Entscheidungsstichwort (Thema)

Begriffe "Krankheit im versicherungsrechtlichen Sinne", "ärztliche Behandlung" und "Heilmittel". eigenverantwortliche Behandlungsmaßnahme durch einen nichtärztlichen Psychologen. Leistungsrahmen der Krankenversicherung. Psychotherapeutische Behandlung. Kostenerstattung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die von einem nichtärztlichen Psychologen selbständig und eigenverantwortlich durchgeführte Behandlungsmaßnahme stellt weder eine ärztliche Behandlung iS des RVO § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst a dar noch ist sie den Heilmitteln iS des RVO § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst b zuzuordnen.

2. Hilfeleistungen nichtärztlicher Psychologen iS des RVO § 122 Abs 1 S 2 können nur dann als ärztliche Behandlung angesehen werden, wenn sie ein approbierter Arzt anordnet; die anordnende Tätigkeit des Arztes darf sich dabei nicht auf eine bloße "Verordnung" der Drittleistungen beschränken, sondern erfordert wegen der mit jeder Behandlungsmaßnahme verbundenen Risiken je nach Lage des Falles eine mehr oder weniger intensive persönliche Anleitung oder Beaufsichtigung der Hilfsperson.

3. Der in RVO § 182 Abs 1 Nr 1 aufgeführte Leistungskatalog ist nicht abschließend; nicht namentlich genannte Krankenpflegeleistungen können in Betracht kommen, wenn diese auf neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen und erforderlich sind, um eine Krankheit zu erkennen oder zu behandeln, Krankheitsbeschwerden zu lindern oder körperliche Behinderungen auszugleichen.

 

Orientierungssatz

1. Die KK ist nicht verpflichtet, einem Versicherten die Kosten zu erstatten, die er für die Behandlung durch einen nichtärztlich vorgebildeten Psychologen aufgewendet hat.

2. Die der KK obliegende Verpflichtung zur Gewährung ärztlicher Behandlung ist nach RVO § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst a iVm § 188 als Sachleistung zu erbringen. Der Weg der privaten Inanspruchnahme eines Arztes und der späteren Forderung auf Kostenerstattung ist der gesetzlichen KV fremd.

3. Der Ausschluß von Nicht-Ärzten von der selbständigen Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung dient dem Schutz wichtiger öffentlicher Interessen. Die Behandlung durch einen Psychologen kann auch nicht als "Hilfeleistung anderer Personen" iS des RVO § 122 Abs 1 S 2 angesehen werden, wenn es sowohl an einer Anordnung als auch an der erforderlichen anleitenden oder beaufsichtigenden Mitwirkung eines Arztes fehlte.

 

Normenkette

RVO § 122 Abs. 1 Fassung: 1924-12-15, § 182 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Fassung: 1974-08-07; PsychothRL Fassung: 1967-05-03; RVO § 188 Abs. 1 Fassung: 1969-07-27, § 122 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1924-12-15, § 182 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b Fassung: 1974-08-07

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Entscheidung vom 31.01.1979; Aktenzeichen L 8 Kr 992/78)

SG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 30.06.1978; Aktenzeichen S 9 Kr 108/76)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 31. Januar 1979 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Kosten für eine Behandlung durch einen Fachpsychologen.

Der Kläger ist bei der Beklagten gegen Krankheit versichert. Im November 1975 übersandte er der Beklagten drei Bescheinigungen der praktischen Ärztin Dr. B vom 5. und 6. September 1975. Diese attestierte der Ehefrau des Klägers, daß sie seit einiger Zeit an depressiven Verstimmungen leide, so daß dringend eine psychotherapeutische Beratung sowie Untersuchung und Behandlung erforderlich sei. Dem 12jährigen Kind S bescheinigte sie eine Beeinträchtigung der Lernfähigkeit (Konzentrationsschwäche aufgrund neurotischer Störung sowie psychosomatischer Erscheinungen), aus diesem Grund sei eine psychologische Untersuchung und wahrscheinliche Betreuung erforderlich. Bei dem 8jährigen Kind G stellte sie ein ausgeprägtes ängstliches Verhalten mit neurotischen Krankheitsbildern fest, die seine Entwicklung und Leistungsentfaltung hemmten, er solle deshalb einer psychologischen Untersuchung vorgestellt werden und im Anschluß möglichst psychotherapeutische Behandlung erhalten.

