Leitsatz (amtlich)

1. Beitragsbescheide des Versicherungsträgers, die auf einer Satzungsbestimmung beruhen, die gegen GG Art 3 Abs 1 verstoßen hat, sind nicht allein deswegen nichtig.

2. Die aufgrund dieser - bindenden Beitragsbescheide entrichteten Beiträge können vom Versicherten jedenfalls dann nicht zurückgefordert werden, wenn Voraussetzung dafür eine nachträgliche Umgestaltung des Versicherungsverhältnisses und ein verändertes Versicherungsrisiko wäre und dabei in bereits vollständig abgewickelte Rechtsbeziehungen eingegriffen werden müßte. 1. Beitragsbescheide des Versicherungsträgers, die auf einer Satzungsbestimmung beruhen, die gegen GG Art 3 Abs 1 verstoßen hat, sind nicht allein deswegen nichtig.

3. Die aufgrund dieser - bindenden - Beitragsbescheide entrichteten Beiträge kann der Versicherte jedenfalls dann nicht zurückfordern, wenn Voraussetzung dafür eine nachträgliche Umgestaltung des Versicherungsverhältnisses und ein verändertes Versicherungsrisiko wäre und dabei in bereits vollständig abgewickelte Rechtsbeziehungen eingegriffen werden müßte.

 

Normenkette

RKG § 121 Fassung: 1969-07-28; SGG § 77 Fassung: 1953-09-03; GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23

 

Verfahrensgang

SG Gelsenkirchen (Entscheidung vom 03.10.1979; Aktenzeichen S 3 (11) Kn 5/79)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die von dem Kläger in der Zeit von April 1974 bis Juni 1977 zur knappschaftlichen Krankenversicherung entrichteten Beiträge teilweise zurückzuerstatten hat.

Der Kläger ist seit dem 1. April 1974 in der knappschaftlichen Krankenversicherung der Rentner pflichtversichert. Daneben gehört er der knappschaftlichen Krankenversicherung der Arbeiter und Angestellten als freiwilliges Mitglied an. Für diesen Kreis der doppelt versicherten Rentner hat die Beklagte mit Wirkung vom 1. Juli 1977 einen ermäßigten Beitragssatz eingeführt, der dann gilt, wenn der Versicherte zunächst die Leistungen der Krankenversicherung der Rentner in Anspruch nimmt und nur den danach noch ungedeckten Rest der Aufwendungen aus Anlaß einer Erkrankung im Rahmen der freiwilligen Krankenversicherung geltend macht (§ 152 Nr 2 Buchst h der Satzung der Beklagten). Mit dieser Satzungsänderung hat die Beklagte dem Urteil des erkennenden Senats vom 30. März 1977 (SozR 2600 § 120 Nr 1) Rechnung getragen.

Die Beklagte lehnte den mit Schreiben vom 27. August 1978 gestellten Antrag des Klägers, ihm die ab 1. April 1974 entrichteten Beiträge insoweit zu erstatten, als sie den nach dem neuen, ermäßigten Beitragssatz zu ermittelnden Betrag überstiegen haben, durch Bescheid vom 12. September 1978 ab. Der dagegen eingelegte Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 27. November 1978).

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen und im Urteil vom 3. Oktober 1979 zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Der erhobene Anspruch könne nicht auf Art 1 § 26 Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften - (SGB 4) gegründet werden, weil diese Vorschrift erst seit dem 1. Juli 1977 in Kraft sei. Ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch entsprechend den Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches über den Ausgleich einer ungerechtfertigten Bereicherung scheitere daran, daß die Beiträge aufgrund rechtsverbindlich gewordener Beitragsbescheide und mithin nicht ohne Rechtsgrund gezahlt worden seien. Ein Folgenbeseitigungsanspruch greife gleichfalls nicht ein. Diese Anspruchsgrundlage setze fortdauernde Folgen eines aufgehobenen oder zurückgenommenen Verwaltungsakts voraus. Die Beitragsbescheide seien aber weiterhin bestandskräftig. Der Kläger könne deren Rücknahme auch nicht verlangen, weil die Bescheide nicht rechtswidrig seien. Das Bundessozialgericht (BSG) habe im Urteil vom 30. März 1977 nicht entschieden, daß die von der Beklagten angewandte Beitragsbemessung bei dem vollen, auch dem Kläger gewährten Leistungsumfang rechtswidrig sei; vielmehr sei der Rechtsfehler in einer mangelnden Differenzierung des Beitragsmaßstabes gesehen worden. Die bereits abgewickelten Leistungsbeziehungen könnten nachträglich nicht rückwirkend umgestaltet werden. Der Kläger könne sein Begehren schließlich nicht auf einen Herstellungsanspruch wegen Verletzung von Aufklärungs- und Betreuungspflichten stützen. Die Beklagte habe das Urteil des Senats vom 30. März 1977 innerhalb eines vertretbaren Zeitraums ausgeführt. Vor Verkündung dieser Entscheidung habe sie von der Rechtmäßigkeit der Beitragsvorschriften ausgehen dürfen.

