Leitsatz (amtlich)

Ein uneheliches Kind, das mit seiner Mutter und seinen Großeltern zusammenlebt, ist iS des KGG § 2 Abs 1 S 3 idF des ÄndG KGG ua auch dann nicht in den Haushalt der Großeltern aufgenommen, wen seine Mutter zwar noch minderjährig ist, jedoch ihr Recht und ihre Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen, ausübt.

 

Normenkette

RVO § 1262 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23, § 1267 Fassung: 1957-02-23; KGG § 2 Abs. 1 S. 3 Fassung: 1957-07-27

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 3. Februar 1966 mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Die ... 1961 geborene Klägerin ist das uneheliche Kind der am 25. Oktober 1941 geborenen Tochter des Versicherten F G und dessen Ehefrau. Die Kindesmutter wohnte vor und nach ihrer Entbindung bei ihren Eltern. Die gemeinsame Wohnung bestand aus zwei Zimmern und einer Küche. Der Versicherte schlief im Wohnraum, während die Klägerin und ihre Mutter bei der Großmutter in dem anderen Zimmer schliefen. Die Großmutter war in den Morgenstunden als Reinemachefrau tätig und verdiente etwa 300,- DM monatlich. Die Kindesmutter arbeitete tagsüber ebenfalls, jedoch so, daß sich ihre Arbeitszeit möglichst nicht allzusehr mit derjenigen ihrer Mutter überschnitt, und verdiente etwa 400,- DM bis 450,- DM monatlich. Der Versicherte bezog seit 1954 Altersruhegeld, das bis 1961 432,- DM und später 454,- DM betrug. Der Vater der Klägerin zahlte in der ersten Zeit überhaupt nicht und dann nur sehr selten Unterhalt für diese.

Die Kindesmutter gab ihren Eltern 120,- DM monatlich ab. Den Haushalt führte vorwiegend die Großmutter. Die Kindesmutter beteiligte sich an der regelmäßigen Haushaltsführung nicht, sie versorgte jedoch die Klägerin abends nach ihrer Rückkehr und morgens während der Abwesenheit der Großmutter, die im übrigen stets das Essen für ihr Enkelkind zubereitete. Anschaffungen für das Kind, wie etwa Babywäsche, machte die Kindesmutter aus ihrem Verdienst. Wenn diese und die Großmutter abwesend waren, sorgte der Versicherte für die Klägerin.

Am 15. Oktober 1962 starb der Großvater der Klägerin. Am 20. Dezember 1963 heiratete die Mutter der Klägerin und bezog eine eigene Wohnung.

Die Beklagte lehnte es ab, der Klägerin Waisenrente aus der Versicherung ihres Großvaters zu zahlen, da sie nicht dessen Pflegekind gewesen sei. Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Hamburg abgewiesen, weil die Klägerin nicht von dem Versicherten überwiegend unterhalten und auch nicht in dessen Haushalt aufgenommen gewesen sei. Die Großeltern hätten vor allem nicht das primäre Erziehungsrecht über die Klägerin gehabt. Diese sei nicht aus der Obhut und Fürsorge der Kindesmutter ausgeschieden und in die alleinige Fürsorge der Großeltern übergetreten.

Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) Hamburg das Urteil des SG Hamburg vom 5./6. Juli 1965 sowie den Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 28. Mai 1964 aufgehoben und diese dem Grunde nach verurteilt, "der Klägerin die Waisenrente nach dem am 15. Oktober 1962 verstorbenen F G ab 1. Oktober 1962 zu zahlen". Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, die Klägerin habe im Zeitpunkt des Todes ihres Großvaters in dessen Haushalt gelebt und gelte damit als dessen Pflegekind im Sinne des § 1262 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Satz 3 des Kindergeldgesetzes (KGG) in der bis zum 30. Juni 1964 geltenden Fassung. Zwar habe das Bundessozialgericht (BSG) ausgesprochen (BSG 19, 106), wenn ein Kind im gemeinsamen Haushalt seiner Mutter und seiner Großeltern lebe, so sei es selbst dann nicht in den großelterlichen Haushalt aufgenommen, wenn der Haushalt von den Großeltern geführt werde und die Kindesmutter im wesentlichen nur Kostgängerin im elterlichen Haushalt sei. Dieser Auffassung könne jedoch nicht gefolgt werden, sie werde den besonderen, zwischen Großeltern und Enkeln bestehenden Rechtsbeziehungen nicht gerecht. Vielmehr dürfe ein gemeinsamer Haushalt der Kindesmutter und der Großeltern allenfalls dann angenommen werden, wenn die Kindesmutter an der Haushaltsführung zumindest teilweise beteiligt sei, d. h. wenn sie innerhalb des gemeinsamen Haushalts Aufgaben versehe, die gegenüber der Haushaltsführung der Großeltern abgrenzbar seien und ihrer Lebens- bzw. ihrer Haushaltsführung allein dienten. Das sei bei der Mutter der Klägerin nicht der Fall gewesen. Allein die Tatsache, daß sich ihr primäres Erziehungs- und Fürsorgerecht nicht wegdenken lasse, reiche nicht aus, um die Aufnahme der Klägerin in den großelterlichen Haushalt zu verneinen. Wenn bei natürlicher Betrachtungsweise, wie im vorliegenden Falle, nur ein einziger Haushalt, nämlich der der Großeltern vorhanden sei, indem sowohl die Mutter als auch ihr Kind leben, so könne dieses auch nur in den großelterlichen Haushalt aufgenommen sein. Damit sei die Klägerin im Zeitpunkt des Todes ihres Großvaters in dessen Haushalt aufgenommen gewesen. Sie habe nur in diesem gelebt, was sodann noch im einzelnen in dem angefochtenen Urteil begründet worden ist, wobei das LSG jedoch der Tatsache, daß die Kindesmutter beim Tode des Versicherten noch nicht volljährig gewesen war, keine entscheidende Bedeutung beigemessen hat. Es ist dann abschließend zu dem Ergebnis gelangt, daß die Klägerin seit dem 1. Oktober 1962, dem Beginn des Monats, in dem der Versicherungsfall, nämlich der Tod des Versicherten, eingetreten war, aus dessen Versicherung Anspruch auf Waisenrente habe. Der angefochtene Bescheid und das klageabweisende Urteil des SG hätten daher aufgehoben und die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung der begehrten Waisenrente verurteilt werden müssen.