Die Beklagte übersandte daraufhin dem Kläger Formblätter zwecks Einleitung einer psychotherapeutischen Behandlung, die er an den behandelnden Arzt weiterleiten und danach an die Beklagte zurücksenden solle. Der Kläger schickte die unausgefüllten Formulare mit einem Schreiben des Fachpsychologen Dr. J zurück, in dem dieser ausführte, es handele sich nur um die sogenannte kleine Psychotherapie, für die die Vorlage eines ärztlichen Attestes genüge. Die Beklagte belehrte daraufhin den Kläger darüber, daß Behandlungen durch nicht-ärztliche Psychotherapeuten und Psychologen nicht zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung gehörten.

Der Kläger nahm sodann den Fachpsychologen Dr. J. für die Behandlung seiner Ehefrau und seiner beiden Kinder in Anspruch. Nach seinem Vorbringen beliefen sich seine Aufwendungen dafür auf 10.500,- DM. Seinen Antrag an die Beklagte auf Kostenübernahme lehnte diese mit Bescheid vom 19. Mai 1976 ab, den Widerspruch des Klägers wies sie zurück (Widerspruchsbescheid vom 15. Juli 1976).

Mit der Klage vor dem Sozialgericht (SG) Frankfurt hat der Kläger sein Begehren auf Kostenerstattung für die psychotherapeutische Behandlung seiner Familienangehörigen weiterverfolgt. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 30. Juni 1978). Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben.

Das Hessische Landessozialgericht (LSG) hat in seinem Urteil vom 31. Januar 1979 ausgeführt, daß der die Behandlung durchführende Fachpsychologe Dr. J kein Arzt sei und demgemäß keine ärztliche Behandlung erbringen könne. Er sei auch nicht als ärztliche Hilfsperson iS des § 122 RVO anzusehen, weil darunter nur unselbständige Hilfeleistungen nach ärztlicher Anordnung und unter ärztlicher Anleitung und Überwachung zu verstehen seien. Schließlich sei die Tätigkeit des Dr. J auch nicht als Heilmittel zu werten.

Gegen dieses Urteil richtet sich die zugelassene Revision des Klägers. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts. Nach seiner Auffassung ist die Aufzählung in § 122 Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht abschließend, vielmehr müßten auch Diplom-Psychologen dazu gezählt werden. Wenn diese selbständig tätig würden, unterschieden sie sich nicht wesentlich von den dort aufgeführten Hilfspersonen, weil diese ihre Tätigkeiten auch ohne Überwachung oder Anleitung durch einen Arzt verrichteten.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Landessozialgerichts Darmstadt die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 19. Mai 1976 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Juli 1976 zur Übernahme der Kosten für die psychotherapeutischen Behandlungen der Familienangehörigen des Klägers zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die ärztliche Behandlung werde in der gesetzlichen Krankenversicherung als Sachleistung gewährt. Eine Kostenerstattung sei nur in begründeten Notfällen möglich. Ein solcher Fall liege nicht vor. Die Behandlung durch Dr. J sei nicht auf Anordnung eines Arztes erfolgt, die Bescheinigung der Ärztin Dr. B erfülle nicht die Voraussetzungen einer Anordnung.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Der Erstattungsanspruch des Klägers könnte allenfalls dann gegeben sein, wenn die Beklagte aus dem zwischen ihr und dem Kläger bestehenden Versicherungsverhältnis verpflichtet gewesen wäre, die psychotherapeutischen Behandlungen der Familienangehörigen des Klägers durch den Fachpsychologen Dr. J als Sachleistungen zu erbringen. Eine derartige Verpflichtung bestand jedoch nicht.

