Entscheidungsstichwort (Thema)

Garage. häuslicher Bereich. versicherte Tätigkeit. vorbereitende Tätigkeit. Beseitigen von Hindernissen. Unterbrechen der versicherten Tätigkeit. Gelegenheitsursache

 

Orientierungssatz

1. Die Garage ist nicht dem durch das Wohnen des Versicherten gekennzeichneten häuslichen Bereich zuzurechnen; die Grenze für den Versicherungsschutz bildet auch hier in der Regel die Außentür des vom Versicherten bewohnten Gebäudes (vgl BSG vom 27.10.1976 2 RU 247/74 = BSGE 42, 293, 296).

2. Ergeben die Feststellungen, daß der Verletzte beim Verlassen der Garage mit seinem Kraftfahrzeug im Schnee stecken blieb oder ohne vorausgehendes Schneeschippen steckengeblieben wäre und daß er deshalb den Schnee mit dem Schneeschieber nur soweit beseitigte, wie es erforderlich war, um mit dem Fahrzeug das Grundstück verlassen zu können, so liegt dabei das Bestehen eines Versicherungsschutzes nahe. Wenn nach dem Ergebnis der Ermittlungen der Versicherte hingegen über das für die Weiterfahrt mit dem Kraftfahrzeug notwendige Maß hinaus Schnee geschippt haben sollte, zB am Hauseingang oder an einer zweiten Garageneinfahrt, so hatte er insoweit seine versicherte Tätigkeit unterbrochen (vgl BSG vom 26.1.1978 2 RU 39/77 = SozR 2200 § 550 Nr 37) oder noch nicht aufgenommen, wenn er diese dem häuslichen Bereich zuzurechnende Tätigkeit vor Antritt des Weges nach dem Ort der Tätigkeit verrichtet haben sollte.

 

Normenkette

RVO § 550 Abs 1

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 30.09.1987; Aktenzeichen L 3 U 95/86)

SG Koblenz (Entscheidung vom 23.05.1986; Aktenzeichen S 10 U 12/85)

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Anerkennung einer zweimaligen Bandscheibenoperation als Folge eines Arbeitsunfalls und die Gewährung von Entschädigung.

Zum Unfallhergang hat das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz festgestellt, daß der Kläger am 21. Dezember 1981 morgens, um mit seinem Auto zur Arbeit zu kommen, einen Weg auf seiner Hoffläche und die Garagenzufahrt von Schnee freiräumen mußte. Dabei verspürte er plötzlich einen Schmerz in der Lendenwirbelsäule mit der Folge einer nahezu vollständigen Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule. Nach zunächst konservativen Behandlungen wurden im Mai und Dezember 1982 Bandscheibenoperationen durchgeführt.

Mit Bescheid vom 5. Dezember 1984 lehnte die Beklagte Entschädigungsansprüche ab, da dem Ereignis vom 21. Dezember 1981 nur der Wert einer Gelegenheitsursache zukomme. Bereits vor diesem Ereignis habe eine Vorschädigung der Wirbelsäule bestanden. Dafür spräche die Neigung zu ständig wiederholten Hexenschüssen (Lumbago) seit Januar 1979 und der Befund der Wirbelsäule anläßlich der Öffnung am 17. Mai 1982. Am 21. Dezember 1981 sei es lediglich zu einem weiteren Lumbagoschub gekommen, nachdem zunächst auch wieder Beschwerdefreiheit bestanden habe, bis es im Frühjahr 1982 zu einer vollständigen Ausprägung eines Bandscheibenvorfalls gekommen sei.

