Entscheidungsstichwort (Thema)

Versorgungsanspruch wegen Impfschaden

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Qualifizierung von vorwegnehmenden Teilregelungen als Verwaltungsakten.

2. Zur Frage, ob die Anordnung der Schutzimpfung für Personen, die aus einem ausländischen Infektionsgebiet in das Bundesgebiet einreisen, zugleich als öffentliche Empfehlung einer Impfung iS des BSeuchG § 51 Abs 1 S 1 Nr 3 an diejenigen aufgefaßt werden kann, die sich in das Infektionsgebiet begeben wollen und zum Zwecke der Wiedereinreise in die Bundesrepublik Deutschland den Immunitätsnachweis benötigen würden.

 

Orientierungssatz

1. Der Versorgungsanspruch wegen Impfschaden nach BSeuchG § 51 Abs 1 S 1 Nr 4 setzt eine Impfung aufgrund einer deutschen Ausführungsverordnung zu den internationalen Gesundheitsvorschriften voraus; ein Impfschaden durch eine Impfung, die zwar nach den Internationalen Gesundheitsvorschriften für Personen auf internationalen Reisen verlangt werden kann, aber nicht nach dem deutschen Impfrecht vorgeschrieben ist, begründet mithin keinen Anspruch auf Entschädigung.

2. Eine von einer zuständigen Behörde öffentlich empfohlene Impfung iS des BSeuchG § 51 Abs 1 S 1 Nr 3 liegt nicht vor, wenn die Gesundheitsbehörde vor Reisen in ein Infektionsgebiet lediglich warnt.

3. Bei dem Bescheid, mit dem die Versorgungsverwaltung als durchführende Behörde iS des BSeuchG § 55 den Antrag einer Impfgeschädigten auf Anerkennung als Impfschadenberechtigte ablehnt, handelt es sich auch dann um einen Verwaltungsakt, wenn lediglich über den Anspruch dem Grunde nach und nicht zugleich - mangels gegenwärtiger gesundheitlicher oder wirtschaftlicher Folgen des Impfschadens - über Entschädigungsleistungen entscheiden wird.

 

Normenkette

SGG § 54 Fassung: 1953-09-03; BSeuchG § 51 Abs 1 S 1 Nr 3 Fassung: 1971-08-25, § 51 Abs 1 S 1 Nr 4, § 55

 

Tatbestand

Die Klägerin plante für die Zeit vom 24. Juni bis 15. Juli 1972 eine Urlaubsreise mit dem Auto nach Jugoslawien. Da, wie die Weltgesundheitsorganisation bestätigt hatte, in D. und O. zwischen P. und S., nahe der albanischen Grenze, Pockenfälle aufgetreten waren, unterzog sich die Klägerin am 16. Mai 1972 bei ihrem Hausarzt einer Pockenschutzimpfung. Sie war damals 55 Jahre alt. Am 23. Mai 1972 traten an ihrem Körper außerhalb der Impfstelle Pusteln und Bläschen auf. Deswegen wurde sie vom 21. Juni bis 2. Juli 1972 stationär behandelt. Danach waren die Krankheitszeichen weitgehend abgeheilt.

Das Bayerische Staatsministerium des Innern hatte zunächst ("Schnellbrief" vom 21. März 1972) für den Luftverkehr ausgesprochen, daß der Nachweis des Pockenschutzes zu verlangen sei (§ 5 der Verordnung - VO - vom 11. November 1971 zur Durchführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften - IGV - vom 25. Juli 1969 im Luftverkehr - BGBl 1971, I, 1809 -). Später (28. März 1972) hatte das  Ministerium die Schutzmaßnahmen nach Art 84 Abs 2 der IGV auf alle Personen erweitert, die sich innerhalb von 14 Tagen vor ihrer Ankunft an der Grenze in einem Pockeninfektionsgebiet in Jugoslawien aufgehalten hatten. Schließlich (5. April 1972) hatte das Ministerium von allen aus Jugoslawien Einreisenden bei ihrer Ankunft eine Pockenschutzimpfung verlangt. Am 9. Mai 1972 wurde Jugoslawien wieder als infektionsfrei erklärt.