Es bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung der Frage, ob die bei der Ehefrau des Klägers und den Kindern S und G bemerkbaren Erscheinungen bereits als "Krankheit" im Sinne des § 182 Abs 1 Nr 1 RVO zu bewerten sind, denn selbst wenn das der Fall wäre, könnte die Klage keinen Erfolg haben. Die RVO sieht in § 182 Abs 1 Nr 1 im Falle von Krankheit die Gewährung von Krankenpflege vor. Diese wird ua nach § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst a RVO als ärztliche Behandlung geleistet. Die Art der Leistungsgewährung erfolgt in Form der Sachleistung, und § 188 RVO ordnet deshalb an, daß der Versicherte für die Inanspruchnahme der ärztlichen Behandlung einen Krankenschein zu lösen hat. Der Kläger hat sich bei der ärztlichen Behandlung seiner Familienangehörigen durch die praktische Ärztin Dr. B offenbar auch dieser Regelung bedient. Auf seine Anfrage vom November 1975 wegen der psychotherapeutischen Behandlung seiner Familienmitglieder hat die Beklagte den Kläger durch die Übersendung der Formblätter ebenfalls auf diesen Weg verwiesen. Er hat jedoch aufgrund eigener Entschließungen abweichend davon die Behandlung durch den Fachpsychologen Dr. J als privat zu honorierende Leistung in Anspruch genommen. Schon das spricht gegen die Forderung des Klägers. Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß einem Versicherten keine Kostenerstattung zusteht, wenn er einen Arzt privat, also außerhalb der kassenärztlichen oder vertragsärztlichen Verpflichtungen in Anspruch nimmt (BSGE 44, 41 ff; Urteil vom 19. Dezember 1978 - 3 RK 34/78 -; Urteil vom 24. April 1979 - 3 RK 32/78; Urteil vom 10. Juli 1979 - 3 RK 21/78; Urteil vom 25. Juli 1978 - 3 RK 45/78). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Indes könnte die Forderung des Klägers dennoch berechtigt sein, wenn ihm die Beklagte die Sachleistung zu Unrecht verweigert und ihn dadurch gezwungen hätte, sie sich auf eigene Kosten zu beschaffen. Es bedarf in dem Zusammenhang keiner Erörterung der Frage, in welchem Umfang in Notfällen ärztliche Hilfe außerhalb des durch das Gesetz bzw die Versicherungsbedingungen vorgeschriebenen Weges in Anspruch genommen werden kann, denn auch bei einer Notfallversorgung darf ärztliche Behandlung nur durch einen approbierten Arzt geleistet werden (§ 368d Abs 1 Satz 2 iVm § 122 Abs 1 Satz 1 RVO; vgl BSGE 19, 270, 272 f; 34, 172; 44, 41, 43). Im vorliegenden Rechtsstreit steht jedoch nicht die Behandlungsmaßnahme eines Arztes in Rede, sondern es geht um die psychotherapeutische Behandlung durch einen Fachpsychologen, der nicht als Arzt approbiert ist. Derartige Maßnahmen können aber in keinem Fall als "ärztliche Behandlung" im Sinne des § 122 Abs 1 RVO angesehen werden.

