Leitsatz (amtlich)

Nimmt der Versicherte auf betriebliche Anordnung eine andere Tätigkeit auf, so löst er sich von der bisherigen Tätigkeit jedenfalls dann nicht, wenn er sich damit nicht abfindet und solange der Arbeitgeber ihm die Rückkehr zur früheren Tätigkeit in Aussicht stellt (Anschluß an und Fortführung von BSG 1961-11-09 5 RKn 23/59 = BSGE 15, 212, BSG 1973-06-27 5 RKn 28/71, BSG 1976-07-21 5 RKn 19/75, BSG 1976-09-29 5 RKn 5/76).

 

Normenkette

RKG § 45 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1972-10-16, Abs. 2 Fassung: 1957-05-21

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 10.03.1977; Aktenzeichen L 2 Kn 67/76)

SG Duisburg (Entscheidung vom 17.03.1976; Aktenzeichen S 4 Kn 112/73)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 10. März 1977 aufgehoben; der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger die Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit nach § 45 Abs 1 Nr 1 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) zusteht.

Der am 19. November 1931 geborene Kläger ist seit 1952 im bundesdeutschen Bergbau tätig und war seit dem 1. Dezember 1955 Hauer. Er wurde seit dem 1. September 1967 aus betrieblichen Gründen auf Anordnung der Betriebsleitung als Grubenlokomotivführer eingesetzt. In der Zeit vom 11. Februar 1971 bis zum 7. April 1975 war er Anschläger an Hauptförderschächten, Anschläger 2, Förderaufseher 1 und erneut Anschläger 2. Seit dem 7. Februar 1975 ist er Lampenstubenarbeiter.

Die Beklagte lehnte den am 14. September 1972 gestellten Rentenantrag mit Bescheid vom 7. März 1973 ab. Der Widerspruch hatte keinen Erfolg.

Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 17. März 1976 die Bescheide der Beklagten aufgehoben und die Beklagte verurteilt, bei dem Kläger ab September 1972 den Zustand der verminderten bergmännischen Berufsfähigkeit anzuerkennen und dem Kläger entsprechende gesetzliche Leistungen zu erbringen. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 10. März 1977 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei vermindert bergmännisch berufsfähig. Auszugehen sei von der Tätigkeit eines Hauers, von der der Kläger sich nicht gelöst habe. Er habe diese Tätigkeit gegen seinen Willen auf Anordnung der Betriebsleitung aufgeben müssen, weil ein Mangel an Grubenlokomotivführern bestanden habe. Er habe sich mit diesem Berufswechsel nie abgefunden, sondern immer wieder über seine Vorgesetzten und den Betriebsrat versucht, eine Rückverlegung zu der früheren Tätigkeit als Hauer zu erreichen. Er habe auch davon ausgehen dürfen, daß es sich um eine vorläufige Maßnahme gehandelt habe, denn man habe ihm versichert, er werde erneut als Hauer beschäftigt werden, sobald ein Ersatzmann für die Tätigkeit als Grubenlokomotivführer zur Verfügung stehe. Dem Kläger habe daher auch eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses und die Aufnahme einer Hauertätigkeit auf einer anderen Schachtanlage nicht zugemutet werden können. Es komme hinzu, daß sein Gesundheitszustand beeinträchtigt gewesen sei. Seit 1967 sei er in die Staubbelastungsstufe B 2 eingestuft worden, so daß er nicht mehr an allen Betriebspunkten unter Tage hätte eingesetzt werden können. Außerdem hätten Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule bestanden. Die Einstellungschancen bei einer anderen Schachtanlage als Hauer seien daher gering gewesen. Außerdem habe er bei einer anderen Schachtanlage mit einer geringeren Rücksichtnahme auf seine geminderte Leistungsfähigkeit bei späterem Fortschreiten der Krankheitserscheinungen rechnen müssen als bei seiner bisherigen Arbeitgeberin, bei der er bereits lange Jahre beschäftigt gewesen sei. Der Kläger habe sich mit der Aufgabe der Hauertätigkeit erst abgefunden, als ihm die Rückkehr zu dieser Tätigkeit gesundheitlich nicht mehr möglich gewesen sei. Unter Tage könne er nicht mehr arbeiten. Über Tage fänden sich für einen Hauer, der keine zusätzlichen Berufskenntnisse habe, keine Arbeitsplätze, die zum Ausschluß verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit führen könnten. Die im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertigen Tätigkeiten von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten könne der Kläger entweder aus gesundheitlichen Gründen oder aber wegen der fehlenden Kenntnisse und Fähigkeiten nicht verrichten. Soweit es sich um Aufstiegsstellen handele, komme eine Verweisung ebenfalls nicht in Betracht. Die Grubenuntauglichkeit des Klägers bedeute daher gleichzeitig, daß er vermindert bergmännisch berufsfähig sei.

