Leitsatz (amtlich)

Trifft ein Anspruch auf Übergangsgeld aus der UV mit einem Anspruch auf Krankengeld zusammen (RVO § 183 Abs 6), so ruht dieser nur, soweit er sich mit dem auf Übergangsgeld deckt (Anschluß an BSG 1976-12-09 2 RU 39/76 = SozR 2200 § 1504 Nr 3).

 

Normenkette

RVO § 183 Abs. 6 Fassung: 1974-08-07, § 560 Abs. 2 Fassung: 1974-08-07, § 565 Abs. 2 Fassung: 1963-04-30

 

Verfahrensgang

SG Würzburg (Entscheidung vom 20.01.1977; Aktenzeichen S 8 Kr 80/76)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 20. Januar 1977 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ein weiteres Krankengeld in Höhe von 747,46 DM zu zahlen. Der darüber hinausgehende Anspruch des Klägers wird abgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger der Differenzbetrag zwischen Übergangsgeld und Krankengeld zusteht.

Der Kläger ist als Selbständiger freiwilliges Mitglied der beklagten Allgemeinen Ortskrankenkasse mit einem satzungsgemäßen Anspruch auf Krankengeld, das sich für das Jahr 1976 auf 62,- DM für den Kalendertag belief. Er ist außerdem bei der beigeladenen Berufsgenossenschaft freiwillig versichert mit einem Anspruch auf ein Übergangsgeld von 22,66 DM für den Kalendertag.

Am 9. Februar 1976 erlitt der Kläger einen Arbeitsunfall, für den der Durchgangsarzt eine berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung einleitete. Die Beigeladene erteilte der Beklagten den Auftrag, dem Kläger Übergangsgeld zu zahlen, und diese zahlte ihm für die Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit vom 9. Februar bis zum 29. Februar 1976 je 22,66 DM täglich. Nachdem sich die Beigeladene bereit erklärt hatte, der Beklagten für den 28. und 29. Februar 1976 einen Betrag von je 62,- DM zu erstatten, zahlte die Beklagte dem Kläger für diese beiden Tage den vollen Betrag ihres satzungsgemäßen Krankengeldes. Den Anspruch des Klägers, ihm auch für die andere Zeit der Arbeitsunfähigkeit vom 9. Februar bis zum 27. Februar 1976 das volle Krankengeld zu zahlen, lehnte sie mit Schreiben vom 12. März 1976 ab. Der Krankengeldanspruch ruhe, weil der Kläger Übergangsgeld erhalte. Der Widerspruch des Klägers gegen diesen Bescheid blieb erfolglos.

Mit der Klage vor dem Sozialgericht (SG) hat der Kläger sodann von der Beklagten die Zahlung eines weiteren Krankengeldes in Höhe von 786,80 DM gefordert. Das SG Würzburg hat die Klage mit Urteil vom 20. Januar 1977 abgewiesen. Es hat die Auffassung vertreten, daß der Krankengeldanspruch des Klägers nach § 183 Abs 6 der Reichsversicherungsordnung (RVO) ruhe, weil er Übergangsgeld beziehe. Diese Rechtsfolge trete nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut ein, ohne daß es darauf ankomme, wie hoch das Übergangsgeld sei und welcher Versicherungsträger es zahle. Da der Träger der Unfallversicherung die Heilbehandlung des Klägers übernommen habe, träten anstelle der Ansprüche gegen den Krankenversicherungsträger diejenigen gegen den Unfallversicherungsträger.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom SG zugelassene Sprungrevision, der die Beklagte zugestimmt hat. Der Kläger beruft sich darauf, daß er aufgrund seiner freiwilligen Mitgliedschaft und seiner Beitragszahlung zur Beklagten einen Anspruch auf Krankengeld von 62,- DM täglich erworben habe. Dieser Anspruch könne nicht dadurch zum Wegfall kommen, daß er noch zusätzlich freiwillig bei der Beigeladenen versichert sei. Der Freiwilligkeitscharakter seiner Versicherung hindere die Anwendung der Ruhensvorschrift des § 183 Abs 6 RVO. Seine Ansprüche auf Krankengeld könnten nur in dem Umfange zum Ruhen kommen, wie er Übergangsgeld erhalte. Der Differenzbetrag müsse ihm verbleiben und diesen mache er mit der Klage geltend. Es widerspreche dem Grundgedanken sozialer Gerechtigkeit, wenn die von einem Versicherten eingegangene freiwillige Mitgliedschaft bei einer Versicherung zu einer Verschlechterung des sozialen Status führe, der ihm ohne diese Mitgliedschaft zustünde.

Der Kläger beantragt:

1.

Das Endurteil des Sozialgerichts Würzburg vom 20. Januar 1977 wird aufgehoben.

