Entscheidungsstichwort (Thema)

Maschinenhauer. Spitzengruppe der Lohnskala. Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion. besonders hoch qualifizierter Facharbeiter. Anlernberuf. Magazinarbeiter

 

Orientierungssatz

Zur Frage, ob ein als Schlosser und Maschinenhauer im Rheinisch-Westfälischen Steinkohlenbergbau (Lohngruppe 11 - Maschinenhauer 3) innerhalb des von der Rechtsprechung des BSG entwickelten Vierstufenschemas in die oberste Gruppe mit den Leitberufen eines besonders qualifizierten Facharbeiters und des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion oder in die obere Gruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters einzugruppieren ist und auf eine Anlerntätigkeit, regelmäßig eine echte betriebliche Ausbildung von weniger als zwei Jahren und mehr als eine bloße Einweisung und Einarbeitung voraussetzt, verwiesen werden kann.

 

Normenkette

RKG § 46 Abs 2 Fassung: 1957-05-21; RVO § 1246 Abs 2 Fassung: 1957-02-23

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 04.06.1985; Aktenzeichen L 15 Kn 110/83)

SG Dortmund (Entscheidung vom 22.07.1983; Aktenzeichen S 23 Kn 338/82)

 

Tatbestand

Der 1934 geborene Kläger, ein gelernter Kraftfahrzeugschlosser, arbeitete von 1955 bis 1957 im Rheinisch-Westfälischen Steinkohlebergbau über Tage und sodann als Schlosser und Maschinenhauer (Lohngruppe 11 - Maschinenhauer 3) unter Tage. Wegen Schwerhörigkeit wurde er ab Juni 1982 als Platzarbeiter im Maschinenbetrieb über Tage eingesetzt und nach Lohngruppe 6 (Magazin- und Schrottplatzarbeiter) entlohnt. Die Beklagte gewährte ihm Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit, lehnte aber die Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit ab, weil dem Kläger die von ihm ausgeübte Tätigkeit eines Magazinarbeiters noch gesundheitlich möglich und sozial zumutbar sei (Bescheid vom 2. August 1982). Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 25. Oktober 1982).

Die Klage hat das Sozialgericht (SG) Dortmund mit Urteil vom 22. Juli 1983 abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 4. Juni 1985 zurückgewiesen. Es hat den Kläger entgegen seiner Auffassung nicht zur Gruppe der Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion gerechnet, weil er nicht nach der Spitzengruppe der Lohnskala der Arbeiter im Bergbau unter Tage entlohnt worden sei. Als Facharbeiter müsse er sich aber auf die angelernte Tätigkeit eines Magazinarbeiters der Lohngruppe 6 über Tage verweisen lassen.

Mit der zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 46 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG). Als sogenannter Drittelführer müsse er auch bei einer Einstufung in die Lohngruppe 12 zur Spitzengruppe der Lohnskala gerechnet werden, zumal er eine Kolonne von durchschnittlich zwischen fünf und acht Mann geführt habe, zu der regelmäßig noch Auszubildende gekommen seien, so daß er durchschnittlich mit 10 bis 15 Personen eigenverantwortlich zu arbeiten gehabt habe.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide und der Urteile der Vorinstanzen zu verurteilen, ihm ab Antragstellung die Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz begründet. Die Feststellungen des LSG lassen eine abschießende Entscheidung durch den Senat nicht zu.

Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß sich die Zumutbarkeit von Tätigkeiten außerhalb des bisherigen Hauptberufs nach dem von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) entwickelten Vierstufen-Schema richtet, das von der unteren Gruppe der ungelernten Arbeiter eine mittlere Gruppe mit dem Leitberuf des angelernten Arbeiters, eine obere Gruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters und schließlich eine oberste Gruppe mit den Leitberufen eines besonders qualifizierten Facharbeiters und des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion unterscheidet. Dabei kann jeweils nur auf die nächst niedrigere Gruppe sozial zumutbar verwiesen werden. Für die sich daraus hier ergebende Frage, ob der Kläger der Facharbeitergruppe zuzuordnen ist, wie das LSG angenommen hat, oder aber zur Gruppe mit dem Leitberuf eines besonders qualifizierten Facharbeiters oder des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion gehört, wie der Kläger meint, reichen die Feststellungen des LSG jedoch nicht aus.

