Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Urteil vom 24.09.1987; Aktenzeichen L 10 Lw 9/87)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 24. September 1987 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Klägerin verlangt im anhängigen Verfahren von der Beklagten Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und zur gesetzlichen Rentenversicherung sowie Beiträge zur Beklagten einschließlich Säumniszuschlägen und Vollstreckungskosten in Höhe von rund 300.000,– DM, welche von dem früheren Unternehmer S. (S.) nicht entrichtet worden sind. Mit ihrer Klage ist sie in beiden Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben.

In der Zeit von Oktober 1979 bis März 1982 führte S. als selbständiger Bauunternehmer für andere Baufirmen Arbeiten aus. Er beschäftigte hauptsächlich ausländische Arbeitnehmer für regelmäßig weniger als 3 Monate. Diese meldete er bei der Klägerin nicht an und zahlte keine Beiträge. Irgendwelche Lohnunterlagen sind nicht auffindbar. Durch Beschluß vom 26. Juni 1984 lehnte das Amtsgericht Braunschweig die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen des S. mangels Masse ab. S. wurde ua wegen der Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Die Große Strafkammer des Landgerichts Braunschweig errechnete, daß insgesamt wenigstens 271.997,38 DM an Sozialversicherungsbeiträgen hätten entrichtet werden müssen. In dieser Höhe beantragte die Klägerin mit Schreiben vom 19. Juli 1984 bei der Beklagten Beiträge sowie außerdem Säumniszuschläge und Vollstreckungskosten. Sie übersandte der Beklagten eine Erklärung des S., worin dieser versicherte, daß die bei ihm Beschäftigten nicht länger als 3 Monate tätig waren. Sie seien auch nicht wiederholt eingesetzt worden.

Durch ihren Bescheid vom 17. Januar 1985 lehnte die Beklagte die Zahlung der beantragten Beiträge und Kosten ab, weil die Angaben des S. nicht glaubwürdig seien und daher nicht davon ausgegangen werden könne, daß die einzelnen Arbeitnehmer nur bis zu 3 Monaten in einem Beschäftigungsverhältnis bei S. gestanden hätten.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage durch Urteil vom 5. Februar 1986 nach Vernehmung des S. als Zeugen abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat in seinem – die Berufung der Klägerin zurückweisenden – Urteil vom 24. September 1987 dahinstehen lassen, ob die Beschäftigungsverhältnisse der Arbeitnehmer des S. jeweils höchstens 3 Monate gedauert hätten. Für die Erhebung von Beiträgen und demgemäß auch für die Zahlung von Pflichtbeiträgen durch die Beklagte nach § 141n des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) werde nämlich auch eine individuelle Beitragsforderung vorausgesetzt. Es müsse Versicherungs- und Beitragspflicht sowie die Beitragshöhe für einzelne Arbeitnehmer festgestellt werden können. Dies allein entspreche rechtsstaatlichen Grundsätzen. Vorliegend sei eine ordnungsgemäße Beitragserhebung für namentlich bestimmbare Arbeitnehmer des S. nicht mehr möglich, weil die notwendigen tatsächlichen Voraussetzungen nicht mehr ermittelt werden könnten. Eine Umkehr der Beweislast mit der Folge, daß die Beklagte angesichts der Unregelmäßigkeiten des S. letztlich zur globalen Beitragsentrichtung verpflichtet sei, könne der Vorschrift des § 141n AFG nicht entnommen werden. Wenn auch die Klägerin die Rechtsstellung einer Einzugsstelle innehabe, so könne sie doch gegenüber der Beklagten als Trägerin der Konkursausfallversicherung nicht bindend über einzelne Voraussetzungen einer Beitragsforderung nach § 141n AFG entscheiden. Die Regelungsbefugnis sei vielmehr in Händen der Beklagten. Dem Schreiben des Präsidenten der Beklagten an den Präsidenten des Landesarbeitsamtes Schleswig-Holstein-Hamburg vom 30. Mai 1980 sei keine bindende andere Regelung zu entnehmen.

