Leitsatz (amtlich)

Ein Antrag auf Nachentrichtung freiwilliger Beiträge nach AnVNG Art 2 § 49a Abs 2 kann auch nach Ablauf der gesetzlichen Antragsfrist (1975-12-31) hinsichtlich der gewählten Beitragsklasse noch geändert werden, wenn und soweit der Versicherungsträger dem Antragsteller in dem ihm erteilten Bescheid eine Änderung vorbehalten hatte.

 

Orientierungssatz

Die wirksame Ausübung des Antragsrechts erfordert es, die rechtsgestaltende Willenserklärung vor Fristablauf wenigstens in einem Umfange abzugeben, der die Bestimmung des objektiven Erklärungsinhaltes zuläßt. Ob ein formloses Schreiben an den Versicherungsträger, Beiträge nachentrichten zu wollen, ein hinreichend bestimmter Nachentrichtungsantrag ist, der noch nachträglich durch Bezeichnung bestimmter Beitragszeiten und -klassen ergänzt werden kann, bleibt dahingestellt. In einem Formblattantrag in dem für alle angegebenen Monate die Nachentrichtung von Beiträgen der "höchsten" Klasse beantragt wird, gestaltet der Antragsteller sein Versicherungsverhältnis.

Er ist aber an die in seinem Formblattantrag enthaltene Erklärung (Nachentrichtung von Beiträgen der "höchsten" Beitragsklasse für die Zeit von Januar 1956 bis Dezember 1973) nicht gebunden.

 

Normenkette

AnVNG Art. 2 § 49a Abs. 2 Fassung: 1972-10-16; ArVNG Art. 2 § 51a Abs. 2 Fassung: 1972-10-16

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 26.09.1978; Aktenzeichen L 6 An 1703/77)

SG Karlsruhe (Entscheidung vom 01.09.1977; Aktenzeichen S 2 An 718/77)

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger mit einem 1976 gestellten Antrag die 1975 beantragte Nachentrichtung von Beiträgen gemäß Art 2 § 49a Abs 2 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) ändern konnte.

Der Kläger hat mit seinem am 19. Dezember 1975 bei der Beklagten eingegangenen Formblattantrag gem Art 2 § 49a AnVNG beantragt, für die Zeit von Januar 1956 bis Dezember 1973 freiwillige Beiträge der (jeweils) höchsten Beitragsklasse nachzuentrichten. Zugleich hat er Ratenzahlung beantragt und darauf hingewiesen, daß er am 10. Juli 1973 einen Antrag auf Leistungen der Stiftung für die Alterssicherung älterer Selbständiger gestellt habe. Diesem Antrag hat die Beklagte mit dem Bescheid vom 22. Januar 1976 dahin entsprochen, daß sie die Entrichtung von 216 freiwilligen Beiträgen der jeweils höchsten Klasse (600 bis 2200) für die Zeit vom 1. Januar 1956 bis zum 31. Dezember 1973 zuließ und für den Gesamtbeitrag in Höhe von 47.088 DM Teilzahlung bewilligte. In diesem Bescheid heißt es ferner, eine Änderung des Nachentrichtungsantrages sei nur zulässig, solange dieser Bescheid noch nicht bindend geworden sei und die betroffenen Beiträge noch nicht entrichtet worden seien.

