Entscheidungsstichwort (Thema)

Unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung. Beitragsnachentrichtung. Änderung des Nachentrichtungsantrages. Zusammenwirken von Bürger und Verwaltung

 

Orientierungssatz

1. Die Widerspruchsfrist gegen einen Bescheid beträgt einen Monat nach Bekanntgabe des Bescheides (SGG § 84 Abs 1). Eine "Zustellung" des Bescheides ist nirgends vorgeschrieben. Weist die Rechtsbehelfsbelehrung jedoch darauf hin, daß gegen den Bescheid innerhalb eines Monats nach "Zustellung" Widerspruch erhoben werden kann, ist sie insoweit unrichtig, als sie den Eindruck erweckt, daß die Frist erst mit ordnungsgemäßer Zustellung zu laufen beginnt. Wegen dieser Unrichtigkeit kann der Widerspruch noch innerhalb eines Jahres eingelegt werden (SGG § 66 Abs 2).

2. Mit dem Eintritt der Bindung des Bescheides erlischt grundsätzlich die Befugnis des Berechtigten, von den im Bescheid festgelegten Beitragsklassen und Entrichtungszeiträumen abzuweichen. Bis dahin, dh solange der Bescheid noch nicht bindend geworden ist, bleibt der Berechtigte dagegen - im Rahmen der gesetzlichen Belegungsvorschriften (vgl insbesondere AnVNG Art 2 § 49a Abs 2) - zur Änderung der von ihm beantragten und im Bescheid nach Grund, Zeit und Höhe festgestellten Beitragsnachentrichtung befugt.

3. Gibt ein Bürger seinem Willen, von einem Recht Gebrauch zu machen, überhaupt erkennbaren Ausdruck, so ist es Aufgabe der Verwaltung, dem Antragsteller bei der konkreten Gestaltung seines Rechts in dem je nach Lage des Einzelfalles gebotenen Umfange behilflich zu sein. Zu einer dem Wesen des Sozialstaats (GG Art 20 Abs 1) entsprechenden Verwirklichung sozialer Rechte gehört auch ein Verwaltungsverfahren, das auf einem engen Zusammenwirken (Kooperation) des Antragstellers und des Versicherungsträgers beruht und eine sachgerechte Aufklärung und Beratung des Antragstellers durch den Versicherungsträger einschließt.

 

Normenkette

AnVNG Art 2 § 49a Abs 2 Fassung: 1972-10-16; ArVNG Art 2 § 51a Abs 2 Fassung: 1972-10-16; SGG § 66 Abs 2 Fassung: 1953-09-03, § 84 Abs 1 Fassung: 1953-09-03; GG Art 20 Abs 1 Fassung: 1949-05-23

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Entscheidung vom 12.07.1979; Aktenzeichen L 6 An 1117/78)

SG Wiesbaden (Entscheidung vom 15.06.1978; Aktenzeichen S 3 An 58/78)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob die Klägerin berechtigt war, nach Ablauf der Antragsfrist für die Nachentrichtung freiwilliger Beiträge nach Art 2 § 49a des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) durch einen weiteren Antrag den Umfang der Nachentrichtung zu erweitern.

Die Klägerin beantragte zunächst die Nachentrichtung von Beiträgen für die Jahre 1969 bis 1973 (Antrag vom 1. April 1975). Der Antrag enthielt den Zusatz "1. Rate". Gleichzeitig wurde der Gesamtbetrag von 4.212,-- DM überwiesen. Sie erhielt daraufhin eine Beitragsbescheinigung von der Beklagten.

Mit weiterem Schreiben vom 13. Mai 1977 stellte die Klägerin einen Ergänzungsantrag für die Jahre 1956 bis 1968. Die Beklagte lehnte diesen zusätzlichen Nachentrichtungsantrag jedoch ab (Bescheid vom 26. Juli 1977). Der Widerspruch wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 14. März 1978). In der Begründung berief sich die Beklagte darauf, daß der Widerspruch verspätet eingegangen und deshalb unzulässig sei; im übrigen sei er auch in der Sache unbegründet.

Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 15. Juni 1978). Es hat den Widerspruch nicht als verspätet angesehen, weil der Bescheid nicht dem Bevollmächtigten der Klägerin übermittelt worden sei.

In der Sache hat das SG die Auffassung vertreten, daß aus dem Zusatz "1. Rate" ersichtlich sei, daß die Klägerin schon bei der ersten Antragstellung eine volle Belegung beabsichtigte und lediglich die Konkretisierung noch ausstand. Diese habe innerhalb des Rahmens für die Teilzahlungen vorgenommen werden können.