Die Klägerin hat dieses Urteil mit der Revision angefochten. Nach ihrer Auffassung darf die Beklagte im Rahmen des § 141n Abs. 1 AFG keine selbständige Prüfung der Voraussetzungen mehr vornehmen, wenn die Einzugsstelle gegenüber dem säumigen Arbeitgeber eine Schätzung der Beiträge nach § 318c der Reichsversicherungsordnung (RVO) bestandskräftig vorgenommen hat. Dies sei hier der Fall. Die Beklagte übernehme die Schuld des Arbeitgebers so, wie sie diesem gegenüber festgestellt worden sei. Im übrigen habe die Beklagte sich mit dem Schreiben Ihres Präsidenten vom 30. Mai 1980 insoweit selbst gebunden, als sie von der Erstattungsfähigkeit geschätzter Beiträge ausgehe. Eine personenbezogene Beitragsberechnung sei nicht erforderlich. Der Gesetzgeber habe nämlich mit § 141n AFG auch ganz allgemein verhindern wollen, daß Beitragsausfälle infolge der Zahlungsunfähigkeit eines Arbeitgebers von der Solidargemeinschaft aller Beitragszahler ausgeglichen werden müßten. In der Krankenversicherung spiele die Beitragszahlung ohnehin für die Frage des Versicherungsschutzes der einzelnen Beschäftigten keine Rolle. Der Rentenvorsicherungsträger erhalte von der Einzugsstelle nur Beitrage in pauschaler Form, welche einem einzelnen Arbeitnehmer nicht zugeordnet werden könnten.

Die Klägerin beantragt,

  1. das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 24. September 1987 und das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 5. Februar 1986 aufzuheben.
  2. Der Bescheid der Beklagten vom 17. Januar 1985 wird aufgehoben und die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 299.251,18 DM zuzüglich weiterer Säumniszuschläge seit dem 27. Juni 1984 in Höhe von 1 % pro Monat auf den jeweiligen Beitragsrückstand (derzeit 271.997,38 DM) zu zahlen.

Die beigeladene Versicherungsanstalt schließt sich dem Antrag der Klägerin an.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Nach ihrer Auffassung sind die Voraussetzungen für eine Beitragsentrichtung nach § 141n AFG nicht erfüllt, weil die Klägerin außerstande ist, den Nachweis zu führen, daß und welche Arbeitnehmer im Konkursausfallgeld-(Kaug-)Zeitraum versicherungspflichtig beschäftigt waren, der Beitragspflicht unterlagen und in welchem Umfange für sie Beiträge zu zahlen gewesen wären. Entsprechende Feststellungen setze aber jede Beitragszahlung voraus. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) solle möglichst weitgehend sichergestellt werden, daß die Beitrage bestimmten Personen zugerechnet werden, damit diese hieraus erforderlichenfalls sozialversicherungsrechtliche Ansprüche herleiten könnten. Daher sei der Erlaß von Summenbeitragsbescheiden grundsätzlich ausgeschlossen. Die Vorschrift des § 318c RVO könne hier keine Rolle spielen, weil sie ua das Vorhandensein von Versicherungs- und Beitragspflicht bestimmter Arbeitnehmer voraussetze. Ob Arbeitgeber, die ihre Aufzeichnungspflichten schuldhaft verletzen, pauschal zur Beitragsentrichtung herangezogen werden könnten, spiele hier keine Rolle. Dies setze nämlich eine Umkehr der Beweislast wegen begangener Pflichtverletzungen voraus. Solche Pflichtverletzungen spielten im Verhältnis der Verfahrensbeteiligten untereinander jedoch keine Rolle. Im übrigen sei es der Sinn und Zweck des § 141n Abs. 1 AFG, die einzelnen Arbeitnehmer vor dem Ausfall von Beiträgen und den damit verbundenen Konsequenzen zu schützen. Wenn aber die Betroffenen Arbeitnehmer nicht namhaft gemacht werden könnten, sei die Erreichung des Zweckes der Norm nicht mehr möglich. Über die Beitragsentrichtung nach § 141n Abs. 1 AFG entscheide die Beklagte nach umfassender Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen. Sie sei dabei an Feststellungen der Einzugsstelle nicht gebunden. Der Erlaß der Beklagten vom 30. Mai 1980 an den Präsidenten des Landesarbeitsamtes Schleswig-Holstein-Hamburg vermöge den geltend gemachten Anspruch nicht zu begründen, es handele sich dabei um eine interne Dienstanweisung.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Sie hat, wie schon SG und LSG zutreffend entschieden haben, keinen Anspruch darauf, daß die Beklagte von S. nicht entrichtete Beiträge zahlt.

