Leitsatz (amtlich)

SozR Nr 15 zu § 1262 RVO : Ein uneheliches Kind, das mit seiner Mutter und seinen Großeltern zusammenlebt, ist iS des KGG § 2 Abs 1 S 3 idF des ÄndG KGG/ua vom 1957-07-27 auch dann nicht in den Haushalt der Großeltern aufgenommen, wenn seine Mutter zwar noch minderjährig ist, jedoch ihr Recht und ihre Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen, ausübt (Anschluß an BSG 1966-06-30 12 RJ 116/66 = SozR Nr 24 zu § 1267 RVO; vergleiche BSG 1967-02-01 1 RA 145/64 = SozR Nr 15 zu § 1262 RVO).

 

Normenkette

RVO § 1262 Abs. 2 Nr. 7 Fassung: 1957-02-23, § 1267 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; KGG § 2 Abs. 1 S. 3 Fassung: 1957-07-27

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 4. November 1964 und das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 25. Juni 1963 werden aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Klägerin begehrt Waisenrente aus der Rentenversicherung ihres im Jahre 1962 verstorbenen Großvaters. Sie ist das am 12. Januar 1961 unehelich geborene Kind der Tochter des Versicherten. Bis zu dessen Tod lebte sie mit ihrer damals 20 Jahre alten Mutter und ihren Großeltern in einer gemeinsamen Wohnung. Die Kindesmutter erzielte aus eigener Erwerbstätigkeit ein Einkommen von etwa 390,- DM netto monatlich; das Geld wurde regelmäßig - ebenso wie die Einkünfte des Versicherten - für den gemeinsamen Haushalt verbraucht. Der Erzeuger der Klägerin ist rechtskräftig zur Unterhaltszahlung verurteilt worden.

Durch Bescheid vom 10. Dezember 1962 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, weil die Klägerin nicht in den Haushalt der Großeltern aufgenommen worden sei und der Großvater auch nicht überwiegend zum Unterhalt der Klägerin beigetragen habe.

Auf die Klage hin hat das Sozialgericht (SG) Dortmund den Bescheid aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin die Waisenrente zu zahlen (Urteil vom 25. Juni 1963). Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat seine Entscheidung vom 4. November 1964 wie folgt begründet: Der Anspruch der Klägerin ergebe sich aus §§ 1267, 1262 Abs. 2 Nr. 7 der Reichsversicherungsordnung (RVO) i.V.m. § 2 Abs. 1 des Kindergeldgesetzes (KGG) in der seit 1. Oktober 1957 geltenden Fassung. Die Klägerin sei nämlich beim Tode ihres Großvaters in dessen Haushalt aufgenommen und somit sein Pflegekind gewesen. Die Mutter der Klägerin habe einen eigenen Haushalt nicht geführt. Sie habe vielmehr im Haushalt ihrer Eltern - der Großeltern der Klägerin - gelebt. Dasselbe gelte demnach für die Klägerin selbst.

Wenn diese auch in den Haushalt ihrer Großeltern "hineingeboren" worden sei, so schließe dies die Aufnahme im Sinne der hier bedeutsamen Vorschriften nicht aus. "In den Haushalt aufgenommen" bedeute nicht, daß das Kind in einen neuen Haushalt verbracht werden müsse. Der Versicherte habe sowohl der Klägerin als auch deren Mutter Wohnung gewährt, die Großmutter der Klägerin praktisch für diese die volle Pflege übernommen, weil die Kindesmutter während der Dauer von 10 Stunden täglich ihrer Erwerbstätigkeit nachgegangen sei.

Die Beklagte hat die - vom LSG zugelassene - Revision eingelegt. Sie ist der Meinung, daß die Klägerin im Haushalt ihrer Mutter, nicht dagegen im Haushalt ihrer Großeltern gelebt habe.

Sie stellt den Antrag,

unter Aufhebung der Urteile des LSG und des SG die Klage abzuweisen.

Die Klägerin stellt den Antrag,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für richtig.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

Die Revision ist begründet. Die Beklagte hat zu Recht den Antrag der Klägerin auf Gewährung der Waisenrente abgelehnt.

Da der Tod des Versicherten im Jahre 1962 eingetreten ist, hat das LSG zutreffend die damals geltenden Vorschriften, nämlich die §§ 1267, 1262 Abs. 2 Nr. 7 RVO idF des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) vom 23. Februar 1957 i.V.m. § 2 Abs. 1 KGG idF des Kindergeld-Änderungsgesetzes (KGÄndG) vom 27. Juli 1957 - BGBl I 1061 - als mögliche Anspruchsgrundlage angesehen. Nach § 1267 RVO erhalten nach dem Tode des Versicherten seine Kinder bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres Waisenrente. § 1262 Abs. 2 Nr. 7 RVO in der vorbezeichneten Fassung bestimmte, daß als Kinder die Pflegekinder im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 3 KGG gelten, wenn das Pflegekindschaftsverhältnis vor Eintritt des Versicherungsfalles begründet worden ist. Nach § 2 Abs. 1 Satz 3 KGG sind Pflegekinder die Kinder, die in den Haushalt von Personen aufgenommen sind, mit denen sie ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verknüpft, wenn diese zu dem Unterhalt der Kinder nicht unerheblich beitragen; Kinder, die in den Haushalt von Großeltern und Geschwistern aufgenommen sind oder von ihnen überwiegend unterhalten werden, gelten als Pflegekinder.

