Entscheidungsstichwort (Thema)

Zusammentreffen von Kranken- und Übergangsgeld

 

Leitsatz (redaktionell)

Beim Zusammentreffen von Kranken- und Übergangsgeld ist die Differenz zwischen dem Übergangsgeld aus der UV und dem höheren Krankengeld - Krankengeldspitzbetrag - zu zahlen.

 

Normenkette

RVO § 183 Abs. 6 Fassung: 1974-08-07, § 565 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1963-04-30

 

Verfahrensgang

SG Augsburg (Entscheidung vom 19.02.1976; Aktenzeichen S 2 Kr 78/75)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 19. Februar 1976 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger der Differenzbetrag zwischen Übergangsgeld und Krankengeld zusteht.

Der Kläger ist als Selbständiger freiwilliges Mitglied bei der beklagten Ersatzkasse. Aufgrund der von ihm gewählten Beitragsklasse hat er vom 22. Tage nach der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Krankengeld, das im Jahre 1975 täglich 67,- DM betrug. Am 29. März 1975 erlitt er einen Unfall. Die zuständige Berufsgenossenschaft (BG) erkannte diesen als Arbeitsunfall an und nahm den Kläger in berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung. Die Arbeitsunfähigkeit dauerte vom Tage des Unfalls bis zum 1. Juni 1975. Gemäß dem Auftrag der BG zahlte die Beklagte vom Tage nach dem Unfall an täglich 26,67 DM Übergangsgeld.

Den Anspruch des Klägers auf Zahlung des Differenzbetrages zwischen Übergangsgeld und Krankengeld in der Zeit vom 20. April bis zum 1. Juni 1975 lehnte die Beklagte durch die angefochtenen Bescheide ab. Sie ist der Auffassung, gemäß § 183 Abs 6 der Reichsversicherungsordnung (RVO) idF des Rehabilitationsangleichungsgesetzes (RehaAnglG) vom 7. August 1974 (BGBl I 1881) ruhe der Anspruch auf Krankengeld bei Zahlung von Übergangsgeld insgesamt. Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben: Nach § 183 Abs 6 RVO ruhe zwar der Anspruch auf Krankengeld "solange" der Versicherte Übergangsgeld beziehe. Nach § 565 Abs 2 Satz 2 RVO, der durch das RehaAnglG nicht geändert worden sei, fielen jedoch die Ansprüche gegen den Träger der Krankenversicherung nur "insoweit" weg, als der Träger der Unfallversicherung die Heilbehandlung und die während der Heilbehandlung zu gewährenden Geldleistungen übernehme. Diese Vorschrift gehe als speziellere Vorschrift § 183 Abs 6 RVO vor.

Die Beklagte hat mit Zustimmung des Klägers die - in dem angefochtenen Urteil zugelassene - Sprungrevision eingelegt. Sie rügt die Verletzung des § 183 Abs 6 RVO. § 565 Abs 2 Satz 2 RVO sei eine Spezialvorschrift aus der Unfallversicherung; § 183 Abs 6 RVO hingegen müsse von den Trägern der Krankenversicherung beachtet werden. Hiernach werde das Krankengeld bei Zahlung des Übergangsgeldes zum Ruhen gebracht, ohne daß es darauf ankomme, von welchem Leistungsträger das Übergangsgeld gezahlt werde.

Sie beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und - sinngemäß - die Klage abzuweisen.

Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Zutreffend hat das SG entschieden, daß der Anspruch des Klägers auf Krankengeld hinsichtlich des Betrages nicht ruht, um den es das Übergangsgeld aus der Unfallversicherung übersteigt. Dieser Rechtsansicht steht § 183 Abs 6 RVO nicht entgegen. Hier ist zwar bestimmt, daß der Anspruch auf Krankengeld ruht, "solange" der Versicherte Übergangsgeld bezieht. Damit ist aber nicht ausgeschlossen, das Ruhen nur auf den Teil des Anspruchs zu beziehen, der sich mit dem Anspruch auf Übergangsgeld deckt.