Der Kläger hat gegen dieses Urteil mit Zustimmung der Beklagten die vom SG zugelassene Sprungrevision eingelegt. Er rügt die Verletzung des § 77 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und der Vorschriften über den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch. Zur Begründung des Rechtsmittels macht er geltend, das SG habe zu Unrecht die an den Kläger gerichteten Schreiben der Beklagten über die zu zahlenden Beiträge als Verwaltungsakte angesehen. Es habe sich dabei vielmehr um bloße Mitteilungen über den Umfang der aus der Satzung folgenden Beitragspflicht gehandelt, die nicht der Bindungswirkung fähig seien. Nach dem Urteil des BSG vom 30. März 1977 sei die Beitragserhebung rechtswidrig gewesen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des SG vom 3. Oktober 1979 sowie den

Bescheid der Beklagten vom 12. September 1978

in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom

27. November 1978 aufzuheben und die Beklagte zu

verpflichten, ihm den Unterschiedsbetrag zwischen

den in der Zeit vom 1. April 1974 bis 30. Juni 1977

tatsächlich entrichteten Beiträgen und den für diesen

Zeitraum bei einem Beitragssatz von 3 vH sich ergebenden

Beiträgen zu erstatten, hilfsweise, den Rechtsstreit

an das Landessozialgericht (LSG) zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen,

hilfsweise den Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die gem § 161 SGG statthafte Sprungrevision ist zulässig. Dem steht nicht entgegen, daß die Revisionsbegründungsschrift erst am 3. Januar 1980 - mithin später als zwei Monate nach der am 2. November 1979 erfolgten Zustellung des angefochtenen Urteils (§ 164 Abs 2 SGG) - beim BSG eingegangen ist. Denn die gewählte Form der Urteilszustellung gegen Empfangsbekenntnis (§ 63 Abs 2 SGG iVm § 5 Abs 2 Verwaltungszustellungsgesetz) ist nicht den gesetzlichen Erfordernissen entsprechend ausgeführt worden und war deshalb nicht geeignet, die Revisionsbegründungsfrist in Lauf zu setzen. Es fehlt das Empfangsbekenntnis eines der bevollmächtigten Vertreter des Klägers. Dieser Mangel wird durch die vorhandene Empfangsbestätigung einer nicht bevollmächtigten Beschäftigten des den Prozeß für den Kläger führenden Verbandes nicht behoben (vgl zu allem eingehend Urteil des erkennenden Senats vom 9. November 1961 in SozR Nr 12 zu § 73 SGG).

Die Revision ist jedoch nicht begründet. Das SG hat im Ergebnis zu Recht den Anspruch des Klägers auf teilweise Rückzahlung seiner bis Juni 1977 zur freiwilligen knappschaftlichen Krankenversicherung entrichteten Beiträge verneint.

Zutreffend ist das SG davon ausgegangen, daß Art I § 26 SGB 4 zur Beurteilung des Streitfalles nicht herangezogen werden kann, weil die Vorschrift erst seit dem 1. Juli 1977 gilt (Art II § 21 Abs 1 SGB 4).

Auch wenn vor dem Inkrafttreten dieser Norm eine ausdrückliche Regelung der Rückforderung zu Unrecht entrichteter Beiträge in den gesetzlichen Bestimmungen über die soziale Krankenversicherung nicht enthalten gewesen ist, so hat das BSG im Anschluß an die Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts doch einen öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Rückgewähr der ohne rechtlichen Grund erbrachten Beitragszahlungen anerkannt (BSGE 26, 120, 122 = SozR Nr 20 zu § 160 RVO mit weiteren Nachweisen; BSG SozR 2200 § 381 Nr 26 am Ende; SozR 2200 § 393 Nr 5 unter Berufung auf eine Gesetzesanalogie zu § 1424 Abs 1 und 4 der Reichsversicherungsordnung -RVO- sowie § 186 Abs 1 und 2 des Arbeitsförderungsgesetzes -AFG- in der jeweils bis zum 30. Juni 1977 geltenden Fassung).

