Beteiligte

Kläger und Revisionsbeklagter

Beklagte M Revisionsklägerin

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die dem Kläger gewährte vorläufige Verletztenrente entziehen durfte.

Die Beklagte gewährte dem Kläger, der bis 1976 im Bergbau unter Tage tätig gewesen war, mit Bescheid vom 10. Dezember 1976 wegen einer Berufskrankheit nach Nr. 42 der 7. Berufskrankheiten-Verordnung (Meniskusschaden nach mindestens dreijähriger Tätigkeit unter Tage) eine vorläufige Verletztenrente von 20 v.H. der Vollrente; als Zeitpunkt des Versicherungsfalles setzte sie den 5. Januar 1976 fest. Mit Schreiben vom 6. Oktober 1977 teilte sie dem Kläger mit, nach dem Ergebnis der fachärztlichen Nachuntersuchung betrage die Minderung der Erwerbsfähigkeit nur noch 10 v.H. Es sei daher beabsichtigt, die bisher gewährte Rente zu entziehen. Sie gab dem Kläger Gelegenheit, sich innerhalb einer Woche nach Empfang des Schreibens zu äußern. Mit Bescheid vom 19. Oktober 1977 entzog sie die Verletztenrente mit Ablauf des Monats November 1977. Der Kläger machte vor Klageerhebung mit Schreiben vom 25. Oktober 1977 geltend, sein Gesundheitszustand habe sich nicht gebessert. Er bat um Nachricht der Beklagten.

Das Sozialgericht (SG) hat auf die am 8. November 1977 erhobene Klage mit Urteil vom 28. Juli 1978 den Bescheid der Beklagten vom 19. Oktober 1977 aufgehoben. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 30. November 1978 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen aus geführt, der Entziehungsbescheid sei rechtswidrig, weil die Beklagte vor seinem Erlaß dem Kläger nicht in einer dem § 34 Abs. 1 des Allgemeinen Teils zum Sozialgesetzbuch (SGB 1) entsprechenden Weise Gelegenheit gegeben habe, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Die dem Kläger eingeräumte Frist von einer Woche sei nicht angemessen. Wenn es mangels einer ausdrücklichen Vorschrift auch keine feste, für alle Fälle geltende Frist für die Anhörung gebe, so sei doch davon auszugehen, daß im allgemeinen - wie auch in § 110 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) - eine Äußerungsfrist von zwei Wochen eingeräumt werden müßte, wenn nicht besondere Gründe eine kürzere Frist rechtfertigten. Solche Ausnahmetatbestände lägen im konkreten Fall nicht vor. Der Versicherte müsse während der Anhörungsfrist Gelegenheit haben, Akteneinsicht zu nehmen, rechtskundige Personen zu befragen oder sich mit seinem behandelnden Arzt zu beraten. Hierfür sei eine Woche zu kurz, insbesondere wenn man bedenke, daß die Kontaktaufnahme nur an fünf Tagen in der Woche möglich und bei Ärzten außerdem noch dadurch erschwert sei, daß ihre Praxen in der Regel an einem Nachmittag in der Woche geschlossen seien. Die Beklagte könne sich auch nicht darauf berufen, daß der Kläger sich euch innerhalb von zwei Wochen nach der Ankündigung der Rentenentziehung nicht geäußert habe. Von der in § 34 Abs. 1 SGB 1 vorgeschriebenen Anhörung habe auch nicht abgesehen werden können, denn es liege keiner der in § 34 Abs. 2 SGB 1 vorgesehenen Ausnahmetatbestände vor, Es könne dahingestellt bleiben, ob ein verfahrensfehlerhaft zustandegekommener Verwaltungsakt auch dann aufzuheben sei, wenn ohne diesen Mangel eine andere Entscheidung in der Sache nicht hätte getroffen werden können. Da aber im vorliegenden Fall die medizinische Beurteilung der Berufskrankheit streitig sei, könne eine andere Entscheidung in der Sache nicht von vornherein ausgeschlossen werden.