Grundlage des von der Klägerin geltend gemachten Anspruchs ist die Vorschrift des § 141n Abs. 1 Satz 1 AFG. Nach ihr entrichtet das Arbeitsamt auf Antrag der zuständigen Einzugsstelle Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und zur gesetzlichen Rentenversicherung sowie Beiträge zur Bundesanstalt für Arbeit, die auf Arbeitsentgelte für die letzten 3 Monate des Arbeitsverhältnisses vor Eintritt des Insolvenzereignisses entfallen und bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht gezahlt worden sind. Das LSG hat offengelassen, ob die Beitragsforderung der Klägerin überhaupt den genannten Kaug-Zeitraum betrifft; denn nach seiner Rechtsauffassung ist der geltend gemachte Anspruch auf die Beiträge auch aus anderen Gründen nicht gegeben. Diese Auffassung des LSG teilt der erkennende Senat.

Mach den nicht angegriffenen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil sind die von der Klägerin verlangten Beiträge nicht auf einzelne Arbeits- und Versicherungsverhältnisse bezogen, sondern vielmehr global aus dem Strafurteil vom 20. Oktober 1982 übernommen worden. Danach ist ferner eine ordnungsgemäße Beitragserhebung für namentlich bestimmte Arbeitnehmer nicht mehr möglich, weil S. keine Aufzeichnungen über Lohnzahlungen führte bzw entsprechende Unterlagen nicht haben aufgefunden werden können.

Die Entrichtung von Beiträgen zur Kranken- und Rentenversicherung erfolgt, wovon auch SG und LSG sowie die Verfahrensbeteiligten ausgehen, grundsätzlich personenbezogen, dh mit Rücksicht auf die Versicherungs- und Beitragspflicht der einzelnen Beschäftigten sowie der Höhe des der Beitragsberechnung zugrunde zu legenden individuellen Arbeitsentgelts. Nach der Rechtsprechung des BSG ist eine personenbezogene Feststellung der Versicherungspflicht, der Beitragspflicht und der Beitragshöhe vor allem zur Sicherung von Rentenanwartschaften der betroffenen jeweiligen Arbeitnehmer von solchem Gewicht, daß sie grundsätzlich getroffen werden muß, wenn sie überhaupt nur möglich ist (BSGE 59, 235, 240). In dem genannten Urteil hat das BSG allerdings offengelassen, ob die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Beitragsentrichtung nicht in jedem Falle entfällt, wenn es unmöglich ist, die notwendigen personenbezogenen Feststellungen zu treffen. Ein solcher Fall ist nach den Feststellungen des LSG hier gegeben; denn infolge der Manipulationen des S. und nicht auffindbarer Aufzeichnungen über die einzelnen Arbeitsverhältnisse kann nicht mehr geklärt werden, welche Arbeitnehmer tätig waren und welches Arbeitsentgelt der Berechnung der Beiträge zugrunde gelegt werden muß. Der Senat hat hier allerdings nicht zu entscheiden, ob unter diesen Voraussetzungen die Entrichtung von Beiträgen durch den Arbeitgeber auf jeden Fall erfolgen und deren Höhe notfalls summenmäßig festgestellt werden muß. Hier geht es vielmehr um die Entrichtung von Beiträgen im Rahmen der Kaug-Regelung. Das BSG hat in der genannten Entscheidung angedeutet, daß ein Arbeitgeber als Beitragsschuldner auch dann die Beiträge zu entrichten haben könnte, wenn die personenbezogenen notwendigen Feststellungen aus seinem Verschulden nicht getroffen werden können. Eine solche Verpflichtung käme aber allenfalls in Betracht, wenn feststeht, daß ein Arbeitgeber seiner Verpflichtung zur Abführung von Beiträgen nicht nachgekommen ist. Das dafür sprechende Argument, daß schwerlich einzusehen ist, warum er von dieser Verpflichtung nur deshalb befreit werden sollte, weil er die Möglichkeit, personenbezogene Feststellungen zu treffen, vereitelt hat, kann nicht auf die Verpflichtung der Beklagten zur Beitragsentrichtung übertragen werden. Die Frage, ob auch die Beklagte Beiträge zu entrichten hat, wenn Versicherungspflicht, Beitragspflicht und Beitragshöhe nur global feststellbar sind, kann sich nur aus dem Sinn und Zweck der kaug-rechtlichen gesetzlichen Regelung und insbesondere § 141n AFG ergeben.