Der Gesetzgeber hat die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung der Versicherten und ihrer Angehörigen aus wohlerwogenen und sachlich fundierten Gründen den Ärzten und Krankenkassen als gemeinsame Aufgabe anvertraut (§ 368 Abs 1 Satz 1 RVO). Kernbestandteil der kassenärztlichen Versorgung ist die ärztliche Behandlung (vgl § 368 Abs 2 Satz 1 RVO). Der Senat hat bereits in dem Urteil vom 18. September 1973 (BSGE 36, 146) dargelegt, daß sich das Maß der Mitwirkung von Kassenärzten an den in § 368 Abs 2 RVO genannten Maßnahmen der ambulanten kassenärztlichen Versorgung danach richtet, inwieweit der Natur der Sache nach ärztliche Betreuung erforderlich ist; der Senat hat weiter betont, daß die ärztliche Behandlung zu dem Teil der Versorgung gehört, die ganz in der Hand des Kassenarztes liegt (aaO S. 149). Soweit ärztliche Sachkunde erforderlich ist, bleibt die kassenärztliche Versorgung grundsätzlich den Kassenärzten vorbehalten. Der Senat sieht keine Veranlassung, von dieser durch das Gesetz vorgeschriebenen Auffassung abzuweichen. Die ärztliche Versorgung der Mitglieder der sozialen Krankenversicherung kann als Aufgabe von Verfassungsrang (vgl Urteil des Senats vom 16. November 1978 - 3 RK 29/76 in NJW 1979, 1059 = BSGE 47, 148, 153) nur dann sachgerecht durchgeführt werden, wenn sie die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft zur Grundlage nimmt. Diesem Erfordernis wird durch die Heranziehung von Kassenärzten Rechnung getragen. Bei ihnen ist aufgrund ihrer medizinischen Ausbildung, der Ablegung von Staatsprüfungen, der Approbation und der Zulassung zur kassenärztlichen Tätigkeit ausreichende Gewähr für das Bestehen der erforderlichen Sachkunde gegeben. Als Mitglieder der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung (§ 368k Abs 4 RVO) stehen sie im Hinblick auf die gesetz- und vertragsmäßige Durchführung ihrer kassenärztlichen Tätigkeit unter der Überwachung der Kassenärztlichen Vereinigung - KÄV - (§ 368n Abs 4 RVO) und im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit der Versorgung unter der Überwachung von Organen der gemeinschaftlichen Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen (§ 368n Abs 5 RVO), und die KÄVen sorgen kraft gesetzlicher Verpflichtung für die Fortbildung der Kassenärzte (§ 368m Abs 5 RVO). Die Kassenärzte unterliegen bei der Erfüllung ihrer kassenärztlichen Pflichten einer disziplinaren Ordnung (§ 368m Abs 4 RVO), und bei gröblicher Pflichtverletzung kann ihnen die Zulassung und damit der Zugang zu den Versicherten entzogen werden (§ 368a Abs 6 RVO). Alle diese Regelungen machen deutlich, daß die ärztliche Behandlung der Kernbestandteil der kassenärztlichen Versorgung ist und nicht isoliert als Einzelleistung gesehen werden kann, die beliebig durch Maßnahmen anderer Personen ersetzbar wäre. Sie ist Teil eines ausgewogenen, von der Sache her begründeten medizinischen Systems, dem die Versorgung des überwiegenden Teils der gesamten Bevölkerung obliegt. Der Ausschluß von "Nicht-Ärzten" von der selbständigen Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung dient dem Schutz wichtiger öffentlicher Interessen (vgl auch BSG, Urteil vom 1. März 1979 - 6 RKa 13/77 -). Schon aus diesen Gründen ist es nicht zulässig, die Behandlung durch einen nichtärztlich vorgebildeten Psychologen der Beklagten als Leistungsverpflichtung aufzugeben.

Dem steht nicht entgegen, daß in Ausnahmefällen Nicht-Ärzte wie Psychotherapeuten oder Psychagogen an der kassenärztlichen Versorgung beteiligt werden können. Jedoch vermag sich der Kläger für sein Begehren insoweit nicht auf die Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über tiefenpsychologisch fundierte und analytische Psychotherapie in der kassenärztlichen Versorgung zu berufen. Sowohl die Richtlinien in der zur Zeit des Leistungsbegehrens maßgeblichen Fassung vom 3. Mai 1967 - Psychotherapie-Richtlinien (Bundesanzeiger Nr 180 vom 23. September 1967) - als auch die zur Zeit geltenden Richtlinien vom 27. Januar 1976 (Bundesanzeiger Nr 76 vom 22. April 1976) regeln nur die psychotherapeutische Behandlung im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung und beruhen zudem auf der ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung in § 368p Abs 1 RVO. Soweit die Richtlinien eine ärztliche Behandlung vorsehen, liegt diese in der alleinigen Verantwortung des zur Ausübung der Psychotherapie berechtigten Kassenarztes. Zwar erlaubt es die aufgrund der psychotherapeutischen Richtlinien als Bestandteil des Bundesmantelvertrags-Ärzte getroffene Psychotherapie-Vereinbarung vom 10. Januar 1972 (abgedruckt in DOK 1972, 527 f) ebenso wie die jetzt geltende Psychotherapie-Vereinbarung vom 11. Juni 1976 (abgedruckt in BKK 1976, 211), daß der Kassenarzt zur Behandlung auch einen nichtärztlichen Psychotherapeuten oder Psychagogen mit hinzuzieht (§ 3 Abs 1 Satz 1 der Vereinbarung vom 10. Januar 1972), jedoch handelt es sich dabei nur um eine Mitwirkung im Rahmen der ärztlichen Behandlung, die unter der überwachenden Beobachtung des Kassenarztes stattfindet und von ihm zu verantworten ist. Sie hält sich demgemäß in dem Rahmen, den das Gesetz in § 122 Abs 1 RVO für die Beteiligung anderer Personen an der ärztlichen Behandlung zur Verfügung stellt (vgl dazu Meydam in BKK 1978, 331, 334; Schirmer in BKK 1978, 195, 200). In jedem Falle ist jedoch auch nach den Vorschriften der Psychotherapie-Richtlinien der Arzt verpflichtet, die Indikation selbst zu stellen, und er muß auch die ersten wesentlichen Behandlungsleistungen selbst erbringen (vgl § 3 Abs 4 der Psychotherapie-Vereinbarung vom 10. Januar 1972). In keinem Falle ist es zulässig, die Diagnosestellung und Behandlung allein einem Nichtarzt zu übertragen.