Das Sozialgericht (SG) Koblenz hat durch Urteil vom 23. Mai 1986 die Klage abgewiesen, weil dem angeschuldigten Ereignis die typischen Unfallmerkmale fehlten und die Wirbelsäule des Klägers von einem Vorschaden geprägt gewesen sei. Das LSG hat die Berufung (Urteil vom 30. September 1987) zurückgewiesen und ausgeführt: Der Kläger habe zwar nach Verlassen der Haustür unter Versicherungsschutz gestanden; bei dem Ereignis vom 21. Dezember 1981 handele es sich jedoch um eine Gelegenheitsursache, weil dieser Gesundheitsschaden auch ohne das Schneeräumen bei jedem anderen nicht zu vermeidenden Anlaß in absehbarer Zukunft eingetreten wäre. Den beiden Bandscheibenoperationen seien in den Jahren 1979 und 1980 spontan aufgetretene Hexenschüsse (Lumbagoschübe) vorausgegangen. Bei der Öffnung des Wirbelkanals am 17. Mai 1982 habe sich herausgestellt, daß das vorgefallene Bandscheibenstück ein Sequester gewesen sei. Die erste Phase der Bandscheibenvorfallentwicklung müßte daher lange vor dem Ereignis vom 21. Dezember 1981 abgelaufen sein.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Er führt zur Begründung aus: Entgegen der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) habe das LSG nur den typischen Geschehensablauf untersucht, anstatt auf die konkrete - extreme - Belastungssituation beim Schneeräumen abzustellen. Wäre das LSG dieser Rechtsprechung gefolgt, hätte sich bei hinreichender Aufklärung des Sachverhalts ergeben, daß die Überlastung der Wirbelsäule am 21. Dezember 1981 zu dem spontanen Bandscheibenprolaps und dem jetzt bestehenden Folgezustand geführt habe.

Auf Hinweis des Senats, daß unabhängig von den Revisionsrügen zu prüfen sei, ob der Kläger am 21. Dezember 1981 beim Schneeschaufeln eine versicherte Tätigkeit ausgeübt hat, trägt der Kläger ergänzend vor: Nach der Rechtsprechung des Senats beginne der Versicherungsschutz grundsätzlich mit dem Durchschreiten der Außentür des Wohngebäudes. Dies gelte auch dann, wenn - wie hier - die Garage vom Wohnhaus getrennt auf dem Grundstück stehe. Hindernisse, die dem Zurücklegen des Weges entgegenstünden und zunächst beseitigt werden müßten, um den Weg anzutreten oder fortzusetzen, stünden hinsichtlich ihrer Beseitigung gleichfalls unter Versicherungsschutz. Dies werde besonders deutlich bei technischen Pannen (zB Motorpanne) und beim unvorhergesehenen Auftanken. Für Naturereignisse könne nichts anderes gelten.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 5. Dezember 1984 sowie das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 23. Mai 1986 und das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 30. September 1987 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Folgezustand nach zweimaliger Bandscheibenoperation als Folge des Arbeitsunfalls vom 21. Dezember 1981 anzuerkennen und die gesetzlichen Entschädigungsleistungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die Urteile der Vorinstanzen für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat insofern Erfolg, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist. Für eine Entscheidung über den Entschädigungsanspruch des Klägers hat das LSG keine ausreichenden Tatsachen festgestellt, und zwar weder zu der zunächst zu prüfenden Frage, ob der Kläger am 21. Dezember 1981 beim Schneeschaufeln überhaupt eine versicherte Tätigkeit verrichtet hatte, noch bejahendenfalls zu der vom LSG geprüften Frage, ob es sich bei diesem Ereignis nur um eine Gelegenheitsursache für den eingetretenen Gesundheitsschaden gehandelt hat.

Als Arbeitsunfall gilt auch ein Unfall auf einem mit einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 der Reichsversicherungsordnung (RVO) genannten Tätigkeiten zusammenhängenden Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit (§ 550 Abs 1 RVO).

Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats beginnt der Versicherungsschutz nach dieser Vorschrift erst mit dem Verlassen des häuslichen Bereichs; dieser wird mit dem Durchschreiten der Außentür des von dem Versicherten bewohnten Gebäudes verlassen (s ua BSGE 2, 239; 42, 293, 294; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 485 o mwN). Dabei macht es keinen Unterschied, ob das vom Versicherten bewohnte Gebäude ein Mehrfamilienhaus mit abgeschlossenen Einzelwohnungen (BSGE 2, 239), ein Zweifamilienhaus mit separaten Wohnungseingängen auf eingezäuntem Grundstück (BSG Urteil vom 29. Januar 1965 - 2 RU 21/64 -) oder ein Einfamilienhaus auf eingezäuntem Grundstück (BSG BG 1965, 314) ist. Versicherungsschutz besteht damit auch auf dem Teil des Weges nach oder von dem Ort der Tätigkeit, den der Versicherte innerhalb des eingezäunten Grundstücks eines ihm gehörenden Einfamilienhauses zurücklegt (BSGE 42, 293, 294). Diese Grundsätze gelten auch für den Bereich einer Garage, die - wie hier - vom Wohngebäude räumlich getrennt ist (Brackmann, aaO S 485 o II). Die Garage ist nicht dem durch das Wohnen des Versicherten gekennzeichneten häuslichen Bereich zuzurechnen; die Grenze für den Versicherungsschutz bildet auch hier in der Regel die Außentür des vom Versicherten bewohnten Gebäudes (BSGE 42, 293, 296 mwN). Von diesem Ansatzpunkt ist auch das angefochtene Urteil zutreffend ausgegangen.

Nach der weiteren gefestigten Rechtsprechung des Senats gehören vorbereitende Tätigkeiten, die der Aufnahme der Betriebstätigkeit vorangehen, in der Regel nicht zur versicherten Tätigkeit, weil sie dem persönlichen Lebensbereich des Beschäftigten zuzurechnen sind. Dies gilt auch für den Versicherungsschutz nach § 550 RVO auf dem Wege nach oder von dem Ort der Tätigkeit. Hier handelt es sich in den meisten Fällen um Verrichtungen, die zwar der Aufnahme der Betriebstätigkeit vorangehen, der Betriebsarbeit aber zu fern stehen, als daß sie schon dem persönlichen Lebensbereich des Beschäftigten entzogen und der unter Versicherungsschutz stehenden betrieblichen Sphäre, die in § 550 RVO auf die Wege nach oder von dem Ort der Tätigkeit erstreckt ist, zuzurechnen wären (BSG SozR 2200 § 550 Nr 39; Brackmann aaO S 486g mwN). So stehen zB nicht unter Versicherungsschutz Verrichtungen zur Erhaltung der Fahrbereitschaft, so grundsätzlich das Tanken (BSG aaO), die Veranlassung einer Inspektion (BSG SozESlg IV § 550 RVO Nr 38), die Ummeldung eines Kraftfahrzeugs (BSG USK 84118). Entsprechend diesen Grundsätzen ist ebenso als nichtversicherte, vorbereitende Tätigkeit anzusehen, wenn der Beschäftigte vor dem Verlassen des Hauses auf dem Weg zur Arbeit die Garageneinfahrt von Schnee freischaufelt.

Wie die Revision jedoch zutreffend darlegt, besteht beim Beseitigen von Hindernissen, die dem Zurücklegen des Weges entgegenstehen und die zunächst beseitigt werden müssen, um den Weg fortsetzen zu können, in der Regel gleichfalls Versicherungsschutz. Dementsprechend hat der Senat in seinem Urteil vom 14. Dezember 1978 (SozR 2200 § 550 Nr 39) Versicherungsschutz beim Aufsuchen einer Tankstelle auf der Fahrt nach oder von der Arbeitsstätte bejaht, wenn unvorhergesehen vor Antritt oder während der Fahrt der Reservetreibstoff in Anspruch genommen werden muß. Das gleiche gilt für das Instandsetzen und anschließende Ausprobieren eines für die Zurücklegung des Weges nach und von der Arbeitsstätte benutzten Kraftfahrzeugs, das unterwegs unvorhergesehen betriebsunfähig geworden ist (BSGE 16, 245, 247). Nicht anders ist es bei Maßnahmen infolge von Naturereignissen, zB beim Steckenbleiben mit dem Kraftfahrzeug in einer Schneeverwehung auf dem Weg nach oder von dem Ort der Tätigkeit.

