Entscheidungsstichwort (Thema)

Wichtiger Grund iS des § 119 AFG. Interessenabwägung. Beendigung eines Heuerverhältnisses

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Sperrzeit nach § 119 Abs 1 S 1 Nr 1 AFG tritt nicht ein, wenn ein Seemann sein Heuerverhältnis zu einem von den Verhältnissen der Seeschiffahrt bestimmten sachgerechten Zeitpunkt aufgibt, um den ihm nach der Satzung der Seemannskasse zustehenden Anspruch auf das nicht zeitlich beschränkte Überbrückungsgeld wegen Erreichens einer Altersgrenze wahrzunehmen.

 

Orientierungssatz

1. Ein wichtiger Grund zur Aufgabe eines Arbeitsplatzes iS des § 119 Abs 1 S 1 Nr 1 AFG liegt vor, wenn dem Arbeitnehmer unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung seiner Interessen mit denen der Versichertengemeinschaft ein anderes Verhalten nicht zugemutet werden kann (vgl BSG 15.5.1985 7 RAr 83/83 = BSGE 58, 97 = SozR 4100 § 119 Nr 26).

2. Hierfür kommt es grundsätzlich auf die objektiv vorliegenden Gegebenheiten und ihre Maßgeblichkeit für den Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitslosigkeit an (vgl BSG 12.12.1984 7 RAr 49/84 = SozR 4100 § 119 Nr 24).

3. Die Interessen der Versichertengemeinschaft der Arbeitslosenversicherung können allenfalls verlangen, die Wahl des Zeitpunktes der Beendigung einer Beschäftigung als Voraussetzung für den Rentenanspruch so zu gestalten, daß eine dadurch bedingte und einen Leistungsanspruch in der Arbeitslosenversicherung auslösende Arbeitslosigkeit vermieden oder jedenfalls auf das unumgängliche Maß beschränkt wird. Dies mag es auch rechtfertigen, einen späteren Rentenbeginn in Kauf zu nehmen, wenn dadurch leistungsbegründende Arbeitslosigkeit vermieden würde und wirtschaftliche Nachteile für den Arbeitnehmer nicht oder nicht wesentlich eintreten.

4. Für die Beendigung eines Heuerverhältnisses ist in aller Regel die Ankunft des Schiffes in einem Hafen bestimmend, so daß der Beschäftigte ebenso regelmäßig nicht in der Lage ist, dessen Beendigung zum Ablauf eines bestimmten Kalendermonats zu erreichen, um nahtlos zum Beginn des folgenden Monats seinen Anspruch auf Überbrückungsgeld zu verwirklichen. Das bedeutet, daß im Regelfalle ein Zeitraum der Arbeitslosigkeit zu überbrücken sein wird.

 

Normenkette

AFG § 119 Abs 1 S 1 Nr 1; RVO § 891a

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 26.07.1985; Aktenzeichen L 1 Ar 122/84)

SG Lübeck (Entscheidung vom 04.09.1984; Aktenzeichen S 7 Ar 351/83)

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung von Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 9. bis 31. Mai 1983 und wendet sich gegen die Feststellung der Beklagten, es sei eine Sperrzeit eingetreten.

Der am 8. Mai 1928 geborene Kläger ist von Beruf Schiffskoch und fuhr zuletzt 1983 auf einem Tramp-Schiff zur See. Er musterte am 1. März 1983 in London ab und löste zugleich das Arbeitsverhältnis durch einen Aufhebungsvertrag zum Ablauf des 7. Mai 1983 auf. Dieser Zeitraum umfaßte den ihm zustehenden Resturlaub.

Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) hatte der Kläger am 15. März 1983 bei der Seemannskasse der See-Berufsgenossenschaft den Antrag auf satzungsgemäßes Überbrückungsgeld für die Zeit ab 1. Juni 1983 beantragt. Diese Leistung wurde ihm durch Bescheid der Seemannskasse vom 5. Oktober 1983 ab 1. Juni 1983 mit monatlich 1.316,20 DM, ab 1. Juli 1983 mit 1.389,70 DM bewilligt, weil der Kläger das 55. Lebensjahr vollendet hatte und auf die Dauer aus der Seefahrt ausgeschieden war.