Der Kläger hat zur Begründung seines Widerspruchs zunächst nur allgemein geltend gemacht, ihm müsse die Bestimmung der Beitragsklassen auch noch nach dem 31. Dezember 1975 ermöglicht werden, weil noch nicht abzusehen sei, ob und in welcher Höhe die Stiftung zur Alterssicherung älterer Selbständiger Leistungen erbringen werde. Die Aufforderung der Beklagten vom 27. Oktober 1976, mitzuteilen, wann von der Beitragsklassen-Neubestimmung Gebrauch gemacht werde, ließ der Kläger unbeantwortet. Danach wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 9. Februar 1977 zurück. Im Klageverfahren hat der Kläger an seiner Widerspruchsbegründung festgehalten. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 1. September 1977). Nachdem die Beklagte im Berufungsverfahren nochmals erklärt hatte, sie halte an der Rechtsauffassung fest, daß eine nachträgliche Änderung des Nachentrichtungsantrages nur bis zum Eintritt der Bindung des Zulassungsbescheides zulässig sei, daß der Kläger aber bisher die gewünschte Änderung nicht genau angegeben habe, hat dieser vor dem Landessozialgericht (LSG) nur noch die Zulassung der Nachentrichtung von Beiträgen der Klasse 600 für die Zeit vom 1. Januar 1956 bis zum 31. Dezember 1973 begehrt. Das LSG hat seine Berufung zurückgewiesen und zur Begründung des Urteils vom 26. September 1978 ausgeführt, das außerordentliche Nachentrichtungsrecht gem Art 2 § 49a AnVNG stelle sich nur als Modifizierung der allgemeinen Nachentrichtungsbestimmungen der §§ 140 ff des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) dar; als materielles Recht entstehe es durch die fristgerechte Stellung eines Antrages. Der Kläger habe einen konkretisierten Antrag auf die Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen in dem von der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden festgestellten Umfang gestellt; nach Ablauf der Antragsfrist sei er weder im Hinblick auf die Zulassung der Ratenzahlung (Art 2 § 49a Abs 3 Satz 3 AnVNG) noch wegen der Stellung eines Antrages auf Leistungen der Stiftung für die Alterssicherung älterer Selbständiger zur Änderung seines Nachentrichtungsantrages befugt gewesen. Auch der Umstand, daß die Beklagte in Einzelfällen - rechtswidrig - die Nachentrichtung von Beiträgen nach Art 2 § 49a AnVNG auch noch nach dem 31. Dezember 1975 zugelassen habe, begründe keinen Anspruch des Klägers auf eine rechtsfehlerhafte Gleichbehandlung.

Zur Begründung seiner - vom LSG zugelassenen - Revision macht der Kläger geltend, Art 2 § 49a AnVNG regele kein materiell-rechtliches Antragsrecht; vielmehr komme dem Antrag nur eine formalrechtliche Bedeutung zu, so daß es auch nur erforderlich gewesen sei, bis zum 31. Dezember 1975 einen Antrag zu stellen, ohne ihn hinsichtlich der Beitragsklassen zu konkretisieren. Nach Stellung eines solchen Antrages habe der Versicherte innerhalb der in Art 2 § 49a Abs 3 Satz 3 AnVNG eingeräumten Teilzahlungsfrist die Beitragsklassen unter Beachtung der in Art 2 § 49a Abs 2 Satz 2 AnVNG geregelten Beschränkungen frei bestimmen können. Unabhängig davon beschneide die Beklagte durch Berufung auf formalrechtliche Gesichtspunkte in unzulässiger Weise das Recht des Klägers auf die rückwirkende Neugestaltung seines Versicherungsverhältnisses. Schließlich habe das LSG nicht geprüft, ob die Beklagte nicht verpflichtet gewesen sei, den Kläger auf die Stellung eines sachdienlichen Antrages hinzuweisen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 26. September 1978 und das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 1. September 1977 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. Januar 1976 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9.Februar 1977 aufzuheben, soweit die Beklagte für die Zeit vom 1. Januar 1956 bis zum 31. Dezember 1973 die höchste Beitragsklasse festgelegt hat,

hilfsweise,

die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 26. September 1978 und des Sozialgerichts Karlsruhe vom 1. September 1977 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. Januar 1976 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Februar 1977 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, die Nachentrichtung von Beiträgen der Klasse 600 für die Zeit vom 1. Januar 1956 bis zum 31. Dezember 1973 zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

II.

