Entscheidungsstichwort (Thema)

Höhe der Rechtsanwaltsgebühren im Vorverfahren. Keine Verzinsung des Kostenerstattungsanspruchs nach § 63 SGB 10

 

Leitsatz (redaktionell)

Gehören Kostenerstattungsansprüche im Vorverfahren zu den gegebenenfalls nach § 44 Abs 1 SGB 1 zu verzinsenden Geldleistungen iS von § 11 SGB 1?

 

Orientierungssatz

Höhe der Rechtsanwaltsgebühren im Vorverfahren - Keine Verzinsung des Kostenerstattungsanspruchs nach § 63 SGB 10:

1. Für seine Tätigkeit im Vorverfahren erhält der Rechtsanwalt 25 DM bis 305 DM (Festhaltung an BSG 15.5.1985 7 RAr 116/83).

2. § 63 SGB 10 regelt lediglich die Erstattung der notwendigen Aufwendungen. Zu diesen Aufwendungen gehören nicht die Zinsen.

3. Eine entsprechende Anwendung des § 104 Abs 1 S 2 ZPO auf die Kostenerstattung für das Vorverfahren wird durch die grundsätzlichen Unterschiede beider Verfahrensarten ausgeschlossen. § 104 ZPO ist auf ein förmliches gerichtliches Verfahren zugeschnitten, hingegen handelt es sich bei dem Vorverfahren um einen Teil des Verwaltungsverfahrens. Wegen der grundsätzlichen Unterschiede dieser beiden Verfahrensarten können die prozeßrechtlichen Vorschriften über die Verzinsung von Prozeßkosten nicht angewandt werden.

 

Normenkette

BRAGebO § 116 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, §§ 118-119, 12 Abs. 1 S. 1; SGB 10 § 63 Abs. 1-2; SGG § 202; ZPO § 104 Abs. 1 S. 2; SGB 1 § 44 Abs. 1, § 11

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 29.06.1984; Aktenzeichen L 6 Ar 23/84)

SG Mainz (Entscheidung vom 06.12.1983; Aktenzeichen S 1 Ar 240/82)

 

Tatbestand

Streitig ist die Höhe der zu erstattenden Kosten eines Rechtsanwalts im Vorverfahren und ob der Erstattungsanspruch zu verzinsen ist.

Nachdem ein Schreiben des Arbeitsamtes an den Kläger mit dem Vermerk des Zustellers "unbekannt verzogen" zurückgekommen war, hat das Arbeitsamt den Bescheid über die Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) ab 8. Oktober 1981 aufgehoben und den Anspruch insoweit abgelehnt, weil der Kläger der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung stehe. Das Arbeitsamt half dem von dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers eingelegten Widerspruch ab, nachdem eine vom Postamt eingeholte Auskunft ergeben hatte, daß der Briefzusteller den Vermerk irrtümlich angebracht hatte. Es entschied außerdem, daß die im Vorverfahren entstandenen notwendigen Aufwendungen auf Antrag erstattet würden und die Zuziehung eines Bevollmächtigten als notwendig anerkannt werde.

Am 12. August 1982 beantragte der Kläger unter Zugrundelegung eines Streitwertes von 4.870,80 DM, die Kosten des Vorverfahrens auf insgesamt 569,29 DM festzusetzen (siebeneinhalb Zehntel Gebühr gemäß § 118 Abs 1 Nr 1 Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung -BRAGebO- = 198,80 DM; zehn Zehntel Gebühr gemäß § 24 BRAGebO = 265,-- DM; Postgebührenpauschale gemäß § 26 BRAGebO = 40,-- DM; 13% Mehrwertsteuer gemäß § 25 Abs 2 BRAGebO = 65,49 DM). Das Arbeitsamt setzte die zu erstattenden Kosten mit Bescheid vom 1. September 1982 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. November 1982 auf 207,92 DM fest (Gebühr nach § 116 BRAGebO = 160,-- DM, 24,-- DM Auslagenpauschale und 23,92 DM Mehrwertsteuer).