Das Landessozialgericht (LSG) hat dieses Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil des Hessischen LSG vom 12. Juli 1979). Es hat die Auffassung vertreten, der im einzelnen konkretisierte Antrag der Klägerin aus dem Jahre 1975 habe sich dadurch erledigt, daß die Beklagte ihm stattgegeben habe. Eine weitere Beitragsentrichtung wäre nur möglich gewesen, wenn sie bis zum 31. Dezember 1975 einen weiteren Antrag gestellt hätte. Das Gesetz sehe die Möglichkeit weiterer Folgeanträge nach Ablauf der Ausschlußfrist (31. Dezember 1975) nicht vor. Die Möglichkeit von Teilzahlungen betreffe nur die Abwicklung und nicht eine Streckung der Möglichkeit, den Umfang der Nachentrichtung zu konkretisieren.

Ebenso mache der Zusatz "1. Rate" einen Antrag nach Ablauf der Ausschlußfrist nicht zulässig. Aus diesem Vermerk könne nicht entnommen werden, welche Vorstellungen die Klägerin über den Umfang der Nachentrichtung gehabt habe.

Mit der Revision macht die Klägerin geltend, daß sie mit dem Zusatz "1. Rate" hinreichend ihren Willen zum Ausdruck gebracht habe, von ihrem Nachentrichtungsrecht für weitere Jahre Gebrauch zu machen. Hätten insoweit Unklarheiten bestanden, so wäre die Beklagte verpflichtet gewesen, die Klägerin zur rechtzeitigen Präzisierung aufzufordern. Dies sei aber letztlich nicht erforderlich gewesen, weil für die Berechtigung der Nachentrichtung auch ein fristgerecht gestellter formloser Antrag genüge. Deshalb müsse es auch ausreichen, wenn ein Antrag gestellt werde, der das Nachentrichtungsrecht für einen Teil der Zeit konkretisiere, für einen weiteren Zeitraum jedoch ausdrücklich offenlasse.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung

gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, zu einer ordnungsgemäßen Antragstellung gehörten vollständige Angaben über Anzahl und Höhe der nachzuentrichtenden Beiträge. Die Konkretisierung des Nachentrichtungsrechts habe zumindest vor Erteilung eines die Nachentrichtung zugelassenen Bescheides zu erfolgen. Die Entgegennahme formloser Anträge sei nur erfolgt, weil sich viele Versicherte kurz vor Fristablauf zur Antragstellung entschlossen hätten und die Beklagte in dieser Frist ihrer Beratungspflicht nicht mehr habe nachkommen können. Daraus könne aber nicht gefolgert werden, daß im übrigen schon allein der Zusatz "1. Rate" ausreiche, Anträge auch noch nach Fristablauf für zulässig anzusehen.

Beide Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, daß der Rechtsstreit durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) entschieden wird.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückweisung der Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG.

Beide Vorinstanzen sind zu Recht davon ausgegangen, daß der Widerspruch der Klägerin gegen den eine weitere Beitragsnachentrichtung ablehnenden Bescheid vom 26. Juli 1977 nicht verspätet eingelegt worden ist. Die Widerspruchsfrist gegen einen solchen Bescheid beträgt einen Monat nach Bekanntgabe des Bescheides (§ 84 Abs 1 SGG). Eine "Zustellung" des Bescheides ist nirgend vorgeschrieben. Da die Rechtsbehelfsbelehrung der Beklagten hier jedoch darauf hinweist, daß gegen den Bescheid innerhalb eines Monats nach "Zustellung" Widerspruch erhoben werden könne, ist sie insoweit unrichtig, als sie den Eindruck erweckt, daß die Frist erst mit ordnungsgemäßer Zustellung zu laufen beginnt. Wegen dieser Unrichtigkeit hat der Widerspruch noch innerhalb eines Jahres eingelegt werden können (§ 66 Abs 2 SGG), was hier geschehen ist. Im übrigen war auch die von der Beklagten veranlaßte Zustellung des Bescheides insofern fehlerhaft, als sie, wie das SG zutreffend ausgeführt hat, nicht an den von der Klägerin schon im Verwaltungsverfahren bestellten Bevollmächtigten erfolgt ist.

Entgegen der Auffassung des LSG hat die Klägerin den Ergänzungsantrag vom 13. Mai 1977 auf Nachentrichtung weiterer Beiträge für die Jahre 1956 bis 1968 wirksam gestellt.