2.

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 12. März 1976 und des Widerspruchsbescheides vom 5. Oktober 1976 verurteilt, an den Kläger über das bezahlte Kranken- bzw Übergangsgeld hinaus weitere DM 786,80 Krankengeld zu bezahlen.

3.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des SG für zutreffend und stützt sich auf die Entscheidungsgründe.

II

Die Revision des Klägers ist im wesentlichen begründet. Sein Anspruch auf Gewährung von Krankengeld gegen die Beklagte ruht nur, soweit er Übergangsgeld bezieht. Dieser Rechtsansicht steht § 183 Abs 6 RVO nicht entgegen. Hier ist zwar bestimmt, daß der Anspruch auf Krankengeld ruht, "solange" der Versicherte Übergangsgeld bezieht. Damit ist aber nicht ausgeschlossen, das Ruhen nur auf den Teil des Anspruchs zu beziehen, der sich mit dem Anspruch auf Übergangsgeld deckt. Wenn Krankengeld mit Übergangsgeld aus der Unfallversicherung zusammentrifft, ergibt sich die Beschränkung des Ruhens aus den besonderen Vorschriften des Dritten Buches der RVO - § 565 Abs 2 und § 560 Abs 2 -, die für dieses Zusammentreffen eine neben § 183 Abs 6 RVO zu beachtende Regelung treffen. Das hat der 2. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in seinem Urteil vom 9. Dezember 1976 (SozR 2200, § 1504 RVO Nr 3) entschieden. Der Senat hat sich dieser Auffassung bereits in dem Urteil vom 9. November 1977 - 3 RK 25/76 - (Soziale Sicherheit 1978, 63) angeschlossen. Er hält an dieser Rechtsauffassung fest.

Aus den genannten Vorschriften ergibt sich, daß dem in der Krankenversicherung und in der Unfallversicherung Versicherten im Falle eines zur Arbeitsunfähigkeit führenden Arbeitsunfalls der jeweils höhere Anspruch - auf Krankengeld oder Übergangsgeld - erfüllt werden muß. Nach § 565 Abs 1 RVO leistet der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung auch an Unfallverletzte nach seinen Vorschriften, "insoweit" bestehen keine Ansprüche gegen den Träger der Unfallversicherung. Der "Übergangsgeldspitzbetrag" ist also auszuzahlen. In § 565 Abs 2 Satz 1 RVO ist geregelt, daß der Träger der Unfallversicherung die Heilbehandlung und auch die in dieser Zeit zu gewährenden Geldleistungen übernehmen kann. § 565 Abs 2 Satz 2 RVO bestimmt, daß "insoweit" die Ansprüche gegen den Träger der gesetzlichen Krankenversicherung wegfallen.

Vor der Neufassung des § 183 Abs 6 RVO durch das Gesetz über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG) konnte kein Zweifel bestehen, daß nach der Konkurrenzregelung des § 565 Abs 2 Satz 2 RVO das Verletztengeld - wie das Übergangsgeld damals bezeichnet wurde - aufgestockt werden mußte, wenn das Krankengeld höher war. Der "Krankengeldspitzbetrag" war zu zahlen (vgl Rencker, WzS 1977, 200). Das RehaAnglG hat an dieser Rechtslage nichts geändert.

Durch die Neufassung des § 183 Abs 6 RVO, der ursprünglich das Verhältnis von Krankengeld zu Übergangsgeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung regelte, ist nun allerdings eine Konkurrenzregelung für das Verhältnis von Krankengeld zu allen Arten von Übergangsgeld geschaffen worden. Ein wesentlicher Inhalt dieser Konkurrenzregelung ist das "Ruhen" des Krankengeldanspruchs als Folge des Zusammentreffens mit Übergangsgeld. Damit wird klargestellt, daß der Anspruch als solcher bestehen bleibt und die Folgen, die das Gesetz an das Bestehen eines Krankengeldanspruchs knüpft, nicht durch das Hinzutreten des Anspruchs auf Übergangsgeld in Zweifel gezogen werden können. Die bisher erforderliche Sonderregelung des § 183 Abs 6 Satz 2 RVO für Mitgliedschaft und Beitragsfreiheit (zur Frage der Beitragszahlung für Übergangsgeldbezieher vgl § 381 Abs 3 a RVO) erübrigt sich, weil der Anspruch auf Krankengeld nicht mehr "entfällt". Auch der Anspruch auf Übergangsgeld aus der Unfallversicherung dürfte nun nicht mehr dazu führen, daß der Krankengeldanspruch nach § 565 Abs 2 Satz 2 RVO "wegfällt". § 183 Abs 6 RVO hat aber nicht den Sinn, den in der Krankenversicherung und in der Unfallversicherung Versicherten das bisher unbestritten bestehende Recht zu nehmen, Zahlungen in Höhe der jeweils höheren Geldleistung aus beiden Versicherungszweigen zu bekommen.