Am 4. Mai 1983 meldete sich der Kläger arbeitslos und beantragte Alg ab Montag, dem 9. Mai 1983. Mit Verfügung vom 17. Mai 1983 bewilligte die Beklagte ihm Alg ab 4. Juli 1983 für 312 Wochentage. Aufgrund der Angabe des Klägers, daß er den Bewilligungsbescheid nicht erhalten habe, erteilte ihm die Beklagte unter dem 4. August 1983 eine Zweitschrift derselben Bewilligung.

Mit Bescheid vom 17. Mai 1983 teilte die Beklagte dem Kläger mit, daß für die Zeit vom 8. Mai bis 2. Juli 1983 zu seinen Lasten eine Sperrzeit von acht Wochen eingetreten sei, weil er das Arbeitsverhältnis gelöst und dadurch, ohne einen wichtigen Grund für sein Verhalten zu haben, die Arbeitslosigkeit vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt habe. Zugleich stellte die Beklagte fest, daß die Sperrzeit den Anspruch des Klägers auf Alg um 48 Tage mindere. Der Widerspruch des Klägers war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 24. Juni 1983).

In zwei weiteren Bescheiden vom 11. und 25. Oktober 1983 teilte die Beklagte dem Kläger mit, daß die Entscheidung über die Bewilligung von Alg aufgehoben werde und das in der Zeit bis zum 5. Oktober 1983 bereits gezahlte Alg im Wege der Erstattung gegen den zuständigen Leistungsträger - Seemannskasse - verrechnet werde. Auch der Widerspruch des Klägers hiergegen war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14. November 1983).

Der Kläger hat in beiden Fällen Klagen erhoben, die das Sozialgericht (SG) zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden hat. In der mündlichen Verhandlung vor dem SG erklärte der Kläger den Rechtsstreit betreffend die Bescheide vom 11. und 25. Oktober 1983/Widerspruchsbescheid vom 14. November 1983 für erledigt.

Durch Urteil vom 4. September 1984 hat das SG antragsgemäß den Bescheid vom 17. Mai 1983 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 1983 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 9. Mai 1983 bis 31. Mai 1983 Alg zu gewähren. Es hat die Berufung zugelassen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das SG ua ausgeführt, daß der Kläger mit Rücksicht auf seine Berechtigung zum Bezug von Überbrückungsgeld ab 1. Juni 1983 einen wichtigen Grund iS des § 119 Abs 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) gehabt habe, sein Heuerverhältnis zum 8. Mai 1983 zu lösen. Er habe keinen anderen Zeitpunkt für die Beendigung des Heuervertrages wählen können, da er sich nach den Gegebenheiten der Tramp-Fahrt habe richten müssen.

Durch Urteil vom 26. Juli 1985 hat das LSG die Berufung der Beklagten gegen das SG-Urteil zurückgewiesen. Es hat ua ausgeführt, daß der Kläger seinen Anspruch prozessual zulässig mit Anfechtungs- und Leistungsklage verfolge, da die Beklagte eine Bewilligung von Alg für die streitige Zeit in einer für den Kläger wirksamen Weise bisher nicht ausgesprochen habe. Für das vom Kläger für die Zeit vom 9. bis 31. Mai 1983 begehrte Alg lägen die Anspruchsvoraussetzungen vor. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei eine Sperrzeit iS von § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG nicht eingetreten; denn dem Kläger habe ein wichtiger Grund zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum 7. Mai 1983 im Sinne dieser Vorschrift zur Seite gestanden. Dieser sei in dem Wunsch zu erblicken, das ihm gesetzlich (§ 891a der Reichsversicherungsordnung -RVO-) und satzungsgemäß (§§ 8, 11, 12 und 14 der Satzung der Seemannskasse) zustehende Überbrückungsgeld in Anspruch zu nehmen, indem er mit Vollendung des 55. Lebensjahres aus der Seefahrt ausschied. Im Sinne des § 119 Abs 1 AFG trete eine Sperrzeit nur ein, wenn dem Arbeitnehmer unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung seiner Interessen mit den Interessen der Versichertengemeinschaft ein anderes Verhalten zugemutet werden könne. Das sei hier nicht der Fall. Zum einen habe der Gesetzgeber das persönliche Interesse des Klägers, mit Vollendung des 55. Lebensjahres aus der Seefahrt auszuscheiden und ein Überbrückungsgeld zu beziehen, mit der entsprechenden Satzungsermächtigung in § 891a RVO anerkannt. Zum zweiten komme sein Ausscheiden zugleich objektiv der Personalstruktur der deutschen Seeschiffahrt überhaupt zugute. Der Kläger habe mithin auch im öffentlichen Interesse gehandelt. Schließlich werde die Versichertengemeinschaft der Beklagten in Fällen der Arbeitslosigkeit von Überbrückungsgeldbeziehern ohnedies weitgehend entlastet, weil deren Alg-Ansprüche vom Beginn des Überbrückungsgeld-Anspruchs bis zu dessen Höhe nach § 118 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Satz 3 AFG ruhe. Diese Regelung habe im vorliegenden Falle sogar zum vollständigen Ruhen des Alg-Anspruchs vom Beginn des Überbrückungsgeld-Anspruchs an geführt.

Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 119 Abs 1 Nr 1 AFG. Sie führt dazu aus: Der Kläger habe seine Arbeitslosigkeit zumindest grob fahrlässig herbeigeführt, weil er sein Arbeitsverhältnis gelöst habe, ohne ein Anschlußarbeitsverhältnis in Aussicht zu haben. Selbst wenn man unterstelle, daß der künftige Bezug von Überbrückungsgeld einen wichtigen Grund für dieses Verhalten iS des § 119 Abs 1 AFG darstelle, hätte sich das LSG aus seiner Rechtssicht heraus gedrängt fühlen müssen, Ermittlungen darüber anzustellen, ob der Kläger den letztmöglichen Zeitpunkt zur Lösung seines Arbeitsverhältnisses gewählt habe, um den Eintritt der Arbeitslosigkeit so weit wie möglich hinauszuschieben und somit die Belastung der Versichertengemeinschaft der Beklagten insoweit abzuwenden. Es hätte prüfen müssen, ob es dem Kläger hätte zugemutet werden können, sein Arbeitsverhältnis zumindest bis zum 31. Mai 1983 fortzusetzen; denn bis zu diesem Zeitpunkt habe der Kläger keinen Anspruch auf Überbrückungsgeld gehabt. Da das LSG dies unterlassen habe, sei ausdrücklich eine Verletzung der Untersuchungsmaxime nach § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu rügen.

Indes stelle der künftige Bezug von Überbrückungsgeld für den Kläger keinen wichtigen Grund zur Lösung des Arbeitsverhältnisses dar. Das Überbrückungsgeld solle zwar den Übergang von einer Tätigkeit bei der See-Schiffahrt zu einer Tätigkeit an Land erleichtern; da aber aus einer Erwerbstätigkeit an Land unbeschränkt zu dieser Leistung hinzuverdient werden könne, habe es gerade im Interesse des Kläger gelegen, nahtlos in ein Anschlußarbeitsverhältnis überzugehen. Wegen des Ruhens des Anspruchs auf Alg während des Bezugs von Überbrückungsgeld entfalle nämlich der finanzielle Vorteil dieser Leistung. Im übrigen könne die Tatsache, daß der Kläger durch die Lösung des Arbeitsverhältnisses die Voraussetzungen für den Bezug des Überbrückungsgeldes habe schaffen wollen, nicht zu Lasten der Versichertengemeinschaft der Beklagten gehen. Die vom LSG angenommene wirtschaftliche Entlastung als Folge des Ruhens des Alg-Anspruchs berücksichtige nicht, daß die Beklagte darüber hinausgehende Alg-Ansprüche zu tragen habe. Der Kläger habe auch nicht im öffentlichen Interesse gehandelt. Selbst wenn dieses Verhalten objektiv auch der regional begrenzten Personalstruktur in der deutschen See-Schiffahrt zugute gekommen sei, überwiege jedenfalls das bundesweite öffentliche Interesse der Versichertengemeinschaft der Beklagten an einer Begrenzung ihrer Belastungen durch selbst herbeigeführte Arbeitslosigkeit. Es sei dem Kläger jedenfalls zuzumuten gewesen, sein Arbeitsverhältnis solange aufrecht zu erhalten, bis er ein Anschlußarbeitsverhältnis an Land - möglicherweise mit Hilfe der Beklagten - gefunden hätte.

Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil und das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben, die Klage abzuweisen und zu entscheiden, daß außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten sind.

Der Kläger beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Zur Begründung trägt er vor: Die Einwände der Beklagten gegen die Entscheidung des LSG seien unbegründet. Dies gelte insbesondere für die Verfahrensrüge der Beklagten. Daß dem Kläger eine Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses zum 31. Mai 1983 nicht möglich gewesen sei, habe bereits das SG festgestellt. Diese Feststellung sei von der Beklagten nicht angegriffen worden. Die Beklagte habe auch nicht dargelegt, inwiefern diese Feststellung falsch sein könnte. Im übrigen verkenne die Beklagte offenbar die besonderen Verhältnisse der Seefahrt; als seefahrender Koch habe der Kläger nur abmustern können, wenn sich das Schiff in einem Hafen befand. Schließlich ergäbe die Interessenabwägung hier, daß der Kläger einen wichtigen Grund zur Arbeitsaufgabe besessen habe. Er habe dadurch einen Arbeitsplatz frei gemacht, so daß ein Arbeitsloser wieder eine Beschäftigung habe finden können. Darüber hinaus habe er durch den Bezug des Überbrückungsgeldes dazu beigetragen, daß gut 11/12 der erworbenen Anwartschaft auf Alg nicht erfüllt zu werden brauchten. Der Kläger stelle auch sonst ein besonders gutes Versicherungsrisiko für die Beklagte dar; sollte er nämlich Arbeit an Land finden, würde er zwar Pflichtbeiträge zur Arbeitslosenversicherung entrichten, im Falle seiner Arbeitslosigkeit aber wegen des Bezuges von Überbrückungsgeld praktisch kein Alg beanspruchen können. Im übrigen bezieht sich der Kläger auf die seiner Meinung nach zutreffenden Entscheidungsgründe des LSG.

Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.

Gegenstand des Rechtsstreits (§ 95 SGG) ist der Bescheid der Beklagten vom 17. Mai 1983 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 1983. Die Beklagte hat darin eine Sperrzeit vom 8. Mai bis 2. Juli 1983 festgestellt und ausgeführt, daß der Alg-Anspruch deshalb in dieser Zeit ruhe. Dieser Bescheid der Beklagten ist nur insoweit angefochten, als er den Alg-Anspruch des Klägers vom 9. bis 31. Mai 1983 betrifft. Die Rechtsfolge des Ruhens des Alg-Anspruchs ab 1. Juni 1983 als Folge des dem Kläger von diesem Zeitpunkt an zuerkannten Überbrückungsgeldes (§ 118 Abs 1 Nr 4 AFG) hat der Kläger akzeptiert und den Rechtsstreit insoweit bereits vor dem SG als erledigt erklärt.

Der Kläger verfolgt sein Begehren zu Recht im Wege der Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1, 4 SGG); denn die Beklagte hat eine Alg-Bewilligung für die streitige Zeit bisher wirksam nicht ausgesprochen, wie das LSG festgestellt hat (vgl BSGE 48, 33, 34 = SozR 4100 § 44 Nr 19).

Der Kläger hat Anspruch auf Alg für die Zeit vom 9. bis 31. Mai 1983. Wie das LSG festgestellt hat, liegen die Voraussetzungen für diesen Anspruch nach Grund und Höhe vor (§ 100 Abs 1 AFG); dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig. Der Anspruch ruhte auch nicht wegen des Eintritts einer Sperrzeit nach § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG. Nach dieser Vorschrift tritt eine Sperrzeit von acht Wochen ein, wenn der Arbeitslose das Arbeitsverhältnis gelöst oder durch ein vertragswidriges Verhalten Anlaß für die Kündigung des Arbeitgebers gegeben hat und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat, ohne für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben. Während der Dauer der Sperrzeit ruht der Anspruch auf Alg (§ 119 Abs 1 Satz 3 AFG). Der Kläger hat zwar iS des § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG sein Arbeitsverhältnis gelöst und dadurch zumindest grob fahrlässig seine Arbeitslosigkeit herbeigeführt. Er hatte für dieses Verhalten jedoch einen wichtigen Grund, so daß die Folge einer Sperrzeit nicht eingetreten ist.

