Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, während welchen Zeitraums vor ihrem Tode die verstorben Ehefrau ihre Familie überwiegend unterhalten haben muß. (Fortsetzung BSG 1961-03-23 4 RJ 13/60 = BSGE 14, 129).

 

Leitsatz (redaktionell)

Ist der Versicherungsfall vor dem Inkrafttreten des ArVNG eingetreten, richtet sich der Anspruch auf Witwerrente nach RVO aF § 1257, da RVO nF § 1266 nicht rückwirkend in Kraft gesetzt worden ist (ArVNG Art 2 § 5). RVO § 1257 aF verstößt jedoch gegen GG Art 3 Abs 2 und ist daher mit dem Inkrafttreten des ArVNG außer Kraft getreten; an seiner Stelle ist der in RVO § 1266 nF enthaltene Grundsatz anzuwenden (Vergleiche BSG 1957-03-07 4 RJ 26/56 = BSGE 5, 17). Sind alle sonstigen Voraussetzungen des Anspruchs gegeben, kommt es nur darauf an, ob die Versicherte ihre Familie überwiegend unterhalten hat, dh ob die von ihr zum Unterhalt der Familie beigesteuerten Mittel die Hälfte des Gesamteinkommens der Familie überstiegen.

Unter dem Bestreiten des Unterhalts iS des RVO nF § 1266 ist das Zurverfügungstellen der zum gesamten Lebensunterhalt verwandten Mittel zu verstehen.

 

Normenkette

RVO § 1257 Fassung: 1934-05-17, § 1266 Fassung: 1957-02-23; ArVNG Art. 2 § 5 Fassung: 1957-02-23; GG Art. 3 Abs. 2 Fassung: 1949-05-23

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 19. November 1959 mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Tatbestand

Der im Jahre 1887 geborene Kläger beantragte am 20. November 1956 die Gewährung von Witwerrente aus der Versicherung seiner am 1. Januar 1896 geborenen und am 8. Oktober 1956 verstorbenen Ehefrau C... B....

Der Kläger und die Versicherte lebten bis zum Tode der Versicherten - ohne sonstige Angehörige - zusammen. Der Kläger war seit 1950 nicht mehr berufstätig, sondern erhielt Sozialunterstützung, Arbeitslosenunterstützung bzw. Arbeitslosenfürsorgeunterstützung und vom 1. Dezember 1952 an Invalidenrente. Die Versicherte war seit August 1950 als Hauswart tätig und bezog hierfür einen Bar- und Sachlohn. Ende 1955 mußte sie nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ihre Tätigkeit wegen Krankheit aufgeben.

Die Beklagte hat den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 8. Dezember 1956 abgelehnt. Nach § 1257 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF sei der Anspruch auf Witwerrente nicht begründet, denn die Versicherte habe den Unterhalt ihrer Familie nicht überwiegend bestritten.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Klage hat das Sozialgericht Berlin aus demselben Grunde durch Urteil vom 9. Juli 1958 abgewiesen.

Auf die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht das Urteil des Sozialgerichts und den angefochtenen Bescheid der Beklagten aufgehoben und die Beklagte zur Zahlung von Witwerrente vom 1. November 1956 an verurteilt; es hat die Revision zugelassen.

Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts habe die Versicherte den Unterhalt ihrer Familie überwiegend bestritten. Der Zweck der Witwerrente sei, den durch den Tod des Unterhaltenden fortgefallenen Unterhalt zu ersetzen. Es komme daher nicht darauf an, ob die Versicherte den Unterhalt der Familie während des größten Zeitraums der Ehe geleistet habe, sondern, ob dies während eines erheblichen Zeitraums vor dem Tode der Versicherten der Fall gewesen sei. Hierbei seien kurzfristige Unterbrechungen, bedingt insbesondere durch die zum Tode führende Krankheit, außer Betracht zu lassen. Im vorliegenden Fall habe also das Jahr 1956, da die Versicherte wegen ihrer Krankheit nicht mehr habe arbeiten können, außer Betracht zu bleiben. Wie sich aus den überreichten Lohnbüchern der Arbeitgeberin der Versicherten ergebe, sei ihr Dienstvertrag Ende 1955 wegen der Krankheit der Versicherten beendet worden. Als erheblicher Zeitraum vor dem Tode der verstorbenen Ehefrau seien etwa zwei Jahre anzusehen. "Überwiegend" bedeute, daß die Versicherte zum Unterhalt ihrer Familie mehr beigesteuert haben müsse als ihr Ehemann. Dabei könne, wenn wie im vorliegenden Fall keine Kinder oder sonstige Unterhaltsberechtigte oder -verpflichtete vorhanden seien und die Eheleute ihr gemeinsames Einkommen auch gemeinsam zu ihrem Unterhalt verwendet hätten, von einer Gegenüberstellung des Einkommens der beiden Eheleute ausgegangen werden.