Die Klägerin verlangte die Anerkennung ihrer Impfschädigung; Entschädigungsleistungen forderte sie jedoch fürs erste nicht. Die Versorgungsverwaltung lehnte den Antrag der Klägerin ab (Bescheid vom 8. Juni 1973; Widerspruchsbescheid vom 9. August 1973), weil zur Zeit der Impfung am 16. Mai 1972 für das Reisegebiet Jugoslawien weder die Notwendigkeit einer Impfung noch eine Anordnung dazu bestanden habe. Auch habe sich die Klägerin auf Anraten ziviler Personen und nach Presseveröffentlichungen zum Zwecke ihrer Ausreise impfen lassen. Sie habe sich über die Notwendigkeit einer solchen Maßnahme nicht bei der zuständigen Gesundheitsbehörde erkundigt; von dieser wäre sie anders informiert worden.

Auf die Klage hin hat das Sozialgericht (SG) festgestellt, daß die Klägerin am 16. Mai 1972 an einer aufgrund der VOen zur Ausführung der IGV durchgeführten Impfung zum Zwecke der Wiedereinreise in die Bundesrepublik Deutschland teilgenommen habe und daß daraus entstehende, nachgewiesene Spätfolgen nach dem Bundesseuchengesetz (BSeuchG) zu entschädigen seien (Urteil des SG Bayreuth vom 26. Juni 1974). Das Landessozialgericht (LSG) hat das erstinstanzliche Urteil abgeändert, die angefochtenen Bescheide aufgehoben und unter Abweisung der Klage im übrigen festgestellt, daß die Klägerin zum Personenkreis des § 51 Abs 1 Satz 1 Nr 4 BSeuchG gehöre (Urteil des Bayerischen LSG vom 16. September 1975). Das Berufungsgericht hat das Feststellungsbegehren der Klägerin für zulässig gehalten. Wegen der Gesundheitsstörungen, die unmittelbar nach der Impfung aufgetreten seien und mit dieser wahrscheinlich in einem ursächlichen Zusammenhang gestanden hätten, befürchte die Klägerin künftige Schäden. Aus diesem Sachverhalt ergäben sich Rechtsbeziehungen, die in der Zukunft zu Ansprüchen erwachsen könnten. Da der Beklagte die Voraussetzungen für einen Tatbestand des § 51 Abs 1 BSeuchG, insbesondere dessen Nr 4 leugne, seinen ablehnenden Verwaltungsakten aber eine Bindungswirkung beigemessen werden könnte, bestehe für die Klägerin ein schutzwürdiges Feststellungsinteresse. Allerdings sei das erstinstanzliche Gericht mit seinem Ausspruch zu weit gegangen. Denn, ob der Beklagte nach dem Bundesseuchengesetz entschädigungspflichtig sei, werde erst zu prüfen sein, wenn ein mit der in Rede stehenden Impfung ursächlicher Gesundheitsschaden einmal eingetreten sein sollte. Unabhängig davon seien jedoch die Erfordernisse des § 51 Abs 1 Satz 1 Nr 4 BSeuchG verwirklicht und zu bestätigen. Die oberste Landesbehörde habe die Pockenschutzimpfung für Personen, die aus Jugoslawien einreisten, angeordnet. Diese Anordnungen seien allgemein in der Presse, in Rundfunk und Fernsehen bekanntgegeben worden. Davon, daß die Anordnungen nur auf Reisende mit dem Schiff oder dem Flugzeug begrenzt gewesen seien, wie der Beklagte meine, könne keine Rede sein. Jedenfalls hätten die beiden letzten der drei Anordnungen eine solche Einschränkung überhaupt nicht erkennen lassen, und in der ersten Erklärung (Schnellbrief vom 21. März 1972) sei das einzuschlagende Verfahren dem des § 5 der VO vom 11. November 1971 lediglich angeglichen worden. Außerdem bezeichne § 51 Abs 1 Satz 1 Nr 4 BSeuchG nicht bestimmte Internationale Gesundheitsvorschriften, sondern beziehe sich ganz generell auf solche Regelungen. Darauf habe sich die Klägerin verlassen dürfen. Sie habe sich zwar vor ihrer Ausreise impfen lassen; dies habe aber für sie notgedrungen zugleich die Vorbereitung zur Wiedereinreise bedeutet. Unter diesen Umständen habe die Klägerin sich von dem Arzt ihres Vertrauens impfen lassen dürfen. Ihr könne nicht entgegengehalten werden, daß die Schutzmaßnahmen der Gesundheitsverwaltung zur Zeit ihrer Impfung bereits wieder aufgehoben gewesen seien. Denn die Mitteilung hierüber (Schnellbrief des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 9. Mai 1972) sei bei dem Staatlichen Gesundheitsamt am Wohnort der Klägerin erst am 17. Mai 1972, also am Tage nach der Impfung, eingegangen. Schließlich - so hat das Berufungsgericht ausgeführt - wäre das Klagebegehren auch aus § 51 Abs 1 Satz 1 Nr 3 BSeuchG gerechtfertigt, nämlich aus dem Gesichtspunkt, daß die Klägerin sich einer von der zuständigen obersten Landesbehörde öffentlich empfohlenen Schutzimpfung zur Verfügung gestellt habe.