Die Beklagte hat dieses Urteil mit der - vom LSG zugelassenen - Revision angefochten, Sie Ist der Ansicht, bei der Beurteilung der Angemessenheit einer Anhörungsfrist habe der Versicherungsträger einen Beurteilungsspielraum, denn es handele sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Die Gerichte seien daher auf die Prüfung der Frage beschränkt, ob in dem zur Entscheidung anstehenden Fall die Grenzen dieses Beurteilungsspielraums überschritten worden seien. Das LSG hätte also nicht prüfen dürfen, welche Frist es selbst für angemessen hält, sondern was die Beklagte noch für angemessen halten durfte. Unabhängig davon sei die dem Kläger eingeräumte Anhörungsfrist von einer Woche nicht zu kurz gewesen, insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, daß die bei einer längeren Anhörungsfrist sich aus § 623 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) ergebende Verlängerung der Leistungen mit dem Ziel des § 34 Abs. 1 SGB 1 nicht in Einklang zu bringen sei. Zu beachten sei auch, daß der Gesetzgeber die Anhörung in § 34 Abs. 1 SGB 1 auf die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen beschränkt habe, zumal dem Versicherten nach Erlaß des Verwaltungsaktes noch der Rechtsweg offenstehe. Im Übrigen sei der Kläger verpflichtet gewesen, einen begründeten Antrag auf Verlängerung der ihm gewährten Frist zu stellen, wenn diese ihm als zu kurz erschien. Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil im Ergebnis und in der Begründung für richtig und ist der Ansicht, die Revision der Beklagten sei unbegründet.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die zulässige und begründete Revision der Beklagten führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Die festgestellten Tatsachen reichen zur abschließenden Entscheidung nicht aus.

Das LSG ist zu Unrecht davon ausgegangen, der Rentenentziehungsbescheid sei wegen Verletzung der Anhörungspflicht nach § 34 Abs. 1 SGB 1 rechtswidrig und jeher aufzuheben. Nach dieser Vorschrift muß der Versicherungsträger vor Erlaß eines Verwaltungsaktes, der in die Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Das gilt auch für einen Verwaltungsakt, mit dem eine vorläufige Verletztenrente entzogen, herabgesetzt oder die Feststellung der Dauerrente abgelehnt wird (vgl. BSG SozR 1200 § 34 Nrn. 3, 4, 6, 9). Es liegt auch keiner der in § 34 Abs. 2 SGB 1 abschließend aufgeführten Tatbestände vor, die den Versicherungsträger berechtigen, von der in § 34 Abs. 1 SGB 1 vorgeschriebenen Anhörung abzusehen. Das ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig, die übereinstimmend von der Anhörungspflicht der Beklagten ausgehen.

Streitig ist jedoch die Frage, ob die Frist von einer Woche, die die Beklagte dem Kläger vor Erlaß des Rentenentziehungsbescheides zur Äußerung eingeräumt hatte, für die vorgeschriebene Anhörung ausreicht. Zwar enthält weder § 34 SGB 1 noch eine sonstige gesetzliche Vorschrift eine Bestimmung darüber, wie und in welcher Frist dem Beteiligten Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden muß. Mit der Einführung der Anhörungspflicht, die dem für Gerichtsverfahren verfassungsmäßig geschützten (Art 103 Abs. 1 des Grundgesetzes -GG-) und in § 62, § 128 Abs. 2 SGG konkretisierten Grundsatz des rechtlichen Gehörs nachgebildet ist, wollte der Gesetzgeber vorschnellen und vermeidbaren Eingriffen in die Rechte eines Beteiligten vorbeugen. Der Versicherungsträger soll vor Erlaß des Verwaltungsaktes alle Tatsachen kennen und prüfen können, ob die Stellungnahme des Beteiligten zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen Veranlassung gibt, von dem Erlaß des beabsichtigten Verwaltungsaktes abzusehen oder einen Verwaltungsakt mit einem anderen Inhalt zu erlassen. Diesem Zweck wurde es zuwiderlaufen, wenn die dem Beteiligten vom Versicherungsträger zur Äußerung eingeräumte Frist so kurz ist, daß eine sachgerechte Stellungnahme nicht möglich ist. Ebenso wie bei dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs für die gerichtlichen Verfahren muß die Frist für die Äußerung angemessen sein, d.h. der Beteiligte muß sich zum gesamten Sachverhalt äußern können; ihm muß genügend Zeit bleiben, sich mit der Sache vertraut zu machen und vorbereitende Überlegungen anzustellen (vgl. Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand März 1980, RdNr 37; Maunz/Dürig/Herzog, Kommentar zum Grundgesetz Bd. III, Lieferung 1-17, Stand August 1977, RdNr 67 zu Art 103; Stelkens/Bonk/Leonhardt, Kommentar Zum Verwaltungsverfahrensgesetz 1978, RdNr 17 zu § 28). Ist die vom Versicherungsträger zur Äußerung eingeräumte Frist unangemessen kurz, kann sich der Beteiligte also nicht hinreichend vorbereiten, informieren und äußern, so wird der Versicherungsträger mit dieser scheinbar gegebenen Gelegenheit zur Äußerung dem Zweck des § 34 Abs. 1 SGB 1 nicht gerecht. Solche Fälle stehen im Ergebnis der unterlassenen Anhörung des Beteiligten gleich.

