Leitsatz (amtlich)

1. RVO § 1266 Abs 1 verstößt nicht gegen GG Art 3.

2. Unter "Bestreiten des Unterhalts" im Sinne des RVO § 1266 Abs 1 ist nur das Zurverfügungstellen von Unterhaltsmitteln, nicht aber die Führung des Haushalts und die Fürsorge für die Kinder zu verstehen.

3. Maßgebender Zeitraum, in welchem die Versicherte den Unterhalt ihrer Familie überwiegend bestritten haben muß, ist der letzte wirtschaftliche Dauerzustand vor ihrem Tode. Dieser rechnet von der letzten vor dem Tode der Versicherten eingetretenen wesentlichen Änderung der Einkommensverhältnisse eines Familienmitgliedes mit Dauerwirkung bis zum Tode der Versicherten bzw dem Beginn der zum Tode führenden Krankheit.

4. Entscheidend ist, ob das Einkommen der Versicherten während dieser Zeit die Hälfte des Gesamtfamilieneinkommens überstiegen hat.

 

Normenkette

RVO § 1266 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; GG Art. 3 Fassung: 1949-05-23

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 8. Oktober 1959 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Tatbestand

Der im Jahre 1909 geborene Kläger war bis zum 7. April 1953, unterbrochen von Zeiten der Arbeitslosigkeit, versicherungspflichtig beschäftigt. Bis zum 9. Oktober 1953 bezog er Krankengeld und daran anschließend Invalidenrente. Im Jahre 1956 betrug sein Einkommen 1 765,10 DM und in der Zeit vom 1. Januar bis zum 21. Dezember 1957 2 721,40 DM. Die im Jahre 1912 geborene Ehefrau des Klägers war von 1926 bis 1941 und vom 28. August 1950 bis zum 21. Dezember 1957 - mit Unterbrechungen - versicherungspflichtig beschäftigt. Im Jahre 1956 betrug ihr Einkommen 2 713.50 DM und vom 1. Januar bis zum 21. Dezember 1957 2 740,05 DM. Die im Haushalt ihrer Eltern lebende, am 18. Juli 1941 geborene, Tochter R... war von Ostern 1956 an als kaufmännischer Lehrling tätig. Ihr Einkommen betrug im Jahre 1956 450,-- DM und in der Zeit vom 1. Januar bis zum 21. Dezember 1957 672,-- DM. Weitere Kinder sind aus dieser Ehe nicht vorhanden. Die Ehefrau des Klägers starb am 21. Dezember 1957 infolge plötzlichen Herzversagens.

Am 17. Januar 1958 beantragte der Kläger die Gewährung von Witwerrente aus der Invalidenversicherung seiner verstorbenen Ehefrau. Die Beklagte lehnte diesen Antrag durch Bescheid vom 24. April 1958 mit der Begründung ab, daß die Ehefrau des Klägers in der Zeit vom 1. Januar 1957 bis zu ihrem Tode ein niedrigeres Durchschnitts-Nettoeinkommen als der Kläger gehabt und daher nicht überwiegend den Unterhalt der Familie bestritten habe.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger bei dem Sozialgericht Berlin Klage und machte geltend, seine verstorbene Ehefrau habe den Unterhalt der Familie überwiegend bestritten. Durch die Führung des gemeinsamen Haushaltes habe sie einen weiteren Beitrag zum Unterhalt der Familie geleistet. Er selbst habe wegen einer Tbc-Erkrankung im Haushalt nicht helfen können. Zudem habe er wegen dieser Erkrankung seit 1953 erhöhte Aufwendungen für seinen Unterhalt gehabt. Seine Tochter Renate habe im Haushalt nicht geholfen.

Durch Urteil vom 29. Oktober 1958 verurteilte das Sozialgericht Berlin die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 24. April 1958, dem Kläger vom 1. Januar 1958 an Witwerrente zu gewähren. Im Jahre 1957 habe die Versicherte zwar nicht den überwiegenden Unterhalt der Familie bestritten, jedoch sei dies in den Jahren 1954, 1955 und 1956 der Fall gewesen. Sie habe infolge ihrer Berufstätigkeit wohl höhere Ausgaben gehabt, andererseits habe aber auch der Kläger infolge seiner Tbc-Erkrankung seit 1953 erhöhte Aufwendungen machen müssen. Die Hauptlast der Haushaltführung habe bei der Versicherten gelegen.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht Berlin durch Urteil vom 8. Oktober 1959 das Urteil des Sozialgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen; es hat die Revision zugelassen

Bei Anwendung des § 1266 der Reichsversicherungsordnung (RVO) könne nicht nur von den Verhältnissen ausgegangen werden, die beim Tode der Versicherten oder unmittelbar davor bestanden hätten, sondern es sei dabei eine Zeitspanne von etwa zwei Jahren zu berücksichtigen. Sowohl im Jahre 1957 wie auch in den Jahren 1956 und 1957 zusammen habe die Versicherte aber nicht mehr als die Hälfte zum Gesamteinkommen der Familie beigetragen.

