Entscheidungsstichwort (Thema)

Stationäre Behandlung. medizinische Behandlung. Narkosebehandlung. Gang zur Toilette. innere Ursache. Sturz auf Krankenzimmerboden

 

Leitsatz (redaktionell)

Unfallversicherungsschutz der Rehabilitanden (§ 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO):

Der Unfallversicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO soll die Rehabilitanden gegen besondere Risiken, die sich aus dem Aufenthalt in fremder Umgebung ergeben, schützen.

 

Orientierungssatz

1. Zu dem nicht durch § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO abgesicherten Risiko gehören auch etwaige falsche oder unterlassene Maßnahmen des Pflegepersonals (vgl BSG 15.12.1981 2 RU 79/80 = USK 81286).

2. Ein Unfall ist dann als ausschließlich durch innere Ursachen herbeigeführt anzusehen, wenn die körpereigenen Ursachen zwangsläufig zu dem eingetretenen Unfallverlauf - Art und Schwere des Unfalles - geführt haben (vgl BSG 14.8.1986 2 RU 50/85 = SozR 2200 § 548 Nr 81). Das bedeutet, daß ein zu erwartender - natürlicher - Unfallverlauf beim Vorliegen von inneren Unfallursachen eine betriebliche Mitwirkung und damit auch den haftungsbegründenden Zusammenhang zwischen geschützter Tätigkeit und Unfallfolgen ausschließt. Nichts anderes gilt, wenn - wie hier die Heilbehandlung - anstelle der inneren Ursachen ausschließlich solche Bedingungen den Unfall mit seinen Folgen herbeiführen, welche vom Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung nicht umfaßt sind.

3. Die Härte eines nicht mit Teppich belegten Bodens gehört nicht zu den "besonderen Bedingungen des Krankenhauses", die bei einem Unfall aus innerer Ursache eine wesentliche Mitursache begründen könnten (vgl BSG 30.7.1971 2 RU 200/69 = SozR Nr 28 zu § 548 RVO).

 

Normenkette

RVO § 539 Abs. 1 Nr. 17 Buchst. a, § 548 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

LSG für das Saarland (Entscheidung vom 26.11.1985; Aktenzeichen L 2 U 93/83)

SG für das Saarland (Entscheidung vom 06.11.1983; Aktenzeichen S 3 U 27/82)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob es sich bei dem Unfall, welchen die Klägerin während einer stationären Behandlung auf Kosten des Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung am 26. Juli 1979 erlitt, um einen Arbeitsunfall iS von § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a der Reichsversicherungsordnung (RVO) handelte.

Am Unfalltage wurde bei der Klägerin unter Vollnarkose ein Knoten entfernt. Als sie später zur Toilette wollte, konnte die herbeigerufene Krankenschwester nicht verhindern, daß die Klägerin infolge der Reaktion auf den Eingriff und auf die Narkose zu Fall kam. Dabei zog sie sich nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil einen Schädelbasisbruch sowie auf einem Ohr eine an Taubheit grenzende Innenohrschwerhörigkeit zu.

Die Beklagte lehnte die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung mit der Begründung ab, daß der Unfall auf körpereigene Ursachen zurückzuführen sei und die Verhältnisse bei der Unterbringung dabei keine Rolle gespielt hätten (Bescheid vom 10. November 1981; Widerspruchsbescheid vom 23. März 1982).

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage durch Urteil vom 6. Oktober 1983 abgewiesen. Das Risiko der ärztlichen Behandlung sowie Entwicklung und Verlauf der Erkrankung seien unversichert. Auch ein sonstiger betrieblicher Zusammenhang bestehe nicht, weil die Klägerin auf dem normalen Zimmerfußboden gestürzt sei, so daß die Ursachen für den Unfall entweder der unversicherten Behandlung oder einer körpereigenen Ursache zuzurechnen seien.

