeitsstätte nur noch lose zusammen. Der nach § 543 RVO aF erforderliche innere Zusammenhang ist deshalb nach Lage der Besonderheiten dieses Falles zu verneinen.

Umstände betrieblicher Art, die geeignet sein könnten, diesen inneren Zusammenhang zu bejahen, hat - wogegen die Revision sich auch nicht wendet - das Berufungsgericht weder als erwiesen noch als beweisbar angesehen. Dies geht nach allgemeiner Meinung zu Lasten des Klägers (BSG 6, 70, 72; 19, 52, 53; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Stand 15.6.1966, Bd. I S. 244 m I ff).

Die Revision war daher zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens stützt sich auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2365169

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