Für die Frage, wann eine Anhörungsfrist angemessen lang oder unangemessen kurz ist, gibt es keine allgemeingültigen Regeln. Die Angemessenheit richtet sich vielmehr nach den Umständen des Einzelfalles. Dabei können der Umfang und der Schwierigkeitsgrad der für die Entscheidung erheblichen Tatsachen, die vorhandene oder fehlende Sachkunde des Beteiligten, seine Informations- und Beratungsmöglichkeiten sowie andere Umstände, die nicht abschließend aufgezählt werden können, von Bedeutung sein.

Der Beklagten kann nicht darin gefolgt werden, daß der Versicherungsträger hinsichtlich der Angemessenheit der Anhörungsfrist einen Spielraum mit der Folge hat, daß im Gerichtsverfahren nur geprüft werden kann, ob der Versicherungsträger die Grenzen dieses Spielraums eingehalten hat. Die Bemessung der Anhörungsfrist steht - ebenso wie bei dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs nicht im Ermessen des Versicherungsträgers (vgl. Maunz/Dürig/Herzog a.a.O. RdNr 70). War ist der Beklagten darin zuzustimmen, daß es sich bei der Angemessenheit der Anhörungsfrist um einen unbestimmten - Rechtsbegriff handelt. Es kann dahingestellt bleiben, ob es unbestimmte Rechtsbegriffe gibt, die dem Versicherungsträger einen Beurteilungsspielraum einräumen (vgl. hierzu BSGE 47, 172, 175 m.w.N.). Das kann jedenfalls nicht allgemein und allenfalls dann gelten, wenn aus der Art des unbestimmten Rechtsbegriffs der Wille des Gesetzgebers erkennbar ist, die Konkretisierung dieses Rechtsbegriffs der Verwaltung zu überlassen und die Nachprüfung der Gerichte auf die Einhaltung der Grenzen des Beurteilungsspielraums zu beschränken. Das trifft auf den Begriff der Angemessenheit der Anhörungsfrist nicht zu. Dieser im Gesetz nicht ausdrücklich enthaltene Begriff dient gerade der Nachprüfung durch die Gerichte, ob der Versicherungsträger dem Beteiligten in einer, dem Zweck des § 34 Abs. 1 SGB 1 entsprechenden Weise Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat. Das setzt aber die Möglichkeit der vollen Nachprüfung voraus, ob die Frist im konkreten Fall angemessen war.

Zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen im Sinne des § 34 Abs. 1 SGB 1 gehören im vorliegenden Fall vor allem die medizinischen Tatsachen und damit die ärztlichen Gutachten über den Gesundheitszustand, soweit er für die Leistung maßgebend ist (vgl. BSG SozR 1200 § 34 Nr. 9). Nach der zitierten Entscheidung ist dem Beteiligten nicht schon dadurch Gelegenheit zur Äußerung im Sinne des § 34 Abs. 1 SGB 1 gegeben worden, daß er gegenüber den von der Beklagten zu Sachverständigen bestellten Ärzten seine Beschwerden vorbringen konnte. Nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Vorschrift ist die Gelegenheit zur Äußerung von der Stille zu gewähren, die über den Erlaß und den Inhalt des Verwaltungsaktes entscheidet. Die Gelegenheit zur Äußerung muß dem Beteiligten vor Erlaß des Verwaltungsaktes gegeben werden und kann nicht im gerichtlichen Verfahren nachgeholt werden. Der Beteiligte muß also erst vom Ergebnis des Gutachtens - wenn auch nicht von seinem Wortlaut - und von dem Inhalt des beabsichtigten Verwaltungsaktes Kenntnis haben.