Das Sozialgericht (SG) hat die angefochtenen Bescheide dahin geändert, daß die zu erstattenden Kosten von 207,92 DM ab 12. August 1982 mit 4% zu verzinsen seien. Im übrigen hat es die Klage, mit der der Kläger neben der Verzinsung des Erstattungsanspruchs die Erstattung von 944,96 DM geltend machte, abgewiesen. Es hat die Berufung zugelassen (Urteil vom 6. Dezember 1983). Die von beiden Beteiligten eingelegten Rechtsmittel hatten keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat sich auf den Standpunkt gestellt, die von der Beklagten festgesetzte Gebühr von 160,-- DM sei im Rahmen des § 116 Abs 1 Satz 1 BRAGO nicht als zu niedrig anzusehen. Maßgebend dafür sei, daß der Streitgegenstand des Vorverfahrens in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht einen ganz niedrigen Schwierigkeitsgrad gehabt und nur einen sehr geringen Arbeitsaufwand für den Bevollmächtigten des Klägers bedingt habe. Der Erstattungsanspruch sei gemäß § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm § 104 Abs 1 Satz 2 Zivilprozeßordnung (ZPO) mit 4% ab Stellung des Kostenantrages zu verzinsen.

Gegen das Urteil des LSG haben beide Beteiligten Revision eingelegt.

Der Kläger ist der Auffassung, für die Festsetzung der seinem Bevollmächtigten zu erstattenden Kosten sei § 118 BRAGO maßgebend; diese Bestimmung enthalte eine Regelung, die auf die Erstattung der Kosten für das Vorverfahren anwendbar sei.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung der Urteile der Vorinstanzen und ihrer Bescheide zu verurteilen, 944,96 DM nebst 4% Zinsen seit dem 12. August 1982 an ihn zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen und das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 29. Juni 1984 insoweit aufzuheben, als es der Berufung der Beklagten nicht stattgibt und weiterhin auch das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 6. Dezember 1983 in demselben Umfange aufzuheben.

Sie ist der Auffassung, das LSG gehe zu Unrecht davon aus, daß die zu erstattenden Kosten des Vorverfahrens entsprechend § 104 Abs 1 Satz 2 ZPO zu verzinsen seien. Für eine Verzinsung dieser Kosten gebe es keine Rechtsgrundlage. Im übrigen hält sie das angefochtene Urteil insoweit für zutreffend, als es die Berufung zurückgewiesen hat.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Das LSG hat zutreffend erkannt, daß der Kläger keinen höheren Kostenerstattungsanspruch gegen die Beklagte hat.

Nach § 63 Abs 1 des Sozialgesetzbuches -Verwaltungsverfahren- (SGB 10) hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, dem Widerspruchsführer die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, sofern der Widerspruch erfolgreich war. Dies ist der Fall, wenn die Widerspruchsbehörde dem Widerspruch stattgibt oder die Ausgangsbehörde auf Grund des Widerspruchs einen Abhilfebescheid erteilt. Letzteres trifft hier zu. Die gemäß § 63 Abs 3 Satz 2 SGB 10 im Abhilfebescheid getroffene Entscheidung, daß die Zuziehung des Bevollmächtigten erforderlich gewesen sei, ist für die Kostenfestsetzung verbindlich.