Das LSG hat ausgeführt, der obersten Gruppe der Arbeiterberufe könne der Kläger schon deshalb nicht zugeordnet werden, weil er nicht nach der Spitzengruppe der Lohnskala der Arbeiter im Bergbau unter Tage entlohnt worden sei. Hierzu hat sich das LSG auf das Urteil des erkennenden Senats vom 24. November 1982 - 5a RKn 16/81 - (SozR 2200 § 1246 Nr 103) bezogen. Der dort entschiedene Fall betraf einen Betriebsstudienhauer und dessen Einordnung in die höchste Gruppe der Arbeiterberufe unter den Leitberuf des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters. In dieser Entscheidung hat der Senat ausgeführt, es genüge, daß sich der Versicherte in der Spitzengruppe der Lohnskala befunden habe, die nicht unbedingt allein auf die oberste Lohnstufe beschränkt sei. Im übrigen komme es für die Zuordnung einer Berufstätigkeit zu einer bestimmten Gruppe des Mehrstufenschemas wesentlich auf die Qualitätsmerkmale dieser Tätigkeit an. Die tarifliche Einstufung sei dafür lediglich ein Indiz, nicht aber Wesensmerkmal. Habe zB ein Versicherter, der die übliche Ausbildung nicht durchlaufen habe, eine Facharbeitertätigkeit vollwertig verrichtet, so komme es nicht darauf an, ob er auch entsprechend entlohnt worden sei. Auch bei der Sondergruppe der Arbeiterberufe komme es allein auf die Qualität der Tätigkeit, dh darauf an, ob sie qualitativ die normalen Facharbeitertätigkeiten erheblich überrage. Wenn das im allgemeinen auch nur bei solchen Tätigkeiten der Fall sein werde, die an der Spitze der Tarifordnung für Arbeiter stehen, bedeute das aber nicht, daß sie neben dem qualitativen Überragen auch der höchsten Stufe des Tarifs angehören müssen.

In gleichem Sinne hat der erkennende Senat im Urteil vom 29. Mai 1984 - 5a RKn 7/83 - (SozR 2600 § 46 Nr 13) bei der Zuordnung eines als "Kolonnenführer im Streb" bezeichneten Versicherten, der die Funktionen eines Aufsichtshauers wahrgenommen hat, offengelassen, ob die dort zur Anwendung gelangte Lohngruppe 10 mit einem Zuschlag von 10 vH nach der vor dem 1. Mai 1980 geltenden Lohnordnung für den Rheinisch-Westfälischen Steinkohlenbergbau zu den Spitzengruppen der Lohnskala zu rechnen war. Er hat entscheidend darauf abgestellt, daß - selbst wenn letzteres zu verneinen wäre - der Versicherte hinsichtlich seines Berufsschutzes so gestellt werden müsse, als ob er in die für einen Aufsichtshauer angemessene Lohngruppe eingereiht gewesen wäre. Hier hat der Senat den Grundsatz betont, daß weder eine im Vergleich zum qualitativen Wert der Tätigkeit zu niedrige tarifliche Bewertung dem Versicherten zum Nachteil noch eine im Vergleich zum qualitativen Wert der Tätigkeit zu hohe tarifliche Einstufung ihm zum Vorteil gereichen dürfe. Die entscheidenden Kriterien für die Einstufung in die Gruppe der Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion erblickt das BSG darin, daß der Vorarbeiter selbst Facharbeiter ist und Weisungsbefugnisse nicht nur gegenüber angelernten und Hilfsarbeitern, sondern auch gegenüber Facharbeitern hat (SozR 2200 § 1246 Nr 37), seinerseits nicht nur schlichter Vorarbeiter ist (SozR 2200 § 1246 Nr 16) und jedenfalls nicht selbst Weisungen eines anderen Beschäftigten im Arbeiterverhältnis zu befolgen hat (SozR 2200 § 1246 Nrn 27 und 44). Feststellungen zu diesen bei der Entscheidung des Rechtsstreits wesentlichen Kriterien hat das LSG indes nicht getroffen.

Die Entlohnung nach der Spitzengruppe der Lohnskala ist nach der Rechtsprechung des BSG zwar ein Indiz, nicht aber unerläßliche Voraussetzung für die Zuordnung zur Gruppe mit den Leitberufen des besonders qualifizierten Facharbeiters und des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion, wie das LSG gemeint hat. Es kommt vielmehr entscheidend auf die oben genannten Kriterien an.