Die Vorschrift des § 141n Abs. 1 Satz 1 AFG gibt in ihrem Wortlaut für die hier zu beantwortende Rechtsfrage nichts her. Danach besteht die Verpflichtung der Beklagten zur Beitragsentrichtung für die bezeichneten „Arbeitsentgelte”. Ob es sich dabei um die Arbeitsentgelte einzelner namentlich feststellbarer Versicherter handelt oder ganz allgemein um Arbeitsentgelte, welche in dem in Konkurs gefallenen Unternehmen im Kaug-Zeitraum erzielt worden sind, läßt sich der Vorschrift nicht unmittelbar entnehmen. Auch die allgemeine Regelung über die Zahlung von Kaug gibt keinen Aufschluß über die hier aufgeworfene Frage; denn für das Kaug ist selbstverständlich und in § 141d AFG ausdrücklich festgelegt, daß grundsätzlich das individuelle Arbeitsentgelt zu ermitteln oder personenbezogen gemäß § 141e Abs. 3 AFG zu schätzen ist. Demgegenüber wäre aber denkbar, daß der Gesetzgeber in § 141n AFG von der Entrichtung ausgefallener Beiträge ganz allgemein und unabhängig von der Person des einzelnen Arbeitnehmers ausgegangen ist, wenn es dem Gesetzgeber nämlich nur darum gegangen wäre, Ausfälle in dem Haushalt der Sozialleistungsträger auszugleichen. In diesem Falle hätte die Bundesanstalt im Rahmen des § 141n Abs. 1 Satz 1 AFG die Verpflichtung zur Beitragsentrichtung in demselben Umfange wie ursprünglich der nicht mehr leistungsfähige Arbeitgeber.

Den Gesetzesmaterialien und dem vorliegenden Zusammenhang der kaug-rechtlichen Vorschriften kann jedoch nicht entnommen werden, daß die Beklagte im Rahmen des § 141n AFG in jedem Falle wie ein Arbeitgeber zur Beitragsentrichtung verpflichtet ist. In dem Gesetzentwurf der Bundesregierung heißt es hierzu ganz allgemein, daß unter der Bezeichnung Kaug eine Lohnersatzleistung geschaffen werde und für diese auch die noch nicht entrichteten Sozialversicherungsbeiträge gezahlt würden (BT-Drucks 7/1750 S 1). Ferner ist ausgeführt, daß die Beiträge zur Sozialversicherung und zur Beklagten nach § 141n, dem Grunde nach Bestandteile des Arbeitsentgelts und daher in gleicher Weise wie die Ansprüche auf Arbeitsentgelt zu sichern seien. Durch die Zahlungen werde erreicht, daß den Arbeitnehmern und den Versicherungsgemeinschaften, deren Mittel aus Beiträgen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber aufgebracht werden, durch den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers insoweit keine Nachteile entstehen (S 14/15).

