Leitsatz (amtlich)

1. Enkelkinder, die in den gemeinsamen Haushalt ihrer Großeltern und eines leiblichen Elternteils aufgenommen sind, gelten für den Anspruch auf Kinderzuschuß nicht als Kinder der Großeltern.

2. Auch eine minderjährige Kindesmutter kann mit ihren Eltern einen gemeinsamen Haushalt führen.

 

Normenkette

RVO § 1262 Abs. 2 Nr. 7 Fassung: 1957-02-23; AVG § 39 Abs. 2 Nr. 7 Fassung: 1957-02-23; KGG § 2 Abs. 1 S. 3 Fassung: 1957-07-27

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 13. März 1964 und das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 6. November 1963 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger zu seinem Altersruhegeld ein Kinderzuschlag für sein Enkelkind zusteht. Er hatte von Juli 1958 bis März 1960 Arbeitslosenhilfe bezogen. Anschließend war er bis September 1960 als kaufmännischer Angestellter tätig und erzielte in dieser Zeit ein Brutto-Gehalt von 2 828,67 DM. Von Oktober bis Dezember 1960 bezog er Arbeitslosengeld in Höhe von 198,- DM monatlich und anschließend Unterstützung aus der Arbeitslosenhilfe in Höhe von 67,- DM monatlich bis 154,17 DM monatlich. Ab 1. März 1962 erhielt er vorzeitiges Altersruhegeld, anfänglich in Höhe von 155,50 DM monatlich.

In einem Haushalt mit dem Kläger lebten seine Ehefrau, seine erwerbstätige Tochter A und seine am 30. August 1942 geborene Tochter H. Diese hat am 6. März 1960 ein Kind (A) geboren. Bis zur Entbindung war sie Verkaufslehrling gewesen. Seit dem 1. Mai 1960 war sie als Verkäuferin beschäftigt. Ihr Netto-Gehalt betrug zunächst 151,20 DM und stieg am 1. Juni 1960 auf 178,37 DM, am 1. Januar 1961 auf 213,- DM, am 1. April 1961 auf 225,05 DM, am 1. Mai 1962 auf 240,03 DM und am 1. Oktober 1962 auf 266,40 DM monatlich. Am 22. Februar 1963 hat sie geheiratet und führt jetzt den Familiennamen Sch.

Nach ihrer Entlassung aus der Klinik lebte Heidrun M mit ihrer Tochter weiterhin mit ihren Eltern und ihrer Schwester zusammen. Sie schlief mit dem Kinde im Schlafzimmer des Klägers und seiner Ehefrau. Diese sorgte für das Kind. Die Kindesmutter ging ihrer Arbeit nach und gab ihren Verdienst dem Kläger ab, der davon zusammen mit seinen eigenen Einkünften und dem, was ihm seine Tochter A von ihrem Arbeitsverdienst abgab, die Haushaltsausgaben bestritt. H M erhielt ein Taschengeld.

Die Beklagte lehnte es mit Bescheid vom 2. Juli 1962 ab, dem Kläger für seine Enkelin A einen Kinderzuschuß zu gewähren, weil sie nicht sein Pflegekind im Sinne des Gesetzes sei. Auf die rechtzeitig erhobene Klage änderte das Sozialgericht (SG) Oldenburg den angefochtenen Bescheid vom 2. Juli 1962 und verurteilte die Beklagte, dem Kläger für die Zeit von März 1962 bis Februar 1963 den begehrten Zuschlag zu zahlen. Zugleich ließ es die Berufung zu.