Der Kläger habe vor 1950 lediglich Sozialunterstützung, dann nur Arbeitslosenunterstützung bzw. Arbeitslosenfürsorgeunterstützung und vom 1. Dezember 1952 an ausschließlich Invalidenrente bezogen. Anhaltspunkte für Nebenverdienste in den Jahren 1954 und 1955 hätten sich nicht ermitteln lassen. Insbesondere spreche nichts dafür, daß der Kläger während seines Aufenthalts in Spielklubs irgendwelche Einnahmen gehabt habe. Die Ehefrau des Klägers sei seit 1950 als Hauswart bei der Firma K... tätig gewesen. Sie habe für diese Tätigkeit Bar- und Sachlohn bezogen. Die Bareinnahmen ergäben sich aus den Lohnbüchern der Arbeitgeberin. Zu der üblichen Vergütung kämen für die Jahre 1954/55 je eine Sonderleistung für Großreinemachen sowie das Weihnachtsgeld hinzu. Als Sondervergütung sei ferner ein Betrag von monatlich 10,-- DM für Büroreinigung bei der Arbeitgeberin zu berücksichtigen. Der glaubhaften Aussage des Zeugen G... sei zu entnehmen, daß dieser Betrag monatlich an die Versicherte neben ihrem normalen Lohn gezahlt worden sei. Gegen die regelmäßige Zahlung dieses Betrages spreche auch nicht, daß hierüber keine Aufzeichnungen in den Lohnbüchern vorhanden seien; denn diese wiesen überhaupt nur den Barlohn aus dem Hauswartvertrag aus. Die Büroreinigung sei eine Sonderleistung der Versicherten neben den Verpflichtungen aus dem Hauswartvertrag gewesen. Für die kostenlose Zurverfügungstellung des elektrischen Stroms sei ein monatlicher Betrag von rund 5,-- DM einzusetzen. Der Wert für die Heizung, die die Versicherte ebenfalls frei gehabt hat, sei entsprechend den von der Zeugin G... angegebenen Werten zu berechnen. Danach sei für die Zeit vom 1. Mai 1954 bis 30. April 1955 ein Betrag von 179,08 DM, für die Monate Oktober bis Dezember 1955 77,-- DM, für die Heizungsperiode davor 150,48 DM anzusetzen. Ob eine monatliche Mietersparnis von rund 15,-- DM als Sachlohn mit anzurechnen sei, könne aus den von der Beklagten angeführten Gründen zweifelhaft sein. Hierzu brauche jedoch nicht Stellung genommen zu werden. Denn selbst wenn man sie nicht als Sachwerteinnahme der Versicherten berechne, seien ihre Einnahmen in den Jahren 1954/55 höher gewesen als die des Klägers. Insgesamt hätten im Jahre 1954 der Kläger 1 537,40 DM und die Versicherte 1 724,59 DM verdient, und im Jahre 1955 hätten sein Einkommen 1 529,80 DM und ihr Einkommen 1 734,40 DM betragen. Da die Eheleute ihr Einkommen gemeinsam zum Bestreiten ihres Unterhalts verwandt hätten, habe die Versicherte somit den Unterhalt ihrer Familie überwiegend bestritten.

Gegen das ihr am 28. Dezember 1959 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 22. Januar 1960, eingegangen am 26. Januar 1960, Revision eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 22. Januar 1960, eingegangen am 26. Januar 1960, begründet.

