Leitsatz (amtlich)

Dient die Fahrt zweier Versicherter in einem Fahrzeug von dem Ort ihrer Tätigkeit zu der Familienwohnung eines dieser Versicherten allein dem Transport einer privaten Sache, so ist es keine gemeinsame Fahrt iS des § 550 Abs 2 Nr 2 RVO.

 

Orientierungssatz

Bei der Fahrgemeinschaft, die durch eine Abweichung den Tatbestand des § 550 Abs 1 RVO erweitert, muß die gemeinsame Fahrt, soweit sie sich auf einen für den Verunglückten nicht nach § 550 Abs 1 RVO geschützten Weg erstreckt, dem beschäftigungsbezogenen Weg des Mitfahrers zwischen dessen Wohnung und Arbeitsstelle dienen, so daß die Weiterfahrt nach Absetzen des einen als Folge der Gemeinschaftsfahrt für den Alleinfahrer noch vor Erreichen seiner von § 550 Abs 1 RVO erfaßten Strecke als geschützt angesehen werden kann.

 

Normenkette

RVO § 550 Abs 2 Nr 2 Fassung: 1974-04-01; RVO § 550 Abs 1

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 08.02.1983; Aktenzeichen L 3 U 43/81)

SG Nürnberg (Entscheidung vom 14.01.1981; Aktenzeichen S 14 U 50/80)

 

Tatbestand

G., der Ehemann der Klägerin zu 1) und Vater der übrigen Kläger, verunglückte im Dezember 1979 gegen 23.30 Uhr nach seiner Tätigkeit als Maschinenarbeiter tödlich im Straßenverkehr. Er hatte mit seinem Kraftwagen einen Filmprojektor, den er von einem Arbeitskollegen entliehen und zum Arbeitsplatz mitgenommen hatte, nach gemeinsamer Schicht zu dessen Wohnung, die etwa 350 Meter nördlich der Arbeitsstätte liegt, gebracht. Dabei hatte er den Arbeitskameraden mitgenommen. Auf der Fahrt von dessen Wohnung zu seiner eigenen, die etwa 500 Meter westlich der Fabrik liegt, verunglückte G., bevor er seine übliche Heimwegstrecke erreichte. Der Antrag auf Hinterbliebenenentschädigung ist erfolglos geblieben (Bescheid vom 25. Januar 1980, Urteile des Sozialgerichts vom 14. Januar 1981 und des Landessozialgerichts -LSG- vom 8. Februar 1983). Das Berufungsgericht hat einen Unfall auf einem nicht versicherungsrechtlich geschützten Abweg angenommen. Ein Arbeitsunfall sei auch nicht wegen einer Fahrgemeinschaft im Sinne des § 550 Abs 2 Nr 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) gegeben. Der Verunglückte sei wesentlich wegen der Rückgabe des entliehenen Gerätes, das der Eigentümer nicht nach Hause hätte tragen können, zu dessen Wohnung gefahren. Die Mitnahme des Kollegen sei als Nebenzweck zu beurteilen. G. hätte ihn ohne jenen privaten Grund nicht nach Hause gefahren. Als "gemischte Tätigkeit" sei die Fahrt deshalb nicht versicherungsrechtlich geschützt gewesen, weil sie nicht wesentlich dem Unternehmen gedient habe, in dem beide beschäftigt waren; bedeutsamer sei das private Interesse gewesen.

Die Kläger rügen mit ihrer - vom LSG zugelassenen - Revision eine Verletzung des § 550 Abs 2 Nr 2 RVO. Die Heimfahrt des Kollegen habe im Interesse des Unternehmens gelegen, bei dem dieser beschäftigt war; sie habe das Risiko, im Dunkeln überfallen zu werden, verringert. Dann habe auch der Verstorbene für den Rest seines Weges unter Versicherungsschutz gestanden. Die Fahrt sei außerdem als "gemischte Tätigkeit" geschützt gewesen, weil der Transport des Filmprojektors nicht bedeutender gewesen sei als der des Kollegen.

Die Kläger beantragen, die angefochtenen Entscheidungen aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Klägern wegen des tödlichen Unfalls des Versicherten vom 4. Dezember 1979 Hinterbliebenenrenten aus der Unfallversicherung zu leisten.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Kläger hat keinen Erfolg.

Die Beklagte und die Vorinstanzen haben zu Recht einen Anspruch auf Hinterbliebenenentschädigung verneint; denn der Ehemann der Klägerin zu 1) und Vater der übrigen Kläger ist nicht durch einen Arbeitsunfall ums Leben gekommen (§ 589 Abs 1 Nr 3, §§ 590, 595 RVO).

Als Arbeitsunfall gilt nach § 550 Abs 1 RVO (idF des § 15 des 17. Rentenanpassungsgesetzes vom 1. April 1974 - BGBl I 821 -) auch ein Unfall auf einem Weg nach und von dem Ort einer der in § 539 Abs 1 Nr 1 RVO genannten, auf einem Arbeitsverhältnis beruhenden Tätigkeit, wenn der Weg mit dieser zusammenhängt (vgl dazu BSG SozR 2200 § 550 Nr 57). G. ist nicht bei einer solchen Autofahrt ums Leben gekommen. Der Unfall ereignete sich nicht auf der Strecke zwischen dem Betrieb, in dem der Verstorbene beschäftigt war, und seiner Wohnung, vielmehr auf einer Fahrt, die in nahezu entgegengesetzter Richtung geführt hatte, und noch vor Erreichen des Heimweges.