Das LSG hat in seinem Urteil vom 3. Februar 1966 die Revision zugelassen. Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt, mit dem Antrage,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Hamburg vom 5./6. Juli 1965 zurückzuweisen.

Die Beklagte wendet sich gegen die Auffassung des LSG, daß bei natürlicher Betrachtungsweise nur ein einziger Haushalt, nämlich der der Großeltern vorhanden gewesen sei, in dem sowohl die Kindesmutter als auch die Klägerin gelebt hätten. Wie bereits das BSG entschieden habe, sei der Tatbestand der Aufnahme in den Haushalt der Großeltern nur erfüllt, wenn das Kind aus dem Haushalt der Mutter gelöst und in den der Großeltern überführt worden sei. Nach den zutreffenden Darlegungen des SG sei die Klägerin nicht aus der Obhut und Fürsorge ihrer Mutter ausgeschieden und in die alleinige Fürsorge der Großeltern übergetreten. Die gegenteilige Auffassung des LSG könne auch nicht damit gerechtfertigt werden, daß die Klägerin nahezu ausschließlich von den Großeltern, vor allem der Großmutter betreut worden sei, und daß die Haushaltsführung in den Händen der Großmutter gelegen habe. Wenn man sich der Auffassung des LSG anschließe, müßten praktisch die Klägerin und ihre Mutter wie gleichberechtigte Kinder der Großeltern betrachtet werden. Dann aber hätte die Kindesmutter keine Veranlassung gehabt, sich überhaupt um die Klägerin zu kümmern, was jedoch tatsächlich geschehen sei.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen,

da das angefochtene Urteil richtig sei.

II.

Die Revision der Beklagten muß zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz führen. Der Rechtsauffassung des LSG, daß die Klägerin in den Haushalt ihrer Großeltern aufgenommen gewesen sei und bereits deshalb einen Anspruch auf Waisenrente aus der Rentenversicherung ihres Großvaters habe, kann nicht gefolgt werden.

Nach § 1267 Abs. 1 RVO nF erhalten nach dem Tode des Versicherten seine Kinder (§ 1262 Abs. 2 RVO) Waisenrente. Nach § 1262 Abs. 2 Nr. 7 RVO idF des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) vom 23. Februar 1957 gehörten zu den Kindern des Versicherten auch die Pflegekinder i. S. des § 2 Abs. 1 Satz 3 KGG, wenn das Pflegekindschaftsverhältnis vor Eintritt des Versicherungsfalles begründet worden war. Nach § 2 Abs. 1 Satz 3 KGG in der hier maßgebenden - BSG 12, 35 - Fassung des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung von Vorschriften der Kindergeldgesetze (KGÄndG) vom 27. Juli 1957 - BGBl I 1061 - waren Pflegekinder solche Kinder, die in den Haushalt von Personen aufgenommen waren, mit denen sie ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verknüpfte, wenn diese zu dem Unterhalt der Kinder nicht unerheblich beitrugen; Kinder, die in den Haushalt von Großeltern oder Geschwistern aufgenommen worden waren oder von ihnen überwiegend unterhalten wurden, galten als Pflegekinder. Wie das BSG hierzu schon wiederholt entschieden hat, ist ein Kind, das mit seiner Mutter und seinen Großeltern zusammenlebt, im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 3 KGG jedoch nicht in den Haushalt der Großeltern aufgenommen (vgl. insbesondere BSG 19, 106). Hieran ist, jedenfalls im Ergebnis, festzuhalten, auch gegenüber der Kritik, die dieses Urteil in überwiegend unveröffentlichten Entscheidungen von Landessozialgerichten gefunden hat, denen sich auch das Berufungsgericht angeschlossen hat. Wie der Senat im einzelnen in seinem Urteil 12 RJ 162/64 vom 30. Juni 1966 (BSG 25, 109) ausgeführt hat, bedeutet Aufnahme in den Haushalt Aufnahme in die Familiengemeinschaft. Hierzu gehört bei einem Kinde die Begründung eines Betreuungs- und Erziehungsverhältnisses familienhafter Art (BSG 20, 91). Wenn indes ein Kind mit seiner Mutter und seinen Großeltern zusammenlebt, so ist die Familiengemeinschaft des Kindes mit der Mutter enger als die mit den Großeltern, und diese engere Familiengemeinschaft geht der weniger engen mit den Großeltern vor, so daß nicht davon gesprochen werden kann, das Kind befinde sich in Familiengemeinschaft mit den Großeltern; es befindet sich vielmehr in Familiengemeinschaft mit der Mutter.