Das Berufungsgericht ist im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, daß die dem Kläger eingeräumte Frist zur Anhörung von einer Woche unangemessen kurz war. Zwar kann nicht aus § 11O SGG der Grundsatz entnommen werden, daß die angemessene Frist im allgemeinen - wenn nicht besondere Umstände vorliegen - zwei Wochen beträgt. Wenn auch die in dieser Vorschrift geregelte Ladungsfrist aus dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs entspringt, so kann doch die Frist für die Ladung zu einem Gerichtstermin nicht unbedingt mit der Anhörung vor Erlaß eines Verwaltungsaktes verglichen werden. Abgesehen davon, daß der Beteiligte des Gerichtsverfahrens schon vor der Ladung Gelegenheit zur Äußerung hatte, dient die Frist des § 110 SGG vorrangig - dem Zweck, daß die Beteiligten sich zeitlich auf den Termin einrichten können. Das LSG hat aber zutreffend herausgestellt, daß der Kläger Gelegenheit haben musste, sich mit seinem behandelnden Arzt und mit einer mit dem Sozialrecht vertrauten Person zu beraten, bevor er sich äußerte. Ebenso zutreffend hat das LSG darauf hingewiesen, daß solche Beratungen nur zu bestimmten Zeiten möglich sind. Mit Rücksicht darauf und die eigene zeitliche Bindung des Klägers durch seinen Beruf erscheint eine Frist von einer Woche als unangemessen kurz. Im Ergebnis ist dem LSG darin zuzustimmen, daß in Fällen der vorliegenden Art, in denen also ein mit dem Sozialrecht nicht vertrauter Versicherter Gelegenheit haben soll, sich zur beabsichtigten Rentenentziehung aufgrund eines medizinischen Gutachtens zu äußern, eine Frist von zwei Wochen als angemessen erscheint. Dem Versicherungsträger steht es frei, die Nachprüfung einer vorläufigen Verletztenrente so rechtzeitig einzuleiten, daß die Zweijahresfrist des § 622 Abs. 2 RVO auch bei Anhörung einer Äußerungsfrist von zwei Wochen eingehalten werden kann.

An der Unangemessenheit der einwöchigen Anhörungsfrist ändert der Umstand nichts, daß der Kläger die Möglichkeit gehabt hätte, bei der Beklagten eine Verlängerung der Äußerungsfrist zu beantragen. Wollte man die Angemessenheit der Frist daran ausrichten, so würde stets eine kurze für die Äußerung nicht ausreichende Frist genügen, in der der Beteiligte den Antrag auf Fristverlängerung stellen kann. Das entspricht aber nicht dem Sinn der Anhörung. Der Beteiligte hat nur dann Veranlassung, Fristverlängerung zu beantragen, wenn er die grundsätzlich angemessene Frist aus besonderen Gründen nicht einhalten kann.