Sie rügt die Verletzung des § 1266 RVO. Das Berufungsgericht habe bei dem Vergleich der Einkommen der beiden Ehegatten die Jahre 1954 und 1955 zugrunde gelegt, während die Einkommensverhältnisse des Jahres vor dem Tode der Versicherten maßgebend sein müßten. Zudem seien bei der Berechnung des Einkommens der Versicherten Beträge berücksichtigt worden, die lediglich von einer Zeugin geschätzt worden seien. Bei dem Einkommen des Klägers fehlten der im Dezember 1954 gezahlte RMG-Vorschuß in Höhe von 44,-- DM und der im Dezember 1955 gezahlte Sonderzuschuß nach der 1. Sozialversicherungsdirektive (SVD) in Höhe von 78,-- DM. Das Berufungsgericht hätte weitere Beweise zur Feststellung des Einkommens der Versicherten erheben müssen und sich nicht ohne eigene Prüfung auf die Schätzungen einer Angestellten der Arbeitgeberin der Versicherten verlassen dürfen. Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts, die Versicherte habe ihre Tätigkeit Ende Dezember 1955 wegen Krankheit aufgegeben, habe sie in Wirklichkeit nur von der Möglichkeit des § 48 des Berliner Rentenversicherungsüberleitungsgesetzes ( BRVÜG ) Gebrauch machen wollen und ihre Erwerbstätigkeit aufgegeben, weil sie diese Rente nur habe erhalten können, wenn sie keine Erwerbstätigkeit mehr ausübe. Das Berufungsgericht hätte dies näher klären müssen. Selbst wenn man aber der Ansicht des Berufungsgerichts folge, hätte es allenfalls die Zeit vom 8. Oktober 1954 an dieser Berechnung zugrunde legen dürfen. Es sei auch fehlerhaft, 10,-- DM monatlich für Büroreinigungsarbeiten in Ansatz zu bringen, da sich hierfür aus den Büchern der Arbeitgeberin der Versicherten nichts ergebe; die Aussagen der Zeugin genügten nicht. Außerdem müsse berücksichtigt werden, daß der Kläger der Versicherten bei deren Tätigkeit behilflich gewesen sei.

Sie beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 19. November 1959 aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision kostenpflichtig zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Aus dem Umstand, daß der Gesetzgeber in § 1266 RVO anders als in § 1265 RVO die Worte "zur Zeit des Todes" fortgelassen habe, müsse geschlossen werden, daß es nicht nur auf die Einkommensverhältnisse in der letzten Zeit vor dem Tode des Versicherten, sondern auf einen größeren Zeitraum ankomme. Im übrigen habe die Versicherte ihre Arbeit Ende Dezember 1955 wegen Krankheit aufgegeben, wie ja auch dadurch bestätigt werde, daß sie neun Monate später an Herzinsuffizienz gestorben sei.

Zu Recht habe das Berufungsgericht auf Grund der Aussagen der Zeugin G... 10,-- DM als monatliches Einkommen der Versicherten für Büroreinigung eingesetzt. Ebenso seien die freie Lieferung von Strom und Heizung nicht zu beanstanden. Auch müsse der Mietwert, soweit er 20,-- DM übersteige, als Einkommen eingesetzt werden.

Es könne auch nicht beanstandet werden, wenn das Berufungsgericht die Einnahmen aus der Hauswarttätigkeit der Versicherten voll der Versicherten zuweise, da es keinen Anhalt dafür habe finden können, daß er hierbei mitgeholfen habe.

Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers, Rechtsanwalt K..., ist während des Revisionsverfahrens verstorben. Mit Schriftsatz vom 21. Januar 1961, eingegangen am 24. Januar 1961, hat Rechtsanwalt J. unter Überreichung einer Prozeßvollmacht seine Bestallung angezeigt. Dieser Schriftsatz ist der Beklagten zugestellt worden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden; sie ist statthaft, da das Berufungsgericht sie zugelassen hat. Bedenken gegen ihre Zulässigkeit bestehen somit nicht. Es konnte ihr auch der Erfolg zum Teil nicht versagt bleiben.

Da die Versicherte am 8. Oktober 1956, also noch vor Inkrafttreten des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) gestorben ist und § 1266 RVO nicht rückwirkend in Kraft gesetzt worden ist, gilt nach Art. 2 § 5 ArVNG altes Recht. Der Anspruch richtet sich also noch nach § 1257 RVO aF.

Wie der erkennende Senat bereits entschieden hat (BSG 5, 17), verstößt § 1257 RVO gegen Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) und ist daher mit dem Inkrafttreten des ArVNG außer Kraft getreten; es ist an seiner Stelle der in § 1266 RVO enthaltene Grundsatz anzuwenden.

Da alle sonstigen Voraussetzungen des Anspruchs, wie auch zwischen den Beteiligten unstreitig ist, gegeben sind, kommt es nur darauf an, ob die Versicherte ihre Familie überwiegend unterhalten hat, d.h. ob die von ihr zum Unterhalt der Familie beigesteuerten Mittel die Hälfte des Gesamteinkommens der Familie übersteigen (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom heutigen Tage i.S. K... ./. LVA Berlin - 4 RJ 13/60).

