Entscheidungsstichwort (Thema)

Von französischer Behörde geforderte Pockenschutzimpfung

 

Leitsatz (amtlich)

Versorgung wegen eines Impfschadens nach BSeuchG § 51 Abs 1 S 1 Nr 4 und S 2 kann nur beanspruchen, wer aufgrund einer in der Bundesrepublik Deutschland erlassenen Verordnung zur Ausführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) oder aufgrund einer zwischenstaatlichen Vereinbarung IGV Art 104 Abs 1) geimpft worden ist.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine französische Impfvorschrift, mag sie auch zur Ausführung in Internationalen Gesundheitsvorschriften ergangen sein, kann ohne zwischenstaatliche Vereinbarung eine deutsche Ausführungsverordnung iS des BSeuchG § 51 Abs 1 S 1 Nr 4 nicht ersetzen.

2. Wie der erkennende Senat im Urteil vom 1976-05-18 9/10 RVi 4/74 = SozR 3850 § 51 Nr 1 entschieden hat, sollen die Übergangsvorschriften des 2. ÄndG BSeuchenG Art 2, ungeachtet des nicht erschöpfenden Wortlauts, grundsätzlich alle vor dem Inkrafttreten entstandenen Impfschadensfälle erfassen.

3. Der Versorgungsanspruch wegen Impfschaden nach BSeuchG § 51 Abs 1 S 1 Nr 4 setzt eine Impfung aufgrund einer deutschen Ausführungsverordnung zu den Internationalen Gesundheitsvorschriften voraus: ein Impfschaden durch eine Impfung, die zwar nach den Internationalen Gesundheitsvorschriften für Personen auf internationalen Reisen verlangt werden kann, aber nicht nach dem deutschen Impfrecht vorgeschrieben ist, begründet mithin keinen Anspruch auf Entschädigung.

 

Normenkette

BSeuchG § 51 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Fassung: 1971-08-25, S. 2 Fassung: 1971-08-25; BSeuchGÄndG 2 Art. 2; IntGesVsHfDV Art. 104 Abs. 1

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 29. Oktober 1974 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger reiste 1970 auf einem französischen Schiff von M zu den Kanarischen Inseln und zurück; das Schiff lief auch nordafrikanische Häfen an. Auf Verlangen einer französischen Behörde ließ sich der Kläger am 29. Oktober 1970 von einem Amtsarzt im Staatlichen Gesundheitsamt B gegen Pocken impfen, weil die letzte Impfung Jahrzehnte zurücklag. Der Kläger mußte sich für die Einreise nach Frankreich impfen lassen. Außerdem war, wie er angab, die Impfung wegen seiner Tätigkeit im öffentlichen Gesundheitsdienst erforderlich.

Im Juli 1972 beantragte er Versorgung wegen bald nach der Impfung aufgetretener Lähmungen der rechten Gliedmaßen, die er auf die Impfung zurückführt. Antrag und Widerspruch blieben ohne Erfolg (Bescheide vom 9. Mai 1973 und 18. September 1973). Das Sozialgericht (SG) wies die Klage ab (Urteil vom 6. März 1974). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 29. Oktober 1974 Nach § 51 Abs. 1 Bundesseuchengesetz (BSeuchG) in der am 1. September 1971 in Kraft getretenen Fassung des 2. Änderungsgesetzes (ÄndG), die auf diesen damals noch nicht entschiedenen Fall anzuwenden sei, bestehe kein Entschädigungsanspruch des Klägers. Denn die von einer französischen Behörde geforderte Impfung sei weder gesetzlich vorgeschrieben noch auf Grund des BSeuchG angeordnet noch von einer zuständigen Behörde öffentlich empfohlen worden; sie sei auch nicht auf Grund der beiden deutschen Verordnungen vom 11. November 1971 zur Ausführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) oder zum Zwecke der Wiedereinreise in das Bundesgebiet vorgenommen worden. Die IGV, denen die Bundesrepublik zugestimmt habe, bildeten nicht für sich die Anspruchsvoraussetzung. Die zu ihrer Ausführung erlassenen Rechtsverordnungen beträfen aber den Fall des Klägers nicht; denn er sei nicht, wovon die genannten Verordnungen ausgingen, mit einem Flugzeug gereist, noch habe er ein Schiff benutzt, das einen deutschen Hafen angelaufen oder den Nord-Ostsee-Kanal passiert habe.

Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Er rügt eine unrichtige Anwendung der §§ 51 ff BSeuchG. Die vom LSG vertretene Auffassung über die Auslegung des § 51 Abs. 1 BSeuchG werde dem Sinn der Vorschrift und dem Willen des Gesetzgebers nicht gerecht. Der Beitritt der Bunderepublik zu den IGV solle auf internationaler Ebene die Allgemeinheit schützen. Wenn auf Grund von Maßnahmen, die diesem Schutz dienten, von einem einzelnen Bürger ein besonderes Opfer verlangt werde, müsse er nach den §§ 51 ff BSeuchG entschädigt werden. Der Gesetzgeber habe den Schutz nicht auf Impfungen beschränken wollen, die auf Grund deutscher Verordnungen zur Ausführung der IGV vorgenommen würden. Die Anordnung brauche nur überhaupt aus den IGV abgeleitet zu sein; es sei unerheblich, welcher Staat, der gemeinsam mit den anderen Beitrittsländern durch einander ergänzende Ausführungsverordnungen Vorsorge gegen Pockenerkrankungen treffe, die Impfung angeordnet und dadurch auch zum Schutz anderer Staatsgebiete beigetragen habe. Der Kläger sei auch zum Zweck der Wiedereinreise in das Bundesgebiet geimpft worden. Für den Schutz der Allgemeinheit genüge, daß der Pockenschutz noch bei der Wiedereinreise aus pockenverdächtigen Gebieten bestehe und damit eine erneute Impfung unmittelbar vor dem Betreten des Bundesgebietes überflüssig gemacht habe.

Er beantragt,

das Urteil des SG und das Urteil des LSG sowie die Bescheide des Beklagten aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger wegen der Folgen der Pockenschutzimpfung vom 29. Oktober 1970 Versorgung zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Er nimmt auf sein bisheriges Vorbringen Bezug.

Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit als Vertreter der zum Verfahren beigeladenen Bundesrepublik Deutschland vertritt die Auffassung, der Entschädigungsanspruch setze eine Impfung voraus, die zumindest auch nach deutschen Vorschriften für die Einreise in das Bundesgebiet erforderlich oder empfohlen worden sei, was hier nicht zutreffe. Eine Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über einen internationalen Impfschutz gemäß Artikel 104 IGV sei nicht getroffen worden.

Die Französische Botschaft in Bonn hat über die französischen Impfvorschriften für internationale Reisen berichtet, die 1970 galten. Der Text ist beigezogen worden. Das Bundesgesundheitsamt hat mitgeteilt, es könne keine öffentlichen Impfempfehlungen aussprechen. Es hat ein Merkblatt über Pockenschutzimpfungen im internationalen Reiseverkehr - Ausgabe 1965 - übersandt.

Das Land Rheinland-Pfalz hat nach einer Auskunft des Ministers für Soziales, Gesundheit und Sport bis Oktober 1970 keine öffentliche Empfehlung zur Impfung gegen Pocken ausgesprochen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist nicht begründet.

Das SG und das LSG haben mit Recht die Klage abgewiesen.

Das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung und der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nach § 51 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind für den Anspruch, den der Kläger ausschließlich nach dem BSeuchG geltend macht, vorgeschrieben (§ 55 Abs. 2, § 61 Abs. 2 BSeuchG i. d. F. des 2. ÄndG v. 25. August 1971 - BGBl I 1401 -). Zutreffend hat das LSG den Fall des Klägers, der infolge einer 1970 vorgenommenen Impfung gesundheitlich geschädigt worden sein kann, nach § 51 Abs. 1 BSeuchG in der am 1. September 1971 in Kraft getretenen Fassung des 2. ÄndG vom 25. August 1971 beurteilt. Diese Vorschrift regelt zum erstenmal gesetzlich die Ansprüche wegen Schäden, die durch Impfungen auf Grund von Ausführungsverordnungen zu den IGV entstanden sind. Wie der erkennende Senat in dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 18. Mai 1976 - 9/10 RVi 4/74 - (SozR 3850 § 51 Nr. 1) entschieden hat, sollen die Übergangsvorschriften des Art. 2 des 2. ÄndG, ungeachtet des nicht erschöpfenden Wortlauts, grundsätzlich alle vor dem Inkrafttreten entstandenen Impfschadensfälle erfassen. Der Fall des Klägers ist gemäß Art. 2 Abs. 4 Satz 1, 2. Alternative nach dem neuen Gesetz zu beurteilen, weil ein Antrag auf Entschädigung vor dem 1. September 1971 noch nicht gestellt war. Das gilt auch für Impffälle, die nach früherem Recht keinen Versorgungsanspruch begründeten. Allerdings können Leistungen frühestens vom Antragsmonat an gewährt werden (Art. 2 Abs. 4 Satz 2). Es mag davon ausgegangen werden, daß das BSeuchG in der ersten Fassung vom 18. Juli 1961 (BGBl I 1012) nicht auf die vor seinem Inkrafttreten (1. Januar 1962 - § 85) eingetretenen Impfschäden anzuwenden war; dies nicht allein wegen des Wortlautes "Wer ... erleidet" (§ 51 Abs. 1), sondern auch wegen des Fehlens einer entsprechenden Übergangsvorschrift im 10. Abschnitt (BGH, NJW 1965, 347; BGHZ 45, 290, 291). Nachdem aber die Übergangsvorschriften, die auch die Altfälle erfassen, ins 2. ÄndG aufgenommen worden sind, steht der in der Zeitform unveränderte Wortlaut, der den Regelfall betrifft, nicht mehr der Geltung für Ausnahmefälle aus der Vergangenheit entgegen.

