Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufliche Bildungsmaßnahme

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das öffentliche Interesse daran, daß Geförderte im Anschluß an eine berufliche Bildungsmaßnahme 3 Jahre beitragspflichtig beschäftigt sind, erschöpft sich nicht in der Erzielung von Einnahmen, sondern liegt auch darin, daß die Aufgabe der Bundesanstalt für Arbeit erfüllt wird, dem Arbeitsmarkt qualifizierte Arbeitskräfte zuzuführen. Ob ein wichtiger Grund dafür vorliegt, die Verpflichtung nicht zu erfüllen, hängt von einer Abwägung der Interessen der Versicherten und der Allgemeinheit ab.

2. Nur wenn sich mangels ausreichender Belehrung über die Rückzahlungsverpflichtung die Beweislage für den Betroffenen nachteilig verändert, trifft die Bundesanstalt für Arbeit die Beweislast für das Fehlen des wichtigen Grundes.

3. Auch wenn die Verpflichtung zu dreijähriger beitragspflichtiger Beschäftigung nicht erfüllt wird, dürfen Fördermittel nicht zurückgefordert werden, wenn sich der Geförderte nur deshalb hat verpflichten müssen, weil er die vor Beginn der Maßnahme drohende Arbeitslosigkeit abgewendet hat.

 

Normenkette

AFG § 46 Abs. 2 S. 2; SGB I § 14

 

Gründe

I. Der Streit der Beteiligten betrifft die Rückzahlung von Leistungen, die der Kläger 1978 - 1981 für seine Umschulung zum Zahntechniker erhalten hat (17.434,17 DM an Unterhaltsgeld - Uhg - und 1.425,-- DM an Fahrtkosten). Um für die Umschulung Leistungen zu erhalten, hatte sich der Kläger verpflichtet, innerhalb von vier Jahren nach Abschluß der Umschulung mindestens drei Jahre lang beitragspflichtig beschäftigt zu sein. Er hat diese Verpflichtung nicht erfüllt, weil er einen Studienplatz für Zahnmedizin erhielt. Die Beklagte vertritt die Auffassung, daß er die eingegangene Verpflichtung ohne wichtigen Grund nicht erfüllt hat und daher nach § 46 Abs. 3 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) zur Rückzahlung verpflichtet ist (Bescheid vom 23. Dezember 1985, Widerspruchsbescheid vom 1. April 1986).

Vor der Umschulung war der 1949 geborene Kläger zunächst Zeitsoldat; er erhielt während dieser Zeit eine nach Auffassung der Beklagten auf dem Arbeitsmarkt nicht verwertbare Ausbildung zum Elektroniker. Anschließend legte er am Abendgymnasium das Abitur ab und arbeitete zunächst als Hilfsarbeiter und sodann als zahntechnische Hilfskraft insgesamt 19 Monate lang. Im Anschluß an die Umschulung arbeitete er noch etwas mehr als zwei Jahre als Zahntechniker bis ihm - früher als von ihm erwartet - ein Studienplatz zugewiesen worden ist. Das Landessozialgericht (LSG) hat den Rückforderungsbescheid aufgehoben, weil dem Kläger ein wichtiger Grund für die Aufgabe seiner beitragspflichtigen Beschäftigung zu Seite gestanden habe. Als wichtige Gründe seien nicht nur objektive Umstände anzusehen, die die Erfüllung der Verpflichtung unmöglich machten; das Tatbestandsmerkmal umschreibe vielmehr Beweggründe freiwilligen Handelns, denen angesichts des öffentlichen Interesses an der Erfüllung der eingegangenen Verpflichtung zur nachträglichen Zahlung der Beiträge besonderes Gewicht zukomme. Im vorliegenden Fall habe der Kläger diese Verpflichtung zu mehr als zwei Dritteln erfüllt und angesichts seines fortgeschrittenen Alters bei Studienbeginn und der sich ihm eröffnenden wesentlichen Aufstiegschancen wichtige Gründe im Sinne des Gesetzes gehabt. Die Beklagte hat die vom Landessozialgericht (LSG) zugelassene Revision eingelegt. Nach ihrer Auffassung kann die gesetzlich vorgeschriebene Dauer der beitragspflichtigen Beschäftigung nicht abgekürzt werden. Das öffentliche Interesse an der Beitragsentrichtung sei nie zu vernachlässigen. Die Verpflichtung habe der Kläger freiwillig übernommen; er hätte sie im vorliegenden Fall auch ohne Schwierigkeit erfüllen können, wenn er seinen Studienwunsch noch für ein knappes Jahr aufgeschoben hätte.

Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 13. August 1987 zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und das Rückzahlungsverlangen für unverhältnismäßig, sofern die volle Rückzahlungssumme verlangt werde.

II.

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.

Im Ergebnis hat das Landessozialgericht (LSG) zu Recht entschieden, daß der Kläger die Kosten seiner Umschulung nicht nach § 46 Abs 2 Satz 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) idF durch das Gesetz zur Verbesserung der Haushaltsstruktur im Geltungsbereich des Arbeitsförderungsgesetz (AFG) und des Bundesversorgungsgesetzes (HStruktG-AFG) vom 18. Dezember 1975 (BGBl I 3113) an die Beklagte zurückzuzahlen hat, obwohl ihm die Erfüllung dieser für die Bewilligung der Förderungsleistungen übernommenen Verpflichtung weder unmöglich war noch ihm ein wichtiger Grund für die Aufgabe der beitragspflichtigen Beschäftigung zur Seite gestanden hat.

Wie der Senat bereits entschieden hat, kommt einem Umgeschulten ein wichtiger Grund dann zugute, wenn ihm nach den Umständen des Einzelfalles unter Berücksichtigung des Zwecks der beruflichen Förderung und unter Abwägung seiner Interessen gegen die Interessen der Versichertengemeinschaft und eines funktionierenden Arbeitsmarktes nicht zugemutet werden kann, die Mindestzeit an Nachbeschäftigung zu erfüllen (vgl Urteil des Senats vom 28. März 1990 - 9b/11 RAr 91/88 = SozR 3 - 4100 § 46 Nr 1). Für das Merkmal des wichtigen Grundes ist hier von Bedeutung, daß die Maßnahme den beabsichtigten Erfolg hatte; der Kläger war anschließend im Umschulungsberuf eingegliedert. Auf diese Fallgestaltung zugeschnitten ist § 46 Abs 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) dem öffentlichen Dienstrecht nachgebildet (vgl § 46 Abs 3 Satz 1 Soldatengesetz idF vom 10. Januar 1968 BGBl 1220 - vgl hierzu BVerfGE 39, 128, 141 ff; BVerwGE 52, 70, 72 ff; 52, 84, 89; und Verträge zwischen Berufsanwärtern und öffentlichem Dienstherrn - vgl hierzu BVerwGE 30, 65, 70; 74, 78 und Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in ZBR 1981, 126; vgl auch BAGE 13, 168; 42, 49 und BAG in NZA 1984, 288). Der durch die Übernahme von Ausbildungskosten Begünstigte soll nicht aus einem gesicherten Status vorzeitig ausscheiden, um entweder die erhaltene Ausbildung wirtschaftlich günstiger zu verwerten oder neue Lebenschancen zu nutzen. Wichtige Gründe, die eine Lösung von der Selbstverpflichtung rechtfertigen könnten, dürften in aller Regel nur in späteren unvorhersehbaren Änderungen der Lebensverhältnisse angelegt sein, die eine abweichende Lebensplanung auch unter Berücksichtigung des öffentlichen Interesses unabweisbar machen.