Steht damit fest, daß die Behandlung durch den Fachpsychologen Dr. J keine "ärztliche Behandlung" im Sinne des § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst a RVO ist, so kann sie auch nicht als "Hilfeleistung anderer Personen" im Sinne des § 122 Abs 1 Satz 2 RVO angesehen werden. Dem steht einmal entgegen, daß Hilfeleistungen der ärztlichen Behandlung nur dann zurechenbar sind, wenn der Arzt sie ausdrücklich anordnet. An einer solchen Anordnung fehlt es hier. Der Kläger verkennt den Unterschied zwischen einer Anordnung nach § 122 Abs 1 Satz 2 RVO und den von der Ärztin Dr. B ausgestellten Bescheinigungen. Diese wenden sich an keine bestimmte Person und beinhalten eine lediglich unverbindliche Meinung der Ausstellerin; eine Anordnung nach § 122 Abs 1 Satz 2 RVO hingegen muß sich an einen Empfänger aus dem zur Hilfeleistung nach dieser Vorschrift berechtigten Personenkreis richten und diesen anweisen, bestimmte Maßnahmen vorzunehmen. Die Bescheinigungen der Ärztin Dr. B für die beiden Kinder des Klägers lassen sogar die Frage einer Behandlung noch weitgehend offen. Selbst wenn man aber annehmen wollte, daß die der Beklagten übersandten Bescheinigungen den Voraussetzungen genügten, die an eine Anordnung nach § 122 Abs 1 Satz 2 RVO zu stellen sind, wären die Maßnahmen des Dr. J nicht als Hilfeleistungen im Sinne jener Vorschriften anzusehen. Hilfeleistungen anderer Personen können der ärztlichen Behandlung nur unter der Bedingung zugerechnet werden, daß der Arzt bei ihrer Durchführung selbst anleitend, mitwirkend oder beaufsichtigend tätig wird (BSG SozR Nr 1 zu § 122 RVO). Dabei ist zu beachten, daß die anordnende Tätigkeit des Arztes sich nicht auf eine bloße "Verordnung" der Drittleistung beschränken kann, sondern, je nach Lage des Falles, eine mehr oder weniger intensive persönliche Anleitung bzw Beaufsichtigung der Hilfsperson einschließt (BSGE 29, 27, 29). Im vorliegenden Fall hat aber die Ärztin Dr. B an der psychotherapeutischen Behandlung durch den Fachpsychologen Dr. J weder anleitend noch beaufsichtigend teilgenommen. Schon deshalb verbietet es sich, diese Maßnahme als Hilfeleistung zu einer ärztlichen Behandlung anzusehen.