Ob und in welchem Umfange die Krankheit des Klägers neben den Leistungen der Krankenversicherung besondere Aufwendungen verursacht habe, könne dahingestellt bleiben, weil auch diese Aufwendungen zum Unterhalt gehörten und die Höhe der für den Unterhalt der einzelnen Familienmitglieder jeweils verwendeten Beträge ohnehin nicht mehr mit hinreichender Sicherheit festzustellen sei. Im übrigen müßten, wenn man diese Aufwendungen besonders berücksichtigen wolle, auch die durch die Berufstätigkeit und die Krankheit der Versicherten bedingten Mehraufwendungen berücksichtigt werden. Unerheblich sei weiterhin, in welchem Umfange sich die Eheleute und die Tochter an der Führung des Haushalts beteiligt hätten, weil die Pflicht der Ehefrau, das gemeinschaftliche Hauswesen zu leiten, nicht zu ihren dem Manne gegenüber nach § 1360 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) bestehenden Unterhaltspflichten gehöre. Bei der Funktion der Witwerrente, den von der Versicherten bis zu ihrem Tode oder bis zum Beginn der unmittelbar zum Tode führenden Erkrankung gezahlten oder geschuldeten Unterhalt zu ersetzen, könnten die Voraussetzungen des § 1266 RVO nicht schon deshalb als erfüllt angesehen werden, weil, wie hier, in den Jahren 1953 bis 1956, das Einkommen der Versicherten einige Zeit höher gewesen sei als das des Klägers. Wenn man schon weiter zurückgehen wollte, sei ein Zeitraum von vier Jahren im Verhältnis zur Dauer der Ehe, die 21 Jahre bestanden habe, nicht als überwiegend anzusehen. Aus dem sich aus den Beitragsaufstellungen ergebenden Einkommen der Eheleute bis zum Ende des Jahres 1952 ergebe sich aber, daß der überwiegende Teil des Unterhalts der Familie vom Kläger bestritten worden sei.

Gegen das seiner Prozeßbevollmächtigten am 18. Dezember 1959 zugestellte Urteil hat der Kläger mit Schriftsatz seiner Prozeßbevollmächtigten vom 14. Januar 1960, eingegangen beim Bundessozialgericht am 15. Januar 1960, unter Stellung eines Revisionsantrages Revision eingelegt und diese mit Schriftsatz seiner Prozeßbevollmächtigten vom 13. Februar 1960, eingegangen beim Bundessozialgericht am 15. Februar 1960, begründet.

Er rügt die Verletzung des § 1266 RVO. Das Berufungsgericht habe zu Unrecht angenommen, daß die Versicherte den Unterhalt der Familie nicht überwiegend bestritten habe. Das treffe lediglich für das Jahr 1957, in welchem das Einkommen der Ehefrau nicht ganz die Hälfte der Gesamteinnahmen der Familie erreicht habe, zu. Dies werde jedoch durch die Haushaltführung der Versicherten mehr als ausgeglichen. Wenn auch die Pflicht der Ehefrau, das gemeinschaftliche Hauswesen zu leiten, nicht zu ihren dem Manne gegenüber nach § 1360 BGB bestehenden Unterhaltspflichten gehören möge, so leiste sie doch mit dieser Tätigkeit einen wesentlichen Beitrag zum Bestreiten des Unterhalts der Familie, der in diesem Zusammenhang nicht unberücksichtigt bleiben dürfe. Im übrigen aber stehe fest, daß die Ehefrau mindestens einige Jahre lang vorher schon bei alleiniger Berücksichtigung der geldlichen Einnahmen den überwiegenden Unterhalt der Familie bestritten habe. Bei richtiger Anwendung des § 1266 RVO hätte daher der Klage stattgegeben werden müssen.