Demgegenüber hat das Landessozialgericht (LSG) die Beklagte durch Urteil vom 26. November 1985 zur Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung verurteilt, weil die Klägerin einen Arbeitsunfall erlitten habe. Versicherungsschutz bestehe für alle mit der stationären Unterbringung zusammenhängenden Betätigungen, hier also für den Gang der Klägerin zur Toilette. Zwar sei der Sturz der Klägerin durch die Folgen der Operation mitverursacht worden; jedoch seien sie nicht die rechtlich allein wesentliche Ursache für den Unfall gewesen; vielmehr sei die Beschaffenheit des Krankenhausbodens wesentliche Mitursache für die Unfallfolgen gewesen, was aber keiner abschließenden Beurteilung bedürfe. Unter den vorliegenden Gesamtumständen hätten "die Operationsfolgen, wenn sie nicht die alleinige Unfallursache seien, in Verbindung mit den übrigen Bedingungen des Krankenhausaufenthaltes der Klägerin zumindest wesentlich beim Unfallgeschehen mitgewirkt". Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Beklagte macht zur Begründung der von ihr eingelegten Revision geltend, daß der Unfall am 26. Juli 1979 in unmittelbarem Zusammenhang mit der Behandlung der Klägerin gestanden habe. § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO schütze nicht die Behandlung der betreffenden Person, sondern nur den mit der Unterbringung verbundenen sogenannten Stationierungsschaden. Der Fußboden an der Unfallstelle habe sich nicht von dem im häuslichen Bereich unterschieden, so daß kein Stationierungsrisiko wirksam geworden sei. Gerade auf etwaige Besonderheiten, welche hier bei der Unterbringung der Klägerin nicht vorgelegen hätten, komme es an.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 26. November 1985 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 6. Oktober 1983 zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Im vorliegenden Falle habe ein Fehlverhalten des Pflegepersonals zu dem Sturz der Klägerin geführt, weil sie nicht ausreichend gestützt worden sei. Auf dem Weg zur Toilette habe Versicherungsschutz bestanden. Übereinstimmung herrsche zwischen den Verfahrensbeteiligten darüber, daß es sich nicht um einen Unfall aus innerer Ursache gehandelt habe.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet; denn die Klägerin hat am 26. Juli 1979 keinen Arbeitsunfall erlitten.

Während der von dem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung gewährten stationären Behandlung gehörte die Klägerin zu den nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO gegen Arbeitsunfall versicherten Personen. Der Versicherungsschutz erstreckt sich nach § 548 Abs 1 Satz 1 RVO auf Unfälle, die sich bei der gewährten stationären Behandlung ereignen, die also in sachlichem Zusammenhang mit ihr stehen. Grundlage des Versicherungsschutzes ist vor allem der Wille des Gesetzgebers, die Versicherten gegen die durch das Verweilen in fremder Umgebung sich ergebenden besonderen Risiken zu schützen (s ua BSGE 46, 283, 285; 55, 10, 12; BSG SozR 2200 § 539 Nr 56; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 10. Auflage, S 475g mwN). Ob der von der Klägerin begonnene Weg zur Toilette des Krankenhauses zu den nach § 548 Abs 1 Satz 1 iVm § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO geschützten Tätigkeiten gehört, kann hier dahinstehen. Selbst wenn dies der Fall ist, reicht das Vorliegen von versicherter Tätigkeit für sich genommen nicht aus, um das Vorhandensein eines Arbeitsunfalles zu bejahen. Hierzu gehört nämlich - außer dem hier ebenfalls gegebenen Unfall - ferner, daß die (hier zugunsten der Klägerin angenommene) versicherte Tätigkeit (Gang zur Krankenhaustoilette) mit dem Unfallgeschehen (Sturz auf den Fußboden) kausal verknüpft ist. Hergang, Art und Schwere des Unfalles müssen durch das geschützte Tun verursacht worden sein (sog haftungsbegründende Kausalität, s hierzu das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil des Senats vom 14. August 1986 - 2 RU 50/85 -). In diesem Zusammenhang haben SG und LSG mit Recht erörtert, welche Bedeutung dem Umstand zukommt, daß die zum Sturz der Klägerin führende Ohnmacht durch ihre körperliche Verfassung - also eine sog innere Ursache - ausgelöst wurde.

Nach den im angefochtenen Urteil getroffenen und nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsgründen angefochtenen Feststellungen (§ 163 SGG) waren "kreislaufbeeinträchtigende Heilmaßnahmen" (Seiten 8/9), also der chirurgische Eingriff bei der Klägerin in Verbindung mit der Vollnarkose, Ursache für ihren Sturz. Anders als das SG geht das LSG offensichtlich davon aus, daß auch insoweit der Kausalzusammenhang zu einem versicherten Tun vorhanden ist, weil es die Heilmaßnahme als solche für versichert ansieht. Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Er ist vielmehr mit dem SG der Auffassung, daß das Risiko der ärztlichen Behandlung nicht Gegenstand des Unfallversicherungsschutzes nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO ist (vgl BSGE 46, 283, 284 ff und SozR aaO sowie die Urteile vom 24. Juni 1981 - 2 RU 51/79 - und 15. Dezember 1981 - 2 RU 79/80 - jeweils mwN). Insoweit kann, da die Gründe für diese Rechtsprechung nicht in Frage gestellt sind, auf sie verwiesen werden. Zu dem nicht durch § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO abgesicherten Risiko gehören auch etwaige falsche oder unterlassene Maßnahmen des Pflegepersonals (Urteil vom 15. Dezember 1981 aaO). Daher kann das Vorbringen der Klägerin im Revisionsverfahren, ihr Sturz habe angesichts der Vollnarkose auf unzureichender Betreuung beruht, hier sogar zugunsten der Klägerin unerörtert bleiben. War demnach die in den Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO nicht eingeschlossene Heilbehandlung Ursache für ihre Ohnmacht und damit für den Sturz der Klägerin, besteht folglich insoweit kein kausaler Zusammenhang zwischen ihrem Unfall und einem versicherten Tun. Mit Recht gehen SG und die Beklagte folglich davon aus, daß die Rechtslage insoweit derjenigen gleicht, welche bei Unfällen aus innerer Ursache gegeben ist. Auch bei Unfällen aus innerer Ursache, ebenso wie bei Unfällen ohne betriebliche Ursache, fehlt nach geltender Rechtsprechung die erforderliche haftungsbegründende Kausalität (BSG SozR 2200 § 548 Nr 75 und Urteil vom 14. August 1986 - 2 RU 50/85 -).