Die Behandlung durch den Fachpsychologen Dr. J kann auch nicht als "Heilmittel" im Sinne des § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst b RVO angesehen werden. Der Senat läßt dahinstehen, ob und ggf in welchem Umfang oder unter welchen Voraussetzungen nach dem bis zum 30. September 1974 geltenden Recht Untersuchungs- oder Behandlungsmaßnahmen als Heilmittel im Sinne des damaligen § 182 Abs 1 Nr 1 RVO angesehen werden konnten; jedoch hat der Senat auch für jenen Rechtszustand bereits betont, der Begriff Heilmittel setze voraus, daß bei einer Heilmaßnahme jedenfalls zusätzlich zu Dienstleistungen ein sächliches Mittel angewendet wird (BSGE 42, 16, 17). Mit Wirkung ab 1. Oktober 1974 ist die Vorschrift des § 182 Abs 1 Nr 1 RVO durch § 21 Nr 5 Buchst a des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation - RehaAnglG - vom 7. August 1974 (BGBl I, 1881) verändert worden. Der Gesetzgeber hat die von der Krankenkasse zu gewährenden Leistungen zu bestimmten, nach Sachgesichtspunkten geordneten Leistungsgruppen zusammengefaßt. In der Sachgruppe des Absatzes 1 Nr 1 Buchst b zählt das Gesetz Arznei-, Verband-, Heilmittel und Brillen auf. Diese Zusammenstellung macht deutlich, daß Leistungsgegenstand dieser Gruppe nur sächliche Mittel sind. Damit hat das Gesetz in der Neufassung das vom Senat bereits angesprochene frühere Unterscheidungsmerkmal deutlich bestätigt. Das Gesetz kennt neben Leistungsgruppen mit sächlichen Mitteln auch solche mit Dienstleistungen - zB ärztliche Behandlung (Buchst a), Arbeitstherapie (Buchst e), häusliche Krankenpflege (Buchst f) -, es erscheint jedoch als ausgeschlossen, die lediglich für die Leistung von Sachmitteln bestimmte Gruppe des Buchstaben b dahingehend umzudeuten oder zu erweitern, daß sie auch persönliche Dienstleistungen - wie im vorliegenden Falle Untersuchungsmaßnahmen - umfassen sollte. Damit würde die Unterteilung in verschiedene Leistungsarten hinfällig werden und so die gesetzestechnische Veränderung gegenüber der vorherigen bloßen Aufzählung ihren Sinn verlieren.

Die in § 182 Abs 1 Nr 1 RVO enthaltene Aufzählung der wesentlichen, zur Krankenpflege gehörenden Leistungen ist zwar nicht abschließend, wie aus dem Wort "insbesondere" hervorgeht. Es können also auch andere als die ausdrücklich genannten Leistungen der Krankenpflege zugerechnet werden, wenn sie ihrer Art nach der Krankenpflege, dh der Erkennung, Behandlung oder Heilung einer Krankheit, dienen (vgl BSGE 42, 121, 122, unter Bezugnahme auf die Begründung des Entwurfs eines RehaAnglG, Bundestags-Drucksache 7/1237 zu § 21 Nr 5 des Entwurfs, S. 63). Damit hat das Gesetz aber lediglich eine Erweiterung des Leistungsumfanges auf andere, auf neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhenden Erkennungs- und Therapie-Methoden erfahren. Solche Änderungen können insbesondere dazu führen, den für die einzelnen Leistungen vom Gesetz zur Verfügung gestellten Rahmen der jeweiligen Leistungsgruppe weiter auszufüllen. Dagegen kann dem Wort "insbesondere" nicht die Bedeutung beigemessen werden, der Gesetzgeber habe auch das "Wie" der Leistungserbringung insbesondere durch Angehörige nichtärztlicher Berufe, neu regeln wollen. Einer solchen Interpretation steht entgegen, daß der Gesetzgeber nicht zugleich auch entsprechende Änderungen in den flankierenden Vorschriften der §§ 122, 368 ff RVO vorgenommen hat (vgl hierzu Krasney ZSR 1976, 411 ff, 426). Insoweit ist es bei der bisherigen Rechtslage verblieben. Damit ergibt sich, daß die von dem Fachpsychologen Dr. J eigenverantwortlich durchgeführten Behandlungen kein "Heilmittel" im Sinne des § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst b RVO sind.

Zusammenfassend ergibt sich somit, daß die Leistungsansprüche des Klägers nicht begründet sind. Da der leistungsversagende Bescheid der Beklagten mithin nicht rechtswidrig war, steht dem Kläger kein Anspruch auf Erstattung seiner Aufwendungen zu. Die Revision des Klägers gegen das zutreffende Urteil des LSG war demgemäß zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1656919

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