Der Bevollmächtigte des Klägers im Vorverfahren ist Rechtsanwalt; dessen Gebühren richten sich nach der BRAGebO. In dieser ist nicht ausdrücklich geregelt, welche Gebühren für das Verwaltungs- und Vorverfahren gelten, die im Streitfalle dem Verfahren vor den Sozialgerichten vorausgehen. Wie der 9a Senat (SozR 1300 § 63 Nr 2) und ihm folgend der 11. Senat des Bundessozialgerichts -BSG- (SozR 1300 § 63 Nr 3 und 4) ausgeführt haben, ist die im Vorverfahren zu erstattende Gebühr des Rechtsanwalts einem gesonderten Gebührenrahmen zu entnehmen. Ausschlaggebend dafür sei, daß bereits der Bundesgerichtshof -BGH- (BGHE 48, 134, 138) davon ausgegangen ist, bei der Frage, welche Gebühren für das Verwaltungsverfahren bei den in § 116 Abs 1 BRAGebO aufgeführten Angelegenheiten anzusetzen seien, bestehe eine Lücke im Gesetz. Diese sei durch die entsprechende Anwendung des § 116 Abs 1 BRAGebO zu schließen. Hierbei sei von einem Gebührenrahmen von fünf Zehnteln der in § 116 Abs 1 Nr 1 BRAGebO angeführten Mindestgebühr und zehn Zehnteln der dort bezeichneten Höchstgebühr auszugehen. Da § 63 Abs 1 SGB 10 nur die Erstattung der Kosten des Vorverfahrens anordnet, nicht jedoch die des Verwaltungsverfahrens, bestehe ein Bedürfnis, für das Vorverfahren einen Gebührenrahmen festzusetzen. Dieser ist nach Auffassung der vorgenannten Senate des BSG innerhalb der Grenzen von 25,-- DM bis 305,-- DM angemessen. Das sind etwa zwei Drittel der im Verfahren vor dem SG anfallenden Rahmengebühr (35,-- DM bis 455,-- DM). Hierfür sei entscheidend, daß die BRAGebO für Vorverfahren im allgemeinen geringere Gebühren vorsieht als für Gerichtsverfahren. Bei letzteren seien Gebühren vorgesehen, die sich von Instanz zu Instanz erhöhten. Der Senat hält die Ausführungen des 9a Senats und des 11. Senats des BSG für überzeugend; er hat sich ihnen bereits in seinem Urteil vom 15. Mai 1985 (7 RAr 116/83) angeschlossen und hält hieran fest. Die vom Kläger hiergegen erhobenen Einwände greifen nicht durch.

Allerdings ist dem Kläger einzuräumen, daß § 118 BRAGebO nach seinem Wortlaut Gebühren für das Vorverfahren mit erfaßt. Hiernach erhält der Rechtsanwalt in anderen als den im Dritten bis Elften Abschnitt des Gesetzes geregelten Angelegenheiten fünf Zehntel bis zehn Zehntel der vollen Gebühr für die dort aufgeführten Tätigkeiten. Da die Gebühren für das Verwaltungs- und Vorverfahren, die einem sozialgerichtlichen Verfahren vorgeschaltet sind, nicht in den Abschnitten drei bis elf geregelt sind, umfaßt § 118 bei wörtlicher Auslegung diese als eine andere Angelegenheit. Indes steht dem entgegen, daß für die in § 118 geregelten Fälle die Gebühren nach einem Gegenstandswert (§ 7) und nach der Tabelle zu § 11 ermittelt werden. Dieses Verfahren bei der Gebührenfestsetzung erscheint allenfalls dann angebracht, wenn im Sozialgerichtsverfahren die Gebühren nach dem Gegenstandswert festzusetzen sind, wie das in den in § 116 Abs 2 BRAGebO aufgezeigten Verfahren der Fall ist. Anders verhält es sich dagegen in den Angelegenheiten, in denen nach § 116 Abs 1 BRAGebO die jeweilige Gebühr nicht nach dem Gegenstandswert, sondern als Rahmengebühr errechnet wird. Hier gebieten es die sachlichen Schwierigkeiten und sozialpolitischen Überlegungen, die den Gesetzgeber für das sozialgerichtliche Verfahren veranlaßt haben, von einem Gegenstandswert abzugehen und Rahmengebühren anzusetzen, diese auch für das Vorverfahren gelten zu lassen. Der Senat folgt auch insoweit der Auffassung des 9. und des 11. Senats des BSG (vgl SozR 1300 § 63 Nrn 2, 3 und 4).