Die Familie bestand aus dem Kläger und der Versicherten. Es kann bei den Einkommensverhältnissen der in Betracht kommenden Bevölkerungskreise ohne Bedenken davon ausgegangen werden, daß die gesamten Einnahmen zum Unterhalt verwandt worden sind, so daß sich die Hohe des Familienunterhalts mit der Höhe des Gesamteinkommens der Familie deckt. Entscheidend ist also, ob das Einkommen der Versicherten größer war als das des Klägers. Nur wenn dies der Fall war, hat der Kläger Anspruch auf Witwerrente. Es kommt nach § 1266 Abs. 1 RVO nicht darauf an, in welcher Höhe Mittel für den Unterhalt des einen oder anderen Familienmitglieds verbraucht worden sind, maßgebend ist vielmehr allein der Gesamtunterhalt der Familie. Unter "Unterhalt bestreiten" im Sinne dieser Vorschrift ist schon nach allgemeinem Sprachgebrauch nur das Zurverfügungstellen der dem Unterhalt dienenden Mittel, nicht aber die Haushaltführung zu verstehen (vgl. dazu BSG 12, 1; SozR SozVers § 1258 RVO nF Aa 3 Nr. 6). Dies ergibt sich auch aus dem Zweck dieser Vorschrift. Durch die Rentenversicherung wird das Risiko der Minderung oder des Wegfalls der Erwerbsfähigkeit des Versicherten gedeckt; die Renten sollen das durch eine Minderung oder den Wegfall der Erwerbsfähigkeit weggefallene Einkommen ersetzen. Die Hinterbliebenenrenten haben also nur den Zweck, das infolge des Todes des Versicherten weggefallene Erwerbseinkommen bzw. das bereits zu seinen Lebzeiten an dessen Stelle getretene Renteneinkommen, nicht aber sonstige Leistungen, wie etwa die Haushaltführung und die Fürsorge für die Kinder, bei deren Verrichtung ja auch keine Beiträge entrichtet zu werden brauchen, zu ersetzen oder erhöhte Aufwendungen auszugleichen. Zwar hat der Gesetzgeber in § 1266 Abs. 1 RVO ebenso wie in § 1257 RVO aF nicht auf den aus Erwerbstätigkeit stammenden Unterhalt, sondern allgemein auf "Unterhalt" abgestellt. Hierin liegt theoretisch sicherlich eine Ausweitung des nach diesen Grundsätzen eigentlich zulässigen Unterhaltsbegriffs, da danach auch die aus Vermögen stammenden Unterhaltsmittel zu berücksichtigen sind. Jedoch konnte der Gesetzgeber diese Ausweitung unbedenklich vornehmen, weil bei dem Kreis der betroffenen Personen praktisch doch nur das unmittelbar oder mittelbar - in Form von Renten - aus Erwerbstätigkeit stammende Einkommen eine Rolle spielt. Es geht aber nicht an, nun eine sich noch weiter von dem Zweck der Hinterbliebenenrenten entfernende Auslegung des Begriffs "Unterhalt", an die der Gesetzgeber bei Erlaß dieser Vorschrift sicher nicht gedacht hat, vorzunehmen, indem auch die Haushaltführung und die Fürsorge für die Kinder als Unterhalt im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden, zumal diese Ausweitung anders als die erstere Ausweitung in fast allen Fällen von erheblicher praktischer Bedeutung sein würde. Bis zum Inkrafttreten des GG ist auch nie zweifelhaft gewesen, daß die Haushaltführung und die Fürsorge für die Kinder keine Unterhaltsleistung im Sinne dieser Vorschrift sind. Zweifel sind erst unter der Herrschaft des Art. 3 GG aufgetreten. Da nach dem Gleichberechtigungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 2 GG (vgl. auch das Gleichberechtigungsgesetz vom 18. Juni 1957 - BGBl I 609 -) auch die von der Frau durch Führung des Haushalts und Fürsorge für die Kinder erbrachten Leistungen dem durch Zurverfügungstellung von Unterhaltsmitteln geleisteten Unterhalt gleichwertig sind, konnte die Frage auftauchen, ob die Haushaltführung und die Fürsorge für die Kinder nicht auch als Unterhalt im Sinne der §§ 1257 RVO aF, 1266 Abs. 1 RVO anzusehen sind. Dies ist jedoch nicht der Fall. Es ist zwar richtig, daß diese verschiedenen Arten von Leistungen nunmehr gleichwertig sind, sie sind aber nach wie vor - und zwar gerade in dem für die Anwendung dieser Vorschriften entscheidenden Gesichtspunkt - nicht gleichartig, da im Falle dieser Betreuungsleistungen keine aus Erwerbstätigkeit stammenden Mittel, deren Ersatz allein Zweck der Hinterbliebenenrenten ist, zur Verfügung gestellt werden. Eine dieser Verschiedenheit gemäße unterschiedliche Behandlung dieser Leistungen verstößt daher weder gegen Abs. 1 noch gegen Abs. 2 des Art. 3 GG, zumal der Wegfall des Familieneinkommens in entscheidend stärkerem Maße als der Wegfall dieser Betreuungsleistungen einen Ersatz durch Rente erforderlich macht. Wenn auch die RVO keine eigene Definition des Unterhaltsbegriffs enthält und daher grundsätzlich auf den jeweiligen bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsbegriff zurückgegriffen werden muß, so hat dies doch seine Grenzen dort, wo sich eine Eigenart des sozialversicherungsrechtlichen Unterhaltsbegriffs mit genügender Deutlichkeit ergibt. Da dies, wie bereits ausgeführt, hier der Fall ist, können Leistungen in Form der Haushaltführung und der Fürsorge für die Kinder auch nach heutiger Rechtslage nicht als Bestreiten des Unterhalts im Sinne des § 1266 Abs. 1 RVO angesehen werden.