Daran ändert auch nichts, daß die Kindesmutter minderjährig ist, wenn ihr die Personensorge zusteht und sie diese ausübt. Nach § 1707 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) steht der Mutter die elterliche Gewalt über das uneheliche Kind nicht zu; sie hat das Recht und die Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen; der Vormund hat, soweit der Mutter die Sorge zusteht, die Stellung eines Beistandes. Das Sorgerecht und die Sorgepflicht hat die Mutter aus eigenem Recht unverzichtbar und vorrangig vor anderen (vgl. auch Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes) und zwar auch, wenn sie minderjährig ist (Soergel/Siebert/Lange § 1707 BGB Note 6; Dölle, Familienrecht § 102 V 3 S. 389); nur ihre Überwachung und Unterstützung obliegt dem Vormund. Übt die Kindesmutter ihr Sorgerecht nicht aus, so tritt wiederum an ihre Stelle der Vormund. Die Großeltern können somit nicht unter Berufung auf ihre elterliche Gewalt über die Kindesmutter sich zB in die Erziehung des Enkelkindes einmischen und ihr Weisungen erteilen (vgl. hierzu auch BGB-RGRK § 1633 BGB Anm. 3 am Ende). Mit Rücksicht hierauf besteht zu einer anderen Behandlung der Enkelkinder, wenn die im elterlichen Haushalt mitlebende Kindesmutter minderjährig ist, jedenfalls dann kein Anlaß, wenn die Mutter das ihr zustehende Sorgerecht ausüben kann und auch tatsächlich ausübt.

Nach alledem war die Klägerin nach den vom LSG getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht im Sinne des Gesetzes in den Haushalt ihrer Großeltern aufgenommen. Da ein echtes Pflegekindschaftsverhältnis ohne weiteres ausschied (BSG 19, 106, 107), kam es somit ausschließlich noch darauf an, ob sie deshalb als Pflegekind ihres Großvaters zu gelten hatte, weil sie überwiegend von ihren Großeltern unterhalten worden ist (BSG 19, 106, 109). Auf diese alternative Anspruchsvoraussetzung hat es das LSG nicht abgestellt. Es hat lediglich ausgeführt, daß die Klägerin nicht von ihrem Großvater unterhalten worden sei. Die tatsächlichen Verhältnisse lassen nicht erkennen, wie hoch der für den Unterhalt der Klägerin aufzubringende Betrag war und was der Versicherte und seine Ehefrau hierzu beigesteuert haben. Das Gesetz verlangt, daß die Klägerin von ihren Großeltern überwiegend unterhalten worden ist. Dabei ist indes nicht nur der etwaige finanzielle Beitrag des Versicherten zu berücksichtigen, sondern auch der Wert der von der Großmutter aufgewendeten Fürsorge für das Kind sowie deren finanzieller Beitrag zu seinem Unterhalt. Dem sind entgegenzustellen die finanziellen Leistungen der Kindesmutter und der Wert der von ihr aufgewendeten Fürsorge und Betreuung, außerdem kommen dazu noch die Unterhaltsleistungen des Erzeugers. Erst nach Klärung dieser Vorfragen läßt sich feststellen, ob die Großeltern die Klägerin etwa überwiegend unterhalten haben, wobei zum überwiegenden Unterhalt gehört, daß die Großeltern mehr als die Hälfte zum Lebensunterhalt beigesteuert haben. Daß die Klägerin zur Zeit des Todes ihres Großvaters noch nicht 1 1/2 Jahre alt war und sehr viel persönliche Betreuung erforderte, läßt nicht ohne weiteres den Schluß zu, daß sie nur überwiegend von ihrer Großmutter unterhalten worden sein könnte; zumal deren Hausarbeit zugleich ihr selbst, ihrem eigenen Kinde (der Kindesmutter) und dem Versicherten zugute kamen.

Damit mußte die Sache nach § 170 Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes an das LSG zurückverwiesen werden. Bei seinem abschließenden Urteil wird dieses auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

NJW 1967, 367

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