Es kann offenbleiben, ob - wie der 1. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in seinem zur Veröffentlichung vorgesehenen Urteil vom 31. August 1977 - 1 RA 15/76 - dargelegt hat - schon aus dem Begriff des Ruhens entnommen werden kann, daß der Anspruch auf Krankengeld nur "insoweit" nicht zu erfüllen ist, als Anspruch auf Übergangsgeld besteht. Denn jedenfalls wenn Krankengeld mit Übergangsgeld aus der Unfallversicherung zusammentrifft, ergibt sich die Beschränkung des Ruhens aus den besonderen Vorschriften des Zweiten Buches der RVO - § 565 Abs 2 und § 560 Abs 2 -, die für dieses Zusammentreffen eine neben § 183 Abs 6 RVO zu beachtende Regelung treffen. Das hat der 2. Senat des BSG in seinem Urteil vom 9. Dezember 1976 (Die Sozialgerichtsbarkeit 1977, 308 mit zustimmender Anmerkung von Wickenhagen) entschieden. Der Senat schließt sich dem an.

Aus den genannten Vorschriften ergibt sich, daß dem in der Krankenversicherung und in der Unfallversicherung Versicherten im Falle eines zur Arbeitsunfähigkeit führenden Arbeitsunfalls der jeweils höhere Anspruch - auf Krankengeld oder Übergangsgeld - erfüllt werden muß. Nach § 565 Abs 1 RVO leistet der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung auch an Unfallverletzte nach seinen Vorschriften; "insoweit" bestehen keine Ansprüche gegen den Träger der Unfallversicherung. Der "Übergangsgeldspitzbetrag" ist also auszuzahlen. In § 565 Abs 2 Satz 1 RVO ist geregelt, daß der Träger der Unfallversicherung die Heilbehandlung und auch die in dieser Zeit zu gewährenden Geldleistungen übernehmen kann. § 565 Abs 2 Satz 2 RVO bestimmt, daß "insoweit" die Ansprüche gegen den Träger der gesetzlichen Krankenversicherung wegfallen.

Von der Neufassung des § 183 Abs 6 RVO durch das RehaAnglG konnte kein Zweifel bestehen, daß nach der Konkurrenzregelung des § 565 Abs 2 Satz 2 RVO das Verletztengeld - wie das Übergangsgeld damals bezeichnet wurde - aufgestockt werden mußte, wenn das Krankengeld höher war. Der "Krankengeldspitzbetrag" war zu zahlen (vgl Rencker in WzS 1977, 200). Das RehaAnglG hat an dieser Rechtslage nichts geändert.

Durch die Neufassung des § 183 Abs 6 RVO, der ursprünglich das Verhältnis von Krankengeld zu Übergangsgeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung regelte, ist nun allerdings eine Konkurrenzregelung für das Verhältnis von Krankengeld zu allen Arten von Übergangsgeld geschaffen worden. Ein wesentlicher Inhalt dieser Konkurrenzregelung ist das "Ruhen" des Krankengeldanspruchs als Folge des Zusammentreffens mit Übergangsgeld. Damit wird klargestellt, daß der Anspruch als solcher bestehen bleibt und die Folgen, die das Gesetz an das Bestehen eines Krankengeldanspruchs knüpft, nicht durch das Hinzutreten des Anspruchs auf Übergangsgeld in Zweifel gezogen werden können. Die bisher erforderliche Sonderregelung des § 183 Abs 6 Satz 2 RVO für Mitgliedschaft und Beitragsfreiheit (zur Frage der Beitragszahlung für Übergangsgeldbezieher vgl § 381 Abs 3 a RVO) erübrigt sich, weil der Anspruch auf Krankengeld nicht mehr "entfällt". Auch der Anspruch auf Übergangsgeld aus der Unfallversicherung dürfte nun nicht mehr dazu führen, daß der Krankengeldanspruch nach § 565 Abs 2 Satz 2 RVO "wegfällt". - § 183 Abs 6 RVO hat aber nicht den Sinn, den in der Krankenversicherung und in der Unfallversicherung Versicherten das bisher unbestritten bestehende Recht zu nehmen, Zahlungen in Höhe der jeweils höheren Geldleistung aus beiden Versicherungszweigen zu bekommen.