Der Kläger hat gleichwohl keinen Versorgungsanspruch gegen den Beklagten nach § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 i. V. m. § 59 Abs. 2 Nr. 1 BSeuchG. Ein Anspruch gemäß der erstgenannten Vorschrift setzt eine Impfung auf Grund einer Verordnung zur Ausführung der IGV vom 25. Mai 1951 (BGBl 1955 II 1061) - mit Änderungen bis zum 23. Mai 1963 (BGBl 1965 II 1415) und 12. Mai 1965 (BGBl 1966 II 803) - voraus. Auf eine solche Pockenschutzimpfung kann der 1970 beim Kläger eingetretene Körperschaden nicht ursächlich zurückzuführen sein. Einer derartigen Impfung im Sinne des BSeuchG hätte sich der Kläger auf Grund einer deutschen Ausführungsverordnung zu den IGV, denen die Bundesrepublik beigetreten ist (Gesetz vom 21. Dezember 1955 - BGBl II 1060 -, Gesetz vom 29. September 1965 - BGBl II 1413 -, Verordnung der Bundesregierung vom 12. September 1966 - BGBl II 802 -), unterzogen haben müssen. Dies ist noch später darzulegen. Eine Rechtsverordnung, die den Fall des Klägers erfaßte, gab und gibt es aber nicht.

In den Beitrittsgesetzen wurde jeweils der zuständige Bundesminister ermächtigt, die bestehenden einschlägigen Verordnungen den IGV anzupassen. Die bis Herbst 1970 erlassenen Verordnungen, und zwar die Verordnung zur Ausführung der IGV vom 25. Mai 1951 im Luftverkehr vom 26. Juli 1960 (BGBl I 594) und die Verordnung zur Ausführung der IGV vom 25. Mai 1951 in Häfen und auf dem Nord-Ostsee-Kanal vom 28. April 1961 (BGBl I 502), waren auf die Fahrt des Klägers ins Bundesgebiet auf dem Landweg nicht anzuwenden; sie betrafen ausschließlich Impfungen bei Einreisenden, die mit dem Schiff oder Flugzeug in das Bundesgebiet kamen. Die ähnlichen Ausführungsverordnungen vom 11. November 1971 (BGBl I 1809 und 1811) auf Grund der IGV vom 25. Juli 1969 (BGBl 1971 II 868; Zustimmungsgesetz vom 1. Juli 1971 - BGBl II 865 -) waren hier noch nicht maßgebend; sie sind erst am 1. Januar 1971 für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten (Bekanntmachung vom 22. Oktober 1971 - BGBl II 1258 -).

Der Kläger kann auch keinen Versorgungsanspruch darauf stützen, daß er sich nach den IGV hätte impfen lassen müssen. Die IGV sind zwar mit Gesetzeskraft für die Bundesrepublik Deutschland veröffentlicht worden (Artikel 2 Abs. 1 des Beitrittsgesetzes vom 21. Dezember 1955, § 1 der Verordnung vom 12. September 1966) und gelten daher wie deutsches Recht im Bundesgebiet. Sie schreiben aber für sich allein keine Impfungen vor. Ihr Inhalt ist insoweit ergänzungsbedürftig. Artikel 83 ermächtigt bloß die Gesundheitsverwaltung, von Personen auf internationalen Reisen (Artikel 1) den Nachweis einer ausreichend immunisierenden Pockenschutzimpfung zu verlangen und sie zu impfen, falls sie keinen erforderlichen Impfschein vorlegen, oder sie im Falle der Weigerung zu isolieren. Damit sind keine Einzelheiten über die Impfpflicht für bestimmte Arten von Einreisen in ein Staatsgebiet festgelegt. Sie müssen erst in nationalen Ausführungsverordnungen vorgeschrieben werden, und zwar für Ansprüche nach dem BSeuchG in einer in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Verordnung.