Für den Fall des höheren Übergangsgeldes hat das RehaAnglG sogar eine Regelung getroffen, die dies ausdrücklich klarstellt: § 560 Abs 2 RVO. Danach gilt der Teil des Übergangsgeldes, der nach § 565 Abs 1 RVO neben Krankengeld gezahlt wird, nicht als Übergangsgeld im Sinne der Vorschriften der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, also auch nicht im Sinne des § 183 Abs 6 RVO. Für den hier vorliegenden Fall des höheren Krankengeldes besteht nun zwar keine dem § 560 Abs 2 RVO entsprechende Vorschrift. Dies rechtfertigt aber nicht etwa einen Umkehrschluß in dem Sinne, daß der Krankengeldspitzbetrag im Gegensatz zu dem Übergangsgeldspitzbetrag nicht ausgezahlt werden muß. Denn für eine solche unterschiedliche Regelung ist kein sachlicher Grund ersichtlich.

Im Falle der gleichzeitigen Erfüllung der Voraussetzungen des Bezuges von Krankengeld und von Übergangsgeld aus der Unfallversicherung tritt die Zuständigkeit des Unfallversicherungsträgers neben die des Krankenversicherungsträgers. Im wesentlichen sind es Zweckmäßigkeitsüberlegungen, ob die Kasse im Falle eines Arbeitsunfalls die erforderlichen Leistungen nach ihren Vorschriften erbringt (§ 565 Abs 1 RVO) oder ob die Berufsgenossenschaft die Heilbehandlung und die Geldleistung übernimmt (§ 565 Abs 2 RVO). Die nebeneinander bestehende Zuständigkeit von Krankenversicherung und Unfallversicherung rechtfertigt jedoch weder den Verlust des Anspruchs aus der Unfallversicherung noch den des Anspruchs aus der Krankenversicherung. Die Konkurrenzregelungen zwischen Krankenversicherung und Unfallversicherung haben vielmehr nur den Sinn, die Kumulierung von Leistungen zu vermeiden, nicht aber sollen sie eine höhere Leistung aus dem einen Versicherungszweig durch eine geringere Leistung aus dem anderen Versicherungszweig ersetzen.

Das Fehlen einer den Vorschriften der §§ 560 Abs 2 und 565 Abs 2 Satz 2 RVO entsprechenden Regelung zugunsten der Versicherten, die einen das Übergangsgeld übersteigenden Krankengeldanspruch haben, erklärt sich daraus, daß die erwähnten Vorschriften nur die Abgrenzung der gesetzlichen Pflichtversicherung in beiden Versicherungszweigen im Auge haben. Insoweit ist auch schon anhand der RVO ersichtlich, daß Übergangsgeldspitzbeträge entstehen (vgl § 182 Abs 4 RVO - Regellohn- und §§ 570 ff RVO - Jahresarbeitsverdienst -) und daß somit Anlaß für die Klarstellung bestand, daß diese Spitzbeträge auszuzahlen sind. Das Problem der Krankengeldspitzbeträge tritt hingegen nur dann in Erscheinung, wenn - für freiwillige Versicherung in der Krankenversicherung und für freiwillige oder satzungsgemäße Versicherung in der Unfallversicherung - Satzungsregelungen für die Höhe des Krankengeldes und des Übergangsgeldes maßgebend sind. Die für die Übergangsgeldspitzbeträge getroffene Regelung ist somit auch auf die von dem Gesetzgeber offenbar nicht bedachten Fälle zu übertragen, in denen Krankengeldspitzbeträge im Verhältnis zum Übergangsgeld aus der Unfallversicherung entstehen.

Da der Kläger einen satzungsmäßigen Anspruch auf Krankengeld in Höhe von 62,- DM besitzt und nur sein Anspruch auf Übergangsgeld in Höhe von 22,66 DM täglich erfüllt worden ist, steht ihm noch ein weiterer Zahlungsanspruch gegen die Beklagte in Höhe von 39,34 DM täglich zu. Dieser Anspruch besteht jedoch nur für die Zeit vom 9. Februar bis zum 27. Februar 1976, weil er für den 28. und 29. Februar 1976 bereits den vollen Krankengeldbetrag von 62,- DM täglich erhalten hat. Der Gesamtanspruch des Klägers beläuft sich mithin auf 747,46 DM. In dieser Höhe war seinem Klageanspruch stattzugeben, der weitergehende Anspruch, auf dessen Unbegründetheit bereits das SG hingewiesen hat, war hingegen abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Breith. 1980, 7

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