Er beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 8. Oktober 1959 aufzuheben und der Klage stattzugeben,

hilfsweise,

das angefochtene Urteil aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden; sie ist statthaft, weil das Berufungsgericht sie zugelassen hat. Bedenken gegen ihre Zulässigkeit bestehen somit nicht. Es mußte ihr jedoch der Erfolg versagt bleiben.

Da der Versicherungsfall, der Tod der Versicherten, nach dem 31. Dezember 1956 eingetreten ist, richtet sich der geltend gemachte Anspruch nach § 1266 Abs. 1 RVO.

Wie der Senat bereits in seinem zu § 1257 RVO aF ergangenen Urteil vom 7. März 1957 (BSG 5, 17) entschieden hat, widerspricht eine Regelung, wie sie in § 1266 Abs. 1 RVO getroffen ist, nicht dem Gleichberechtigungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG). Der Senat trug keine Bedenken, nunmehr auch noch ausdrücklich auszusprechen, daß § 1266 Abs. 1 RVO mit Art. 3 Abs. 2 GG in Einklang steht.

Da alle sonstigen Voraussetzungen des § 1266 Abs. 1 RVO, wie zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist, zweifelsohne vorliegen, hängt der Anspruch des Klägers allein davon ab, ob die Versicherte den Unterhalt ihrer Familie überwiegend bestritten hat, d.h. ob die von ihr zum Unterhalt der Familie beigesteuerten Mittel die Hälfte des Gesamtfamilieneinkommens übersteigen. Die Familie bestand aus dem Kläger, der Versicherten und der damals noch nicht achtzehnjährigen Tochter Renate. Es kann bei den Einkommensverhältnissen der in Betracht kommenden Bevölkerungskreise ohne Bedenken davon ausgegangen werden, daß die gesamten Einnahmen zum Unterhalt verwandt worden sind, so daß sich die Höhe des Familienunterhalts mit der Höhe des Gesamteinkommens der Familie deckt. Entscheidend ist also, ob das Einkommen der Versicherten größer war als die Hälfte des Gesamteinkommens der Familie. Nur wenn dies der Fall war, hat der Kläger Anspruch auf Witwerrente.

Es kommt, was der Kläger verkennt, nach § 1266 Abs. 1 RVO nicht darauf an, in welcher Höhe Mittel für den Unterhalt des einen oder anderen Familienmitglieds verbraucht worden sind, maßgebend ist vielmehr allein der Gesamtunterhalt der Familie.