Hiernach sind die dem Kläger zu erstattenden Aufwendungen nach § 12 Abs 1 BRAGebO aus dem Betragsrahmen von 25,-- DM bis 305,-- DM festzustellen. Nach dieser Vorschrift bestimmt bei Rahmengebühren der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfanges und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Ist, wie hier, die Gebühr von einem Dritten zu erstatten, so ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Hiervon ist die Beklagte zu Recht ausgegangen. Eine Bestimmung iS von § 12 Abs 1 BRAGebO liegt vor, wenn der Rechtsanwalt eine Gebühr in einer bestimmten Höhe fordert. Hierbei ist es unerheblich, daß der Rechtsanwalt bei der Bestimmung einen Gegenstandswert zugrunde legt. Erheblich ist allein, daß er eine bestimmte Gebühr fordert, die unbillig ist. Unbillig ist hier bereits die ursprüngliche Gebührenforderung in Höhe von 463,80 DM, weil sie die Obergrenze des vorstehend aufgezeigten Betragsrahmens (305,-- DM) übersteigt.

Die Beklagte war hiernach befugt, die Gebührenfestsetzung selbst vorzunehmen. Durch ihre Festsetzung ist der Kläger nicht beschwert. Maßgebend sind hierfür die vorstehend aufgeführten in § 12 Abs 1 Satz 1 BRAGebO genannten Gründe. Orientierungsmaßstab ist dabei die sogenannte Mittelgebühr. Diese gilt für Sachen von durchschnittlicher Bedeutung, durchschnittlichem Umfang, durchschnittlicher Schwierigkeit und bei durchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Auftraggebers. Sie wird in der Praxis mit der Mindestgebühr zuzüglich der Hälfte des Unterschiedes zwischen Mindest- und Höchstgebühr angenommen (BSG SozR 1300 § 63 Nrn 2, 3, und 4; Gerold/Schmidt, Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, 8. Aufl, 1984, § 12 Anm 9). Sie beträgt also im Vorverfahren bei einem Gebührenrahmen von 25,-- DM bis 305,-- DM 165,-- DM. Wie das LSG zutreffend und vom Kläger unangegriffen ausgeführt hat, kommt der Streitsache nur unterdurchschnittliche Bedeutung zu. Sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht bot sie keine Schwierigkeiten. Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit war gering. Diese beschränkte sich auf das Anfertigen und Einreichen der Widerspruchsschrift nach vorher vom Auftraggeber erteilten Informationen. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers sind angesichts seiner Arbeitslosigkeit auf jeden Fall nicht überdurchschnittlich. Unter diesen Umständen erscheint als Gebühr des Rechtsanwalts ein Betrag angemessen, der die Mittelgebühr unterschreitet. Wie weit diese Unterschreitung hier genau gehen kann, kann dahingestellt bleiben. Die Beklagte hat nur eine um 5,-- DM vom Mittelwert nach unten abweichende Feststellung vorgenommen. Dies ist auf jeden Fall nicht unangemessen.

Die Pauschale für den Ersatz für Postgebühren ist gemäß § 26 BRAGebO mit 24,-- DM zutreffend festgesetzt worden. Auch die Festsetzung der Mehrwertsteuer mit 23,92 DM ist nicht zu beanstanden.

Die Revision des Klägers muß nach allem zurückgewiesen werden.

Der Revision der Beklagten ist hingegen stattzugeben.

Die angefochtenen Bescheide sind entgegen der Auffassung der Vorinstanzen auch insoweit nicht rechtswidrig, als sie dem Kläger keinen Zinsanspruch zugesprochen haben. Für einen solchen Anspruch besteht keine Rechtsgrundlage.