Der Beklagte hat die - zugelassene - Revision eingelegt. Er beanstandet die unrichtige Anwendung der Vorschriften des § 51 Abs 1 Satz 1 Nrn 3 und 4 BSeuchG. Auf die Nr 4 der genannten Gesetzesbestimmung könne die Klageforderung nicht gestützt werden. Dort werde davon ausgegangen, daß die Impfung aufgrund einer VO zur Ausführung der IGV durchgeführt worden sei. Solche VOen seien am 11. November 1971 für den Luftverkehr und Schiffsverkehr ergangen (BGBl 1971 I, 1809 und 1811). Darauf habe der erste Schnellbrief des bayerischen Innenministeriums vom 21. März 1972 Bezug genommen; er habe die in Betracht kommenden Dienststellen davon informiert, daß jugoslawische Gebiete durch die Weltgesundheitsorganisation zu Infektionsgebieten erklärt worden seien und daß daher die für den Luftverkehr maßgebliche Vorschrift des § 5 der VO vom 11. November 1971 (BGBl I, 1809) anzuwenden sei. In diesem Hinweis auf die ohnehin und ohne weiteres anzuwendende Rechtsvorschrift habe sich die Information des Ministeriums erschöpft. Rechtsfolgen hätten sich von selbst aus der genannten Rechtsverordnung ergeben. Eine Anordnung oder Empfehlung, auf die sich die Klägerin stützen könnte, sei damit nicht ausgesprochen worden. Tatsächlich sei die Klägerin ja auch gar nicht in Anwendung der für den Luftverkehr maßgeblichen VO geimpft worden. - Auf ihren Fall träfen, wenn überhaupt, die Erklärungen in den Schnellbriefen vom 28. März und 5. April 1972 zu. Die dort getroffenen Maßnahmen seien unabhängig von dem Tatbestand einer internationalen Reise mit einem Luftfahrzeug oder einem Schiff gegeben worden. Diesen Schnellbriefen sei aber eine öffentliche Empfehlung nicht beigegeben worden. Eine solche Empfehlung bedeute, daß der einzelne in seinem Entschluß frei sei, ob er ihr folge oder nicht. Die Vorschriften, welche mit den erwähnten Schnellbriefen gegeben worden seien und die in Art 84 Abs 1 und 2 der IGV beschrieben würden, ließen dem einzelnen keine Entschließungsfreiheit. Vielmehr werde von den betroffenen Personen schlechthin der Nachweis der Immunität verlangt und ferner gefordert, daß, wenn dieser Nachweis nicht erbracht werden könne, die vorgesehenen Schutzmaßnahmen zu treffen seien. - Nach allem seien die Voraussetzungen des § 51 Abs 1 Satz 1 Nrn 3 und 4 BSeuchG nicht erfüllt. - Schließlich lasse das Berufungsgericht auch eine Stellungnahme zu dem Argument vermissen, daß die Klägerin ein Sonderopfer zugunsten der Allgemeinheit, nämlich der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland nicht erbracht habe. Sie habe sich vielmehr ausschließlich aus persönlichen Gründen vor ihrer Ausreise in den geplanten Urlaub durch ihren Hausarzt impfen lassen.