Der Kläger unterzog sich 1970 einer Impfung durch einen (deutschen) Arzt im Bundesgebiet. Das wird einerseits für einen Entschädigungsanspruch nach dem BSeuchG vorausgesetzt; denn nach § 59 Abs. 2 Nr. 1 hat bei Schadensfällen im Sinne des § 51 Abs. 1 das Bundesland, in dem der Schaden verursacht wurde, Versorgung zu gewähren. Andererseits genügt diese örtliche Bindung an die Bundesrepublik Deutschland nicht für einen Entschädigungsanspruch. Das Verursacherprinzip, das in den genannten Vorschriften zum Ausdruck kommt, muß in einem zusätzlichen Tatbestand, der die Rechtsgrundlage der Impfung bildete, verwirklicht worden sein, Das war hier nicht der Fall. Ein in Deutschland praktizierender Arzt konnte auch auf Bitten des Geimpften tätig werden, ohne daß dieser nach deutschem Impfrecht gehalten gewesen wäre, sich impfen zu lassen. Dann ist ein Versorgungsanspruch nach dem BSeuchG nicht gegeben. Der Kläger wurde nach der Feststellung des LSG, die verbindlich ist (§ 163 SGG), auf Verlangen einer französischen Behörde geimpft. Er mußte sich nach französischem Recht deshalb der Impfung unterziehen, weil er vor der Einreise nach Frankreich afrikanisches Land berührt hatte und nicht ausschließlich auf den Kanarischen Inseln gewesen war. Dieser mittelbare Impfzwang folgt aus den Artikeln 1 und 2 der französischen Reglementation vom 4. August 1969, über die das LSG nichts Genaues aufgeklärt hat und deren Inhalt deshalb der Senat im Zusammenhang mit der revisionsgerichtlichen Kontrolle der Anwendung deutschen Rechts (§ 162 SGG i. d. F. des Änderungsgesetzes vom 30. Juli 1974 - BGBl I 1625 -, § 162 Abs. 2 SGG in der vorher geltenden Fassung, § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BSeuchG) ermittelt hat (BSG 7, 122, 125; 13, 206, 212 = SozR Nr. 2 zu § 615 RVO a. F.; BSG, Breithaupt 1973, 682, 683 f; BGHZ 40, 197, 200; BVerwG, Zeitschrift für Lastenausgleich 1975, 35, 37). Diese französische Vorschrift mag nach ihrer Einleitungsformel und nach ihrem Inhalt als solche zur Ausführung der IGV ergangen sein. Sie kann aber keine deutsche Ausführungsverordnung mit Wirkung für das BSeuchG ersetzen.