Ungeachtet der von der Rechtsprechung anerkannten Freiheit, einen weiteren als den kürzesten Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zu wählen, stand G. deshalb auf dem Umweg nicht unter Versicherungsschutz, weil er ihn aus einem privaten, nicht mit seiner Beschäftigung zusammenhängenden Grund gewählt hatte (BSG SozR 2200 § 550 Nr 45; BSG 11. Dezember 1973 - 2 RU 148/72 -). Er wollte vor seiner Heimkehr auf dem Umweg den von seinem Arbeitskollegen geliehenen Filmprojektor, den dieser nicht gut nach Hause tragen konnte, zu dessen Wohnung bringen. Das war eine private, nicht durch die Beschäftigung bedingte, nicht auf sie bezogene Verrichtung, die der Freizeit zuzurechnen ist. Sie kann nicht dem versicherten Gefahrenbereich zugeordnet werden. Ein Unfall, der sich auf einem solchen Weg vor dem Erreichen der direkten Strecke zwischen Arbeitsplatz und Wohnung ereignet, ist nicht unfallversicherungsrechtlich geschützt. G. erlitt den Unfall auch nicht auf einem unbedeutenden, belanglosen Um- oder Abweg, den die Rechtsprechung entsprechend der schon erwähnten Wahlfreiheit ausnahmsweise als unfallversicherungsrechtlich geschützt ansieht (BSG 11. Dezember 1973 - 2 RU 148/72 - und 31. Januar 1984 - 2 RU 83/82 -; für Unterbrechung anderer Art: BSG, USK 7405).

Entgegen der Ansicht der Revision war auch kein Versicherungsschutz nach § 550 Abs 2 Nr 2 RVO gegeben. Nach dieser Vorschrift ist ein Wegeunfall auf einem räumlichen Ab- oder Umweg ausnahmsweise nicht ausgeschlossen, wenn eine Fahrgemeinschaft bestand, dh wenn der Versicherte von der unmittelbaren Strecke zwischen seiner Wohnung und Beschäftigungsstelle deshalb abgewichen ist, weil er mit anderen berufstätigen oder versicherten Personen gemeinsam ein Fahrzeug für den Weg von und nach dem Ort der Tätigkeit benutzt.

Da dieser erweiterte Versicherungsschutz 1974 wohl vor allem um des Energiesparens willen eingeführt worden ist (vgl dazu Gesetzesbegründung in BT-Drucks 7/1642, S 4; BSGE 54, 46, 48 = SozR 2200 § 550 Nr 51), drängt es sich auf, ihn auf Fahrgemeinschaften von Versicherten oder Berufstätigen zu beschränken, die mindestens teilweise denselben direkten Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte gemeinsam zurücklegen. Die Rechtsprechung hat jedoch bisher den bezeichneten Ausnahmetatbestand wegen seiner weiten Formulierung ebenso auf Fälle erstreckt, in denen ein Versicherter im Zusammenhang mit seiner eigenen Fahrt zur oder von der Arbeitsstelle einen anderen zu dessen Wohnung oder Tätigkeitsort fortbringt, also mit diesem überhaupt keine gemeinsame Strecke gemäß § 550 Abs 1 RVO zurückzulegen hat (BSGE 54, 48). Gleichwohl ist im gegenwärtigen Fall eine Fahrgemeinschaft der bezeichneten Art aus einem Grund zu verneinen, auf den das LSG im Ergebnis abgehoben hat.

Bei der Fahrgemeinschaft, die durch eine Abweichung den Tatbestand des § 550 Abs 1 RVO erweitert, muß die "gemeinsame" Fahrt, soweit sie sich auf einen für den Verunglückten nicht nach § 550 Abs 1 RVO geschützten Weg erstreckt, dem beschäftigungsbezogenen Weg des Mitfahrers zwischen dessen Wohnung und Arbeitsstelle dienen (andeutend: BSGE 54, 48 und 50; SozR 2200 § 550 Nr 56; BSG 8. Dezember 1983 - 2 RU 75/82 -), so daß die Weiterfahrt nach Absetzen des einen als Folge der Gemeinschaftsfahrt für den Alleinfahrer noch vor Erreichen seiner von § 550 Abs 1 RVO erfaßten Strecke als geschützt angesehen werden kann. Indes erfüllt dieser äußere Ablauf allein noch nicht den Tatbestand des § 550 Abs 2 Nr 2 RVO. Ein Unfallversicherungsschutz für den Mitfahrer auf seinem eigenen Heimweg bewirkt nicht stets ohne weiteres für den anderen, daß seine Weiterfahrt, die für ihn nicht dem § 550 Abs 1 RVO zuzurechnen ist, in die Ausnahmeregelung des § 550 Abs 2 Nr 2 RVO einbezogen wird. Vielmehr muß darüber hinaus die mindestens auf einem Abschnitt gemeinsam vorgenommene Benutzung des Fahrzeuges für einen Weg, der für den Mitfahrer nach § 550 Abs 1 RVO geschützt ist, den tragenden Grund für die Abweichung des einen Versicherten von seinem unmittelbaren Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bilden; denn dieser Versicherte ist bloß insofern geschützt, als er abweicht, "weil" er mit einem anderen "gemeinsam" auf der Strecke zwischen dessen Wohnung und Arbeitsplatz fährt. Eine nicht derart beschäftigungsbezogene Fahrt, die hauptsächlich einem anderen Zweck dient, kann nicht in den geschützten Gefahrenbereich einbezogen werden. Das ändert sich auch nicht dann, wenn auf dieser Fahrt streckenweise nebenher jemand mitgenommen wird, der sich gerade auf einem für ihn dem § 550 Abs 1 RVO zuzuordnenden Weg befindet.