Ausgehend von dieser Rechtsprechung hätte das LSG die näheren Umstände, die zu dem Ereignis am 21. Dezember 1981 geführt hatten, eingehend prüfen müssen. Es hätte sich nicht ohne nähere tatsächliche Feststellungen, die dem Revisionsgericht als ausreichende Grundlage eine rechtliche Prüfung ermöglichen, auf den Hinweis beschränken dürfen, daß der Kläger an diesem Tage morgens einen Weg auf seiner Hoffläche und die Garagenzufahrt von Schnee habe freiräumen müssen, um mit seinem Auto zur Arbeit zu kommen. Bereits die Beklagte hatte im Verwaltungsverfahren eingehende Ermittlungen durchgeführt, der Kläger hatte ausführlich den Hergang vom 21. Dezember 1981 geschildert und eine Zeichnung mit einer Fotografie von den Schneeverhältnissen Ende Dezember 1981 eingereicht. Ergeben die Feststellungen des LSG, daß der Kläger beim Verlassen der Garage mit seinem Kraftfahrzeug im Schnee steckenblieb oder ohne vorangehendes Schneeschippen stecken geblieben wäre und daß er deshalb den Schnee mit dem Schneeschieber nur soweit beseitigte, wie es erforderlich war, um mit dem Fahrzeug das Grundstück verlassen zu können, so liegt dabei das Bestehen eines Versicherungsschutzes nahe. Wenn nach dem Ergebnis der Ermittlungen der Versicherte hingegen über das für die Weiterfahrt mit dem Kraftfahrzeug notwendige Maß hinaus Schnee geschippt haben sollte, zB am Hauseingang oder an der zweiten Garageneinfahrt, so hatte er insoweit seine versicherte Tätigkeit unterbrochen (s dazu BSG SozR 2200 § 550 Nr 37) oder noch nicht aufgenommen, wenn er diese dem häuslichen Bereich zuzurechnende Tätigkeit vor Antritt des Weges nach dem Ort der Tätigkeit verrichtet haben sollte. In diesem Zusammenhang wird das LSG insbesondere die eigene Einlassung des Klägers, er habe Schnee auf der Hof- und Einfahrtfläche (Gesamtgröße 181 qm) geräumt und der Unfall habe sich kurz vor Beendigung der Räumung ereignet, zu berücksichtigen haben. Auch das amtliche Gutachten des Wetteramtes Trier vom 7. Oktober 1983, das Auskunft über die Wetterverhältnisse in der hier maßgebenden Zeit gibt, wird das LSG in seine Feststellungen einzubeziehen haben. Ebensowenig wie der Senat diese tatsächlichen Feststellungen selbst treffen darf, konnte der Senat auch die Wertung des des Ereignisses vom 21. Dezember 1981 durch das LSG als Gelegenheitsursache nicht als rechtlich zutreffend ansehen, weil, wie die Revision zu Recht rügt, insoweit ebenfalls noch Ermittlungen über die einzelnen Umstände dieses Ereignisses erforderlich sind, falls die tatsächlichen Feststellungen des LSG dazu führen, beim Schneeräumen für eine Fahrt mit dem PKW eine versicherte Tätigkeit anzunehmen. Dann ist nicht nur zu prüfen, ob dem Schneeräumen überhaupt, sondern ob dem Teil des Schneeräumens, der für die Fahrt mit dem PKW notwendig war, als von alltäglichen Verrichtungen wesentlich abweichendes Ereignis auch im Verhältnis zu den Schneearbeiten insgesamt die Bedeutung einer wesentlichen Ursache beizumessen ist. Aus diesen Gründen kommt es zunächst darauf an, ob die Voraussetzungen des § 550 RVO gegeben sind.

Der Rechtsstreit war demnach an das LSG zurückzuverweisen, das auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden hat.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1666651

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