Indessen besteht für die von dem Kläger bis Juni 1977 geleisteten Beiträge eine Rechtsgrundlage in Gestalt der von der Beklagten erlassenen Beitragsbescheide. Da sich der Kläger nach den nicht mit Revisionsrügen angegriffenen und daher den Senat bindenden (§ 163) Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil gegen die ihm bis zum 30. Juni 1977 erteilten formlosen, dh nicht mit einer Rechtsmittelbelehrung versehenen Beitragsbescheide nicht binnen Jahresfrist gewandt hat, sind diese Bescheide rechtsverbindlich geworden (§§ 77, 66 Abs 2 SGG).

Die Revision wendet sich ohne Erfolg gegen die Auffassung des SG, die Bestimmung der Beiträge seitens der Beklagten sei durch Verwaltungsakt geschehen. Unrichtig ist die Meinung der Revision, ein Ausspruch der vorliegenden Art über die Bemessung der Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung gebe nur die unverbindliche Auffassung des Versicherungsträgers über die Auswirkungen der einschlägigen Satzungsbestimmungen wieder und vermöge keine isolierte, über die Satzungsnormen hinausgehende Verpflichtung zu begründen, wenn der Versicherungsträger rechtsfehlerhaft handele. Ein derartiger Bescheid beziffert auf der Grundlage der allgemeinen Regeln der Satzung den im konkreten Fall von dem Versicherten selbst zu tragenden Beitrag und verfolgt damit erkennbar den Zweck, das Rechtsverhältnis zwischen Versicherungsträger und Versichertem unter der Voraussetzung gleichbleibender tatsächlicher Gegebenheiten verbindlich zu regeln. Dadurch wird nicht lediglich der Inhalt des von der Behörde anzuwendenden normativen Rechts kenntlich gemacht, vielmehr erfolgt ein verselbständigter und einer besonderen Bestandskraft fähiger Ausspruch einer Rechtsfolge; mithin ist ein Verwaltungsakt erlassen worden. Demgemäß hat der 12. Senat im Urteil vom 2. Februar 1978 (SozR 2200 § 381 Nr 26) die Beitragsrechnung eines Krankenversicherungsträgers ohne weiteres als Bescheid angesehen (vgl auch SozR 2200 § 313a Nrn 2 und 6).

Allerdings hätte den Beitragsbescheiden die Bindungswirkung von vornherein gefehlt, wenn sie nichtig gewesen wären. Dieser Fall liegt indessen nicht vor. Der Senat hat zwar im Urteil vom 30. März 1977 (SozR 2200 § 120 Nr 1) im Anschluß an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Juni 1975 (SozR 2200 § 205 Nr 4) die Bemessung der Beiträge der doppelt versicherten Rentner in der Satzung der Beklagten wegen des Fehlens einer gebotenen weiteren Differenzierung für unvereinbar mit dem Gleichheitssatz (Art 3 des Grundgesetzes -GG-) gehalten. Es kann dahinstehen, in welchem Umfang daraus im einzelnen die Nichtigkeit der Beitragssatzung folgt. Denn selbst wenn unterstellt wird, daß die Beitragsbescheide der Beklagten auf eine nichtige Norm gestützt worden sind, würde dies nicht ohne weiteres zugleich die Nichtigkeit der Bescheide nach sich ziehen. Die Berufung auf einen Rechtssatz, der sich nachträglich als ungültig herausstellt, wiegt als Mangel eines Verwaltungsaktes nicht schwerer als die Verletzung eines gültigen Gesetzes (BVerwGE 1, 67, 69 = DÖV 1954, 249; BVerwGE 19, 287; Erichsen/Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Aufl S 188; Wolff, Verwaltungsrecht I S 372). Ein schwerer und offenkundiger Fehler, der nach allgemeinen Grundsätzen (die für den Bereich der allgemeinen Verwaltung in § 44 VerwVfG gesetzlich umschrieben sind; vgl auch die Aufzählung von Nichtigkeitsgründen im Urteil des 12. Senats vom 18. Dezember 1975 in SozR 2200 § 1286 Nr 2 S 2) die Nichtigkeit der erlassenen Bescheide begründen könnte, liegt indessen nicht vor. Insbesondere war die Ungültigkeit der Beitragssatzung der Beklagten in dem vom erkennenden Senat im Urteil vom 30. März 1977 angenommenen Sinne vor dem Erlaß dieser Entscheidung nicht derart offensichtlich, daß eine pflichtgemäß handelnde Behörde ohnehin von der Anwendung der betreffenden Satzungsbestimmungen abgesehen hätte.