Der Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin ist in diesem Rechtszuge nicht vertreten.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten ist begründet.

Das Berufungsgericht hat die Klage als Kombination von Anfechtungsklage und Feststellungsklage behandelt. In der Tat muß es der Klägerin auch - und sogar primär - um die Beseitigung der von ihr angegriffenen Verwaltungsakte gehen (§ 54 Abs 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Denn der Bescheid, mit dem die Versorgungsverwaltung einen Versorgungsanspruch schlechthin und im besonderen den Antrag der Klägerin auf Anerkennung als Impfschadensberechtigte abgelehnt hat, ist ebenso wie der Widerspruchsbescheid ein Verwaltungsakt. Beide Bescheide erfüllen diesen Tatbestand nicht nur nach ihrem äußeren Erscheinungsbild und dem Willen der Behörde sowie deshalb, weil sie mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen worden sind. Vielmehr ist dieser Tatbestand deshalb gegeben, weil die Verwaltung mit den erwähnten Bescheiden auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts die Regelung eines Einzelfalls getroffen hat, die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist (zur Definition des Verwaltungsakts: BSG 17, 124, 126; ferner § 35 Satz 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes - VwVfG - vom 25. Mai 1976, BGBl I, 1253. Von dieser Definition ist auszugehen, weil das SGG den Inhalt des Begriffs Verwaltungsakt nicht selbst erläutert, sondern voraussetzt.). Die Regelung, die hier vorgenommen worden ist, betrifft allerdings lediglich die Vorabentscheidung über einen Teilkomplex, da es - jedenfalls zur Zeit - an gesundheitlichen oder wirtschaftlichen Folgen eines Impfschadens der Klägerin fehlt und schon deshalb der Anspruch auf Versorgung gemäß § 51 Abs 1 Satz 1 BSeuchG nicht voll verwirklicht ist und nicht abschließend beurteilt werden kann. Eine solche Regelung ist mangels ausdrücklicher gesetzlicher Hindernisse zulässig. Ob die Verwaltung allgemein zu solchen Teilentscheidungen verpflichtet wäre, braucht hier nicht entschieden zu werden (BSG 31, 226, 227ff; aber auch SozR Nr 53 zu § 55 SGG; zu letzterem krit: Söchting, Die Sozialversicherung 1973, 255). Die Verwaltungserklärungen stellen mehr als Meinungsäußerungen oder Auskünfte dar (hierzu: BSG 6, 175, 177; 14, 104, 106; 21, 52, 54f; 31, 226). Mit ihnen wird in bezug auf eine Verwaltungsrechtsbeziehung - ein Versorgungsrechtsverhältnis - das Ergebnis einer normativen Bewertung, nämlich die Unterordnung von Einzelfallgegebenheiten unter gesetzliche Merkmale festgelegt. Ferner dient die isolierte Beurteilung einzelner Anspruchserfordernisse dem Ziel, insoweit zwischen den Beteiligten endgültig und verbindlich zu sein. Von den Verwaltungserklärungen geht also eine unmittelbare Rechtswirkung aus (zur Qualifizierung von Teilregelungen als Verwaltungsakte: Zeidler, Gutachten, Deutscher Juristentag 1962, Band 1, 38; Brohm, Die Dogmatik des Verwaltungsrechts vor den Gegenwartsaufgaben der Verwaltung, Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 30 (1972), 245ff). - Wenn die Klägerin verhindern wollte, daß die erwähnten Bescheide unanfechtbar wurden, mußte sie die Anfechtungsklage erheben, und zwar unabhängig davon, ob die ebenfalls angestrengte Feststellungsklage zulässig ist, insbesondere ob hierfür das erforderliche Rechtsschutzinteresse besteht (Brohm aaO, 290).

