Beteiligte

Kläger und Revisionsbeklagter

Beklagte und Revisionsklägerin

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger die Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit als Gesamtleistung nach § 46 Abs. 2 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG), § 1246 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zu gewähren ist.

Der Kläger, der außerhalb des Bergbaus als gelernter Schuhmacher gearbeitet hatte, war seit 1951 im Bergbau und zuletzt mehrere Jahre als Betriebsstudienhauer tätig. Er bezieht seit dem 7. April 1976 die Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 RKG. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 15. November 1976 den am 8. April 1976 gestellten Antrag auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit oder Berufsunfähigkeit ab. Der Widerspruch des Klägers hatte keinen Erfolg.

Während des erstinstanzlichen Verfahrens hat der Kläger seinen Antrag auf die Gewährung der Rente wegen Berufsunfähigkeit beschränkt. Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 18. Januar 1978 die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide verurteilt, dem Kläger ab Antragstellung (8. April 1976) die Gesamtleistung wegen Berufsunfähigkeit aus der knappschaftlichen Rentenversicherung und der Rentenversicherung der Arbeiter nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 5. Mai 1981 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei berufsunfähig. Bisheriger Beruf i.S. des § 46 Abs. 2 RKG, § 1246 Abs. 2 RVO sei die Tätigkeit eines Betriebsstudienhauers, die im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Gruppe der Arbeiter mit dem Leitberuf des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion gehöre. Der Betriebsstudienhauer habe zwar keine Aufsichts- oder Weisungsbefugnisse; seine Tätigkeit überrage aber wegen ihrer besonderen fachlichen, geistigen und persönlichen Anforderungen die Berufstätigkeit sonstiger Facharbeiter in ihrer Qualität deutlich. Als Betriebsstudienhauer kämen nur Hauer mit langjähriger Berufserfahrung und umfangreichen bergmännischen Fachkenntnissen in Betracht; sie müßten eine mehrgliedrige Refa-Ausbildung von 11 Wochen mit Zwischenprüfungen durchlaufen. Seine Entlohnung liege auch in der Spitzengruppe der Lohnskala. Bis zum Inkrafttreten der Lohnordnung vom 1. Mai 1980 habe er der höchsten Lohngruppe der Arbeiterberufe angehört; seitdem gehöre er zur zweithöchsten Lohngruppe. Höher eingestuft sei jetzt lediglich der Strebmeister. Zumutbar seien dem Kläger daher nur noch Tätigkeiten mit dem Leitberuf des Facharbeiters. Solche Tätigkeiten könne er aber nicht mehr verrichten, so daß er berufsunfähig sei.

Die Beklagte hat dieses Urteil mit der - vom LSG zugelassenen - Revision angefochten. Sie ist der Ansicht, der Kläger sei nicht berufsunfähig. Die Tätigkeit des Betriebsstudienhauers gehöre nicht zur Gruppe mit dem Leitberuf des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion. Die Tätigkeit eines Betriebsstudienhauers könne in ihrer Qualität nicht mit der Tätigkeit eines Meisters in Industrie und Handwerk verglichen werden. Das gehe schon daraus hervor, daß die zusätzliche über die Facharbeitertätigkeit hinausgehende Ausbildung wesentlich geringer sei als bei einem Meister. Der Betriebsstudienhauer befinde sich auch nicht in der Spitzengruppe der Lohnskala. Der Betriebsstudienhauer habe zwar nach der früheren Lohnordnung zum Lohn der Lohngruppe 11 einen Zuschlag von 15% erhalten. Damit sei aber nicht der besonderen Qualität dieser Tätigkeit Rechnung getragen worden, sondern dem Umstand, daß der Betriebsstudienhauer wegen der Art seiner Tätigkeiten nicht den Gedingelohn erhalten konnte. Gehe man aber davon aus, daß der Betriebsstudienhauer zur Gruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters gehöre, so seien ihm auch Tätigkeiten unterhalb des Niveaus des Facharbeiters zumutbar.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 5. Mai 1981 sowie das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 18. Januar 1978 aufzuheben und die Klage abzuweisen; hilfsweise, das Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben und den Rechtsstreit, zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil im Ergebnis und in der Begründung für richtig und ist der Ansicht, die Revision der Beklagten sei unbegründet.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