Es war nach § 1266 Abs. 1 RVO weiter zu prüfen, während welcher Zeit vor ihrem Tode die Versicherte den überwiegenden Unterhalt bestritten haben muß. § 1266 Abs. 1 RVO enthält keinen zeitlichen Hinweis; insbesondere ist nicht auf den Zeitpunkt des Todes oder auf die Zeit vor dem Tode der Versicherten abgestellt. Es darf aber auch hier nicht verkannt werden, daß die Hinterbliebenenrenten den Zweck haben, das durch den Tod der Versicherten entfallene Erwerbseinkommen oder das bereits an dessen Stelle getretene Renteneinkommen zu ersetzen. Diesem Zweck würde es eigentlich gemäß sein, wenn darauf abgestellt würde, ob die Versicherte, wenn sie nicht gestorben wäre, den Unterhalt ihrer Familie überwiegend bestritten haben würde. Da eine solche Feststellung nicht möglich ist, stellt es der Gesetzgeber auf die Zeit vor dem Tode der Versicherten aus der Überlegung heraus ab, daß die Fortdauer dieses Zustandes - falls der Tod nicht eingetreten wäre - unterstellt werden dürfe. Erkennt man dies, so kommt es, auch wenn diese Vorschrift eine solche zeitliche Beschränkung ausdrücklich nicht enthält, doch entscheidend auf die Zeit vor dem Tode der Versicherten an, da nur diese symptomatisch dafür sein kann, was in der späteren Zeit gewesen wäre, wenn die Versicherte nicht gestorben wäre. Aus den Einkommensverhältnissen früherer Zeiten können dagegen entsprechende Schlüsse nicht gezogen werden (vgl. dazu auch EuM 20, 337; 20, 2401 20, 371; 30, 151; 33, 516).

Es fragte sich allerdings, welcher Zeitraum vor dem Tode der Versicherten als maßgebend anzusehen ist. Einer schematischen Abgrenzung nach Jahren und Monaten haften häufig Unbilligkeiten an, auch würde sie nicht mit dem Zweck dieser Vorschrift vereinbar sein, da es hiernach ja auf denjenigen letzten Zeitraum ankommt, von dem man annehmen kann, daß sich seine Umstände fortgesetzt hätten, falls die Versicherte nicht gestorben wäre. Maßgebend muß daher der letzte wirtschaftliche Dauerzustand vor dem Tode der Versicherten sein, da man von diesem annehmen kann, daß er sich ohne den Tod der Versicherten fortgesetzt haben würde. Der Beginn dieses letzten Dauerzustandes ist dort zu suchen, wo letztmalig vor dem Tode der Versicherten eine wesentliche Änderung der Einkommensverhältnisse eines Familienmitgliedes mit Dauerwirkung eingetreten ist. Das Ende dieses Zeitraums ist der Tod der Versicherten, gegebenenfalls der Beginn der zum Tode führenden Krankheit. Im Zweifel wird man annehmen können, daß eine vor dem Tode der Versicherten vorliegende Krankheit den Tod verursacht hat. Gleichgültig ist, ob innerhalb dieses letzten Dauerzustandes Zeiten vorübergehender Schwankungen der Einkommen eines oder mehrerer Familienmitglieder liegen, da diese nicht symptomatisch in diesem Sinne sein können. Maßgebend ist also auch in einem solchen Falle der gesamte letzte wirtschaftliche Dauerzustand einschließlich der in ihm enthaltenen Zeiten vorübergehender Einkommensschwankungen bei den Familienmitgliedern. Entscheidend ist, wie bereits ausgeführt, ob die Versicherte während dieses letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes den Unterhalt der Familie überwiegend bestritten hat, d.h. ob ihr Einkommen während dieses Zeitraums, einschließlich der in ihm enthaltenen Zeiten vorübergehender Einkommensschwankungen, größer war als die Hälfte des Gesamteinkommens aller Familienmitglieder.