Die hiergegen von der Beklagten eingelegte Berufung blieb erfolglos. Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen war in seinem Urteil vom 13. März 1964 ebenfalls der Auffassung, dem Kläger stehe der Kinderzuschuß für die streitige Zeit zu. Die Beklagte übersehe, daß, als A im März 1960 geboren wurde, deren Mutter überhaupt keinen eigenen Haushalt gehabt habe. Diese sei damals 17 Jahre alt gewesen und hätte als Lehrling weder Einkommen noch ein eigenes Zimmer noch eigene Möbel oder Haushaltsgegenstände gehabt. Den Erziehungsbeitrag von monatlich rund 100,- DM habe sie zu Hause abgegeben. Als sie Mitte März 1960 aus der Klinik in die elterliche Wohnung zurückgekehrt sei, hätten sich ihre Verhältnisse nicht geändert, zumal zunächst sogar noch die Erziehungsbeihilfe weggefallen und lediglich ein geringes Krankengeld gewährt worden sei. Für A sei überhaupt nichts gezahlt worden, da sich der Erzeuger nicht habe ermitteln lassen. Der Kläger sei lediglich seiner Unterhaltspflicht nachgekommen, als er sein Enkelkind in seinem Haushalt aufnahm. Das sei geschehen, ohne daß es aus einem anderen Haushalt entfernt worden sei. Der Kläger und seine Ehefrau hätten das Kind zunächst auch aus eigenen Mitteln unterhalten, wobei sogar die erwerbstätige Tochter A noch einiges beigesteuert habe, z. B. einen Kinderwagen.

Wenn später, insbesondere zur Zeit des Eintritts des Versicherungsfalles im März 1962, der Kläger lediglich Unterstützung aus der Arbeitslosenhilfe in wechselnder Höhe bis zu rund 154,- DM erhalten und sich das Einkommen der Kindesmutter inzwischen auf 225,- DM monatlich erhöht hatte, so sei das Kind trotzdem im Haushalt des Klägers verblieben. Der Ansicht der Beklagten, es habe nunmehr ein gemeinsamer Haushalt zwischen dem Kläger, seiner Ehefrau, der Kindesmutter und Andrea bestanden, könne nicht gefolgt werden. Was im Haushalt geschehen oder nicht geschehen sollte, habe allein der Kläger und dessen Ehefrau bestimmt. Die Kindesmutter, die bis August 1963, also über den hier streitigen Zeitraum hinaus, minderjährig gewesen sei, habe nichts zu sagen gehabt. Es widerspreche jeder natürlichen Betrachtungsweise, in einem Fall wie im vorliegenden anzunehmen, daß die minderjährige Tochter durch ein uneheliches Kind, das sie bekomme, etwa größere Rechte und sogar ein Mitbestimmungsrecht im elterlichen Haushalt erwürbe.

Das LSG hat in seinem Urteil die Revision zugelassen, die Beklagte hat sie eingelegt mit dem Antrage,

das angefochtene Urteil und das Urteil des SG Oldenburg vom 6. November 1963 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Gerügt wird, daß das LSG die Rechtslage verkannt habe, wie im einzelnen aus der Revisionsbegründung vom 8. Juli 1964 ersichtlich ist.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Es sei unstreitig, daß sein Enkelkind nicht sein Pflegekind gewesen sei. Es sei ferner unstreitig, daß er es nicht überwiegend unterhalten habe. Es komme allein darauf an, ob er seine Enkeltochter in seinem Haushalt aufgenommen habe. Das hätten die Vorinstanzen zu Recht anerkannt.

Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet.

Der Kläger begehrt den Kinderzuschlag zu seiner Rente für die Zeit vom 1. März 1962 bis 28. Februar 1963 aufgrund eines im März 1962 eingetretenen Versicherungsfalls. Auszugehen ist somit von § 39 Abs. 2 Nr. 7 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) idF des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) vom 23. Februar 1957. Danach gelten als Kinder des Versicherten, für welche die Zahlung eines Kinderzuschusses in Betracht kommt, ua die Pflegekinder im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 3 des Kindergeldgesetzes (KGG), wenn das Pflegekindschaftsverhältnis vor Eintritt des Versicherungsfalles begründet worden ist.

Nach § 2 Abs. 1 Satz 3 KGG in der hier maßgebenden Fassung des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung von Vorschriften der Kindergeldgesetze (KGÄndG) vom 27. Juli 1957 (BGBl I 1061) - vgl. BSG 12, 35 - sind Pflegekinder, Kinder, die in den Haushalt von Personen aufgenommen sind, mit denen sie ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verknüpft, wenn diese zu dem Unterhalt der Kinder nicht unerheblich beitragen; Kinder, die in den Haushalt von Großeltern und Geschwistern aufgenommen sind oder von ihnen überwiegend unterhalten werden, gelten als Pflegekinder. Aus § 39 Abs. 7 AVG folgt jedoch, daß dieses "Pflegekindschaftsverhältnis" nicht nur vor Eintritt des Versicherungsfalles begründet sein muß, sondern daß es auch noch bei seinem Eintritt bestanden haben muß, und daß schließlich der Kinderzuschuß nur für die Dauer des Bestehens dieses Verhältnisses gezahlt werden kann. Im vorliegenden Fall kommt es somit ausschließlich darauf an, ob das Enkelkind des Klägers noch im März 1962 als dessen Pflegekind im Sinne der genannten Vorschriften und für die anschließende Zeit, für die Kinderzuschlag begehrt wird, angesehen werden konnte. Im März 1962 war die Kindesmutter aber immerhin schon 19 Jahre alt, außerdem war ihr Gehalt mit 225,05 DM monatlich höher als das Altersruhegeld ihres Vaters von damals 155,50 DM monatlich.