II

Die zulässige Revision der Beklagten hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat mit Recht durch die Zurückweisung der Berufung der Beklagten, das der Klage stattgebende Urteil des SG bestätigt. Der Kläger hat nach § 46 RKG, § 1246 RVO und § 101 Abs. 2 RKG einen Anspruch auf die Knappschaftsrente wegen Berufungsunfähigkeit als Gesamtleistung aus der knappschaftlichen Rentenversicherung und der Rentenversicherung der Arbeiter.

Nach den von der Beklagten nicht angegriffenen und damit für den Senat bindenden Tatsachenfeststellungen des LSG ist der Kläger aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage, seinen bisherigen Beruf zu verrichten oder mit einer zumutbaren Berufstätigkeit die Hälfte dessen zu erwerben, was körperlich und geistig gesunde Versicherte mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten zu verdienen pflegen. Bisher verrichteter Beruf des Klägers i.S. des § 46 Abs. 2 Satz 2 RKG, § 1246 Abs. 2 Satz 2 RVO ist die vom Kläger zuletzt ausgeübte und qualitativ hochwertigste Tätigkeit eines Betriebsstudienhauers. Diese Tätigkeit, die die normalen Facharbeitertätigkeiten qualitativ weit überragt, ist im Sinne des von der Rechtsprechung entwickelten Mehrstufenschemas der höchsten Gruppe der Arbeiterberufe zuzuordnen. Zu dieser Gruppe gehört nicht nur der Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion, sondern auch der besonders hoch qualifizierte Facharbeiter (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 79 m.w.N. und für den knappschaftlichen Bereich BSG SozR 2600 § 46 Nr. 5). Nach den Feststellungen des LSG genügen für die Tätigkeit des Betriebsstudienhauers nicht allein die Kenntnisse und Fertigkeiten, die für die bergmännischen Facharbeitertätigkeiten insbesondere des Hauers erforderlich sind. Der Betriebsstudienhauer braucht vielmehr eine langjährige Berufserfahrung als Hauer und umfangreiche bergmännische Fachkenntnisse, über die nicht jeder Hauer verfügt. Darüber hinaus ist eine mehrgliedrige Refa-Ausbildung von insgesamt 11 Wochen Dauer mit Zwischenprüfungen erforderlich. Diese über die Kenntnisse und Fertigkeiten eines normalen Hauers weit hinausreichenden Anforderungen finden auch in der Tätigkeitsbeschreibung des LSG ihren Niederschlag. Danach hat der Betriebsstudienhauer betriebliche Zeit- und Ablaufstudien aller Art mit genauer Erfassung des zeitlichen Ablaufs von Betriebs- und Arbeitsvorgängen und rechnerischen und zeichnerischen Zusammenfassungen in einem Protokoll nebst Hinweisen auf Mängel der Schwachstellen zu fertigen. Er schafft damit die Grundlage für die vom Betriebsstudieningenieur - einem Diplomingenieur oder graduiertem Ingenieur - aufzustellende technische und/oder organisatorische Analyse von Betriebsvorgängen oder -abläufen und insbesondere auch für die Verbesserung und Optimierung der betrieblichen Arbeit. Darüber hinaus haben Betriebsstudienhauer auch den Wirkungsfaktor - den geschätzten Effekt mit dem ein Bergmann, bezogen auf die Normalleistung, seine Arbeit verrichtet - bei für ein Gedinge vorgesehene Arbeiten selbständig zu beurteilen und müssen zur Abschätzung, Erfassung und Beurteilung sowohl von Teil- und Einzel- als auch Gesamtabläufen betrieblicher Art in der Lage sein. Zutreffend hat das LSG darin Arbeitsmerkmale gesehen, die die eines normalen Hauers durch ihre besonderen Anforderungen an zusätzliche, spezielle Fachkenntnisse deutlich überragen.