Liegen hiernach verbindliche Bescheide vor, die den rechtlichen Grund für die vom Kläger gezahlten Beiträge darstellen, so wäre die Beklagte dennoch nicht gehindert, die Sachbehandlung wieder aufzunehmen und diese Verwaltungsakte zu beseitigen, sofern sie dem objektiven Recht widersprechen. Entgegen der im angefochtenen Urteil vertretenen Auffassung sind die Beitragsbescheide auch rechtswidrig. Richtig ist zwar, daß der Senat im Urteil vom 30. März 1977 den Rechtsverstoß im Fehlen einer einen bestimmten Personenkreis begünstigenden Beitragsregelung gefunden hat und deshalb die bis dahin bestehende Satzungsvorschrift über die Beitragsbemessung für doppelt versicherte Rentner nicht in ganzem Umfang zu Art 3 GG in Widerspruch steht. Dem Kläger ist jedoch gerade eine dem Verfassungsgebot sachgerechter Differenzierung entsprechende Beitragserhebung, wie sie der Senat im Urteil vom 30. März 1977 aufgezeigt hat, unter Berufung auf die Satzung versagt worden. Insofern stellen sich die einen solchen Ausspruch inzident enthaltenden Beitragsbescheide als rechtswidrig dar. Für die Frage, ob die Beklagte einem rechtlichen Zwang unterliegt, die bescheidmäßigen Beitragsfestsetzungen - ähnlich wie sich dies für Leistungsbescheide zB aus den §§ 627, 1300 RVO, 79 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) ergeben kann - zu beseitigen, bedarf es jedoch keiner diesbezüglichen abschließenden Entscheidung. Denn trotz der Rechtswidrigkeit der Beitragsbescheide könnte der Kläger deren Aufhebung - mit der Folge, daß der Rechtsgrund für die Beitragsleistungen entfällt - nicht verlangen. Hierfür sind im wesentlichen zwei Gesichtspunkte maßgebend.

Das BSG hat wiederholt entschieden, daß in der Vergangenheit abgeschlossen zurückliegende Versicherungsverhältnisse nicht nachträglich rückwirkend umgestaltet werden dürfen (BSGE 24, 45, 48 mit weiteren Nachweisen; 26, 120, 123; SozR Nr 4 zu § 1403 RVO Bl Aa 8). Dieser Grundsatz hat auch in dem vorliegenden Fall Bedeutung. Das ergibt sich insbesondere aus der Art der von dem erkennenden Senat gefundenen und von der Beklagten übernommenen Ausgestaltung des Versicherungsverhältnisses der doppelt versicherten Rentner, wie sie zur Vermeidung eines Verstoßes gegen den Art 3 GG erforderlich ist. Die vom Senat im Urteil vom 30. März 1977 geforderte, für ein Jahr verbindliche und vor Beginn des Kalenderjahres zu erklärende Wahl des versicherten Rentners, ob er die Leistungen der freiwilligen Versicherung nur ergänzend zu denjenigen der Rentnerpflichtversicherung in Anspruch nehmen will, beinhaltet für ihn ein gewisses Wagnis. Denn im Vergleich zu den mit dem höheren Beitrag versicherten Rentnern erhält er nicht in jedem Fall die gleichen Leistungen. Entsprechend trägt auch die Krankenkasse jeweils ein unterschiedliches Versicherungsrisiko. Wäre die Ausübung des Wahlrechts auch noch rückwirkend zugelassen, würde dies eine nachträgliche Änderung des Versicherungswagnisses bedeuten. Außerdem müßten unter Umständen schon erbrachte Leistungen wieder rückabgewickelt werden. Deshalb kann den zurückliegenden Tatbeständen die auf die Zukunft ausgerichtete, vom erkennenden Senat im Urteil vom 30. März 1977 vorgeschriebene weitergehend differenzierende Beitragsregelung für doppelt versicherte Rentner nicht ohne weiteres zugrunde gelegt werden. Auch nach der Entscheidung des 3. Senats vom 28. März 1979 (SozR 5428 § 4 Nr 6) führt eine ungültige Satzungsbestimmung über die Beitragshöhe nicht ohne weiteres zu einem Erstattungsanspruch des Versicherten.