Unter welchen Voraussetzungen ein Antrag auf Nachentrichtung freiwilliger Beiträge nach Art 2 § 49a AnVNG (= Art 2 § 51a ArVNG) auch nach Ablauf der gesetzlichen Antragsfrist (31. Dezember 1975) und nachdem der Versicherungsträger einen Bescheid über den Umfang der zulässigen Nachentrichtung erteilt hat, noch geändert oder ergänzt werden kann, hat der Senat unter Fortführung und Zusammenfassung, zum Teil allerdings auch in Abweichung von seiner bisherigen Rechtsprechung im Urteil vom 22. Februar 1980 (12 RK 12/79) entschieden und dazu in den Gründen ausgeführt:

Die Nachentrichtung von Beiträgen nach den Sondervorschriften in Art 2 § 49a AnVNG erfolgt "auf Antrag". Damit hat der Gesetzgeber der Entrichtung der Beiträge - anders als bei der Beitragsnachentrichtung nach der allgemeinen Vorschrift in § 140 Abs 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) - ein Verwaltungsverfahren vorgeschaltet, das durch die Stellung eines Antrages eingeleitet und durch einen Bescheid des Versicherungsträgers abgeschlossen wird. Außerdem hat der Gesetzgeber für den Antrag eine Frist bis zum 31. Dezember 1975 gesetzt. Mit dieser Ausschlußfrist hat er den Kreis der Personen, die zu der - für sie in der Regel besonders günstigen (vgl BVerfGE 49, 192, 204 ff) - Beitragsnachentrichtung nach Art 2 § 49a AnVNG berechtigt sind, auf diejenigen beschränkt, die bis zum Ablauf der genannten Frist einen Antrag gestellt haben. Da der Erwerb der Nachentrichtungsberechtigung somit von der fristgemäßen Stellung eines entsprechenden Antrages abhängig war, hat der Senat diesen Antrag in ständiger Rechtsprechung als rechtsgestaltend angesehen, und zwar auch insofern, als es nicht um das Recht zur Beitragsnachentrichtung überhaupt, sondern um den Umfang der Beitragsnachentrichtung (Zahl und Klasse der Beiträge) geht; er hat deshalb eine nachträgliche Änderung, insbesondere eine Erweiterung des Antrages, grundsätzlich für unzulässig gehalten (Urteile vom 7. Juni 1979, 12 RK 33/78, und vom 12. Oktober 1979, 12 RK 49/78 und 3/79).

Soweit es sich um die rechtliche Wirkung des Nachentrichtungsantrages im allgemeinen handelt, hält der Senat daran fest, daß der Antrag nicht nur die dargelegte verfahrensrechtliche Bedeutung hat (Einleitung eines Verwaltungsverfahrens), sondern daß er auch auf die materielle Rechtslage einwirkt, weil der Antragsteller, wie ausgeführt, erst mit der fristgemäßen Stellung des Antrags die Berechtigung zur Nachentrichtung von Beiträgen in dem in Art 2 § 49a AnVNG vorgesehenen Rahmen erwirbt. Insofern hat der Antrag in der Tat gestaltende Wirkung. Ihm darüber hinaus eine Gestaltungswirkung auch für den Umfang der Beitragsnachentrichtung einzuräumen, würde voraussetzen, daß der Antrag entsprechend konkretisiert ist, dh die Zahl und Klasse der nachzuentrichtenden Beiträge sowie den Belegungszeitraum angibt. Gerade das trifft aber für eine große Zahl von Anträgen, insbesondere die kurz vor Ablauf der genannten Frist (31. Dezember 1975) gestellten, nicht zu. Dennoch haben die Versicherungsträger diese Anträge - als Anträge "dem Grunde nach" - für wirksam gehalten. Hiergegen sind rechtliche Bedenken nicht zu erheben.