In der Sache selbst sind die angefochtenen Bescheide rechtmäßig.

Die Impfung, durch welche die Klägerin ihrer Ansicht nach in der Zukunft einen Schaden erleiden könnte, wurde nicht, wie es § 51 Abs 1 Satz 1 Nr 4 BSeuchG voraussetzt, "aufgrund der Verordnungen zur Ausführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführt". Diese VOen sind am 11. November 1971 erlassen und im Bundesgesetzblatt, Teil I (1971) S 1809 und 1811 veröffentlicht worden. Auf sie bezieht sich die Nr 4 des § 51 Abs 1 Satz 1 BSeuchG. Daß an dieser Gesetzesstelle die erwähnten VOen nicht deutlich und direkt mit ihrem Datum aufgeführt sind, steht der Annahme einer Verweisung auf sie nicht entgegen. Die unbestimmte Fassung des Gesetzes wurde lediglich deshalb gewählt und für zweckmäßig gehalten, weil mit einer künftigen Änderung der Internationalen Gesundheitsvorschriften und der VOen dazu gerechnet wurde (Bundestagsdrucksache VI/2176 S 3). Die bezeichneten VOen regeln die Durchführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften im Luftverkehr sowie in Häfen und auf dem Nord-Ost-See-Kanal. Sie sind auf den Fall der Klägerin nicht anzuwenden, da diese - noch erst - mit dem Auto ins Ausland reisen wollte. Außerdem verlangen die angeführten VOen den Nachweis des Pockenschutzes und bestimmen diejenigen Vorkehrungen, die zu treffen sind, wenn der Impfnachweis oder der Nachweis der ausreichenden Immunität nicht erbracht werden kann (§ 5 bzw § 8 der VOen vom 11. November 1971). Davon, daß jemand sich - wie die Klägerin - aus freien Stücken vorsorglich impfen läßt, ist in den genannten VOen nicht die Rede.

Ebensowenig verwirklicht der zu beurteilende Sachverhalt die übrigen Kriterien für eine Versorgung wegen Impfschadens. Dafür, daß die Impfung der Klägerin gesetzlich vorgeschrieben oder aufgrund des Bundesseuchengesetzes angeordnet gewesen sei (§ 51 Abs 1 Satz 1 Nrn 1 und 2 BSeuchG), gibt der festgestellte Sachverhalt nichts her. Von einer vorgeschriebenen oder angeordneten Impfung kann nur die Rede sein, wenn der Betroffene einem hoheitlichen Zwang ausgesetzt war. Von der Klägerin war aber die Duldung eines solchen Eingriffs nicht gefordert.

Zu erörtern bleibt somit, ob die Klägerin, als sie sich der Impfung unterzog, einer öffentlichen Empfehlung der dafür zuständigen Behörde folgte (§ 51 Abs 1 Satz 1 Nr 3 BSeuchG). Eine solche öffentliche Empfehlung war, wie das LSG festgestellt hat, unmittelbar nicht ausgesprochen worden. Sie könnte sich nur mittelbar, gleichsam infolge einer Schlußfolgerung ("konkludent") aus den Anordnungen des Bayerischen Staatsministeriums des Innern über das Erfordernis des Pockenschutzes für solche Personen ergeben haben, die, aus Jugoslawien kommend, in das Bundesgebiet einreisen wollten. Dabei wäre wichtig, daß diese Anordnungen in der Presse, in Rundfunk und Fernsehen bekanntgegeben wurden. Die allgemein verbreitete Nachricht von den behördlichen Gesundheitsaktionen - so ließe sich erwägen - habe bei einem verantwortungsvoll handelnden Bürger den Eindruck hervorrufen können, es werde von den zuständigen staatlichen Stellen gewünscht, daß man sich zum Zwecke der Wiedereinreise in die Bundesrepublik Deutschland noch vor dem Besuch des Infektionsgebietes impfen lasse. Hieran ließe sich weiter die Überlegung knüpfen, daß derjenige, der dem Behördenhinweis auf eine Impfnotwendigkeit freiwillig nachgebe, im Schadensfalle auch Versorgung erhalte, und zwar auch dann, wenn die Impfung nicht bloß mit Rücksicht auf das Gemeinwohl, sondern auch in Wahrnehmung persönlicher Belange des Geschädigten vorgenommen werde; denn ein freiwilliges Tun schließe nicht aus, daß zugleich eine gesetzliche Pflicht erfüllt werde (BGHZ 25, 238, 242).