Ebenso verkennt der Kläger, daß unter "Unterhalt bestreiten" im Sinne dieser Vorschrift schon nach allgemeinem Sprachgebrauch nur das Zurverfügungstellen der dem Unterhalt dienenden Mittel, nicht aber die Haushaltführung und die Fürsorge für die Kinder zu verstehen ist (vgl. dazu BSG 12, 1; SozR SozVers § 1258 RVO nF Aa 3 Nr. 6). Dies ergibt sich auch aus dem Zweck dieser Vorschrift. Durch die Rentenversicherung wird das Risiko der Minderung oder des Wegfalls der Erwerbsfähigkeit des Versicherten gedeckt; die Renten sollen das durch eine Minderung oder den Wegfall der Erwerbsfähigkeit weggefallene Einkommen ersetzen. Die Hinterbliebenenrenten haben also nur den Zweck, das infolge des Todes des Versicherten weggefallene Erwerbseinkommen bzw. das bereits zu seinen Lebzeiten an dessen Stelle getretene Renteneinkommen, nicht aber sonstige Leistungen, wie etwa die Haushaltführung und die Fürsorge für die Kinder, bei deren Verrichtung ja auch keine Beiträge entrichtet zu werden brauchen, zu ersetzen oder erhöhte Aufwendungen auszugleichen. Zwar hat der Gesetzgeber in § 1266 Abs. 1 RVO ebenso wie in § 1257 RVO aF nicht auf den aus Erwerbstätigkeit stammenden Unterhalt, sondern allgemein auf "Unterhalt" abgestellt. Hierin liegt theoretisch eine gewisse Ausweitung des nach diesen Grundsätzen eigentlich zulässigen Unterhaltsbegriffs, da danach auch die aus Vermögen stammenden Unterhaltsmittel zu berücksichtigen sind. Jedoch konnte der Gesetzgeber diese Ausweitung unbedenklich vornehmen, weil bei dem Kreis der betroffenen Personen praktisch doch nur das unmittelbar oder mittelbar - in Form von Renten - aus Erwerbstätigkeit stammende Einkommen eine Rolle spielt Es geht aber nicht an, hieraus nun das Recht auf eine andere, sich noch weiter von dem Zweck der Hinterbliebenenrenten entfernende Auslegung des Begriffs "Unterhalt" herzuleiten, an die der Gesetzgeber bei Erlaß dieser Vorschrift nicht gedacht hat, indem jetzt auch die Haushaltführung und die Fürsorge für die Kinder als Unterhalt im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden, zumal diese Ausweitung anders als die erstere Ausweitung in den meisten Fällen von erheblicher praktischer Bedeutung sein würde. Bis zum Inkrafttreten des GG ist auch nie zweifelhaft gewesen, daß die Haushaltführung und die Fürsorge für die Kinder keine Unterhaltsleistung im Sinne dieser Vorschrift sind. Zweifel sind erst unter der Herrschaft des Art. 3 GG aufgetreten. Da nach dem Gleichberechtigungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 2 GG (vgl. auch das Gleichberechtigungsgesetz vom 18. Juni 1957 - BGBl I 609 -) auch die von der Frau durch Führung des Haushalts und Fürsorge für die Kinder erbrachten Leistungen dem durch Zurverfügungstellung von Unterhaltsmitteln geleisteten Unterhalt gleichwertig sind, konnte die Frage auftauchen, ob die Haushaltführung und die Fürsorge für die Kinder nicht auch als Unterhalt im Sinne der §§ 1257 RVO aF, 1266 Abs. 1 RVO anzusehen sind. Dies ist jedoch nicht der Fall. Es ist zwar richtig, daß diese verschiedenen Arten von Leistungen nunmehr gleichwertig sind, sie sind aber nach wie vor nicht gleichartig, und zwar gerade in dem für die Anwendung dieser Vorschriften entscheidenden Gesichtspunkt nicht gleichartig, da im Falle dieser Betreuungsleistungen keine aus Erwerbstätigkeit stammenden Mittel, deren Ersatz allein Zweck der Hinterbliebenenrenten ist, zur Verfügung gestellt werden. Eine dieser Verschiedenheit gemäße unterschiedliche Behandlung dieser Leistungen verstößt daher weder gegen Abs. 1 noch gegen Abs. 2 des Art. 3 GG, zumal der Wegfall des Familieneinkommens in entscheidend stärkerem Maße als der Wegfall dieser Betreuungsleistungen einen Ersatz durch Rente erforderlich macht. Wenn auch die RVO keine eigene Definition des Unterhaltsbegriffs enthält und daher grundsätzlich auf den jeweiligen bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsbegriff zurückgegriffen werden muß, so hat dies doch seine Grenzen dort, wo sich eine Eigenart des sozialversicherungsrechtlichen Unterhaltsbegriffs mit genügender Deutlichkeit ergibt. Da dies, wie bereits ausgeführt, hier der Fall ist, können Leistungen in Form der Haushaltführung und der Fürsorge für die Kinder auch nach heutiger Rechtslage nicht als Bestreiten des Unterhalts im Sinne des § 1266 Abs. 1 RVO angesehen werden.

Es war nach § 1266 Abs. 1 RVO weiter zu prüfen, während welcher Zeit vor ihrem Tode die Versicherte den überwiegenden Unterhalt bestritten haben muß. § 1266 Abs. 1 RVO enthält keinen zeitlichen Hinweis; insbesondere ist nicht auf den Zeitpunkt des Todes oder auf die Zeit vor dem Tode der Versicherten abgestellt. Es darf aber auch hier nicht verkannt werden, daß die Hinterbliebenenrenten den Zweck haben, das durch den Tod der Versicherten entfallene Erwerbseinkommen oder das bereits an dessen Stelle getretene Renteneinkommen zu ersetzen. Diesem Zweck würde es eigentlich gemäß sein, wenn darauf abgestellt würde, ob die Versicherte, wenn sie nicht gestorben wäre, den Unterhalt ihrer Familie überwiegend bestritten haben würde. Da eine solche Feststellung nicht möglich ist, stellt es der Gesetzgeber verständlicherweise auf die Zeit vor dem Tode der Versicherten ab, aus der Überlegung heraus, daß die Fortdauer dieses Zustandes - falls der Tod nicht eingetreten wäre - unterstellt werden dürfe. Erkennt man dies, so kommt es, auch wenn diese Vorschrift eine solche zeitliche Beschränkung ausdrücklich nicht enthält, doch entscheidend auf die Zeit vor dem Tode der Versicherten an, da nur diese symptomatisch dafür sein kann, was in der späteren Zeit gewesen wäre, wenn die Versicherte nicht gestorben wäre. Aus den Einkommensverhältnissen früherer Zeiten können dagegen entsprechende Schlüsse nicht gezogen werden (vgl. dazu auch EuM 20, 337; 20, 2401; 20, 371; 30, 151; 33, 516).