Ein wichtiger Grund zur Aufgabe eines Arbeitsplatzes iS des § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG liegt vor, wenn dem Arbeitnehmer unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung seiner Interessen mit denen der Versichertengemeinschaft ein anderes Verhalten nicht zugemutet werden kann (ständige Rechtsprechung, vgl BSGE 51, 70, 71 = SozR 4100 § 119 Nr 13; BSGE 54, 7, 8 = SozR 4100 § 119 Nr 19; BSGE 58, 97, 100 = SozR 4100 § 119 Nr 26). Hierfür kommt es grundsätzlich auf die objektiv vorliegenden Gegebenheiten und ihre Maßgeblichkeit für den Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitslosigkeit an (BSG SozR 4100 § 119 Nr 24). Die Anwendung dieser Grundsätze im vorliegenden Falle ergibt, daß dem Kläger ein anderes Verhalten als die Aufgabe seiner Beschäftigung als Schiffskoch zum 8. Mai 1983 nicht zumutbar war.

Aus den der Entscheidung des LSG zugrunde liegenden Feststellungen folgt, daß dem Kläger die Wahl eines anderen Zeitpunktes zur Beendigung seines Heuervertrages nicht zur Verfügung stand, der seine Arbeitslosigkeit für Zeiten nach dem 7. Mai 1983 ohne Verluste der ihm ab 1. Juni 1983 in Aussicht stehenden Ansprüche auf Überbrückungsgeld vermieden hätte. Das LSG hat dies zwar nicht ausdrücklich ausgeführt; wie aus dem Zusammenhang der Entscheidungsgründe ersichtlich ist, hat das LSG jedoch die diesbezügliche Feststellung des SG in seine Entscheidung aufgenommen. Sie hat im Ergebnis zum Inhalt, daß dem Kläger eine Lösung seines Arbeitsverhältnisses zum 31. Mai 1983, dem Tage vor Beginn seines Anspruchs auf Überbrückungsgeld, nicht möglich war. Die von der Beklagten hiergegen erhobene Verfahrensrüge einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht des LSG (§ 103 SGG), entspricht nicht den Voraussetzungen für eine zulässige Rüge iS des § 164 Abs 2 Satz 2 SGG. Dafür muß ua angegeben werden, zu welchem Ergebnis die für erforderlich gehaltene, aber unterbliebene Sachaufklärung geführt hätte (vgl BSG SozR Nr 28 zu § 164 SGG). Daran fehlt es hier. Die Beklagte hat nicht dargelegt, daß weitere Ermittlungen des LSG zu dem Ergebnis geführt hätten, daß eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers (erst) zum 31. Mai 1983 in Betracht gekommen wäre. Daß sie ein solches Ergebnis für möglich hält, reicht für eine zulässige Verfahrensrüge der Verletzung von §103 SGG nicht aus (vgl dazu auch Hennig/Danckwerts/König, SGG, Erl 7.9.3. zu § 160a).

Maßgeblich für die Aufgabe seines Arbeitsplatzes als Schiffskoch und damit für den Eintritt seiner Arbeitslosigkeit ab 8. Mai 1983 war die Absicht des Klägers, zum frühest möglichen Zeitpunkt nach Vollendung des 55. Lebensjahres von der Seemannskasse der See-Berufsgenossenschaft das satzungsgemäße Überbrückungsgeld zu erhalten (zu dessen Rechtsnatur vgl BSG SozR 4100 § 118 Nr 12). Der aus dieser subjektiven Erwägung geschlossene Aufhebungsvertrag bildet zugleich objektiv den Grund für den Eintritt der Arbeitslosigkeit an diesem Tage. Daß der Kläger unter dem Gesichtspunkt der verständigen Wahrung seiner Interessen berechtigt war, den ihm zustehenden Anspruch auf Überbrückungsgeld durch rechtzeitige Aufgabe einer dem entgegenstehenden Beschäftigung wahrzunehmen, bedarf keiner weiteren Begründung; denn es ist das selbstverständliche Recht jedes Arbeitnehmers, ihm zustehende öffentlich-rechtliche Renten und ähnliche Leistungen, zu denen auch das Überbrückungsgeld gehört (BSG aaO), zu dem Zeitpunkt in Anspruch zu nehmen, der ihm von Rechts wegen dafür eröffnet ist. Weder ein mit wirtschaftlichen Einbußen einhergehender gänzlicher noch ein derartiger teilweiser Verzicht hierauf kann von den Interessen der Versichertengemeinschaft der Arbeitslosenversicherung her legitimiert werden.