Insoweit ist zunächst nicht zweifelhaft, daß das Enkelkind des Klägers nicht dessen Pflegekind im Sinne des 1. Halbsatzes des § 2 Abs. 1 Satz 3 KGG war. Ein solches, an sich mögliches Verhältnis (vgl. BSG 13, 72, 74; 15, 239; 19, 106, 107; 20,267) ist in der Regel bei Enkelkindern nur anzunehmen, wenn die leiblichen Eltern tot sind oder beide sich um ihr Kind praktisch überhaupt nicht kümmern. Das war bei der Kindesmutter nicht der Fall.

Das Enkelkind des Klägers gilt nach den vom LSG getroffenen und nicht bestrittenen Feststellungen für den maßgebenden Zeitabschnitt aber auch nicht aufgrund der letzten Alternative des 2. Halbsatzes des § 2 Abs. 1 Satz 3 KGG - überwiegende Unterhaltsleistung-als dessen Pflegekind. Es kommt somit, worauf es auch das LSG allein abgestellt hat und worüber die Beteiligten allein verschiedener Meinung sind, ausschließlich darauf an, ob die erste Alternative des § 2 Abs. 1 Satz 3 KGG -Aufnahme des Enkelkindes in den Haushalt des Klägers - dessen Anspruch auf den Kinderzuschuß zu seinem Altersruhegeld rechtfertigt.

Hierfür bedarf es keiner Stellungnahme zu der in der bisherigen Rechtsprechung des BSG unterschiedlich beantworteten Frage, was im einzelnen unter Aufnahme in den Haushalt zu verstehen ist (vgl. ua BSG 19, 106; 20, 91 und 25, 109; SozR § 1267 RVO Nr. 24). Aus § 3 Abs. 2 Satz 2 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) vom 14. April 1964 (BGBl I 265) ergibt sich jedenfalls, daß das Gesetz auch einen gemeinsamen Haushalt zwischen Großeltern und Kindeseltern in Betracht zieht und besondere rechtliche Folgen daran knüpft. Dieser Haushalt bleibt zwar auch Haushalt der Großeltern, aber für das Kindergeldgesetz wird er anders behandelt. Denn nach der besonderen Regelung des § 3 Abs. 2 Satz 2 BKGG geht bei einer solchen gemeinsamen Haushaltsführung der Anspruch des leiblichen Elternteils dem der Großeltern vor, während nach der allgemeinen Regel des § 3 Abs. 2 Satz 1 BKGG sonst der Anspruch der Großeltern den Vorrang vor dem der leiblichen Eltern hat. Der gemeinsame Haushalt der Großeltern und eines leiblichen Elternteils wird also so behandelt, als ob er nur Haushalt dieses leiblichen Elternteils wäre. Diese Regelung trägt dem Umstand Rechnung, daß bei einem solchen gemeinsamen Haushalt der leibliche Elternteil in aller Regel wesentlich zum gemeinsamen Haushalt und damit auch zum Unterhalt des Kindes beiträgt, daß seine Unterhaltspflicht derjenigen der Großeltern vorgeht, daß die besonders engen familiären Bindungen zwischen Elternteil und Kind durch den gemeinsamen Haushalt nicht beeinträchtigt sind und daß dem leiblichen Elternteil die Sorge für die Person des Kindes aus eigenem Recht, unverzichtbar und vorrangig zusteht. Der leibliche Elternteil ist in solchen Fällen soviel näher zum Kinder, daß der gemeinsame Haushalt sowohl für das Kindergeld als auch für den Kinderzuschuß als sein alleiniger Haushalt behandelt werden muß; beide Ansprüche sind insoweit an die gleichen, im Kindergeldrecht näher bestimmten Voraussetzungen geknüpft.