Eine Entschädigung wegen einer Impfung ist auf Kosten der deutschen Rechtsgemeinschaft, insbesondere eines Bundeslandes (§ 59 BSeuchG), nur dann gerechtfertigt, wenn die Impfung nach dem in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Recht oder wenigstens nach irgendeiner zum Schutz der Bevölkerung des Bundesgebietes erlassenen Rechtsnorm vorgenommen wurde. Das ergibt sich aus dem gemeindeutschen Rechtsgedanken der Aufopferung für das Wohl der Allgemeinheit, für die ein Sonderopfer verlangt worden ist (BGHZ 9, 83, 86, 87, 88, 91); dieser Aufopferungsanspruch ist in den §§ 51 ff BSeuchG ausgestaltet worden (Begründung zum Entwurf eines BSeuchG - BT-Drucks. III/1888, zu §§ 50 - 59, S. 29; Begründung zum Entwurf eins 3. ÄndG zum BSeuchG, BT-Drucks. VI/1568, S. 6; Bericht des Bundestagsausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit, BT-Drucks. VI/2176 -, in der 129. BT-Sitzung vom 18. Juni 1971 - Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 6. Wahlperiode, Stenographische Berichte, Bd. 76, S. 7460 B, 7461 B; Traenckner, in: Das deutsche Bundesrecht, Erläuterung zum BSeuchG, I K 60, S. 31; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, I Allgemeiner Teil, 10. Aufl. 1973, S. 354 f; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl. 1974, S. 527, 530, 534 f, 537 ff). Bestätigt wird das durch die Gleichstellung mit den anderen Tatbeständen, die in § 51 BSeuchG geregelt sind. Dem widerspricht die Begründung für Versorgungsansprüche gem. § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BSeuchG in der Fassung des 2. ÄndG nicht. Ansprüche nach dieser Vorschrift sind zwar deshalb auf Schäden durch Impfungen auf Grund von Ausführungsvorschriften zu den IGV ausgedehnt worden, weil solche Maßnahmen dem Schutz der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland zugute kommen (BT-Drucks. VI/1568, Begründung zu dem Entwurf des Gesetzes, III. Besonderer Teil, zu Art. 1 Nr. 1, § 51, S. 7 f). Auch in solchen Fällen wird aber das Sonderopfer dem einzelnen Bürger durch deutsches Recht abverlangt. Jedoch kann allein das in dieser Regelung zum Ausdruck kommende Nutznießerprinzip, das in anderen Fällen dem Versorgungsanspruch auch zugrunde liegt (§ 51 Abs. 2 und 3, § 59 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 BSeuchG; Urteil vom 18. Mai 1976), keinen Entschädigungsanspruch begründen. Konsequenterweise müßte sich sonst ein solcher gegen das Bundesland richten, in dem der Geschädigte jetzt seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat. Dem steht aber gerade die ausdrückliche Zuordnungsregelung des § 59 Abs. 2 Nr. 1 BSeuchG, die sich auf § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 bezieht, entgegen. Keineswegs genügt tatbestandlich eine Impfung im Interesse der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland bei der "Wiedereinreise" in den Geltungsbereich des BSeuchG in Verbindung mit dem anschließenden Aufenthalt in diesem Gebiet (Bundesgebiet und West-Berlin). Die Impfung "Zum Zwecke" einer solchen "Wiedereinreise", also nicht bloß zu irgendeinem Nutzen der deutschen Bevölkerung, und die Aufenthaltsbestimmung sind in § 51 Abs. 1 Satz 2 BSeuchG als zusätzliche Anspruchsvoraussetzungen neben dem besonderen Grundtatbestand des Satzes 1 Nr. 4, der hier nicht vorliegt, vorgeschrieben und ergänzen damit nur die grundlegende Voraussetzung, daß die Impfung durch eine deutsche Ausführungsverordnung zu den IGV gefordert war. Eine anspruchsbegründende Verbindung zwischen diesem weiteren Erfordernis und der Leistungspflicht des Bundeslandes, in dem der Schaden verursacht wurde, nach § 59 Abs. 2 Nr. 1 fehlt in Fällen wie dem des Klägers.

Der Kläger kann auch nicht etwa deshalb Versorgung nach § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BSeuchG beanspruchen, weil die französische Impfvorschrift, abgesehen von ihrer Geltung für Frankreich, außerdem an die Stelle einer deutschen Ausführungsverordnung zu den IGV getreten wäre und dadurch den zwingenden erforderlichen Sachzusammenhang zu den übrigen Anspruchsvoraussetzungen hergestellt hätte. Eine solche Funktion zum Schutz der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland hätte die französische Impfbestimmung und die auf ihr beruhende Impfung des Klägers kraft zwischenstaatlicher Vereinbarung erlangen können. Denn nach Artikel 104 Abs. 1 IGV können Staaten, die infolge ihrer gesundheitlichen, geographischen, sozialen oder wirtschaftlichen Bedingungen gewisse gemeinsame Interessen haben, besondere Vereinbarungen treffen, um die Anwendung der IGV zu erleichtern, insbesondere im Hinblick auf die an ihrer gemeinsamen Grenze anzuwendenden Gesundheitsmaßnahmen, wenn ihre Hoheitsgebiete aneinandergrenzen (c), oder zur Zusammenfassung von zwei Hoheitsgebieten zu einem einzigen zwecks gesundheitlicher Maßnahmen gemäß diesen Vorschriften (d). Eine besondere Vereinbarung dieser Art über den Pockenschutz haben aber die Bundesrepublik Deutschland und die Französische Republik nicht getroffen, wie die Auskunft des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit ergibt. Wohl bestand ein Teilabkommen im Rahmen des Europarates zur Gesundheitskontrolle des See-, Luft- und Landverkehrs, an dem jedoch die Bundesrepublik seit November 1969 nicht mehr als Vertragspartner beteiligt ist. Nach Ansicht des Ministers erübrigten sich deutsche Bestimmungen für den Landverkehr nicht etwa deshalb, weil für Frankreich ausreichende Impfbestimmungen bestanden; vielmehr wurde in der Bundesrepublik Deutschland ein solcher Schutz für Einreisen auf dem Landweg - außer bei solchen aus örtlichen Infektionsgebieten (Artikel 1 IGV) - nicht für erforderlich gehalten.