Die Gesetzesmaterialien weisen demgemäß aus, daß die Beitragsentrichtung nach § 141n AFG den Interessen der einzelnen Versicherten ebenso entsprechen soll wie denen der Versichertengemeinschaft. Allerdings wird der Sicherung der Arbeitsentgelte und Rechte der Arbeitnehmer erkennbar der Vorrang eingeräumt. Es muß dahingestellt bleiben, ob den einzelnen Versicherten durch die Beitragsentrichtung nach § 141n AFG überhaupt der offensichtlich beabsichtigte Vorteil entstehen kann. Mit Recht weist die Klägerin darauf hin, daß die Beitragsentrichtung für den einzelnen Versicherten durchaus belanglos oder jedenfalls von untergeordneter Bedeutung sein kann. Seine Rechtsstellung in der gesetzlichen Krankenversicherung beispielsweise ergibt sich nämlich ohne die Beitragsentrichtung allein aus dem Vorhandensein der tatsächlichen Voraussetzungen für die Versicherungspflicht. Dies gilt auch für Ansprüche nach dem AFG. In der Rentenversicherung gilt der Beitrag als entrichtet, wenn der Arbeitnehmer nur das Nettoentgelt ausgezahlt erhalten hat (§ 1397 Abs. 6 RVO). Da die Fiktion nicht gilt, wenn der Arbeitnehmer das Nettoentgelt nicht erhalten hat, könnte in solchen Fällen allerdings ohne Zuordnung des Beitrags nach § 141 n AFG für ihn ein versicherungsrechtlicher Nachteil entstehen. Daraus folgt zwar, daß durch die Beitragsentrichtung nach § 141n AFG nur eine eingeschränkte Besserstellung des einzelnen Arbeitnehmers erreicht wird. Dennoch kann hieraus nicht geschlossen werden, daß es auch der Zweck der Regelung des § 141n AFG ist, in erster Linie die Haushalte der Sozialversicherungsträger abzusichern (so Gagel, Arbeitsförderungsgesetz, § 141 n RdZiff 1; s hierzu im einzelnen Denck, Der Betrieb 1984, 558 f). Die Nichtverwirklichung des vorgenommenen Zieles ändert die Zweckrichtung, welche der Gesetzgeber verfolgt hat, nicht. Er hat durch die Beschreibung seiner Motivation zu erkennen gegeben, daß es in § 141n AFG nicht allgemein um die Ausgleichung von Nachteilen geht, welche infolge der Insolvenz oder der damit zusammenhängenden Ereignisse eintreten. Vielmehr steht bei der gesamten kaug-rechtlichen Regelung des AFG und damit auch im Rahmen des § 141n AFG der Schutz des einzelnen Arbeitnehmers im Vordergrund. Dies wird nicht zuletzt auch durch die Verweisung auf § 141n Abs. 1 und 3 AFG unterstrichen. Danach erfolgt die Beitragsentrichtung grundsätzlich nach den Angaben entweder des Konkursverwalters (§ 141n Abs. 1) oder des Arbeitgebers (§ 141n Abs. 3) „für jeden Arbeitnehmer”. Der Hinweis auf Vorschriften des § 141n in § 141n AFG wäre nicht notwendig, wenn die Beklagte im Rahmen dieser Vorschrift die ausgefallenen Beiträge für sämtliche Arbeitsentgelte global entrichten müßte. Dann würde es nämlich genügen, wenn der Konkursverwalter oder der Arbeitgeber die notwendigen Angaben ohne Rücksicht auf den einzelnen Arbeitnehmer macht. Schließlich ist auch die Vorschrift des § 141n Abs. 1 Satz 2 AFG aufschlußreich, weil darin die Verpflichtung der Einzugsstelle begründet wird, dafür zu sorgen, daß dem Rentenversicherungsträger einzelne Beschäftigungszeiten und Bruttoarbeitsentgelte mitgeteilt werden. § 141n AFG will nicht die eine Solidargemeinschaft auf Kosten der anderen Solidargemeinschaft ohne Rücksicht darauf entlasten, ob die Beitragsleistung der Beteiligten einzelnen Versicherten zugeordnet werden kann und ihnen zugute kommt. Vielmehr will die Vorschrift den Anspruch des einzelnen Arbeitnehmers auf Kaug um den Teil seines unerfüllten Anspruchs aus dem Arbeitsverhältnis ergänzen, der für ihn, versicherungsrechtlich von Bedeutung ist.