Im gegenwärtigen Fall war das Mitfahren des Kollegen kein Hauptzweck der bezeichneten Art, der der Fahrt in rechtserheblicher Weise gemäß § 550 Abs 5 Nr 2 RVO das Gepräge gegeben hätte. G. nahm seinen Arbeitskameraden nicht etwa nach der Schicht zur Wohnung mit, weil er ihn nach Hause bringen wollte. Vielmehr besorgte er mit dieser Fahrt eine eigene, der Freizeit zuzurechnende Sache, die ihm obliegende Beförderung des entliehenen Gerätes, wie bereits dargelegt worden ist. Dies geschah lediglich unmittelbar anschließend an die gemeinsam beendete Arbeitsschicht und im äußeren örtlichen Zusammenhang mit dem Weg zwischen Arbeitsplatz und Wohnung des Kollegen. Naturgemäß lag es nahe, den Eigentümer bei dieser Gelegenheit mitfahren zu lassen, zumal dieser gegen Mitternacht leicht den Zugang zu seiner Wohnung verschaffen konnte. Das war indes keine "gemeinsame" Fahrt iS des § 550 Abs 2 Nr 2 RVO.

Eine solche Fahrgemeinschaft könnte wohl angenommen werden, wenn der Verunglückte den Eigentümer des Gerätes, zB wegen einer Gehbehinderung oder wegen ungewöhnlicher Bequemlichkeit oder wegen besonderen Gefahren, ständig oder regelmäßig oder wenigstens gelegentlich (BSG SozR 2200 § 550 Nr 45) den kurzen Weg nach Hause gefahren hätte. Das war aber nicht der Fall. Auch ist für den Unfalltag kein besonderer Anlaß für eine solche einmalige Gefälligkeit, zB ein Unwetter, festgestellt. Falls dagegen ein derartiger Grund für eine "gemeinsame" Fahrt bis zur Wohnung des Kollegen bestanden hätte, wäre andererseits ein Versicherungsschutz gem § 550 Abs 2 Nr 2 RVO nicht allein dadurch ausgeschlossen worden, daß der Verunglückte gelegentlich einer solchen Fahrt den ausgeliehenen Filmprojektor mit transportiert hätte. Das gilt ebenso wie für die vorausgegangene Fahrt des G. mit dem Gerät zur Arbeitsstätte.

Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, daß der Versicherungsschutz nach § 550 Abs 2 Nr 2 RVO grundsätzlich nicht von bestimmten inneren Motiven abhängt, die zur Bildung einer Fahrgemeinschaft führen (BSG SozR 2200 § 550 Nr 45), zB von wirtschaftlichen Überlegungen, nachbarlichen Beziehungen oder einer Ehe. Dies setzt aber einen Tatbestand im Sinne der genannten Vorschrift voraus, und dazu gehört unerläßlich, daß die gemeinsame Benutzung eines Fahrzeuges auf einem Weg, der streckenweise für einen Mitfahrer ein solcher im Sinne des § 550 Abs 1 RVO ist, den tragenden Grund und Hauptzweck für die Abweichung vom gesetzlich geschützten Weg des Fahrers bildet. Dies ist nach äußeren Umständen zu beurteilen, die im gegebenen Fall fehlen.

Die Fahrt, die mithin maßgebend durch einen privaten, mit keiner Beschäftigung zusammenhängenden Zweck bestimmt wurde, kann schließlich nicht nach den Rechtsgrundsätzen über "gemischte Tätigkeiten" als versicherungsrechtlich geschützt beurteilt werden, falls diese überhaupt im Zusammenhang mit § 550 Abs 2 Nr 2 RVO zu beachten sind (BSG 29. Februar 1983 - 2 RU 73/82 -). Bei untrennbar "gemischten" Betätigungen wird der private Anteil als unschädlich bewertet, wenn er gegenüber dem beschäftigungsbezogenen höchstens gleichrangig ist. Im gegenwärtigen Fall war aber der Privatzweck für die gemeinsame Fahrt allein entscheidend.

Mithin muß die Revision der Kläger als unbegründet zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1664143

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