Leitsatz (amtlich)

Die im Zusammenhang mit der ambulanten ärztlichen Behandlung entstandenen Reisekosten sind auch nach dem 1974-10-01 der Krankenpflege zuzurechnen.

Der Träger der Krankenversicherung hat wegen der Reisekosten daher auch dann keinen Erstattungsanspruch gegen den Träger der Unfallversicherung, wenn die Behandlung wegen der Unfallfolgen notwendig ist.

 

Normenkette

RVO § 1504 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1963-04-30, § 182 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1974-08-07, § 194 Abs. 1 Fassung: 1974-08-07; RKG § 109 Abs. 1 Fassung: 1969-07-28

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 26. Februar 1976 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch für die Revisionsinstanz nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Klägerin von der Beklagten Ersatz der Reisekosten verlangen kann, die sie für ihren Versicherten Adolf K aufgewendet hat.

Der Hauer Adolf K der der knappschaftlichen Krankenversicherung angehört, erlitt am 13. September 1974 einen Arbeitsunfall, der zunächst stationäre und am 4. März, 3. April und 4. Juni 1975 ambulante ärztliche Behandlung in der Universitätsklinik H erforderlich machte. Den Weg von seiner Wohnung in M zur Universitätsklinik H mußte der Versicherte jeweils in einem Taxi zurücklegen. Die Klägerin, die die entstandenen Reisekosten von insgesamt 155,60 DM übernommen hat, verlangt von der Beklagten die Erstattung dieser Kosten.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit Urteil vom 26. Februar 1976 abgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, bei den von der Klägerin übernommenen Reisekosten handele es sich um Kosten der Krankenpflege, für die die Beklagte nach § 1504 Abs. 1 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht einzustehen habe. Für die Zeit bis zum 1. Oktober 1974 stehe außer Frage, daß die Reisekosten als Nebenleistung der ambulanten Behandlung zur Krankenpflege gehörten. Daran habe sich durch die Einführung des § 194 Abs. 1 RVO durch das Rehabilitationsangleichungsgesetz (RehaAnglG) vom 7. August 1974 (BGBl I, 1881) nichts geändert.

Die Klägerin hat dieses Urteil mit der - vom SG zugelassenen - Revision angefochten und eine schriftliche Zustimmungserklärung der Beklagten beigefügt. Sie ist der Ansicht, seit dem 1. Oktober 1974 gehörten die Reisekosten nicht zur Krankenpflege, sondern seien ein verselbständigte Leistung.

Der Anspruch des Versicherten auf Erstattung der Reisekosten durch den Träger der Krankenversicherung stütze sich nicht mehr auf § 182 Abs. 1 Nr. 1 RVO, sondern auf § 194 RVO. Wertlaut, Sinnzusammenhang, Zweck und Entstehungsgeschichte der §§ 1504, 182 und 194 RVO ließen einen entgegenstehenden Willen des Gesetzgebers nicht erkennen.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach den von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Gericht der ersten Instanz gestellten Schlußanträgen zu erkennen.

Der in der ersten Instanz gestellte Antrag der Klägerin lautet:

Die Beklagte zur Zahlung von 155,60 DM zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, das angefochtene Urteil sei im Ergebnis und in der Begründung richtig, so daß die Revision der Klägerin unbegründet sei.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Klägerin hat keinen Erfolg, denn das SG hat die Klage mit Recht abgewiesen. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung der für den Versicherten aufgewendeten Reisekosten.

Nach dem gemäß § 109 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) entsprechend anwendbaren § 1504 Abs. 1 RVO hat der Träger der Unfallversicherung dem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung die nach Ablauf des 18. Tages nach dem Arbeitsunfall entstehenden Kosten mit Ausnahme des Sterbegeldes zu erstatten. Von der Erstattung sind nach Satz 2 aaO außerdem die Kosten der Krankenpflege nach § 182 Abs. 1 Nr. 1 RVO ausgenommen. Entscheidend ist danach, ob die aus Anlaß der ambulanten Behandlung des Versicherten entstehenden Reisekosten zu den Kosten der Krankenpflege nach § 182 Abs. 1 Nr. 1 RVO gehören.

Der Begriff "Krankenpflege" ist in der RVO nicht definiert; wohl enthält § 182 Abs. 1 Nr. 1 RVO eine Aufzählung der wesentlichen zur Krankenpflege gehörenden Leistungen. Diese Aufzählung ist aber nicht abschließend, sondern nur beispielhaft, wie aus dem Wort "insbesondere" deutlich hervorgeht. Es können also auch andere als die in § 182 Abs. 1 Nr. 1 RVO ausdrücklich genannten Leistungen der Krankenpflege zugerechnet werden, wenn sie ihrer Art nach der Krankenpflege, d. h. der Erkennung, Behandlung oder Heilung einer Krankheit dienen (vgl. hierzu Bundestagsdrucksache 7/1237, Begründung zu § 21 Nr. 5 des Entwurfs eines RehaAnglG, S. 63).