Die Klägerin war nicht das Pflegekind des Versicherten im Sinne des ersten Halbsatzes des § 2 Abs. 1 Satz 3 KGG. Ein solches, an sich mögliches Verhältnis ist in der Regel bei Enkelkindern nur anzunehmen, wenn die leiblichen Eltern tot sind oder beide sich um ihr Kind praktisch nicht kümmern (vgl. BSG in SozR Nr. 15 zu § 1262 RVO mit weiteren Hinweisen). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

Es fehlt auch an jedem Anhalt dafür, daß der Versicherte die Klägerin überwiegend unterhalten hätte. Schon bei einem Einkommen der Kindesmutter von 225,- DM monatlich hat das Bundessozialgericht (BSG) eine überwiegende Unterhaltsleistung durch den Großvater des Kindes verneint (vgl. BSG aaO). Dies gilt erst recht, wenn - wie hier - die Kindesmutter ein Nettoeinkommen von nahezu 400,- DM erzielt. Unter diesen Umständen kommt es daher auf die erst nach dem Tode des Versicherten rechtskräftig ausgesprochene Unterhaltsverpflichtung des Erzeugers der Klägerin nicht an.

Hiernach kann die Klägerin nur dann als Pflegekind des Versicherten - ihres Großvaters - gelten, wenn sie in dessen Haushalt aufgenommen war. Entgegen der von den Vorinstanzen vertretenen Auffassung hat dies der erkennende Senat in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des BSG verneint. In mehreren Entscheidungen hat das BSG ausgesprochen, daß ein Kind, das im gemeinsamen Haushalt seiner Mutter und seiner Großeltern lebt, grundsätzlich - im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 3 KGG - nicht in den Haushalt der Großeltern aufgenommen sei (vgl. insbesondere BSG 19, 106; 25, 109; SozR Nr. 15 zu § 1262 RVO mit weiteren Hinweisen). Zwar stimmen die vorbezeichneten Entscheidungen in ihrer Begründung nicht in vollem Umfang überein. In BSG 25, 109 ist auf die Aufnahme in die Familiengemeinschaft und damit bei einem Kind auf die Begründung eines Betreuungs- und Erziehungsverhältnisses familienhafter Art abgestellt, das zwischen Kind und leiblichen Eltern enger sei als zwischen Kind und Großeltern und dem deshalb der Vorrang gebühre. BSG 19, 106 hält die Aufnahme des Kindes in den Haushalt der Großeltern nur dann für gegeben, wenn das Kind mit Willen und Wissen seiner leiblichen Eltern aus deren Obhut und Fürsorge ausscheidet und in die allgemeine Fürsorge und den Haushalt der Großeltern übertritt. Die Entscheidung des BSG vom 1. Februar 1967 (SozR Nr. 15 zu § 1262 RVO) stützt sich ua auf die Vorschrift des § 3 Abs. 2 Satz 2 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) vom 14. April 1964 (BGBl I 265), die im Grundsatz auch schon auf Versicherungsfälle vor dem Inkrafttreten des BKGG anzuwenden sei und aus der sich ergebe, daß nunmehr ein gemeinsamer Haushalt der hier vorliegenden Art so behandelt werde, als sei er nur Haushalt des leiblichen Elternteils.

Für die hier zutreffende Entscheidung kann offen bleiben, welcher dieser Begründungen der Vorzug zu geben ist; denn nach jeder von ihnen hat die Klägerin im Haushalt ihrer Mutter gelebt und ist nicht in den Haushalt ihrer Großeltern aufgenommen gewesen.

Dadurch, daß die Kindesmutter bei Eintritt des Versicherungsfalles noch minderjährig war - sie hat wenige Tage nach dem Tod des Versicherten das 21. Lebensjahr vollendet - wird an dem Ergebnis nichts geändert. Das BSG hat bereits mehrmals ausgesprochen, daß auch eine minderjährige Kindesmutter mit ihren Eltern einen gemeinsamen Haushalt führen kann, der dann im Rahmen des § 2 Abs. 1 KGG als Haushalt der Kindesmutter gilt (vgl. BSG in SozR Nr. 15 zu § 1262 RVO und Nr. 24 zu § 1267 RVO). Entscheidend ist hiernach, ob ihr die Personensorge zusteht (§ 1707 Abs. 1 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) und sie diese auch ausübt. Dies ist hier der Fall. Die Minderjährigkeit der Kindesmutter vermag grundsätzlich das Sorgerecht und die Sorgepflicht für ihr Kind nicht zu beeinträchtigen. An deren Ausübung war die Mutter der Klägerin auch nicht aus tatsächlichen Gründen gehindert. Zwar ist sie einer Erwerbstätigkeit nachgegangen, sie konnte sich aber um die Klägerin kümmern, insbesondere ihre Aufgaben aus § 1707 Abs. 1 Satz 2 BGB wahrnehmen. Die Feststellungen des LSG bieten keinen Anhalt dafür, daß sie sich ihrem Kind gegenüber anders verhalten habe, als es eine volljährige Mutter im allgemeinen tut. Wie zu entscheiden ist, wenn die Kindesmutter infolge ihrer Jugend oder aus anderen Gründen selbst noch der Erziehung und Fürsorge in einem Maße bedarf, daß sie als Träger der Personensorge für ihr Kind praktisch nicht in Betracht kommt, kann hier offen bleiben.

Da die Klägerin hiernach nicht in den Haushalt ihres Großvaters i.S. des zweiten Halbsatzes des § 2 Abs. 1 Satz 3 KGG aufgenommen war, steht ihr ein Anspruch auf Gewährung der Waisenrente nicht zu. Die Revision führt demgemäß zur Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile und zur Abweisung der Klage.

Die Kostenentscheidung ergeht in Anwendung des § 193 Abs. 1 und 4 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2365139

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