In diesem Zusammenhang stellt sich zunächst die Frage, ob die Verlautbarung räumlich und zeitlich begrenzter Anordnungen, mit denen das Einschleppen der Pockenkrankheit in das Bundesgebiet bekämpft wird, auch die öffentliche Impfempfehlung darstellen kann. Es sollte wohl selbstverständlich sein, daß in der Abwehrreaktion der Gesundheitsverwaltung das Anraten einer Impfung nicht unbesehen, nicht ungeachtet der jeweiligen Gesamtumstände sowie ohne Rücksicht auf die Erprobtheit und den Gefährlichkeitsgrad des Impfstoffs erblickt werden kann. Indessen wäre auch dann das Wort "Empfehlung" nicht, wie üblich, bloß gleichbedeutend mit Aufforderung, Befürwortung, Zuspruch zu interpretieren, sondern - weit weniger eindringlich - einfach als Mitteilung, Hinweis auf eine Möglichkeit ohne Anraten zu verstehen (vgl BGHZ 24, 45, 46). Ob damit nicht der Rahmen des gesetzlichen Tatbestandes gesprengt würde, braucht hier nicht endgültig beantwortet zu werden. Selbst wenn man das Vorgehen der Gesundheitsbehörden zur Abschirmung des Bundesgebietes gegen das Eindringen der Krankheit von außen mit Überlegungen der oben geschilderten Art in Verbindung zu bringen hätte, wäre der Fall der Klägerin dem so verstandenen § 51 Abs 1 Satz 1 Nr 3 BSeuchG nicht zu subsumieren.

Es kann nicht unbeachtet bleiben, daß die Klägerin ihren Urlaub auf der Insel R. verbringen wollte und beabsichtigte, von dort aus mit dem Auto in das Landesinnere Jugoslawiens, vielleicht auch in den zum Infektionsgebiet erklärten Teil zu fahren. Für die Klägerin bestand kein dringlicher Beweggrund, die Region, in der die Pocken aufgetreten waren, zu besuchen. Sie hätte deshalb ihr Reisevorhaben leicht ändern oder aufgeben können. Dazu war sie durch die Meldungen über die Erkrankungen in Südjugoslawien und die Maßregeln der Gesundheitsverwaltung für den Fall der Einreise in das Bundesgebiet von dorther veranlaßt. Den Anordnungen der Verwaltungsbehörden war zumindest auch die Warnung vor der Reise in das Seuchengebiet zu entnehmen. Es durfte erwartet werden, daß sich niemand dorthin ohne triftigen Grund begeben werde. Ein triftiger Grund ist nicht schon dann anzunehmen, wenn jemand lediglich von einer geplanten Ferienreise und Vergnügungsreise in ein Infektionsgebiet Abstand nimmt. Die Warnung vor einer solchen Reise steht der Annahme entgegen, die Impfung, zu der sich die Klägerin gleichwohl entschloß, sei "empfohlen" gewesen.