Die Revision ist nicht zulässig, soweit der Kläger mit seinem Hauptantrag die ersatzlose Aufhebung der von der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden getroffenen Bestimmung der Beitragsklassen und damit im Ergebnis die Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen in noch von ihm zu bestimmender Höhe begehrt. Denn insoweit handelt es sich um eine Klageänderung, die in der Revisionsinstanz unzulässig ist (§ 168 SGG). Der Kläger hat im Berufungsverfahren nur den - im Revisionsverfahren als Hilfsantrag aufrechterhaltenen - Antrag gestellt, die Beklagte zu verurteilen, die Nachentrichtung von Beiträgen der Klasse 600 zuzulassen. Demgegenüber stellt sich die im Revisionsverfahren in erster Linie begehrte Zulassung der Nachentrichtung von Beiträgen in noch zu bestimmender Höhe als Erweiterung des Klagebegehrens dar, die im Revisionsverfahren selbst dann nicht zulässig ist, wenn - wie hier - der Klagegrund unverändert bleibt (BSGE 18, 14; Meyer-Ladewig, SGG, § 168 RdNr 2 mwN).

Hinsichtlich des Hilfsantrages ist die Revision des Klägers jedoch begründet; denn er war auch noch während des Berufungsverfahrens befugt, die Beitragsklasse der nachzuentrichtenden Beiträge aus der jeweils höchsten in die Klasse 600 zu ändern.

Zwar gehen die Angriffe der Revision gegen das Urteil des Berufungsgerichts fehl, soweit sie den Nachentrichtungsantrag gem Art 2 § 49a AnVNG als bloßes Formalrecht ansieht. Der erkennende Senat hat sich bereits in seinem Urteil vom 7. Juni 1979 - 12 RK 33/78 - (nicht veröffentlicht) der vom 11. Senat des erkennenden Gerichts in dem Urteil vom 15. Dezember 1977 - 11 RA 52/77 - (BSGE 45, 247 = SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 17) vertretenen Rechtsansicht angeschlossen, daß die Ausübung des dem Versicherten in Art 2 § 51a des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - ArVNG - (= Art 2 § 49a AnVNG) eingeräumten Antragsrechts ein bis zum 31. Dezember 1975 befristetes Recht auf Abgabe einer einseitigen empfangsbedürftigen Willenserklärung zur rückwirkenden Gestaltung des Versicherungsverhältnisses ist, die ihre Wirkung bereits mit dem Zugang bei dem zuständigen Versicherungsträger entfaltet. Darüber hinaus hat der erkennende Senat in dem vorgenannten Urteil vom 7. Juni 1979 auch bereits entschieden, daß die wirksame Ausübung des Antragsrechts es erfordere, die rechtsgestaltende Willenserklärung vor Fristablauf wenigstens in einem Umfange abzugeben, der die Bestimmung des objektiven Erklärungsinhaltes zuläßt. Das LSG hat zu Recht dahingestellt sein lassen, ob und unter welchen Voraussetzungen ein formloses Schreiben an den Versicherungsträger, Beiträge nachentrichten zu wollen, ein hinreichend bestimmter Nachentrichtungsantrag ist, der noch nachträglich durch Bezeichnung bestimmter Beitragszeiten und -klassen ergänzt werden kann. Denn das LSG hat festgestellt, daß der Kläger in dem Formblattantrag vom 1. Dezember 1975 für alle angegebenen Monate die Nachentrichtung von Beiträgen der "höchsten" Klasse beantragt hat. Damit hat er die gewünschten Beitragszeiten und -klassen hinreichend genau spezifiziert. Der Senat muß daher davon ausgehen, daß der Kläger mit der in seinem Formblattantrag vom 1. Dezember 1975 enthaltenen Erklärung (Nachentrichtung von Beiträgen der "höchsten" Beitragsklasse für die Zeit von Januar 1956 bis Dezember 1973) sein Versicherungsverhältnis zunächst entsprechend gestaltet hat.