Solche Änderungen hat das Landessozialgericht (LSG) nicht festgestellt. Das Studium der Zahnmedizin war geplant; das Bewerbungsverfahren lief bereits während der Umschulung. Die glückliche Fügung einer unerwartet frühzeitigen Zuteilung des Studienplatzes eröffnete dem Kläger eine Chance, die er entweder aufschieben mußte oder nur um den Preis der Rückzahlung der erhaltenen Leistungen ergreifen konnte. Diese Verpflichtung hatte er übernommen; sie war gesetzliche Bedingung für die Leistung. Demgegenüber fällt entgegen der Auffassung des Landessozialgericht (LSG) auch das vorgerückte Lebensalter des Klägers nicht ins Gewicht, weil er das bereits bei Übernahme der Verpflichtung absehen konnte. Zwar hat das Landessozialgericht (LSG) zu Recht die individuell bedeutsame Entscheidung für das Studium als einen subjektiv wichtigen Grund gewertet. Bei der gesetzlich gebotenen Interessenabwägung hat dieser Grund indessen zurückzutreten, weil das öffentliche Interesse nicht auf eine Geldleistung (Beiträge), sondern auf die Erfüllung der Verpflichtung (Besetzung des offenen Arbeitsplatzes) gerichtet ist (anders zu § 74c Handelsgesetzbuch (HGB) - BAG in SAE 1975, 207).

Dem Landessozialgericht (LSG) kann auch nicht darin gefolgt werden, daß das öffentliche Interesse an der Erfüllung der Verpflichtung zur Ausübung des beitragspflichtigen Umschulungsberufes abnimmt, wenn für gewisse Zeiträume Beiträge bereits entrichtet sind. Weder die Erfüllung zu zwei Dritteln nach der Umschulung noch die unter Einrechnung der Vorversicherungszeit mehr als dreieinhalbjährige Gesamtbeitragsleistung ist vom Gesetz als wichtiger Grund anerkannt. Es hätte dann eine gestaffelte Rückzahlungsverpflichtung eingeführt werden können, wie sie beispielsweise im zweiten und dritten Sonderprogramm des Bundes und der Länder zur verstärkten Bereitstellung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen für Schwerbehinderte (vgl die Bek vom 28. März 1979 - BAnz Nr 64 vom 31. März 1979) vorgesehen war. Nach dem Zusammenhang der Norm und ihrem Standort im Aufgabenbereich der Bundesanstalt für Arbeit betrifft das öffentliche Interesse, das den vom Einzelnen angeführten Gründen gegenüberzustellen ist, nicht die Erzielung von Einnahmen in Höhe der Beiträge aus der später ausgeübten Beschäftigung. Dieses finanzielle Interesse allein rechtfertigt die in § 46 Abs 2 Satz 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) geforderte Selbstverpflichtung und die hiermit verbundene Auferlegung der "Vertragsstrafe" in dieser Höhe nicht. Die gesetzliche Regelung wäre bei einem derartig beschränkten Zweck vom Ansatz her unverhältnismäßig, weil bei vorheriger beitragspflichtiger Beschäftigung eine erheblich kürzere Beitragsentrichtung ausreicht und aus diesen Beiträgen bei Arbeitslosigkeit sogar bereits Leistungen gewährt worden sein können. Die gegenüber der Absichtserklärung des § 36 Nr 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) präzisierte, verstärkte und mit der "Vertragsstrafe" bewehrte Verpflichtung unterstützt vielmehr in besonderem Maße die zentrale Aufgabe der Beklagten, die berufliche Bildung zur Verbesserung des Arbeitsmarktes mit dem Ziel eines hohen Beschäftigungsstandes zu fördern (§§ 1, 2 Nrn 1, 2 und 3, § 14 Abs 1, § 33 Abs 1 Satz 2, § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 3 und Satz 2, § 39 Satz 2 Nr 1, § 41 Abs 1, § 43 Abs 1, § 47 Abs 1 Satz 1 AFG). Nur wenn die Umschüler ihre Kenntnisse auf dem Arbeitsmarkt anschließend tatsächlich verwerten, kann die Beklagte diese Aufgabe erfüllen und dafür sorgen, daß auf dem Arbeitsmarkt genügend qualifizierte Arbeitskräfte verfügbar sind, also ein Mangel an Arbeitskräften vermieden wird. Mit der Rückzahlungspflicht wird der Umgeschulte zur Mitwirkung bei dieser Aufgabe angehalten; seine Beitragsleistung in dieser Zeit ist nur eine Nebenfolge. Allein dieser Gesetzeszweck rechtfertigt es, bei Nichterfüllung nicht etwa durchschnittliche Beiträge für drei Beschäftigungsjahre, sondern den vollen Förderungsbetrag zu verlangen. Diese Mittel können dann bereitgestellt werden, um für den Arbeitsmarkt die benötigte qualifizierte Kraft erneut heranzubilden. Werden erworbene Umschulungskenntnisse auf einem offenen Arbeitsmarkt nicht verwertet, haben die eingesetzten Mittel der Solidargemeinschaft den Zweck zu einem wesentlichen Teil verfehlt. Nur individuell ist eine Verbesserung der beruflichen Beweglichkeit eingetreten, die aber dem Arbeitsmarkt nicht im vom Gesetz geforderten Maße zugute kommt. Aus diesem Grund teilt der Senat die Auffassung des 11. Senats (SozR 4100 § 46 Nr 9), daß aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht abgeleitet werden kann, bei teilweiser Erfüllung der Verpflichtung eine teilweise Reduzierung der Rückforderung vorzusehen.