Diese ausdrückliche Sonderregelung für den Fall, daß ein Kind im gemeinsamen Haushalt eines leiblichen Elternteils und anderer bestimmter Berechtigter, besonders auch der Großeltern, lebt, gilt zwar erst seit dem 1. Juli 1964 (§ 47 BKGG); das bis dahin geltende Recht enthielt keine entsprechende Vorschrift. Der Senat hat trotzdem keine Bedenken, die neue Regelung der Auslegung auch des bisherigen Rechts zugrunde zu legen, soweit es sich darum handelt, wem für den Anspruch auf den Kinderzuschuß der gemeinsame Haushalt als eigener Haushalt zuzurechnen ist. Er folgt insoweit damit auch der bisherigen Rechtsprechung des BSG, das in vergleichbaren Fällen immer wieder hervorgehoben hat, daß das nähere Verhältnis zur Kindesmutter dem entfernteren Verhältnis zu den Großeltern vorgeht.

Ob der leibliche Elternteil und die Großeltern eines Kindes einen gemeinsamen Haushalt führen, hängt von den besonderen Umständen des einzelnen Falles ab. Im vorliegenden Falle hat das LSG verkannt, daß nach seinen eigenen Feststellungen jedenfalls in dem für den Anspruch auf Kinderzuschuß maßgebenden Zeitraum das Enkelkind des Klägers in den gemeinsamen Haushalt der Großeltern und seiner beiden Töchter, also auch der Kindesmutter, aufgenommen war. Zur Zeit der Geburt des Enkelkindes und der Entlassung von Mutter und Kind aus der Klinik mag der Haushalt zwar allenfalls ein gemeinsamer Haushalt der Großeltern und ihrer damals schon erwerbstätigen Tochter A gewesen sein; die Stellung der Kindesmutter im Haushalt änderte sich auch nicht durch die Geburt ihres Kindes, dagegen spricht ihr damals besonders jugendliches Alter und ihr geringes Einkommen. Damals hätte sie deswegen vielleicht als unselbständiges Haushaltsmitglied ihres elterlichen Haushalts oder des gemeinsamen Haushalts ihrer Eltern und ihrer erwerbstätigen Schwester angesehen werden können. In dem für den Anspruch ihres Vaters auf den Kinderzuschuß zu seinem Altersruhegeld maßgebenden Zeitpunkt aber, dem Eintritt des Versicherungsfalls, waren seither zwei Jahre vergangen, die Kindesmutter war 19 Jahre alt geworden und verdiente mit einem monatlichen Gehalt von rd. 225,- DM netto um die Hälfte mehr, als das Altersruhegeld ihres Vaters von damals rd. 155,- DM monatlich betrug. Unter diesen Umständen war trotz der Minderjährigkeit der Tochter der Haushalt nicht mehr nur Haushalt ihrer Eltern oder ihrer Eltern und der erwerbstätigen Schwester A, sondern er war ein gemeinsamer Haushalt der Kindesmutter, ihrer Eltern und möglicherweise auch ihrer Schwester geworden. Denn schon zu der hier maßgebenden Zeit (1962) wurden auch minderjährige Kinder ihres Alters und ihres Arbeitseinkommens nicht mehr als nur unselbständige Angehörige des elterlichen Haushalts angesehen, besonders wenn ihr Arbeitseinkommen gegenüber dem Einkommen der Eltern ein solches Gewicht hatte. Das LSG hat zu Unrecht den Verhältnissen zur Zeit der Geburt des Kindes das entscheidende Gewicht beigemessen und nicht genügend beachtet, daß sich bis zu dem maßgebenden Zeitpunkt für den Anspruch auf Kinderzuschuß diese Verhältnisse grundlegend geändert haben. Nunmehr galt das Enkelkind des Klägers nicht mehr als sein Pflegekind, weil der gemeinsame Haushalt von da an für den erhobenen Anspruch als alleiniger Haushalt der Kindesmutter zu behandeln ist.

Auf die Revision der Beklagten sind daher die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

NJW 1967, 1983

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