Dagegen spricht nicht die tarifliche Einstufung des Betriebsstudienhauers. Zwar ist von der Rechtsprechung des BSG immer wieder betont worden, daß für die Zuordnung zur höchsten Gruppe der Arbeiterberufe im Sinne des Mehrstufenschemas erforderlich ist, daß der Versicherte sich in der Spitzengruppe der Lohnskala befand (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 79 m.w.N.). Abgesehen davon, daß der Kläger während der Ausübung seiner Tätigkeit als Betriebsstudienhauer mit dem Aufsichts- und dem Sicherheitshauer (vgl. BSG SozR 2600 § 46 Nrn. 4, 5) stets der damals höchsten Lohngruppe der Arbeiter im rheinisch-westfälischen Steinkohlebergbau angehörte und außerdem noch einen tariflichen Zuschlag von 15 v.H. erhielt, genügt es, daß sich der Versicherte in der Spitzengruppe der Lohnskala befand, die nicht unbedingt allein auf die oberste Lohnstufe beschränkt ist (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 79 m.w.N.). Im übrigen kommt es für die Zuordnung einer Berufstätigkeit zu einer bestimmten Gruppe des Mehrstufenschemas wesentlich auf die Qualitätsmerkmale dieser Tätigkeit an (vgl. BSG Urteil vom 8. September 1982 - 5b RJ 36/82 -). Die tarifliche Einstufung ist dafür lediglich ein Indiz, nicht aber Wesensmerkmal. Hat z.B. ein Versicherter, der die übliche Ausbildung nicht durchlaufen hat, eine Facharbeitertätigkeit vollwertig verrichtet, so kommt es nicht darauf an, ob er auch entsprechend entlohnt worden ist. Eine ungelernte Tätigkeit hat nicht schon allein wegen der entsprechenden tariflichen Einstufung die Qualität einer Anlerntätigkeit. Aus der tariflichen Einstufung kann allerdings u.U. auf die vollwertige Verrichtung und die Qualität der Tätigkeit geschlossen werden. Auch bei der "Sondergruppe" der Arbeiterberufe kommt es allein auf die Qualität der Tätigkeit, d.h. darauf an, ob sie qualitativ die normalen Facharbeitertätigkeiten erheblich überragt. Das wird im allgemeinen nur bei solchen Tätigkeiten der Fall sein, die an der Spitze der Tarifordnung für Arbeiter stehen. Das bedeutet aber nicht, daß sie neben dem qualitativen Überragen auch der höchsten Stufe des Tarifs angehören müssen. Insbesondere wenn sie - wie im vorliegenden Fall - jahrelang der höchsten Lohngruppe angehört haben und danach nur für eine einzelne Tätigkeit - den Strebmeister - eine höhere Tarifstufe geschaffen wurde, hat sich dadurch nichts an dem qualitativen Überragen der normalen Facharbeitertätigkeiten geändert.

Gehört der Betriebsstudienhauer aber im Sinne des Mehrstufenschemas in die höchste Gruppe der Arbeiterberufe, so sind ihm außer den Tätigkeiten dieser Berufsgruppe nur solche Tätigkeiten qualitativ zumutbar, die zur Gruppe der Tätigkeiten mit dem Leitberuf des Facharbeiters gehören. Solche Tätigkeiten kann der Kläger aber nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht mehr verrichten, so daß er berufsunfähig ist.

Der Senat hat die danach unbegründete Revision der Beklagten zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.5a RKn 16/81

Bundessozialgericht

 

Fundstellen

BSGE, 181

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