Diesem Gesichtspunkt steht der Grundsatz der Freizügigkeit nicht entgegen, weil dieser nur für das Bundesgebiet garantiert ist (Art 11 Abs 1 des Grundgesetzes - GG -). Der hier vertretenen Auffassung kann ferner nicht mit dem Einwand begegnet werden, die Verfassung gewähre jedem das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit (Art 2 Abs 1 GG), und dazu gehöre auch die Ausreisefreiheit (so OLG München NJW 1970, 1236, 1237; aber auch - einschränkend: Merten, Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, JuS 1976, 345, 349). Mit der Warnung vor Seuchengefahr und Ansteckungsgefahr erfüllt der Staat lediglich seine fürsorgerische Aufgabe im Dienste des Lebens, der Gesundheit und der körperlichen Unversehrtheit seiner Bürger. In einer solchen Warnung kann keine Grundrechtsverletzung liegen. Als gemeinschaftsgebundener Bürger muß jedermann staatliche Maßnahmen hinnehmen, die im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgebots vorgenommen werden (vgl Leibholz/Rinck, GG, 5. Aufl Rdnr 3 zu Art 2). Darunter fällt auch die Mahnung, sich von einem Territorium fernzuhalten, von dem gesundheitliche Gefahren für den einzelnen und die deutsche Bevölkerung ausgehen. Wenn die Klägerin dennoch an ihrem Vorhaben der Urlaubsreise mit dem ins Auge gefaßten Ziel festhielt und sich impfen ließ, um ihre Absicht verwirklichen zu können, brachte sie sich selbst in die Sonderlage, welche eine Pockenimpfung mit dem Risiko der körperlichen Schädigung darstellt. Ihr war aber nicht im Interesse der Allgemeinheit das Opfer eines Impfschadens abverlangt, sondern lediglich das Unterlassen der Reise zur vorgesehenen Zeit in das Infektionsgebiet nahegelegt worden. Ein solcher Sachverhalt wird von den §§ 51ff BSeuchG, die auf dem Gedanken des allgemeinen Aufopferungsanspruchs (§ 75 Einl Pr ALR) beruhen, nicht erfaßt (vgl BGHZ 17, 172, 174; 37, 44, 48). Nach dem Grundgedanken des allgemeinen Aufopferungsanspruchs ist nur derjenige zu entschädigen, der genötigt wird, dem Wohle des Gemeinwesens ein Sonderopfer zu bringen. Davon bleibt aber der Fall unberührt, daß sich jemand durch sein eigenes Verhalten einen Nachteil zufügt. Diese dem Gesetz zugrunde liegende Vorstellung ist in § 51 Abs 2 BSeuchG selbst deutlich zum Ausdruck gekommen. Nach dieser Gesetzesbestimmung erhält Versorgung, wer als Deutscher außerhalb des Bundesgebiets einen Schaden durch eine Impfung erleidet, zu der er aufgrund des Impfgesetzes vom 8. April 1874 bei einem Aufenthalt im Bundesgebiet verpflichtet gewesen wäre. Die Rechtswohltat des Gesetzes ist beschränkt auf Impfungen, die jemand im Interesse der Allgemeinheit auf sich genommen hat. Dagegen sind von der Regelung Impfungen ausgeschlossen, die zum eigenen Schutze des Betroffenen oder im Interesse eines Arbeitgebers oder Dienstherrn vorgenommen wurden, der seinen Arbeitnehmer oder Bediensteten ins Ausland entsandte.

Der Anspruch der Klägerin kann schließlich auch nicht mit dem Argument gerechtfertigt werden, daß bei Einreisenden, die infolge von angeordneten Schutzimpfungen geschädigt wurden, anders als hier nicht gefragt wird, aus welchem Grunde sie die Reise in das Infektionsgebiet unternahmen. Dieser Fall ist dem gegenwärtig beurteilten nicht gleich zu erachten. Während es hier darum geht, ob und in welchem Sinne eine Impfempfehlung ausgesprochen worden sei, handelt es sich dort um den unmittelbaren behördlichen Eingriff und seine Folgen.

Nach dem Vorhergesagten erweisen sich die angefochtenen Verwaltungsakte als richtig. Die Anfechtungsklage ist infolgedessen nach Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile abzuweisen.

Ob die von der Klägerin ebenfalls beantragte Feststellung überhaupt neben der Anfechtungsklage begehrt werden könnte (vgl dazu § 43 Abs 2 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -), kann auf sich beruhen. Jedenfalls ist eine den Verwaltungsakten entgegengesetzte und mit der Feststellungsklage angestrebte Entscheidung ausgeschlossen, weil die ausgesprochene Rechtsfolge zwischen den Beteiligten Bestand hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1647829

BSGE, 178

NJW 1977, 77

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