Bis zum Inkrafttreten des jetzigen § 194 RVO am 1. Oktober 1974 sahen die §§ 182 ff RVO als Leistungen der Krankenhilfe die Beförderung eines Versicherten zum Arzt und zurück bzw. die Erstattung der dafür aufgewendeten Kosten nicht ausdrücklich vor. Gleichwohl gehörten auch sie als unselbständige Nebenleistungen zu der vom Träger der Krankenversicherung zu gewährenden Krankenhilfe, wenn ohne sie die Hauptleistungen der Krankenhilfe, insbesondere die ärztliche Behandlung nicht erbracht werden konnte (vgl. BSG in SozR Nr. 42 zu § 182 RVO mit weiteren Hinweisen sowie in SozR 2200 Nr. 8 zu § 182 und Nr. 2 zu § 184). Im vorliegenden Falle wären die Reisekosten als Nebenleistung der ambulanten ärztlichen Behandlung zuzurechnen gewesen, hätten also zur Krankenpflege im Sinne des § 182 Abs. 1 Nr. 1 RVO gehört. Daran hat sich - wie das SG und die Beklagte mit Recht annehmen - dadurch nichts geändert, daß § 194 Abs. 1 RVO seit dem 1. Oktober 1974 die Übernahme der Reisekosten durch den Träger der Krankenversicherung ausdrücklich regelt. Durch die Schaffung einer ausdrücklichen Rechtsgrundlage hat sich der Charakter der Leistung als unselbständiger Teil der Hauptleistung nicht verändert. Wenn die ambulante ärztliche Behandlung nicht ohne die notwendige Reise vom Wohnort zum Sitz des Arztes erbracht werden kann, so dient die Reise ebenso wie die Behandlung selbst der Behandlung einer Krankheit und gehört damit begrifflich zu den Leistungen der Krankenpflege. Die Aufwendung von Reisekosten und die ärztliche Behandlung sind so eng und untrennbar miteinander verbunden, daß die eine Leistung nicht ohne die andere möglich ist. Die streng akzessorische Nebenleistung muß daher das rechtliche Schicksal der Hauptleistung teilen. Der Gesetzgeber hat die Übernahme der Reisekosten im Zweiten Abschnitt des Zweiten Buches innerhalb des Kapitels II "Krankenhilfe" geregelt, die nach § 182 Abs. 1 RVO aus der Krankenpflege und dem Krankengeld besteht. Da die im Zusammenhang mit der ambulanten ärztlichen Behandlung entstandenen Reisekosten nicht zum Krankengeld gehören können, müssen sie notwendigerweise der Krankenpflege zugerechnet werden, die nach § 1504 Abs. 1 Satz 2 RVO nicht erstattungsfähig ist.

Es ist auch kein Anhaltspunkt dafür vorhanden, daß der Gesetzgeber durch die Neufassung des § 182 Abs. 1 Nr. 1 RVO einerseits und durch die Einfügung des § 194 RVO andererseits die Reisekosten dem Unfallversicherungsträger auferlegen wollte. Es mag zwar zutreffen, daß durch die Neufassung und Erweiterung des § 182 Abs. 1 Nr. 1 RVO bei unverändertem Wortlaut des § 1504 Abs. 1 RVO eine Neuverteilung der Lasten zu Ungunsten der Krankenversicherungsträger eingetreten ist, weil die von der Erstattungspflicht der Unfallversicherungsträger ausgenommenen Leistungen der Krankenpflege erweitert worden sind. Der Gesetzgeber hat aber in keiner Weise zu erkennen gegeben, daß er zum Ausgleich dafür die Krankenversicherungsträger dadurch entlasten wollte, daß er die Reisekosten in die Erstattungspflicht der Unfallversicherungsträger einbezog. Wenn der Gesetzgeber bei der Neufassung des § 182 Abs. 1 Nr. 1 RVO durch RehaAnglG die nunmehr in § 194 RVO geregelten Reisekosten nicht ausdrücklich als Leistungen der Krankenpflege erwähnte, so kann daraus nicht auf seinen Willen geschlossen werden, den Träger der Krankenversicherung insoweit auf Kosten des Trägers der Unfallversicherung zu entlasten. Abgesehen davon, daß die Aufzählung der zur Krankenpflege gehörenden Leistungen in § 182 Abs. 1 Nr. 1 RVO nur beispielhaft und der Ergänzung fähig ist, enthält sie auch nur die wesentlichen Hauptleistungen, zu denen die Reisekosten nicht gehören. Die Frage, ob das frühere ausgewogene Verhältnis der Lastenverteilung zwischen den Trägern der Unfallversicherung und den Trägern der Krankenversicherung durch die Neufassung des § 182 Abs. 1 Nr. 1 RVO gestört ist, wie die Beklagte meint, kann nicht dazu führen, solche Leistungen, die auch schon früher von der Erstattungspflicht der Unfallversicherungsträger ausgenommen waren, trotz ihrer Zugehörigkeit zur Krankenpflege dem Träger der Unfallversicherung aufzubürden.

Der Senat hat die danach unbegründete Revision der Klägerin zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

BSGE, 121

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