Diese Interessen können allenfalls verlangen, die Wahl des Zeitpunktes der Beendigung einer Beschäftigung als Voraussetzung für den Rentenanspruch so zu gestalten, daß eine dadurch bedingte und einen Leistungsanspruch in der Arbeitslosenversicherung auslösende Arbeitslosigkeit vermieden oder jedenfalls auf das unumgängliche Maß beschränkt wird. Dies mag es auch rechtfertigen, einen späteren Rentenbeginn in Kauf zu nehmen, wenn dadurch leistungsbegründende Arbeitslosigkeit vermieden würde und wirtschaftliche Nachteile für den Arbeitnehmer nicht oder nicht wesentlich eintreten. Hierauf kommt es im vorliegenden Falle jedoch nicht an.

Nach der aufgrund des § 891a RVO ergangenen Satzung der Seemannskasse (vom 21. August 1973 - HANSA 1973, 2249 -, hier idF vom 1. Dezember 1982 - Beilage zu HANSA 1983, Nr 10 -) setzt der Anspruch auf Überbrückungsgeld ua die endgültige Aufgabe einer Beschäftigung als Seemann voraus. Der Anspruch beginnt mit dem auf Antragstellung und Vollendung der Altersgrenze (hier: 55. Lebensjahr) folgenden Monat (§§ 9 ff der Satzung der Seemannskasse, aaO). Unter diesen Umständen könnte der in der Seefahrt Beschäftigte eine zwischen dem Ende der Beschäftigung und dem Beginn des Anspruchs auf Überbrückungsgeld liegende Arbeitslosigkeit nur vermeiden, wenn ihm eine Gestaltungsmöglichkeit eröffnet wäre, nach der die Beendigung der Beschäftigung auf den letzten Tag vor Beginn des Monats mit Anspruch auf Überbrückungsgeld fällt. Das ist nach den Verhältnissen der See-Schiffahrt regelmäßig nicht der Fall, worauf der Kläger zu Recht hingewiesen hat.

Der schon erwähnten Feststellung des LSG, daß dem Kläger die Beendigung seiner letzten Beschäftigung zum 31. Mai 1983 nicht möglich war, liegt die offenkundige Erkenntnis zugrunde, daß für die Beendigung einer Tätigkeit auf See die Ankunft des Schiffes in einem Hafen ein wesentlicher Umstand ist. Dies wird durch die Regelungen des innerstaatlichen Rechts über die Beschäftigung der Besatzungsmitglieder auf Schiffen, insbesondere deren Beendigung, bestätigt. Insoweit kann ohne weiteres auf die Bestimmungen des Seemannsgesetzes (SeemG) vom 26. Juli 1957 (BGBl II 713), hier idF vom 1. März 1983 (BGBl I 215) zurückgegriffen werden, da diese jenen Verhältnissen Ausdruck verleihen. Danach unterliegt die für auf unbestimmte Zeit begründete Heuerverhältnisse vorgesehene Kündigung (§ 62 SeemG) zwar bestimmten Fristen (§ 63 Abs 1 und 2 SeemG); grundsätzlich setzt sich das gekündigte Heuerverhältnis jedoch über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus bis zur Ankunft des Schiffes in einem Hafen bestimmter Art fort, wenn auch höchstens auf die Dauer von drei Monaten (§ 62 Abs 3 Satz 1 SeemG). Eine Beendigung vor Ablauf dieser drei Monate tritt nur ein, wenn die Rückbeförderung des gekündigten Besatzungsmitgliedes ins Inland gewährleistet ist (§ 62 Abs 3 Satz 2 SeemG; vgl zu allem auch Bemm-Lindemann, Komm zum SeemG, 2. Aufl, RdNrn 17 ff zu § 63; Schwedes/Franz, Komm zum SeemG, 2. Aufl, RdNrn 8 ff zu § 63). Zwar kann das Heuerverhältnis ohne Rücksicht auf Kündigungsfristen auch durch Aufhebungsvertrag beendet werden; die damit einhergehende Beendigung der Tätigkeit des Besatzungsmitglieds ist jedoch ebenfalls an das tatsächliche Ende einer Schiffsreise durch Ankunft in einem Hafen gebunden. Sie bedarf zudem einer formalisierten Bestätigung (Abmusterung, vgl § 19 SeemG). Das Heuerverhältnis wird dadurch nicht unmittelbar betroffen (vgl Bemm-Lindemann, aaO, RdNr 2 zu § 19). So verlängert sich ein am Tage der Abmusterung aufgehobenes Heuerverhältnis ohne weiteres um den im Zeitpunkt der Auflösung noch nicht gewährten Urlaub, sofern dies nicht, wie im vorliegenden Falle, ohnedies vereinbart worden ist (vgl dazu Bemm-Lindemann, aaO, RdNr 11 zu § 62 mwN).