Die Beklagte hat dieses Urteil mit der - vom LSG zugelassenen - Revision angefochten. Sie ist der Ansicht, von der Hauertätigkeit könne nicht ausgegangen werden, weil der Kläger sich von ihr gelöst habe. Der Kläger hätte nach den erfolglos gebliebenen Bemühungen im Beschäftigungsbetrieb versuchen müssen, auf anderen Schachtanlagen als Hauer eingestellt zu werden. Ein solcher Versuch sei bei seinem damaligen Alter von 35 Jahren nicht von vornherein aussichtslos gewesen. Auszugehen sei daher von der Tätigkeit eines Anschlägers 2. Der Kläger könne auf die Tätigkeiten eines Maschinenwärters oder Lampenwärters, die er noch ausüben könne, verwiesen werden.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil sowie das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen;

hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für richtig und ist der Ansicht, die Revision der Beklagten sei unbegründet.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Beklagten hat insofern Erfolg, als das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen wird. Die festgestellten Tatsachen reichen zur abschließenden Entscheidung nicht aus.

Nach § 45 Abs 1 Nr 1 RKG erhält Bergmannsrente auf Antrag der Versicherte, der vermindert bergmännisch berufsfähig ist und die Wartezeit nach § 49 Abs 1 RKG erfüllt hat. Nach § 45 Abs 2 RKG ist vermindert bergmännisch berufsfähig ein Versicherter, der infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte weder imstande ist, die von ihm bisher verrichtete knappschaftliche Arbeit auszuüben, noch imstande ist, andere im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertige Arbeiten von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in knappschaftlich versicherten Betrieben auszuüben. Ausgangspunkt für die Prüfung der verminderten bergmännischen Berufsfähigkeit ist daher die "bisher verrichtete knappschaftliche Arbeit". Das LSG ist dabei zutreffend von der Tätigkeit eines Hauers ausgegangen.