Wie in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) anerkannt ist, genügt es, soweit das Gesetz die Stellung eines Antrags vorschreibt, daß der Berechtigte in erkennbarer Weise seinen Willen zum Ausdruck bringt, von seinem Antragsrecht Gebrauch zu machen (vgl zB BSG SozR Nrn 10 und 26 zu Art 2 § 42 ArVNG; SozR 4460 § 21 Nr 1; SozR 2200 § 1241d Nr 1; BSG-Urteile vom 31. Januar 1980 - 11 RA 36/79 - und vom 21. Februar 1980 - 4 RJ 53/79 -). Dies gilt unabhängig davon, ob der Antrag verfahrensrechtliche oder materielle Bedeutung hat. Diese Rechtsprechung berücksichtigt einerseits die Stellung des Bürgers, andererseits die Aufgabe der Verwaltungsbehörde im Rahmen eines sozialen Leistungssystems. Soweit dem Bürger vom Gesetzgeber Möglichkeiten sozialer Sicherung angeboten werden, kann er deren Auswirkungen auf seine besondere Situation oft nur schwer überschauen; daher muß es genügen, wenn er seinem Willen, von einem Recht Gebrauch zu machen, überhaupt erkennbaren Ausdruck gibt. Ist dies geschehen, so ist es Aufgabe der Verwaltung, dem Antragsteller bei der konkreten Gestaltung seines Rechts in dem je nach Lage des Einzelfalles gebotenen Umfange behilflich zu sein. Zu einer dem Wesen des Sozialstaats (Art 20 Abs 1 Grundgesetz -GG-) entsprechenden Verwirklichung sozialer Rechte gehört auch ein Verwaltungsverfahren, das auf einem engen Zusammenwirken (Kooperation) des Antragstellers und des Versicherungsträgers beruht und eine sachgerechte Aufklärung und Beratung des Antragstellers durch den Versicherungsträger einschließt. Diesem Gedanken widerspräche es, bereits für den - oft entscheidenden - "Einstieg" in das Verfahren eine endgültige Festlegung aller Einzelheiten zu fordern oder aus einer etwaigen Festlegung von Einzelheiten deren Unabänderlichkeit zu folgern. Die Forderung nach einseitiger Präzisierung bereits im Antrag und das Festhalten des Antragstellers an einer im Antrag vorgenommenen Präzisierung würde bedeuten, daß der einzelne vorab das leistet, was eigentlich erst Aufgabe des Verfahrens ist, nämlich die sachgerechte Abgrenzung der Ansprüche unter Berücksichtigung des Zwecks der Normen und der besonderen Bedürfnisse des einzelnen. Im übrigen ist für Anträge auf Beitragsnachentrichtung nach Art 2 § 49a AnVNG zu berücksichtigen, daß ein großer Teil der Antragsteller vorher nicht der Sozialversicherung angehört hatte, deshalb mit den Regeln der Beitragsentrichtung nicht vertraut war und bei der Beitragsnachentrichtung nach der genannten Sondervorschrift außerdem vor der - nicht selten schwierigen - Frage stand, für welche Zeiten und in welcher Beitragsklasse die Nachentrichtung zulässig und für sie am zweckmäßigsten war. Da insoweit eine sachgemäße Aufklärung durch den Versicherungsträger bis zum Ablauf der Antragsfrist häufig nicht mehr erfolgen konnte, andererseits das Gesetz jeden "Antrag", auch einen formlosen, nicht näher konkretisierten, wenn er nur fristgemäß gestellt war, genügen läßt, haben die Versicherungsträger mit Recht auch die noch Ende 1975 bei ihnen eingegangenen zahlreichen "Grundanträge" als wirksam angesehen. Da sie nicht konkretisiert waren, beschränkt sich ihre Gestaltungswirkung auf den Erwerb einer Nachentrichtungsberechtigung dem Grunde nach.

Eine Frist, bis zu der solche Anträge konkretisiert werden mußten, enthält das Gesetz nicht. Schon deshalb besteht keine rechtliche Notwendigkeit, eine später durch den Nachentrichtungsberechtigten erfolgte (und zur Ausübung des Nachentrichtungsrechts auch erforderliche) Konkretisierung in dem Sinne für abschließend zu halten, daß sie nicht mehr geändert werden könne. Da andererseits die Nachentrichtung von Beiträgen nach Art 2 § 49a AnVNG - als eine zeitlich befristete Maßnahme - einmal zum Abschluß kommen muß, kann den Nachentrichtungsberechtigten keine zeitlich unbegrenzte Änderungsbefugnis zustehen. Als äußerste Grenze hat der Senat insoweit stets den Zeitpunkt der tatsächlichen Entrichtung der Beiträge angesehen. Sobald sie entrichtet sind, verbietet sich nach allgemeinen, nicht nur für die Beitragsnachentrichtung nach Art 2 § 49a AnVNG geltenden Grundsätzen eine Änderung von Beitragsklasse und Belegungszeit (Urteil des Senats vom 13. September 1979, 12 RK 39/78, mit weiteren Nachweisen).