Den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils ist nicht zu entnehmen, ob und in welchem Umfang dem Kläger als Kolonnenführer gelernte Handwerker unterstellt waren. Das Urteil referiert insoweit nur die Behauptung des Klägers, seine Kolonne habe fünf bis acht gelernte Schlosser und die ihm zur Ausbildung Zugewiesenen umfaßt, und verweist auf die Auskunft der Bergbau AG Westfalen vom 18. Februar 1985, wonach dem Kläger zeitweise eine Gruppe von zwei bis drei Mann zugeordnet gewesen sei, die teilweise aus Auszubildenden bestehen konnte. Der Kläger ist dieser Auskunft unter Beweisantritt entgegengetreten; das LSG hat - ausgehend von seinem Rechtsstandpunkt, die Lohngruppe 12 gehöre nicht zur Spitzengruppe der Lohnskala - den Beweis über die tatsächlich vom Kläger verrichtete Tätigkeit nicht erhoben. In der Frage, ob der Kläger selbst Weisungen eines anderen Beschäftigten im Arbeiterverhältnis befolgen mußte, fehlt es ebenfalls an den erforderlichen Feststellungen. Die erwähnte Auskunft der Bergbau AG Westfalen spricht zwar davon, daß für die fachgerechte Ausführung der Arbeiten und die Rückmeldung über deren Fortschritt an den Steiger der Kläger verantwortlich war. Andererseits erwähnt sie, daß der Kläger von der nicht näher bezeichneten "jeweils zuständigen Aufsichtsperson" die Arbeitsaufträge entgegengenommen und mitarbeitend ausgeführt hat. Auch die Position des Klägers, die sich aus seiner Eigenschaft als Drittelführer ergeben hat, ist hinsichtlich der Vorgesetzteneigenschaft und Weisungsbefugnis gegenüber den Mitarbeitern und der Verantwortung für die Tätigkeit der Kolonne oder Gruppe nicht näher untersucht worden.

Für die Bewertung der Tätigkeit des Klägers im Sinne des oben erwähnten Mehrstufenschemas ist es unerläßlich, Feststellungen zu den zuvor erwähnten Kriterien zu treffen. Erst solche Feststellungen ermöglichen es, den Kläger entweder als schlichten Vorarbeiter oder aber als Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion anzusehen. Endlich ermöglichen auch nur nähere Feststellungen zu der vom Kläger ausgeübten Tätigkeit die Beantwortung der Frage, ob er für den Fall, daß er nicht als Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion anzusehen ist, möglicherweise als besonders hochqualifizierter Facharbeiter anzusehen und deshalb der höchsten Gruppe der Arbeiterberufe zuzuordnen ist. Auch insoweit ist nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats die Spitzengruppe der Lohnskala nicht unbedingt allein auf die oberste Gruppe beschränkt, sofern der Kläger nur wesentlich höherwertige Arbeiten ausgeführt hat als die übrigen Facharbeiter seiner Berufsausbildung im Unternehmen (SozR 2200 § 1246 Nr 79).

Wenn das LSG zu dem Ergebnis gelangt, daß der Kläger in die Gruppe der Facharbeiter gehört und deshalb auf Tätigkeiten verweisbar ist, die zur Gruppe der angelernten Arbeiter gehören, kann es ihn nicht schon deshalb auf die Tätigkeit des Magazinarbeiters verweisen, weil in der Lohngruppe 06 über Tage, nach der der Kläger als Magazinarbeiter bezahlt wird, unter der Schlüsselnummer 262 auch angelernte Handwerker eingestuft sind. Es kann nämlich nicht davon ausgegangen werden, daß die Zusammenstellung der tariflichen Lohngruppen durch die Tarifpartner allein nach den oben erwähnten Leitberufen der Arbeiter erfolgt. Die Gleichstellung in einer Lohngruppe kann somit Arbeiter erfassen, die verschiedenen Leitberufen zuzuordnen sind, und es können die unterschiedlichsten Gründe dafür maßgebend sein. Dies kann nicht außer Betracht bleiben (vgl SozR 2200 § 1246 Nrn 77, 79, 111, 122, 123). Das LSG wird daher ggf prüfen müssen, ob es sich bei der vom Kläger verrichteten Tätigkeit um eine Anlerntätigkeit handelt, die regelmäßig eine echte betriebliche Ausbildung von weniger als zwei Jahren und mehr als eine bloße Einweisung und Einarbeitung voraussetzt (vgl hierzu BSG SozR 2200 § 1246 Nr 86 mwH). Nur wenn sich dabei ergibt, daß die Tätigkeit des Klägers als Magazinarbeiter der Lohngruppe 06 über Tage eine Anlerntätigkeit in diesem Sinne darstellt, ist die Verweisung des Klägers auf diese Tätigkeit rechtlich nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1662683

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