Es fragte sich allerdings, welcher Zeitraum vor dem Tode der Versicherten als maßgebend anzusehen ist. Einer schematischen Abgrenzung nach Jahren und Monaten haften häufig Unbilligkeiten an, auch würde sie nicht mit dem Zweck dieser Vorschrift vereinbar sein, da es hiernach ja auf denjenigen letzten Zeitraum ankommt, von dem man annehmen kann, daß sich seine Umstände fortgesetzt hätten, falls die Versicherte nicht gestorben wäre. Maßgebend muß daher der letzte wirtschaftliche Dauerzustand vor dem Tode der Versicherten sein, da man von diesem annehmen kann, daß er sich ohne den Tod der Versicherten fortgesetzt haben würde. Der Beginn dieses letzten Dauerzustandes ist dort zu suchen, wo letztmalig vor dem Tode der Versicherten eine wesentliche Änderung der Einkommensverhältnisse eines Familienmitgliedes mit Dauerwirkung eingetreten ist. Das Ende dieses Zeitraums ist der Tod der Versicherten, gegebenenfalls der Beginn der zum Tode führenden Krankheit. Im Zweifel wird man annehmen können, daß eine vor dem Tode der Versicherten vorliegende Krankheit den Tod verursacht hat. Gleichgültig ist, ob innerhalb dieses letzten Dauerzustandes Zeiten vorübergehender Schwankungen der Einkommen eines oder mehrerer Familienmitglieder liegen, da diese nicht symptomatisch in diesem Sinne sein können. Maßgebend ist also auch in einem solchen Falle der gesamte letzte wirtschaftliche Dauerzustand einschließlich der in ihm enthaltenen Zeiten vorübergehender Einkommensschwankungen bei den Familienmitgliedern. Entscheidend ist, wie bereits ausgeführt, ob die Versicherte während dieses letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes den Unterhalt der Familie überwiegend bestritten hat, d.h. ob ihr Einkommen während dieses Zeitraumes einschließlich der in ihm enthaltenen Zeiten vorübergehender Einkommensschwankungen, größer war als die Hälfte des Gesamteinkommens aller Familienmitglieder.

Die letzte wesentliche Änderung der Einkommensverhältnisse der Familie des Klägers mit Dauerwirkung liegt in der auf Grund des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) eingetretenen Erhöhung der Rente des Klägers am 1. Januar 1957. Eine Änderung der Einkommensverhältnisse kann auch bei gleichbleibender Einkommensart und Einkommensquelle gegeben sein. Wenn auch nicht jede Erhöhung einer Rente als eine wesentliche Änderung in diesem Sinne angegeben werden kann, so muß doch die für den Kläger im Zuge der Rentenreform am 1. Januar 1957 eingetretene Rentenerhöhung als solche bewertet werden, da seine Rente von 147,10 DM auf 232,60 DM, also nicht nur absolut, sondern auch relativ wesentlich gestiegen ist.

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Kläger in der hiernach maßgebenden Zeit vom 1. Januar bis zum 21. Dezember 1957 insgesamt ein Nettoeinkommen von 2 721,40 DM, die Versicherte von 2 740,05 und die Tochter R... von ca. 675,-- DM gehabt. Dieses letztere Einkommen ist zwar als Bruttoeinkommen bezeichnet; da es aber wegen seiner geringen Höhe lohnsteuerfrei ist und der Arbeitgeber die Sozialversicherungsbeiträge allein zu entrichten hatte, kann man diesen Betrag praktisch als Nettoeinkommen behandeln. Das Einkommen aller Familienmitglieder zusammen hat während dieses Zeitraums also 6 136, 45 DM, das der Versicherten für sich allein 2 740,05 DM betragen. Das letztere hat also nicht die Hälfte des gesamten Familieneinkommens überstiegen. Die Versicherte hat somit nicht den Unterhalt ihrer Familie überwiegend bestritten. Dem Kläger steht damit ein Anspruch auf Witwerrente nicht zu, so daß das angefochtene Urteil im Ergebnis zutreffend ist.

Die Revision mußte somit als unbegründet zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

BSGE, 129

NJW 1961, 1423

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