Der hiernach maßgebende letzte wirtschaftliche Dauerzustand könnte die Zeit seit 1952 sein, da der Kläger in diesem Jahr invalidisiert worden ist. Die vorhergehende Zeit des Bezugs von Arbeitslosenunterstützung und Arbeitslosenfürsorgeunterstützung während der Zeit von 1950 bis 1952 ist dagegen hierfür ohne Bedeutung, da es sich bei Arbeitslosigkeit ihrer Art nach um einen vorübergehenden Umstand handelt. Das Ende dieses Dauerzustandes würde der Zeitpunkt des Todes der Versicherten sein. Sollte diese allerdings, was noch nicht festgestellt ist, während der Zeit vor ihrem Tode an einer Krankheit gelitten haben, die für den Tod ursächlich war, so endet dieser maßgebende Dauerzustand mit dem Beginn dieser Krankheit. Im Zweifel wird man annehmen können, daß eine vor dem Tode der Versicherten vorliegende Krankheit den Tod verursacht hat. Allerdings könnte hier als letzter wirtschaftlicher Dauerzustand auch die Zeit vom 1. Januar 1956 bis zum Tode der Versicherten in Frage kommen, da die Versicherte ihre Erwerbstätigkeit am 31. Dezember 1955 endgültig aufgegeben hat und damit eine wesentliche Änderung mit Dauerwirkung in ihren wirtschaftlichen Verhältnissen eingetreten ist. Dieser Zeitraum käme; allerdings, wie gesagt, nur dann in Betracht, wenn die Versicherte während dieser Zeit nicht an einer zum Tode führenden Krankheit gelitten hat, da andernfalls der Zeitraum von 1952 bis zum Beginn dieser Krankheit maßgebend wäre. Da die Versicherte am 31. Dezember 1955 ihre Tätigkeit endgültig aufgegeben hat, ist es, falls nur keine zum Tode führende Krankheit vorliegt, gleichgültig, ob sie während dieser Zeit krank war oder ob dies nicht der Fall war und ob sie ihre Tätigkeit wegen dieser Krankheit aufgegeben hat. Wenn auch der Beklagten zugestanden werden muß, daß das Berufungsgericht seine Annahme, die Versicherte habe ihre Tätigkeit wegen ihrer Krankheit aufgegeben, nicht ausschließlich auf die Lohnbücher der Arbeitgeberin der Versicherten stützen durfte, sondern noch weitere Beweise hätte erheben müssen, so spielt doch diese Frage bei richtiger rechtlicher Würdigung hier keine Rolle. Dagegen greift die Rüge, das Berufungsgericht habe zu Unrecht eine Vergütung für das Reinigen des Büros der Arbeitgeberin der Versicherten berücksichtigt, nicht durch, da das Berufungsgericht, das auf Grund der Zeugenaussagen der Angestellten der Arbeitgeberin zu diesem Ergebnis gekommen ist, die Grenzen des ihm zustehenden Ermessens bei der Beweiswürdigung nicht überschritten hat. Andererseits hätte das Berufungsgericht aber, wie die Beklagte zu Recht rügt, Ermittlungen anstellen müssen, ob der Kläger seiner Ehefrau bei den Hauswartarbeiten geholfen hat und, wenn dies der Fall sein sollte, welcher Teil dieses Einkommens ihm zugerechnet werden müßte.

Das angefochtene Urteil mußte wegen dieser Verletzungen des prozessualen und des materiellen Rechts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1984280

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