Bei den verbindlich gewordenen Beitragsbescheiden muß es aber noch aus einem anderen Grund sein Bewenden haben. Es besteht keine Verpflichtung der Verwaltungsträger, jeden rechtsfehlerhaften Akt, insbesondere wenn er auf einer Verfassungsverletzung beruht, ungeachtet seiner Bestandskraft zu beseitigen. Der in solchen Fällen auftretende Widerstreit zwischen Rechtssicherheit und materieller Gerechtigkeit ist für einen rechtlichen Teilbereich in § 79 Bundesverfassungsgerichtsgesetz -BVerfGG- (und in den ihm nachgebildeten §§ 183 VwGO und 47 Abs 6 Satz 3 iVm § 183 VwGO) zu Gunsten der Rechtssicherheit entschieden. Aus dieser Regelung hat das Bundesverfassungsgericht den allgemeinen Rechtsgedanken gefolgert, daß die nachteiligen Wirkungen, die von fehlerhaften Akten der öffentlichen Gewalt in der Vergangenheit ausgegangen sind, nicht beseitigt werden, daß aber für die Zukunft die sich aus der Durchsetzung solcher Akte ergebenden Folgen abgewendet werden sollen (BVerfGE 20, 230, 236; 37, 217, 263; 48, 327, 340; Beschluß vom 16. Januar 1980; 1 BvR 127/78/1 BvR 679/78 -; ebenso BSGE 29, 186, 187 = SozR Nr 12 zu § 45 BVG; BSG in BVBl 1970, 128, 130). Aus diesem Grunde bleiben im vorliegenden Fall die durch die verbindlich gewordenen Beitragsbescheide geregelten, bereits vollständig abgewickelten Rechtsbeziehungen unangetastet. Der Kläger kann nicht die Erstattung von Beiträgen verlangen.

Demgegenüber versagt auch die Berufung auf einen Herstellungsanspruch wegen Verletzung von Betreuungspflichten. Der Senat hat zwar im Urteil vom 21. Februar 1980 (5 RKn 19/78) aus  diesem Gesichtspunkt das Recht freiwillig weiterversicherter Rentner auf Fortsetzung der vor Verkündung des Urteils vom 30. März 1977 im Hinblick auf die Höhe der Beiträge beendeten freiwilligen Versicherung anerkannt. Dort war jedoch nur über die Beseitigung von Auswirkungen der verfassungswidrigen Satzungsregelung für die Zukunft zu befinden. Dabei handelte es sich ferner um ein Begehren, auf das der Herstellungsanspruch seiner Struktur nach gerichtet ist, nämlich die Schaffung eines versicherungsrechtlichen Zustandes, der lediglich deshalb nicht herbeigeführt worden ist, weil der Versicherte Gestaltungsmöglichkeiten nicht kannte, auf die ihn der Versicherungsträger hätte hinweisen müssen. Ob dagegen dieses Rechtsinstitut auch einen Beitragsrückzahlungsanspruch - also eine bloße Leistung - zum Inhalt haben kann, erscheint zweifelhaft. Darüber braucht jedoch nicht abschließend entschieden zu werden. Denn jedenfalls gelten auch für den Herstellungsanspruch die Grenzen, die sich aus dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit ergeben und die zum Teil in § 79 Abs 2 BVerfGG konkretisiert sind. Außerdem können mit dieser Rechtsfigur nicht Verwaltungsentscheidungen durchgesetzt werden, die im Recht keine Grundlage finden (BSG Urteil vom 12. Oktober 1979 - 12 RK 47/77 -). Deshalb steht hier dem Herstellungsanspruch gleichfalls das Prinzip entgegen, daß vollständig - wenn auch fehlerhaft - abgewickelte Rechtsbeziehungen wegen des Vorrangs der Rechtssicherheit unangetastet bleiben sollen. Ferner wirkt sich auch hier der Grundsatz des Sozialversicherungsrechts aus, der die nachträgliche Umgestaltung abgeschlossen zurückliegender Versicherungsverhältnisse ausschließt.

Schließlich kommt ein Folgenbeseitigungsanspruch als Grundlage des Rückzahlungsbegehrens deshalb nicht in Betracht, weil es sich dabei um ein Rechtsinstitut zur Beseitigung der - hier fehlenden - fortdauernden faktischen Beeinträchtigung nach hoheitlichen Eingriffen in Freiheitsgrundrechte oder einer Verletzung gleichgestellter Ansprüche auf Unterlassen handelt (BSG-Urteil vom 12. Oktober 1979 - 12 RK 47/77 -; erkennender Senat im Urteil vom 21. Februar 1980 - 5 RKn 19/78 - jeweils mit weiteren Nachweisen).

Der Senat hat die danach unbegründete Revision zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1657239

BSGE, 129

Breith. 1981, 763

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