Der Kläger hat diese Tätigkeit nach üblicher Berufsentwicklung längere Zeit ausgeübt. Sie war jedenfalls bis 1967 die eigentliche Berufstätigkeit des Klägers, die Gegenstand des Versicherungsschutzes war. Zwar verliert ein Versicherter den Versicherungsschutz für eine früher ausgeübte Tätigkeit, wenn er sich von ihr gelöst hat. Eine Lösung in rechtserheblichem Sinne läge dann vor, "wenn der Kläger erkennbar seine frühere Tätigkeit nicht wieder aufnehmen wollte, etwa weil er sich endgültig einer anderen Berufstätigkeit zugewandt hätte. Würde dagegen anzunehmen sein, daß er seine frühere Berufstätigkeit bei sich bietender Gelegenheit wieder hätte ausüben wollen, würde man diese weiterhin als seine eigentliche Berufstätigkeit anerkennen müssen." (Vgl BSGE 2, 182, 186). "Jede Aufgabe einer Tätigkeit mit dem Willen, die alte Tätigkeit nicht mehr auszuüben, bedeutet grundsätzlich eine Lösung von der alten Tätigkeit. Hierbei kommt es nicht allein auf den Willen des Versicherten im Zeitpunkt des Arbeitsplatzwechsels, sondern auch auf seinen späteren Willen an. Selbst wenn der Arbeitsplatzwechsel ausschließlich betrieblich bedingt ist, ist doch dann eine Lösung in diesem Sinne anzunehmen, wenn sich der Versicherte später mit dem neuen Arbeitsplatz abgefunden hat, da dann zumindest in diesem späteren Zeitpunkt eine Lösung von der ursprünglichen Tätigkeit eingetreten ist." (Vgl BSGE 15, 212, 214). Schon in dieser letzteren Entscheidung klingt deutlich an, daß der aus betrieblichen Gründen erzwungene Arbeitsplatzwechsel dann nicht zu einer relevanten Lösung von der bisherigen Berufstätigkeit führt, wenn der Versicherte sich damit nicht abfindet und versucht, zur früheren Tätigkeit zurückzukehren. Auch in seiner späteren Rechtsprechung hat der erkennende Senat immer wieder an dem Grundsatz festgehalten, daß eine Lösung von der bisherigen Berufstätigkeit im Falle des betrieblich bedingten unfreiwilligen Arbeitsplatzwechsels nur dann vorliegt, wenn der Versicherte sich später mit seinem neuen Arbeitsplatz abgefunden hat (vgl Urteil vom 27. Juni 1973 - 5 RKn 28/71 -; Urteil vom 21. Juli 1976 - 5 RKn 19/75 -; Urteil vom 29. September 1976 - 5 RKn 5/76 -). Das muß jedenfalls dann gelten, wenn der Versicherte - wie im vorliegenden Fall - bis zum Eintritt der gesundheitlichen Unfähigkeit davon ausging und ausgehen durfte, daß es sich um eine vorübergehende Maßnahme handelt, so daß die Rückkehr zur früheren Tätigkeit möglich und wahrscheinlich war. Danach wird die Frage, ob sich ein Versicherter mit einem zunächst unfreiwilligen Berufswechsel abgefunden hat, in der Regel zu bejahen sein, wenn der Versicherte die neue Tätigkeit längere Zeit ausgeübt hat, ohne versucht zu haben, zur früheren Arbeit zurückzukehren, obwohl ein solcher Versuch nicht als von vornherein erfolglos hätte angesehen werden müssen (vgl Urteil vom 29. September 1976 - 5 RKn 5/76 -). So liegt der vorliegende Fall jedoch nicht. Nach den von der Beklagten nicht angegriffenen und daher für den Senat gemäß § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bindenden Tatsachenfeststellungen des LSG hat der Kläger - solange er gesundheitlich zur Verrichtung der Hauertätigkeit in der Lage war - immer wieder durch Vorsprachen bei seinen Vorgesetzten und dem Betriebsrat versucht, zur Hauertätigkeit zurückzukehren. Er hat sich also keineswegs mit dem Berufswechsel abgefunden, sondern deutlich seinen ernsthaften Willen bekundet, zur Hauertätigkeit zurückzukehren. Aus dem Umstand, daß der Kläger sich nicht bemüht hat, bei einer anderen Schachtanlage eine Tätigkeit als Hauer zu finden, kann jedenfalls im vorliegenden Fall nicht geschlossen werden, er habe sich mit der Tätigkeit eines Grubenlokomotivführers abgefunden. Zwar mag von einem Versicherten unter Umständen erwartet werden können, daß er den Arbeitgeber wechselt, um seinen früheren Beruf weiter verrichten zu können. In solchen Fällen wird man ein Abfinden mit dem Berufswechsel und damit eine Lösung vom bisherigen Beruf annehmen können, wenn der Versicherte den aussichtsreichen Versuch unterläßt, durch Wechsel des Arbeitgebers in seinem Beruf zu bleiben. Im vorliegenden Fall jedoch ist der unterlassene Versuch, auf einer anderen Schachtanlage als Hauer angelegt zu werden, unbeachtlich, weil dem Kläger ein Wechsel des Arbeitgebers aus verschiedenen Gründen nicht zugemutet werden konnte. Das LSG hat festgestellt, daß der Kläger wegen der Einstufung in die Staubbelastungsstufe B 2 nicht mehr an allen Betriebspunkten unter Tage eingesetzt werden konnte. Die Einstellungschancen bei einer anderen Schachtanlage seien daher trotz seines Alters beschränkt gewesen. Hinzu kommt, daß der Kläger seine Beschäftigung als Grubenlokomotivführer als vorübergehend ansehen durfte, weil ihm versichert worden war, er werde erneut als Hauer beschäftigt werden, sobald ein Ersatzmann für die Arbeit als Grubenlokomotivführer zur Verfügung stehe.

Obwohl danach die Hauertätigkeit als "bisher verrichtete knappschaftliche Arbeit" des Klägers anzusehen ist, kann das Urteil des LSG nicht aufrechterhalten bleiben. Die Feststellung des LSG, über Tage fänden sich für einen Hauer, der keine zusätzliche Berufskenntnisse habe, keine Arbeitsplätze, die zum Ausschluß verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit führen würden, ist zu pauschal und läßt eine abschließende Entscheidung nicht zu. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ist bei einem Hauer, der diese Tätigkeit vor dem 1. Juni 1971 aufgegeben hat, von der Lohngruppe 10 auszugehen (vgl Sozialrecht 2600 Nr 4 zu § 45). Im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig sind alle Tätigkeiten mit einer Lohndifferenz bis zu 12,5 vH (vgl Sozialrecht 2600 Nr 16 zu § 45), also alle Tätigkeiten bis abwärts zur Lohngruppe 07. Es steht nicht fest, welche der in diesen Lohngruppen enthaltenen Tätigkeiten der Kläger aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr verrichten kann. Ebensowenig steht fest, für welche Tätigkeiten ihm die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten fehlen. Da der Kläger längere Zeit als Anschläger 2 unter Tage gearbeitet hat, liegt es insbesondere nahe zu prüfen, ob er noch in der Lage ist, die Tätigkeit eines Anschlägers 2 über Tage zu verrichten. Das angefochtene Urteil enthält dazu keinerlei Feststellungen. Aber auch hinsichtlich der übrigen Tätigkeiten genügt die von dem LSG getroffene pauschale Feststellung nicht, um die Verweisung darauf auszuschließen.

Der Senat hat auf die danach begründete Revision der Beklagten das angefochtene Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit zur Nachholung der erforderlichen Tatsachenfeststellungen an das LSG zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1652361

BSGE, 121

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