Eine ausdrückliche Regelung für den Zinsanspruch des Klägers gibt es nicht. Hiervon ist auch das LSG ausgegangen, da es sonst einer entsprechenden Anwendung von § 104 Abs 1 Satz 2 ZPO nicht bedurft hätte. § 63 des Sozialgesetzbuches -Verwaltungsverfahren- (SGB 10) regelt lediglich die Erstattung der notwendigen Aufwendungen. Zu diesen Aufwendungen gehören nicht die Zinsen. Diese können erst entstehen, wenn ein Kostenerstattungsanspruch besteht. Daher ist eine besondere Regelung erforderlich, aus der sich die Verpflichtung zur Verzinsung des Kostenerstattungsanspruches herleiten läßt. Hieran fehlt es.

Wie das Bundessozialgericht bereits mehrfach entschieden hat, gibt es im Verwaltungsrecht keinen allgemeinen Grundsatz, der zur Zahlung von Verzugszinsen verpflichtet. Vielmehr ist die Verzinsung von Geldforderungen seit jeher von besonderen gesetzlichen Regelungen abhängig (BSGE 49, 227 ff = SozR 1200 § 44 Nr 2; BSGE 55, 40, 45 = SozR 2200 § 27 Nr 2; BSGE 56, 116, 118 = SozR 1200 § 44 Nr 10). Auf dem Gebiet des Sozialrechts bestehen solche Regelungen in § 44 des Sozialgesetzbuches -Allgemeiner Teil- (SGB 1) und in § 27 des Sozialgesetzbuches -Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung- (SGB 4). Diese Vorschriften scheiden jedoch als Anspruchsgrundlage für den erhobenen Zinsanspruch aus.

Nach § 44 Abs 1 Satz 1 SGB 1 sind Ansprüche auf Geldleistungen nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eintritt ihrer Fälligkeit bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit 4 vH zu verzinsen. Damit hat der Gesetzgeber nicht zum Ausdruck bringen wollen, daß allgemein rückständige Geldleistungen zu verzinsen seien (BSGE 49, 227, 228). Erfaßt werden sollen vielmehr nach der ständigen Rechtsprechung des BSG nur die Leistungen, die dem einzelnen als Sozialleistungen iS von § 11 SGB 1 zustehen (BSGE 49, 227, 228; 55, 40, 44; 56, 1, 2 = SozR 1200 § 44 Nr 9; BSGE 56, 116, 117; BSG SozR 1200 § 44 Nr 13). Diese umfassen alle Vorteile, die dem einzelnen nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuches zur Verwirklichung seiner sozialen Rechte zugute kommen sollen. Der Anspruch auf Erstattung von Kosten für das Vorverfahren dient nicht der Verwirklichung sozialer Rechte des einzelnen in diesem Sinne. Er bezweckt, den Betroffenen dafür zu entschädigen, daß dieser, weil er die Verwirklichung seiner sozialen Rechte im Vorverfahren streitig durchsetzen mußte, besondere Aufwendungen hatte. Er ist ebenso wie der sozialrechtliche Herstellungsanspruch eine Korrektur des rechtswidrigen Handelns eines Leistungsträgers. Diese Korrektur orientiert sich an der Erstattung von Prozeßkosten. Eine Leistung mit dieser Zweckrichtung ist keine soziale Geldleistung iS von § 44 Abs 1 iVm § 11 SGB 1 (BSGE, 55, 40, 44 f). Hiermit sind nur Geldleistungen gemeint, die Gegenstand der in den §§ 2 bis 10 und 18 bis 29 SGB 1 aufgeführten sozialen Rechte sind. Hierbei handelt es sich um materielle Rechte, während der Kostenerstattungsanspruch und damit auch seine Verzinsung nur auf Verwaltungsverfahrensrecht beruhen kann, soweit es um das Vorverfahren geht, dem ein gerichtliches Verfahren nicht gefolgt ist.

Auf § 27 Abs 1 Satz 1 SGB 4 kann der Kläger seinen Anspruch gleichfalls nicht stützen. Diese Vorschrift regelt allein die Verzinsung des Anspruchs auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge.