Angesichts der in § 141n AFG enthaltenen Regelung und der im Gesetzgebungsverfahren vorhanden gewesenen Regelungsabsicht kann jedenfalls nicht angenommen werden, daß die Bundesanstalt für alle Beiträge aufzukommen hat, welche für den Kaug-Zeitraum überhaupt noch offen sind. Dies würde nämlich voraussetzen, daß es dem Gesetzgeber ausschließlich oder jedenfalls in erster Linie um die Belange der Solidargemeinschaft gegangen wäre (vgl. zu den Motiven des Gesetzgebers BSG SozR 4100 § 141n Nr. 6).

Etwas anderes folgt auch nicht nach den Regeln der Beweislastverteilung. Anders als die Beteiligten annehmen, enthält § 141n Abs. 1 AFG keine Beweislastregelung. Soweit in Satz 2 dieser Vorschrift bestimmt ist, daß die Einzugsstelle die Beiträge nachzuweisen und weitere Vorkehrungen zu treffen hat, handelt es sich um die Festlegung von Mitwirkungspflichten der jeweiligen Einzugsstelle (vgl. BSG SozR 4100 § 141n Nr. 10).

Nach dem übereinstimmenden Vorbringen in der Revisionsinstanz erteilte die Klägerin dem S. am 8. September 1983 einen Bescheid nach § 318c RVO und schätzte darin die von diesem nicht gemeldeten Grundlöhne. S. hat den Bescheid nicht angefochten. Er ist für die Entscheidung in dem vorliegenden Falle bedeutungslos. Durch den Bescheid vom 8. September 1983 sind die Grundlagen für die Beitragszahlung – wegen der Unmöglichkeit, die undividuellen Daten zu ermitteln s.o. – im Wege der Schätzung pauschal festgestellt worden; dh sie sind ohne Rücksicht auf die einzelnen Arbeitnehmer des S. errechnet. Dies begründet, wie oben ausgeführt ist, keine Verpflichtung der Beklagten zur Beitragszahlung. Es kann daher offen bleiben, ob die Beklagte dann an eine Regelung gegenüber dem Arbeitgeber gebunden ist, wenn diese die Voraussetzungen erfüllt, nach denen die Beklagte in Rahmen des Kaug-Rechts Beiträge zu entrichten hätte.

Schließlich ist auf folgendes hinzuweisen. Im Rahmen des § 141n Abs. 1 Satz 1 AFG hat die Beklagte gegenüber der Einzugsstelle die uneingeschränkte Regelungsbefugnis; dh sie prüft in eigener Zuständigkeit Versicherungs- und Beitragspflicht sowie die Beitragshöhe, ohne dabei an die Feststellungen der zuständigen Einzugsstelle gebunden zu sein (BSG SozR 4100 § 141n Nr. 10). Aus diesem Grunde spielt keine Rolle, ob und in welcher Weise die Klägerin in dem an die Beklagte gerichteten Antrag vom 19. Juli 1984 ausgefallene Beiträge errechnet hat. Insoweit handelt es sich lediglich um eine Spezifizierung der geltend gemachten Beitragsentrichtungsansprüche, über deren Richtigkeit allein die Beklagte zu befinden hat.

Nach alledem konnte die Revision keinen Erfolg haben.

Nach § 193 Abs. 4 SGG sind die Aufwendungen der Behörden und Anstalten des öffentlichen Rechts nicht erstattungsfähig.

 

Fundstellen

BSGE, 163

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