Leitsatz (amtlich)

1. Auf Terminsänderungen im sozialgerichtlichen Verfahren ist gemäß SGG § 202 der ZPO § 227 entsprechend anzuwenden.

2. Hat das Gericht einen Antrag auf Terminsänderung trotz Vorliegens eines "erheblichen Grundes" abgelehnt und hat es dadurch das rechtliche Gehör versagt oder beschränkt, so ist darin auch dann ein wesentlicher Mangel des Verfahrens zu erblicken, wenn der Antragsteller im Termin vertreten war.

3. Die Ablehnung einer Terminsänderung bedeutet keine Versagung oder Beschränkung des Rechtlichen Gehörs, wenn zwar dem Prozeßbevollmächtigten zu wenig Zeit für die Bearbeitung und Terminsvorbereitung zur Verfügung stand, aber die rechtzeitige Bestellung eines Prozeßbevollmächtigten dem Beteiligten zugemutet werden konnte.

 

Normenkette

SGG § 62 Fassung: 1953-09-03, § 110 Fassung: 1953-09-03, § 162 Fassung: 1953-09-03; ZPO § 227

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts ... vom 18. Februar 1954 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Tatbestand

Die Beklagte hatte den Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Invalidenrente abgelehnt, weil nach ihrer Ansicht die Wartezeit nicht erfüllt war. Die Berufung der Klägerin gegen diesen Ablehnungsbescheid wurde vom Oberversicherungsamt ... zurückgewiesen. Gegen dieses ihr am 21. März 1953 zugestellte Urteil legte die Klägerin am 8. April 1953 weitere Berufung an das Landesverwaltungsgericht in ... ein, die nach Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auf das Landessozialgericht (LSGer.) in ... überging.

In diesem Verfahren, in dem die Klägerin zur Begründung ihres Rechtsmittels erneut das Vorliegen weiterer Beitragszeiten behauptet hatte, vertrat sie sich zunächst selber. Durch Schreiben vom 9. Dezember 1953 wurde ihr vom Landesverwaltungsgericht ... mitgeteilt, daß die Berufung mit dem Inkrafttreten des SGG auf das LSGer. ... übergehe. Nachdem ihr am 3. Februar 1954 die Ladung für den auf den 18. Februar 1954 anberaumten Verhandlungstermin zugestellt war, erteilte sie den Vertretern des Reichsbundes der Kriegs- und Zivilbeschädigten, Sozialrentner und Hinterbliebenen, Landesverband ..., eine Vertretungsvollmacht.

Durch Eilbrief vom 16. Februar 1954, der am 17. Februar 1954 beim LSGer. einging, zeigten die Bevollmächtigten dem LSGer. die Übernahme der Vertretung an und beantragten weiter die Vertagung des Termins, da sie nicht in der Lage seien, so kurzfristig eine Berufungsbegründung abzugeben. Zur Klärung der Anspruchsberechtigung erbaten sie, die Akten zu ihrer Einsicht an das LSGer. in ... abzugeben.

Auf dieses Schreiben wurden die Vertreter der Klägerin unmittelbar nach dessen Eingang (am 17.2.1954 um 11 00 Uhr vormittags) auf Anordnung des Senatsvorsitzenden fernmündlich dahin beschieden, "daß über den Vertagungsantrag in der Verhandlung entschieden wird, der Erfolg aber gering erscheint, da das Berufungsverfahren bereits am 8. April 1953 eingeleitet worden ist."

Im Verhandlungstermin am 18. Februar 1954 wurde alsdann durch Beschluß der Vertagungsantrag abgelehnt und anschließend die Berufung zurückgewiesen; hierbei legte das Gericht der Klägerin einen Betrag von 15.- DM Mutwillenskosten auf, da es annahm, die Klägerin müsse ihren Anspruch selbst als unberechtigt erkannt haben.

Das LSGer. hat die Revision nicht zugelassen. Das Urteil wurde den Vertretern der Klägerin am 6. März 1954 zugestellt. Die Rechtsmittelbelehrung des Urteils enthält keinen Hinweis auf den Vertretungszwang vor dem Bundessozialgericht.

Am 31. März 1954 legte die Klägerin, vertreten durch ihre Bevollmächtigten, Revision gegen dieses Urteil ein. Die Revisionsschrift enthält keinen Antrag, sondern verweist dieserhalb ausdrücklich auf ein später folgendes Schreiben. In diesem, am 22. April 1954 eingegangenen Schreiben, wird der Antrag gestellt,

die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zu verurteilen, der Klägerin die beantragte Invalidenrente rückwirkend von der Antragstellung ab zu gewähren,

und im übrigen die Revision begründet.