Jedoch kann auch bei Unfällen aus innerer Ursache Versicherungsschutz gegeben sein. Dies ist jedoch nur möglich, wenn außer den körpereigenen - oder hier: außer der unversicherten Heilbehandlung - betriebliche Umstände den Unfallhergang sowie Art und Schwere des Unfalles mitbedingen. In solchen Fällen kann die Betriebstätigkeit - bzw hier: das Verweilen im Krankenhaus - eine rechtlich wesentliche Bedingung für die Körperschädigung sein (hierzu BSG SozR 2200 § 548 Nr 75 und Urteil vom 14. August 1986 - 2 RU 50/85 -). Bei dieser Rechtslage haben SG und LSG folglich geprüft, ob die besonderen Verhältnisse an der Unfallstelle als betriebliche Umstände Art und Schwere des Unfalles mitverursacht haben. Das SG hat diese Frage verneinend beantwortet. Anders als das SG und der erkennende Senat hat das LSG jedoch angenommen, daß es hierzu "keiner abschließenden Entscheidung" (Seite 9) bedurft habe, weil es offensichtlich im Gegensatz zum SG und zum erkennenden Senat von dem Versicherungsschutz der Klägerin wegen der Ursächlichkeit der Heilbehandlung und des sich hierauf erstreckenden Versicherungsschutzes ausgegangen ist (Seite 10). Dem ist jedoch nicht zu folgen (s.o.).

Der erkennende Senat hat entschieden, daß ein Unfall dann als in dem dargelegten Sinne ausschließlich durch innere Ursachen herbeigeführt anzusehen ist, wenn die körpereigenen Ursachen zwangsläufig zu dem eingetretenen Unfallverlauf - Art und Schwere des Unfalles - geführt haben (BSG SozR 2200 § 548 Nr 75 und Urteil vom 14. August 1986 - 2 RU 50/85 -). Das bedeutet, daß ein zu erwartender - natürlicher - Unfallverlauf beim Vorliegen von inneren Unfallursachen eine betriebliche Mitwirkung und damit auch den haftungsbegründenden Zusammenhang zwischen geschützter Tätigkeit und Unfall(=folgen) ausschließt. Nichts anderes gilt, wenn - wie hier die Heilbehandlung - anstelle der inneren Ursachen ausschließlich solche Bedingungen den Unfall mit seinen Folgen herbeiführen, welche vom Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung nicht umfaßt sind.

Dies ist hier jedoch der Fall. Weder das Vorbringen der Klägerin selbst über den Unfallhergang und die Schilderung des Unfallgeschehens durch die damals anwesende Krankenschwester noch die sonstigen Feststellungen des LSG lassen auch nur den geringsten Anhalt dafür erkennen, daß eine besondere Beschaffenheit des Bodens oder sonstige räumliche Besonderheiten des Krankenhauses an dem Sturz selbst oder der Schwere der Unfallfolgen wesentlich mitgewirkt haben könnten. Vielmehr hat die Klägerin stets betont, sie sei beim Aufstehen ohnmächtig geworden. Diese Ohnmacht hat dann zwangsläufig zu dem eingetretenen Unfallverlauf - Art und Schwere des Unfalles - geführt. Dazu gehört auch das beim Stehen an jedem Ort zwangsläufig einer Ohnmacht folgende Auffallen auf den Boden. Auch die Härte eines nicht mit Teppich belegten Bodens gehört nicht - wie das LSG wohl meint - zu den "besonderen Bedingungen des Krankenhauses", die eine wesentliche Mitursache begründen könnten (s BSG SozR Nr 28 zu § 548 RVO; Brackmann aa0 S 480 o I). Ob die anwesende Krankenschwester allein oder mit einer weiteren Krankenschwester den Sturz hätte verhindern oder noch stärker mildern können, bedarf keiner Prüfung. Insoweit handelt es sich, wie bereits dargelegt, nicht um den inneren Zusammenhang mit der stationären Behandlung iS des § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO begründende Umstände.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1665825

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