. Aber auch für die Zeit vor der tatsächlichen Beitragsentrichtung kann der Berechtigte nicht uneingeschränkt befugt sein, nach Belieben von den einmal gewählten Beitragsklassen und Belegungszeiten abzuweichen (daß er keinen Anspruch auf Einräumung eines entsprechenden Vorbehalts in dem Nachentrichtungsbescheid des Versicherungsträgers hat, hat der Senat im Urteil vom 30. Januar 1980, 12 RK 13/79, entschieden). Das maßgebende Ereignis, nach dem die beantragte Beitragsnachentrichtung grundsätzlich nicht mehr geändert werden kann, ist vielmehr der Eintritt der Bindungswirkung des Bescheides, den der Versicherungsträger auf den Antrag hin erteilt. Daß ein solcher Bescheid zu ergehen hat, folgt aus dem gesetzlichen Antragserfordernis in Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG, dem auf seiten des Versicherungsträgers die Pflicht zur Bescheidung des Antrages entspricht. Dieser - das Verwaltungsverfahren abschließende - Bescheid legt die Berechtigung des Antragstellers zur Entrichtung von Beiträgen im einzelnen nach Zeit und Höhe fest. Als feststellender Verwaltungsakt kann er nach § 77 SGG in Bindung erwachsen (vgl BSGE 45, 247, 249). Mit dem Eintritt der Bindung des Bescheides erlischt deshalb grundsätzlich die Befugnis des Berechtigten, von den im Bescheid festgelegten Beitragsklassen und Entrichtungszeiträumen abzuweichen. Bis dahin, dh solange der Bescheid noch nicht bindend geworden ist, bleibt der Berechtigte dagegen - im Rahmen der gesetzlichen Belegungsvorschriften (vgl insbesondere Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG) - zur Änderung der von ihm beantragten und im Bescheid nach Grund, Zeit und Höhe festgestellten Beitragsnachentrichtung befugt. Das kann allerdings nur in einem geordneten Verwaltungsverfahren geschehen, indem der Berechtigte bis zum Ablauf der Widerspruchsfrist oder - bei Einlegung eines Widerspruchs - bis zum Abschluß des Widerspruchsverfahrens bei dem Versicherungsträger eine im einzelnen genau bezeichnete Änderung des ergangenen Bescheides beantragt und dieser darauf einen entsprechenden Änderungsbescheid erläßt. Daß auch ein bereits erteilter Bescheid noch geändert werden kann, hat die Beklagte (des früheren Rechtsstreits) im übrigen selbst angenommen und in einem Teil ihrer Nachentrichtungsbescheide den Bescheidempfängern sogar ausdrücklich zugestanden (vgl auch den vom Senat mit Urteil vom 13. September 1979, 12 RK 60/78, entschiedenen Fall).

Was hiernach für Nachentrichtungsanträge gilt, die bis zum Ablauf der Antragsfrist nicht konkretisiert waren, muß - schon aus Gründen der Gleichbehandlung aller Antragsteller - auch für diejenigen gelten, die noch vor Ablauf der Antragsfrist einen bereits konkretisierten Antrag gestellt hatten. Auch sie waren deshalb zur Änderung ihres Nachentrichtungsantrages bis zum Abschluß des Verwaltungsverfahrens befugt.

Diese Ausführungen des Senats im Urteil vom 22. Februar 1980 gelten auch für den vorliegenden Fall. Die Klägerin hat daher ihren Antrag vom 1. April 1975, soweit dieser nicht die "1. Rate" für die Zeit von 1969 bis 1973 betraf und nach tatsächlicher Entrichtung der Beiträge für diese Zeit einer Änderung entzogen war, als einen - bis zum Ablauf der gesetzlichen Antragsfrist noch nicht konkretisierten - Antrag dem Grunde nach auch später noch konkretisieren können und hat dies durch den Ergänzungsantrag vom 13. Mai 1977 in zulässiger Weise getan. Daß sie mit der Entrichtung von Beiträgen für die Jahre 1969 bis 1973 die Beitragsnachentrichtung nicht auf diese Zeit hat beschränken wollen, hat sie durch den Zusatz "1. Rate" hinreichend deutlich zu erkennen gegeben. Auch wenn ihr Ergänzungsantrag als Änderung anzusehen wäre, wäre die Klägerin dazu befugt gewesen, weil noch kein Bescheid ergangen war, der die Beitragsentrichtung bindend begrenzt hatte. Auf jeden Fall hat die Klägerin mithin die - hier allein streitige - Antragsergänzung wirksam vornehmen können. Das SG hat deshalb die von ihr beantragte Nachentrichtung von Beiträgen für die Zeit von 1956 bis 1968 mit Recht als zulässig angesehen. Der Senat hat demgemäß unter Aufhebung der Entscheidung des LSG das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1654996

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