Als wesentlichen Mangel des Verfahrens rügt die Klägerin, daß das LSGer. sich mit dem Antrag auf Vertagung und Gewährung von Akteneinsicht, der gestellt sei, weil "ohne eine solche Akteneinsicht die sich aus dem Verfahren ergebende Rechtslage nicht zu übersehen war", überhaupt nicht auseinandergesetzt habe. Das Übergehen eines derartigen begründeten Antrags sei ein wesentlicher Mangel (AN. 1911 S. 421).

Sachlich habe das Gericht nicht berücksichtigt, daß die Wartezeit nach der besonderen Bestimmung des § 17 Abs. 1 des Gesetzes über weitere Maßnahmen in der Reichsversicherung aus Anlaß des Krieges vom 15. Januar 1941 in Verbindung mit dem Rundschreiben des RVA. vom 28. April 1944 (RArbBl. II S. 124) bei der Klägerin, die seit 1953 sogar eine KB-Versorgungsrente von 80 v. H. erhalte, als erfüllt gelte.

Die Beklagte hat demgegenüber die Verwerfung der Revision als unzulässig beantragt; sie hat weiter beantragt, der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Sie bestreitet das Vorliegen eines Verfahrensmangels; eine Vertagung sei bei dem geklärten Sachverhalt nicht erforderlich gewesen; selbst wenn in der Ablehnung der Vertagung ein Verfahrensmangel liegen würde, sei er nicht wesentlich.

 

Entscheidungsgründe

I. Da das LSGer. die Revision nicht zugelassen hat, hängt ihre Statthaftigkeit davon ab, ob die Klägerin einen wesentlichen Verfahrensmangel gerügt hat und ob dieser tatsächlich vorliegt.

II. Von der Klägerin wird zunächst vorgetragen, das LSGer. habe sich mit ihrem Vertagungsantrag nicht auseinandergesetzt und ihn übergangen. Diese Angaben treffen nicht zu. Das Gericht hat sich vielmehr, wie aus der Verhandlungsniederschrift ersichtlich ist, in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich mit dem Antrag befaßt und ihn durch seinen Beschluß abgelehnt.

Über das Verfahren bei Terminsänderungen enthält das SGG keine Vorschriften. Die im § 227 ZPO getroffene Regelung überläßt die Herrschaft über die Termine nicht dem Willen der Parteien, sondern legt die Entscheidung über die vorzunehmende Terminsänderung in die freie pflichtgemäße Entscheidung des Gerichts. Es bestehen, da insoweit das in der ZPO vorgeschriebene Verfahren der das SGG ohnehin beherrschenden Verfahrensart entspricht, keine Bedenken, gemäß § 202 SGG im sozialgerichtlichen Verfahren den § 227 ZPO entsprechend anzuwenden.

Da § 227 ZPO nur für einen ohne mündliche Verhandlung ergangenen Beschluß über die Verlegung eines Termins eine Begründung vorschreibt, ist insoweit ein Verfahrensverstoß nicht ersichtlich.

III. Die Klägerin will jedoch mit ihrer Rüge offenbar auch beanstanden, daß das Gericht den Vertagungsantrag rechtsirrigerweise abgelehnt habe.

Nach der gesetzlichen Vorschrift ist Voraussetzung für eine Terminsänderung, daß ein erheblicher Grund vorliegt. Ist ein solcher Grund gegeben, so stellt das Gesetz die Entscheidung darüber, ob dieser Grund im jeweils gegebenen Einzelfall und bei dem jeweiligen Verfahrensstand eine Terminsänderung als tunlich erscheinen läßt, in das freie Ermessen des erkennenden Gerichts; diese Ermessensfreiheit schließt die Möglichkeit ein, daß trotz Vorliegen erheblicher Gründe das Gericht aus anderen, ihm bedeutsam erscheinenden Erwägungen von einer Terminsänderung absieht. Kommt das Gericht zu einer derartigen Zurückweisung eines Antrags auf Aufhebung oder Verlegung eines Termins, so ist diese Zurückweisung nach der ausdrücklichen Vorschrift des § 227 ZPO unanfechtbar.