Ohne eine zwischenstaatliche Vereinbarung der bezeichneten Art kann den französischen Impfvorschriften keine stellvertretende Funktion als Ersatz für eine deutsche Ausführungsverordnung im Sinn des § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BSeuchG zuerkannt werden. Für eine solche Ersatzfunktion genügt nicht allein die Tatsache, daß der Reisende, der von Afrika auf dem Schiffsweg in Frankreich eintrifft und dafür geimpft sein muß, bei der zeitlich sogleich anschließenden Weiterreise ins Bundesgebiet auf dem Landweg zugleich einen Impfschutz für die Bevölkerung Deutschlands bietet. Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BSeuchG wird der Staat nur dann zum Ersatz verpflichtet, wenn er selbst durch eigenes Recht bestimmt hat, daß der Impfschutz für die Wiedereinreise in die Bundesrepublik notwendig ist. Ohne eine solche unmittelbare oder mittelbare Anordnung der Impfung nach eigenem Recht verpflichtet sich naturgemäß der Staat nicht zum Ausgleich von Impfschäden.

Eine Lücke im Gesetz, d. h. eine planwidrige Unvollständigkeit, die zugunsten des Klägers vom Richter durch eine entsprechende Anwendung der genannten Vorschriften des BSeuchG ausgefüllt werden dürfte und müßte, besteht nicht. Der Gesetzgeber hat den Verantwortungsbereich der Bundesländer klar abgegrenzt. Er ist bewußt von den 1971 geltenden deutschen Ausführungsverordnungen zu den IGV ausgegangen. Im Entwurf des 3. (später 2.) Gesetzes zur Änderung des BSeuchG (BT-Drucksache VI/1568), der nur in geringfügig veränderter Form Gesetz geworden ist, waren die beiden eingangs zitierten deutschen Ausführungsverordnungen, die den Fall des Klägers nicht betreffen, in vollem Wortlaut ihrer Bezeichnung und mit Daten unter § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 aufgeführt. Die endgültige Formulierung, in der die Ausführungsverordnungen nicht mehr im einzelnen genau genannt werden, geht auf einen Vorschlag des BT-Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit zurück; dieser hielt die neue, unbestimmte Fassung u. a. deshalb für zweckmäßig, weil "auch künftig mit Änderungen dieser Verordnungen zu rechnen" sei (Bericht vom 25. März 1971 - BT-Drucksache VI/2176, II. zu Art. 1, S. 3). Die neue Regelung in § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 wurde aber für notwendig gehalten, weil Impfungen auf internationalen Reisen weder wie in Fällen der Nr. 1 gesetzlich vorgeschrieben noch in den Fällen der Nr. 2 auf Grund des BSeuchG angeordnet sind (BT-Drucksache VI/1568, Begründung III, zu Art. 1 Nr. 1, zu § 51, S. 7). Diese Beschränkung verstößt auch nicht willkürlich gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Grundgesetz. Die Bundesrepublik ist durch den Beitritt zu den IGV nicht zwangsläufig zum Ausgleich von Schäden verpflichtet worden, die durch jegliche Impfungen auf internationalen Reisen entstehen. So wie es in ihr gesetzgeberisches Ermessen gestellt ist, die Entschädigung zu regeln, kann sie nach sachlich vertretbaren Gesichtspunkten, wie dies hier geschehen ist, festlegen, welche Vorschriften zu der ausgleichspflichtigen Impfung geführt haben müssen. Wenn ein Impfzwang für Fälle wie den des Klägers nicht nach deutschem Bundes- oder Landesrecht besteht, ist ein Bundesland auch nicht zwangsläufig zum Ausgleich der Impfschäden verpflichtet.

Eine Impfung auf Grund einer öffentlichen Empfehlung durch eine deutsche Behörde kommt nicht in Betracht, wie die eingeholten Auskünfte ergeben haben.

Die Tätigkeit des Klägers im öffentlichen Gesundheitsdienst ersetzt keine tatbestandsmäßige Impfverpflichtung im Sinn des § 51 BSeuchG.

Nach alledem muß die Revision des Klägers als unbegründet zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 172

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