Die Rückforderung scheitert auch nicht daran, daß es die Beklagte unterlassen hat, im Rahmen ihrer allgemeinen Fürsorgepflichten auf die Höhe der möglichen Zahlungsverpflichtung, den Lauf der Frist, denkbare Befreiungsgründe oder beispielhaft aufgezählte wichtige Gründe hinzuweisen (vgl hierzu das obengenannte Urteil des Senats vom 28. März 1990 - aaO). Die Belehrungspflicht, die der Senat in dem genannten Urteil näher dargelegt hat, soll vermeidbares Fehlverhalten in Zeiten der Arbeitslosigkeit, während Krankheit oder einer sonstigen Unterbrechung der versicherungspflichtigen Beschäftigung vermeiden helfen und vor allem dem Beweisnotstand in atypischen Situationen begegnen. Sie soll und kann dem Umgeschulten nicht jede mögliche Fehlentscheidung abnehmen. Das Gesetz benutzt das Tatbestandsmerkmal des wichtigen Grundes, weil jeweils alle Umstände des Einzelfalles abgewogen werden müssen und eine Präzisierung abstrakt nicht möglich erscheint. Auch der Beklagten kann über die Belehrungspflicht nicht das auferlegt werden, was dem Gesetzgeber nicht gelungen ist. Nur wenn sich mangels Belehrung die Beweissituation für den Betroffenen nachteilig ändert, kommt eine Umkehr der Beweislast in Betracht. Wenn aber der vom Gesetz vorgesehene Regeltatbestand der Beschäftigung im Umschulungsberuf eintritt und der Betroffene über die Auslegung des wichtigen Grundes irrt, geht dies zu seinen Lasten. Im übrigen hat das Landessozialgericht (LSG) festgestellt, daß der Kläger auch angesichts des vorliegenden Streitfalls und in Kenntnis der ihm auferlegten Rückzahlungsverpflichtung die damals getroffene Entscheidung für das Studium noch immer für richtig hält, also für sich selbst den wichtigen Grund bejaht. Damit hat es zugleich festgestellt, daß sich etwaige Aufklärungsmängel nicht ausgewirkt haben.

Der Kläger braucht die Summe jedoch nicht zurückzuzahlen. Denn er mußte sich hierzu nur deshalb verpflichten, weil es ihm bis zum Beginn der Umschulung gelungen war, eine drohende Arbeitslosigkeit abzuwenden. Die Rückforderungsvorschrift ist einschränkend auszulegen; drohende und eingetretene Arbeitslosigkeit sind insoweit gleichzusetzen. Geschähe dies nicht, würde der Beschäftigungswille geschwächt und dem vorrangigen Interesse der BA an der Vermeidung von Arbeitslosigkeit entgegengewirkt. Deshalb darf fortdauernde Beschäftigung nicht derart nachteilige Folgen auslösen.