Durch diese gesetzliche Regelung ist mithin die Frage, ob bei der Ablehnung eines Antrags auf Terminsaufhebung oder -verlegung das Gericht das Vorliegen eines erheblichen Grundes zu Unrecht verneint oder trotz Vorliegen eines solchen Grundes eine fehlsame ablehnende Ermessensentscheidung getroffen hat, grundsätzlich der Nachprüfung des Instanzgerichts entzogen und kann auch nicht im Wege einer Rüge wesentlicher Verfahrensmängel zur Entscheidung gebracht werden.

IV. Anders liegt es dagegen, wenn durch die Ablehnung des Antrages auf Terminsaufhebung oder -verlegung gleichzeitig andere Verfahrensvorschriften verletzt werden. Stellt diese Verletzung einen wesentlichen Mangel des Verfahrens im Hinblick auf solche anderen Verfahrensvorschriften dar, so ist der Beschwerte zu ihrer Rüge berechtigt.

Aus dem Vorbringen der Klägerin muß entnommen werden, daß sie die Ablehnung ihres Antrages auf Terminsverlegung gerade deshalb angreift, weil ihre Prozeßbevollmächtigten ohne die - ohne Vertagung kaum ausreichend durchführbare - Akteneinsicht die Rechtslage nicht hätten übersehen können und daher zur Abgabe zweckmäßiger Erklärungen nicht in der Lage gewesen seien. In diesem Vorbringen liegt - nach Auffassung des Senats genügend substantiiert - die Rüge, der Klägerin sei durch die Ablehnung der Terminsaufhebung oder -verlegung das erforderliche rechtliche Gehör versagt worden.

Wenn als Folge des Verfahrens des LSGer. eine unzulässige Beschränkung des der Beklagten zu gewährenden rechtlichen Gehörs festgestellt wird, so ist die auf § 62 SGG gestützte Rüge begründet; dabei kann es im vorliegenden Fall nicht darauf ankommen, ob die Klägerin im Verhandlungstermin vertreten gewesen ist, denn die unzulässige Beschränkung des rechtlichen Gehörs wäre hier einzig eine Folge der unzureichend gewährten Zeit zur Vorbereitung einer sachgemäßen Erklärung.

V. Die Prüfung der Rüge nach den oben erörterten Gesichtspunkten zeigt jedoch, daß sie bereits nicht als schlüssig anzusehen ist. Der Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs besagt nur, daß den Beteiligten vom Gericht ausreichend Gelegenheit zur sachlichen Äußerung geboten werden muß. Ob die Beteiligte von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, unterliegt einzig ihrer Entscheidung und Verantwortung.

Wenn im vorliegenden Fall die Beklagte erst 2 Tage vor dem Verhandlungstermin Prozeßbevollmächtigte mit ihrer Vertretung beauftragt hat, so hat nur sie es zu vertreten, wenn diesen Prozeßbevollmächtigten zur Einarbeitung und ordnungsmäßigen Terminsvorbereitung zu wenig Zeit zur Verfügung stand. Die Klägerin, die selbst durch ihre Berufungseinlegung zehn Monate vorher das vor der zweiten Instanz schwebende Verfahren eingeleitet hatte, die über den Übergang des Verfahrens vom Oberverwaltungsgericht ... auf das LSGer. unterrichtet war, und der die Terminsladung über zwei Wochen vor dem Terminstag zugestellt wurde, hatte ausreichend Zeit und Gelegenheit zur rechtzeitigen Bestellung eines Prozeßbevollmächtigten. Wenn sie diese ihr ohne weiteres früher zumutbare Bevollmächtigung bis 2 Tage vor dem Terminstag hinauszögerte, so kann sie sich nicht dadurch beschwert fühlen, daß ihren Prozeßbevollmächtigten eine zu geringe Zeit zur ordnungsmäßigen Vorbereitung zur Verfügung stand. Die Rüge einer Versagung oder Beschränkung des rechtlichen Gehörs kann daher schon nach der eigenen Behauptung der Klägerin nicht als schlüssig angesehen werden.

VI. Da die Revision mangels Schlüssigkeit der vorgebrachten Verfahrensrügen nicht statthaft ist, verbietet sich ein Eingehen auf die weiteren sachlichen Rügen.

Die Revision war somit gemäß § 169 Satz 2 SGG als unzulässig zu verwerfen.

Davon, daß die Revision mutwillig eingelegt wäre, vermochte sich der Senat nicht zu überzeugen; der Klägerin waren daher nach § 192 SGG keine Kosten aufzuerlegen. Die Kostenentscheidung im übrigen folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2373412

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