Folgt aus alledem, daß für die Beendigung eines Heuerverhältnisses in aller Regel die Ankunft des Schiffes in einem Hafen bestimmend ist, ist der Beschäftigte ebenso regelmäßig nicht in der Lage, dessen Beendigung zum Ablauf eines bestimmten Kalendermonats zu erreichen, um nahtlos zum Beginn des folgenden Monats seinen Anspruch auf Überbrückungsgeld zu verwirklichen. Das bedeutet, daß im Regelfalle ein Zeitraum der Arbeitslosigkeit zu überbrücken sein wird. Ist dem aber so, dann spielt es für die Wahl eines iS des § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG zumutbaren Zeitpunktes für die Aufgabe des Arbeitsplatzes keine Rolle, ob er nach einer Abmusterung in den letzten Monat vor frühest möglicher Entstehung des Anspruchs auf Überbrückungsgeld fällt, wie hier, oder ggfs nach Durchführung einer weiteren Reise in einen späteren Monat mit der Folge, daß der Anspruch auf Überbrückungsgeld vom Ersten des nachfolgenden Monats wirksam wird. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum letzten Tage eines Monats mit nahtlosem Anschluß des Überbrückungsgeldes vom ersten Tage des folgenden Monats an könnte somit allenfalls zufällig erreicht werden, weshalb diese Gestaltung für die Beurteilung zumutbaren Verhaltens im Rahmen des § 119 AFG ausscheidet. Die Beachtung der Interessen der Versichertengemeinschaft im Sinne dieser Vorschrift rechtfertigt jedoch keinesfalls die Zumutung an den Beschäftigten, einen solchen zufälligen Erfolg abzuwarten und bis dahin den Verfall seiner Ansprüche auf laufendes Überbrückungsgeld in Kauf zu nehmen.

Unter diesen Umständen kommt es nicht darauf an, ob der Kläger mit der Beendigung seiner Beschäftigung zum 8. Mai 1983 zum Zwecke der Erlangung des Überbrückungsgeldes auch öffentlichen und arbeitsmarktpolitischen Interessen gedient hat, worauf das LSG seine Entscheidung gestützt hat. Schließlich ist der Einwand der Beklagten unbeachtlich, der Kläger hätte sich zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit vor Aufgabe seiner Beschäftigung als Schiffskoch um einen Anschlußarbeitsplatz bemühen und ggfs mit der Aufgabe bis zur Verwirklichung dieses Bemühens warten müssen. Eine solche Forderung ist schon angesichts der tatsächlichen Gegebenheiten für das Besatzungsmitglied eines auf Fahrt befindlichen Schiffes nicht berechtigt, jedenfalls nicht im Rahmen der Zumutbarkeitsanforderungen des § 119 AFG. Im übrigen kommt es darauf schon deshalb nicht an, weil in Fällen der vorliegenden Art dem Beschäftigten lediglich die Wahl des richtigen Zeitpunktes für die Aufgabe seiner Tätigkeit zugemutet wird; diese ist hier nicht zu beanstanden, wie ausgeführt wurde.

Die Entscheidung des LSG, daß der Kläger iS des § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG für die Aufgabe seiner Beschäftigung zum 8. Mai 1983 einen wichtigen Grund hatte und folglich eine Sperrzeit nicht eingetreten ist, ist mithin im Ergebnis zu bestätigen. Die Revision der Beklagten erweist sich damit als unbegründet und ist zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1662596

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