Für den Fall des höheren Übergangsgeldes hat das RehaAnglG sogar eine Regelung getroffen, die dies ausdrücklich klarstellt: § 560 Abs 2 RVO. Danach gilt der Teil des Übergangsgeldes, der nach § 565 Abs 1 RVO neben Krankengeld gezahlt wird, nicht als Übergangsgeld im Sinne der Vorschriften der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, also auch nicht im Sinne des § 183 Abs 6 RVO. Für den hier vorliegenden Fall des höheren Krankengeldes besteht nun zwar keine dem § 560 Abs 2 RVO entsprechende Vorschrift. Dies rechtfertigt aber nicht etwa einen Umkehrschluß in dem Sinne, daß der Krankengeldspitzbetrag im Gegensatz zu dem Übergangsgeldspitzbetrag nicht ausgezahlt werden muß. Denn für eine solche unterschiedliche Regelung ist weder ein sachlicher Grund ersichtlich noch von der Beklagten behauptet worden. Zur Begründung der Ansicht, daß der Krankengeldspitzbetrag zum Ruhen gebracht wird, könnte allenfalls angeführt werden, der Bezug von Übergangsgeld weise darauf hin, daß ein Zuständigkeitswechsel von dem Träger der Krankenversicherung auf einen anderen Sozialleistungsträger stattgefunden habe. Das war jedenfalls nach der bisherigen Regelung im Falle des Bezugs von Übergangsgeld aus der Rentenversicherung anzunehmen: Die für kurzfristige Risiken zuständige Krankenversicherung ist nicht nur bei Bezug von Altersruhegeld oder Erwerbsunfähigkeitsrente (§ 183 Abs 3 RVO), sondern auch bei Bezug von Übergangsgeld aus der Rentenversicherung abgelöst worden (vgl Urteile des Senats vom 27. April 1966 BSG 25, 6 und vom 20. September 1972 in SozR § 183 RVO Nr 68). Der für langfristige Risiken zuständige Träger der Rentenversicherung ist auch im Falle der Zahlung von Übergangsgeld an die Stelle der Krankenversicherung getreten.

Im Falle der gleichzeitigen Erfüllung der Voraussetzungen des Bezugs von Krankengeld und von Übergangsgeld aus der Unfallversicherung ist aber ein Zuständigkeitswechsel von dem Träger der Krankenversicherung zu dem Unfallversicherungsträger nicht zu begründen. Die Zuständigkeit des Unfallversicherungsträgers schließt sich nicht an die des Krankenversicherungsträgers an, sondern tritt neben sie. Im wesentlichen sind es Zweckmäßigkeitsüberlegungen, ob die Kasse im Falle eines Arbeitsunfalls die erforderlichen Leistungen nach ihren Vorschriften erbringt (§ 565 Abs 1 RVO) oder ob die BG die Heilbehandlung und die Geldleistung übernimmt (§ 565 Abs 2 RVO). Die nebeneinander bestehende Zuständigkeit von Krankenversicherung und Unfallversicherung rechtfertigt weder den Verlust des Anspruchs aus der Unfallversicherung noch den des Anspruchs aus der Krankenversicherung. Die Konkurrenzregelungen zwischen Krankenversicherung und Unfallversicherung haben somit nur den Sinn, die Kumulierung von Leistungen zu vermeiden, nicht aber sollen sie eine höhere Leistung aus dem einem Versicherungszweig durch eine geringere Leistung aus dem anderen Versicherungszweig ersetzen.

Das Fehlen einer den Vorschriften der §§ 560 Abs 2 und 565 Abs 2 Satz 2 RVO entsprechenden Regelung zugunsten der Versicherten, die einen das Übergangsgeld übersteigenden Krankengeldanspruch haben, erklärt sich zwanglos aus der Tatsache, daß die erwähnten Vorschriften die Abgrenzung nur der gesetzlichen Pflichtversicherung in beiden Versicherungszweigen im Auge haben. Insoweit ist auch schon anhand der RVO ersichtlich, daß Übergangsgeldspitzbeträge entstehen (vgl § 182 Abs 4 RVO - Regellohn - und §§ 570 ff RVO - Jahresarbeitsverdienst -) und daß somit Anlaß für die Klarstellung bestand, daß diese Spitzbeträge auszuzahlen sind. Das Problem der Krankengeldspitzbeträge tritt hingegen nur dann in Erscheinung, wenn - für freiwillige Versicherung in der Krankenversicherung und für freiwillige oder satzungsgemäße Versicherung in der Unfallversicherung - Satzungsregelungen für die Höhe des Krankengeldes und des Übergangsgeldes maßgebend sind. Die für die Übergangsgeldspitzbeträge getroffene Regelung ist somit auch auf die von dem Gesetzgeber offenbar nicht bedachten Fälle zu übertragen, in denen Krankengeldspitzbeträge im Verhältnis zum Übergangsgeld aus der Unfallversicherung entstehen.

Das zutreffende Urteil des SG ist daher zu bestätigen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

Da der Kläger in der Revisionsinstanz nicht vertreten war, sind keine ihm zu erstattenden Kosten entstanden.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1651019

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