An sich stellt das Gesetz bei den Voraussetzungen für die Leistungen der individuellen Förderung der beruflichen Bildung (2. Abschn des Gesetzes, 4. Unterabschn II) die eingetretene Arbeitslosigkeit der drohenden Arbeitslosigkeit gleich, soweit geprüft wird, ob die Maßnahme iS des § 44 Abs 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) notwendig ist (der in § 42 Abs 2 und in § 46 Abs 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) in Bezug genommen wird); das gilt auch bei der Bewilligung von Einarbeitungszuschüssen (§ 49 Abs 1 Satz 1 Nrn 1 und 2 AFG). Denn das ganze Arbeitsförderungsrecht ist auf Vermeidung von Arbeitslosigkeit angelegt.

Auch im vorliegenden Fall war diese Gleichstellung für die Bewilligung der Leistung erforderlich. Der Kläger hatte einen beruflichen Abschluß erreicht und war nicht arbeitslos; die Anspruchsvoraussetzungen von § 46 Abs 2 Satz 1 iVm § 44 Abs 2 Nrn 1 und 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) lagen also nicht vor. Die Beklagte hat aber den Kläger zu Recht als von Arbeitslosigkeit unmittelbar bedroht angesehen (Nr 2), sonst hätten überhaupt keine Mittel bewilligt werden dürfen. Die Umschulung war notwendig, um drohende Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Durch vertragliche Absprachen mit seinem Arbeitgeber und späteren Ausbilder hat der Kläger jedoch einen nahtlosen Anschluß von der Hilfsarbeitertätigkeit zur Umschulung erreicht. Wäre die zur Begründung des Anspruchs prognostizierte Arbeitslosigkeit eingetreten und hätte sich der Kläger daraufhin arbeitslos gemeldet, hätte er nach § 104 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) idF durch das HStruktG-AFG einen Anspruch auf Alg nicht nur für 156, sondern sogar für 234 Tage gehabt.

Diese Anwartschaft allein erlaubt allerdings der Beklagten nicht die Bewilligung von Uhg nach § 46 Abs 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) (BSG SozR 4100 § 46 Nr 10). Bei einer solchen Auslegung würde der gesetzliche Regeltatbestand, der für den Anspruch auf Uhg eine beitragspflichtige Beschäftigung von zwei Jahren innerhalb der letzten drei Jahre vor Beginn der Maßnahme verlangt, überflüssig, weil ein Versicherter schon nach einem Jahr beitragspflichtiger Beschäftigung einen Anspruch auf Alg für eine Anspruchsdauer von mindestens 156 Tagen erwirbt. Nur zwischen 1983 und 1987 waren insoweit eineinhalb Jahre Beschäftigungszeit erforderlich (§ 106 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) idF des HBegleitG vom 20. Dezember 1982 - BGBl I 1857 bis zum 1. Juli 1987, als das Gesetz vom 27. Juni 1987 - BGBl I 1542 in Kraft trat), jedoch niemals zwei Jahre.

Der Gesetzesfassung darf auch nicht entnommen werden, daß Antragsteller, deren Umschulung notwendig ist, von der Beklagten dahin zu beraten sind, im Rahmen der ihnen zur Verfügung stehenden Gestaltungsmöglichkeiten jedenfalls einen Tag als Arbeitslose im Leistungsbezug zu stehen. Das folgt auch nicht aus § 25 Abs 1 Satz 2 und § 28 AFG, wonach eine besondere Unterrichtungspflicht über die Förderung der beruflichen Bildung im Einzelfall besteht. Eine solche Beratung widerspräche dann der Hauptaufgabe der Beklagten, den Eintritt von Arbeitslosigkeit zu vermeiden (§ 2 Nr 1 AFG).