Dem steht nicht entgegen, daß der Kostenerstattungsanspruch bei der Frage, ob die Berufung zulässig ist, den Leistungen im Sinne von § 144 Abs 1 SGG zugeordnet wird (BSG SozR 1500 § 144 Nr 27). Unter Leistung im Sinne dieser Vorschrift ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG eine von einem öffentlich-rechtlichen Leistungsträger zu bewirkende Handlung zu verstehen, die dieser auf Grund seiner zum Sozialrecht gehörenden Aufgabenstellung vorzunehmen hat und aus der für den einzelnen ein rechtlicher Vorteil erwächst (BSG aaO mwN). Ob es sich hierbei um eine Sozialleistung im Sinne von § 11 SGB 1 handelt, ist hiernach unerheblich.

Zu Unrecht meint das LSG, der Kläger könne seinen Zinsanspruch auf die entsprechende Anwendung von § 104 Abs 1 Satz 2 ZPO über § 202 SGG stützen. Nach § 104 Abs 1 S 2 ZPO sind die gemäß § 103 ZPO festgesetzten Prozeßkosten auf Antrag mit 4 vH zu verzinsen. Das LSG hat jedoch nicht beachtet, daß § 202 SGG eine Anwendung der Vorschriften der ZPO verbietet, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies ausschließen, was hier der Fall ist. Das Vorverfahren nach den §§ 78 ff SGG ist zwar dem Gerichtsverfahren vorgeschaltet, und die Erstattung der Kosten gemäß § 63 SGB 10 orientiert sich, wie bereits dargelegt wurde, an der Ersetzung von Prozeßkosten. Dennoch wird eine entsprechende Anwendung des § 104 Abs 1 S 2 ZPO auf die Kostenerstattung für das Vorverfahren durch die grundsätzlichen Unterschiede beider Verfahrensarten ausgeschlossen. § 104 ZPO ist auf ein förmliches gerichtliches Verfahren zugeschnitten, hingegen handelt es sich bei dem Vorverfahren um einen Teil des Verwaltungsverfahrens. Wegen der grundsätzlichen Unterschiede dieser beiden Verfahrensarten können die prozeßrechtlichen Vorschriften über die Verzinsung von Prozeßkosten nicht angewandt werden. Das wird auch dadurch bestätigt, daß ohne die Bestimmungen des § 63 SGB 10, die zum Verwaltungsverfahrensrecht gehören, eine Erstattung der Kosten eines Vorverfahrens, dem ein gerichtliches Verfahren nicht gefolgt ist, nicht in Betracht käme. Die Vorschriften der §§ 193 bis 197 SGG, die die Kostenerstattung im sozialgerichtlichen Verfahren regeln, finden insoweit keine Anwendung und sind vor Inkrafttreten des § 63 SGB 10 auch nicht angewandt worden. Wenn aber die prozeßrechtlichen Bestimmungen über die Kostenerstattung dem Grunde nach nicht angewandt werden können, verbietet es sich erst recht, für die Verzinsung der im Verwaltungsverfahren festgesetzten Kosten auf eine Vorschrift des Prozeßrechts zurückzugreifen.

Schließlich weist das Gesetz auch keine Regelungslücke auf, die durch das Gericht auszufüllen ist. Wie bereits ausgeführt wurde, ist im Verwaltungsrecht die Verzinsung von Geldforderungen seit jeher von besonderen gesetzlichen Regelungen abhängig. Trifft der Gesetzgeber eine solche Regelung nicht, ist davon auszugehen, daß er sie auch nicht gewollt hat, dh es liegt in seinem Sinne, wenn eine Verzinsung des Kostenerstattungsanspruchs nach § 63 SGB 10 unterbleibt.

Hiernach ist die Revision der Beklagten begründet. Die angefochtenen Bescheide sind nicht rechtswidrig. Die Klage muß daher in vollem Umfang abgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1657842

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