Der Kläger ist aber an diese Erklärung nicht gebunden. Dabei kann der Senat offen lassen, ob dem LSG auch darin zuzustimmen ist, daß der Antragsteller grundsätzlich an seine rechtsgestaltenden Willenserklärungen gebunden ist. Insoweit hat der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung (vgl zusammenfassend das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil vom 8. März 1979 - 12 RK 32/78 -) bisher nur entschieden, es entspreche dem Wesen des Versicherungsverhältnisses in der gesetzlichen Rentenversicherung, daß es grundsätzlich nachträglich nicht mehr geändert werden könne. Von diesem Grundsatz ausgehend hat das Bundessozialgericht (BSG) in ständiger Rechtsprechung nicht nur zu den allgemeinen Nachentrichtungsvorschriften (§§ 140 ff AVG = §§ 1418 ff der Reichsversicherungsordnung - RVO -), sondern auch zu den außerordentlichen Nachentrichtungsvorschriften in der gesetzlichen Rentenversicherung die nachträgliche Aufstockung, Aufspaltung, Zusammenlegung oder Verschiebung bereits entrichteter Beiträge für unzulässig gehalten (SozR Nr 10 zu Art 2 § 52 ArVNG; Urteil vom 22. August 1967 - 11 RA 338/64 - DAngVers 1968, 67; SozR Nr 38 zu Art 2 § 42 ArVNG; SozR Nr 8 zu § 1418 RVO; SozR Nr 3 zu § 1407 RVO; BSGE 35, 178 = SozR Nr 4 zu § 1407 RVO). Das BSG hat mithin für alle diese Fälle der Nachentrichtung den Grundsatz befolgt, daß der Versicherte, der das ihm eingeräumte Wahl- und Gestaltungsrecht ausgeübt hat, keine Änderungen des Versicherungsverhältnisses mehr vornehmen darf, auch nicht innerhalb der Frist des § 140 Abs 1 AVG = § 1418 Abs 1 RVO (vgl BSGE 35, 178, 180 f).

Von diesen Urteilen unterscheidet sich der zur Entscheidung stehende Fall schon in der Ausgangslage: Die Beklagte hat dem Kläger mit dem in die angefochtenen Bescheide aufgenommenen - und übrigens auch noch im Berufungsverfahren inhaltlich wiederholten - Zusatz, die Änderung des Nachentrichtungsantrages sei nur zulässig, solange der Bescheid über die Zulässigkeit der Beitragsnachentrichtung noch nicht bindend geworden sei und die betroffenen Beiträge noch nicht entrichtet worden seien, die Änderung des Nachentrichtungsantrages vorbehalten. Wenn danach eine Änderung des Antrages "nur" unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sein sollte, dann war sie nach dem Willen der Beklagten einerseits zwar auf den genannten Fall beschränkt, andererseits aber für diesen Fall eben doch für zulässig erklärt. Das Vorliegen der fraglichen Voraussetzungen hat das LSG hier unwidersprochen festgestellt; der die Zulässigkeit der Beitragsentrichtung feststellende Bescheid war hinsichtlich der Beitragshöhe noch nicht bindend geworden; der Kläger hatte auch die in dem angefochtenen Bescheid festgesetzten Beiträge noch nicht entrichtet. Es kann offen bleiben, ob die dem Kläger von der Beklagten vorbehaltene Antragsänderung der Fristbestimmung in Art 2 § 49a Abs 3 Satz 1 AnVNG entsprach. Selbst wenn das nicht der Fall gewesen wäre, war die Einräumung des Vorbehalts allenfalls ein fehlerhafter Verwaltungsakt, der, da er nur den Kläger begünstigte und bis zur Änderung des Antrags durch ihn nicht wirksam zurückgenommen worden ist, bis dahin wirksam blieb.

Demgemäß war auch die im Berufungsverfahren erfolgte anderweitige Bestimmung der Beitragsklassen durch den Kläger zulässig.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1656040

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