Soweit Maßnahmen der beruflichen Bildung notwendig sind, steht die Rückzahlungsverpflichtung indessen außer Verhältnis zu den im Gesetz angelegten Gestaltungsmöglichkeiten derjenigen, die eine Anwartschaft auf Arbeitslosengeld für 156 Tage erworben haben. Soweit sie den Eintritt von Arbeitslosigkeit bis zum Beginn der Maßnahme vermieden und damit die Solidargemeinschaft entlastet haben, darf aus diesem erwünschten Verhalten nicht Jahre später eine Zahlungsverpflichtung erwachsen, die sogar dann noch eingreift, wenn die Begünstigten insgesamt länger als drei Jahre beitragspflichtig beschäftigt gewesen sind. Hiermit weicht der Senat nicht von der Entscheidung des inzwischen für Fragen der beruflichen Bildung nicht mehr zuständigen 11. Senats (BSG SozR 4100 § 46 Nr 9) ab. Der Senat stimmt mit dieser Entscheidung überein. Weder ist der Beklagten hinsichtlich der Entscheidung über die Rückforderung ein Ermessen einzuräumen, noch folgt aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, fehlendes oder geringes Verschulden eines Leistungsempfängers, der den wichtigen Grund verkennt, regelmäßig in einer Härteentscheidung zu berücksichtigen. Nicht der subjektive Tatbestand oder Besonderheiten des Einzelfalles geben hier den Ausschlag. Es geht nicht um Ausgleich individueller Härten, sondern um die widerspruchsfreie Einordnung der Norm in den Gesamtzweck des Gesetzes.

Auch der 11. Senat hatte bereits über einen vergleichbaren Härtefall zu entscheiden, als unter bestimmten Umständen die Zahlung des Alg unterblieben war, obwohl es trotz fortbestehenden Arbeitsentgeltanspruchs hätte bezogen werden können (aaO Nr 10). Härten dieser Art sind im Gesetz angelegt, weil die Leistungsvoraussetzungen in § 46 Abs 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) in sich widersprüchlich sind. Sie stehen nicht im Einklang mit der sonst zutreffend angeordneten Gleichwertigkeit von drohender Arbeitslosigkeit mit bereits eingetretener Arbeitslosigkeit. Bei eingetretener Arbeitslosigkeit verlängert sich zugunsten der Antragsteller nicht nur die Rahmenfrist - die Beitragsleistung darf länger als drei Jahre zurückliegen -, sondern die erforderliche beitragspflichtige Beschäftigung verkürzt sich auch noch von zwei Jahren auf ein Jahr. Dieser Normwiderspruch ist für die Bewilligung der Leistung nicht aufhebbar, steht aber dem Verlangen nach Rückzahlung der Umschulungskosten entgegen. Die Auslegung des Gesetzes muß vermeiden, daß der Eintritt von Arbeitslosigkeit, der in gewissem Umfang stets steuerbar ist, darüber entscheidet, welche Leistungen in welcher Höhe und unter welchen Bedingungen zur Verfügung gestellt werden. Da die Selbstverpflichtung vor Bewilligung der Leistungen die Interessen des Antragstellers jedoch noch nicht berührt, weil die Umschulung auch für ihn eine durchgehende beitragspflichtige Beschäftigung im erlernten Beruf bezweckt, bedarf es nur der einschränkenden Auslegung der Rückforderungsvorschrift. Mit dieser Auslegung vermeidet man zugleich unnötige Streitigkeiten über den Umfang denkbarer Belehrung bei Antragstellung, die auch dahin gehen könnte, die noch fehlende Anwartschaftszeit (im vorliegenden Fall fünf Monate) zurückzulegen, bevor die Umschulung begonnen wird. Vor allem aber wirkt man dem sonst für den informierten Versicherten naheliegenden Verhalten entgegen, lieber Arbeitslosigkeit, evtl gar eine Sperrzeit in Kauf zu nehmen, nur um eine später drohende Rückzahlungsverpflichtung zu vermeiden.

 

Fundstellen

BSGE, 50

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