Obwohl die Beklagte danach vor Erlaß des Rentenentziehungsbescheides den § 34 Abs. 1 SGB 1 verletzt hat, weil sie den Kläger nicht in einer dem Sinn dieser Vorschrift entsprechenden Weise Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat, durften die Vorinstanzen den Bescheid nicht aus diesem Grunde aufheben. Zwar führt die Verletzung des § 34 Abs. 1 SGB 1 im allgemeinen zur Rechtswidrigkeit und damit zur Aufhebung des mangelhaften Verwaltungsaktes. Die unterbliebene oder mangelhafte Anhörung kann zwar nicht mehr im gerichtlichen Verfahren, wohl aber im Widerspruchsverfahren mit der Folge nachgeholt werden, daß der Mangel geheilt wird und als nicht vorhanden gilt (vgl. BSG SozR 1200 § 34 Nrn. 1, 7). Im vorliegenden Fall hat allerdings ein Widerspruchsverfahren nicht stattgefunden. Der Kläger hat sich jedoch nach Erlaß des Entziehungsbescheides, aber noch vor Erhebung der Klage zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen geäußert und die Beklagte um eine Nachricht gebeten. Damit ist dem Zweck des § 34 Abs. 1 SGB 1 Genüge getan. Zwar setzt die Heilung des Mangels durch nachträgliche Anhörung die Verpflichtung oder jedenfalls die Bereitschaft des Versicherungsträgers voraus, den Vortrag des Anzuhörenden zu berücksichtigen. Das ist bei einem schwebenden Widerspruchsverfahren ohne weiteres der Fall, weil der Versicherungsträger den Vortrag des Beteiligten entweder im Widerspruchsbescheid oder aber in der Vorlage an das SG nach § 85 Abs. 4 SGG zu berücksichtigen hat. Hat der Versicherte weder Klage erhoben noch Widerspruch eingelegt, äußert er sich aber gleichwohl zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen, so hat der Versicherungsträger diesen Vortrag zu berücksichtigen und darüber einen neuen Verwaltungsakt zu erlassen, selbst wenn er zum negativen Ergebnis kommt, Solange der mangelhafte Verwaltungsakt nicht mit der Klage angefochten und Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens ist, befindet er sich Im Herrschaftsbereich der Verwaltung; die das erforderliche Anhörungsverfahren nachholen und dadurch den Mangel heilen kann. Davon geht auch § 45 Abs. 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes aus, der die Nachholung der Anhörung ausdrücklich bis zur Klageerhebung zuläßt, wenn ein Vorverfahren nicht stattfindet. Diese Vorschrift ist zwar für die Sozialversicherungsträger weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar. Sie läßt aber die Willensrichtung des Gesetzgebers erkennen, zumal auch der Entwurf des 10. Buches - Verwaltungsverfahren - im SGB (BT-Drucks. 8/4022) in § 39 Abs. 2 eine ähnliche Regelung vorsieht.

Es mag zwar im Risikobereich des Versicherungsträgers liegen, ob der Versicherte Widerspruch einlegt und dem Versicherungsträger die Möglichkeit zur Nachholung des Anhörungsverfahrens einräumt oder ob er unmittelbar Klage erhebt und dem Versicherungsträger damit die Möglichkeit der Nachholung nimmt (vgl. hierzu BSG SozR 1200 § 34 Nr. 2). Im vorliegenden Fall hat der Kläger sich aber tatsächlich vor Erhebung der Klage zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen geäußert und zum Ausdruck gebracht, daß er mit der Berücksichtigung seines Vortrags im Verwaltungsverfahren rechnet. Es wäre mit der Möglichkeit der Nachholung des Anhörungsverfahrens und dem Sinn des § 34 Abs. 1 SGB 1 nicht zu vereinbaren, wenn man die vor Erhebung der Klage eingereichte Äußerung des Klägers als nicht geschehen und unerheblich ansehen wollte. Zwar hat der Kläger den Rentenentziehungsbescheid beim SG angefochten, bevor die Beklagte zu der Äußerung des Klägers vom 25. Oktober 1977 Stellung genommen hat. In einem solchen Fall kann aber nicht mehr angenommen werden, es liege im Risikobereich des Versicherungsträgers, ob der Versicherte ihm durch Erhebung der Klage die Möglichkeit zur Nachholung der unterlassenen oder mangelhaften Anhörung nimmt. Hat der Versicherte sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen geäußert und zum Ausdruck gebracht, daß er eine Reaktion der Verwaltung erwarte, so kann er sich nicht auf eine Verletzung des § 34 Abs. 1 SGB 1 berufen, wenn er die Antwort der Verwaltung nicht abwartet und Klage erhebt. Zwar könnte die Anfechtungsfrist verstreichen, wenn die Verwaltung sich nicht alsbald zu dem Vorbringen des Versicherten äußert. In einem solchen Fall wird ihm aber Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sein, weil die Versäumung der Frist als unverschuldet angesehen werden muß (vgl. auch § 45 Abs. 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes und § 39 Abs. 3 des Entwurfs des 10. Buches - Verwaltungsverfahren - im SGB). Wenn auch die bis zur Klageerhebung verstrichene Frist nicht ohne weiteres der Anhörungsfrist zugerechnet werden kann, so muß doch die Anhörung als nachgeholt und der Mangel als geheilt gelten, wenn der Versicherte vor Klageerhebung von der Möglichkeit Gebrauch macht, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.

Der Senat hat auf die danach begründete Revision der Beklagten das angefochtene Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen. Das Berufungsgericht wird nunmehr zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen für die Entziehung der vorläufigen Verletztenrente vorlagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI518616

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