Entscheidungsstichwort (Thema)

Beitragsnachentrichtungspflicht aus § 141n AFG. Beitragsnachweis durch Einzugsstelle

 

Leitsatz (amtlich)

Bei vollständiger Beendigung der Betriebstätigkeit eines ausländischen Unternehmers in der Bundesrepublik Deutschland darf aus einem der Konkurseröffnung ähnlichen Vorgang im Ausland über das Vermögen dieses Arbeitgebers nicht formal gefolgert werden, die Voraussetzungen des § 141b Abs 3 Nr 2 AFG seien nicht erfüllt. Dem Vorgang muß vielmehr leistungsauslösende Bedeutung iS von § 141a AFG auch im Rahmen von § 141b Abs 3 Nr 2 AFG zuerkannt werden.

 

Orientierungssatz

1. Die Beitragsentrichtungspflichten aus § 141n AFG entstehen nicht nur bei Eröffnung des Konkursverfahrens, sondern ebenso bei Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Konkursverfahrens und bei vollständiger Beendigung der Betriebstätigkeit im Geltungsbereich des AFG, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Konkursverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt.

2. Zum Beitragsnachweis gehört die Entscheidung der Einzugsstelle über die Versicherungspflicht, Beitragspflicht und Beitragshöhe für bestimmte Personen in der Krankenversicherung, Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung für eine bestimmte Zeit (vgl BSG 1977-12-01 12 RK 13/77 = BSGE 45, 206). Nur wenn und soweit konkret entstandene Beitragsansprüche auf diese Weise von der Einzugsstelle nachgewiesen und infolge eines Insolvenzereignisses für die letzten drei Monate der konkreten Arbeitsverhältnisse ausgefallen sind, können und müssen die Beiträge vom Arbeitsamt nach § 141n AFG entrichtet werden.

 

Normenkette

AFG § 141a Fassung: 1974-07-17, § 141b Abs 3 Nr 2 Fassung: 1974-07-17, § 141a Abs 1 S 2 Fassung: 1974-12-21, § 141b Abs 1 Fassung: 1974-07-17, § 141b Abs 3 Nr 1 Fassung: 1974-07-17

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 27.02.1980; Aktenzeichen L 12 Ar 254/77)

SG Aachen (Entscheidung vom 05.09.1977; Aktenzeichen S 10 Ar 67/76)

 

Tatbestand

Streitig ist der Anspruch der Klägerin auf Beitragsentrichtung der Beklagten gemäß § 141n des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) für die in der Zweigstelle M (M.) beschäftigt gewesenen Mitarbeiter des niederländischen Unternehmens I C BV (I.) für die Zeit von August bis Oktober 1974.

I. unterhielt von August 1973 bis Oktober 1974 eine als Gewerbebetrieb gemeldete, nicht aber im Handelsregister eingetragene Filiale in M., für deren Mitarbeiter Sozialversicherungsbeiträge bis Juli 1974 abgeführt wurden. Die Tätigkeit der Filiale M. endete mit dem 31. Oktober 1974 durch Entlassung aller Beschäftigten. Am 4. Dezember 1974 beantragte die AOK M. als Rechtsvorgängerin der Klägerin nach erfolglosen Pfändungsversuchen beim Arbeitsamt A die Entrichtung der Beiträge nach § 141n AFG für August, September und Oktober 1974. Dieses lehnte den Antrag durch Bescheid vom 12. Juni 1975 nach Rückfragen beim Konkursgericht A, bei der Stadt M. und beim zuständigen Finanzamt ab, weil sich die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht feststellen lasse. Der Widerspruch wurde durch Bescheid vom 27. Februar 1976 zurückgewiesen, da die Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der I. durch ein niederländisches Gericht am 15. Mai 1975 der Annahme entgegen stehe, daß am 31. Oktober 1974 offensichtlich ein Konkursverfahren mangels Masse nicht in Betracht gekommen sei.

Das Sozialgericht (SG) Aachen hat die auf Beitragsentrichtung nach § 141n AFG gerichtete Klage mit Urteil vom 5. September 1977 unter Zulassung der Berufung aus den Gründen des Widerspruchsbescheides abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat das Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (LSG) die Beklagte unter Abänderung des Urteils des SG und Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, an die Klägerin diejenigen Gesamtsozialversicherungsbeiträge zu entrichten, die auf Arbeitsentgelte für die letzten, dem Insolvenztag (1. November 1974) vorausgehenden drei Monate der Arbeitsverhältnisse bei der I. - Zweigstelle M. - entfallen.

Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 141b Abs 3 Nr 2 AFG. Sie meint, entgegen der Auffassung des LSG komme es insoweit bei einem ausländischen Arbeitgeber nicht auf die Zahlungsunfähigkeit seiner Filiale im Bundesgebiet, sondern auf seine Zahlungsunfähigkeit insgesamt - also auch im Ausland - an. Selbst bei Berücksichtigung nur des inländischen Vermögens sei aber im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung neben der Betriebsstillegung die Masselosigkeit nicht offensichtlich gewesen. Endlich seien die §§ 103 und 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verletzt. Bei Bejahung des Anspruchs aus § 141n AFG habe das LSG nämlich der Frage nachgehen müssen, welche Arbeitnehmer der I. Grenzgänger mit Staatsangehörigkeit und Wohnsitz in den Niederlanden gewesen seien.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG für das Land Nordrhein-Westfalen

vom 27. Februar 1980 aufzuheben und die Berufung

der Klägerin gegen das Urteil des SG Aachen vom

5. September 1977 zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist, soweit sie Verfahrensrügen erhebt, als unzulässig zu verwerfen. In der Sache ist sie insoweit begründet, als sie sich gegen die Verurteilung zur Beitragsleistung richtet, im übrigen ist sie jedoch als unbegründet zurückzuweisen.

Gemäß § 164 Abs 2 Satz 3 SGG muß die Revisionsbegründung, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben. Daran fehlt es hier. Inwiefern § 128 SGG verletzt sein soll, ist der Revisionsbegründung nicht zu entnehmen. Sie läßt nicht einmal erkennen, ob die Beklagte der Auffassung ist, das LSG habe nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens berücksichtigt oder im Urteil nicht die für die richterliche Überzeugung leitenden Gründe angegeben oder aber gar das Urteil auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten. Zur Rüge einer Verletzung des § 103 SGG hat es die Revisionsbegründung an der Bezeichnung der Tatsachen fehlen lassen, aus denen sich die - von ihr unterstellte - Rechtsauffassung des LSG ergeben soll, der Anspruch aus § 141n AFG setze ebenso wie der Anspruch auf Konkursausfallgeld (Kaug) während der fraglichen Beschäftigung zumindest den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet voraus (vgl hierzu § 141b Abs 2 AFG).

Sachlich kann die Verurteilung der Beklagten durch das LSG zwar keinen Bestand haben. Es muß aber bei der vom LSG angesprochenen Aufhebung der angefochtenen Bescheide verbleiben.

Maßgebend für den Anspruch auf Entrichtung der Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung, zur gesetzlichen Rentenversicherung sowie der Beiträge zur Bundesanstalt für Arbeit durch das Arbeitsamt ist § 141n AFG in der vor dem 1. August 1979 geltenden Fassung. Das ergibt sich aus § 141n Abs 3 AFG idF des Gesetzes vom 23. Juli 1979 (BGBl I S 1189). Denn danach ist die Neufassung dieser Vorschrift nur auf Fälle anzuwenden, in denen das Konkursverfahren nach dem 31. Juli 1979 eröffnet worden ist. Der vorliegende Fall, in dem die Betriebstätigkeit der Filiale M. endgültig mit dem 31. Oktober 1974 beendet worden und der Konkurs der Firma I. in den Niederlanden am 15. Mai 1975 eröffnet worden ist, muß deshalb nach der durch Art 1 Nr 5 des Gesetzes vom 17. Juli 1974 (BGBl I S 1481) eingeführten und durch Gesetz vom 21. Dezember 1974 (BGBl I S 3656) mit Wirkung ab 20. Juli 1974 geänderten Fassung beurteilt werden. Danach entrichtet das Arbeitsamt auf Antrag der zuständigen Einzugsstelle die ihm nachzuweisenden Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und zur gesetzlichen Rentenversicherung sowie Beiträge zur Bundesanstalt für Arbeit, die auf Arbeitsentgelte für die letzten der Eröffnung des Konkursverfahrens vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses entfallen und bei Eröffnung des Konkursverfahrens noch nicht entrichtet worden sind. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind nach den von der Revision erfolglos beanstandeten und deshalb gemäß § 163 SGG für das Bundessozialgericht (BSG) bindenden Feststellungen des LSG nicht in vollem Umfang erfüllt.

Zutreffend ist das LSG zunächst zu dem Ergebnis gelangt, der Eröffnung des Konkursverfahrens stünden auch in § 141n AFG die in § 141b Abs 3 Nrn 1 und 2 AFG bezeichneten Tatbestände gleich. Denn diese Tatbestände stehen nach § 141b Abs 3 Satz 1 AFG "bei der Anwendung der Vorschriften dieses Unterabschnitts" - gemeint ist der Unterabschnitt "Konkursausfallgeld" (§§ 141a bis 141n AFG) - der Eröffnung des Konkursverfahrens gleich. Dazu gehört aber auch § 141n AFG. Die Beitragsentrichtungspflichten aus § 141n AFG entstehen nicht nur bei Eröffnung des Konkursverfahrens, sondern ebenso bei Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Konkursverfahrens und bei vollständiger Beendigung der Betriebstätigkeit im Geltungsbereich des AFG, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Konkursverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt.

Der Auffassung des LSG, für die Feststellung, ob ein Konkursverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht gekommen sei, seien allein die Verhältnisse in der Bundesrepublik - hier also im Filialbetrieb M. - maßgebend, während es auf die in den Niederlanden bestehenden Umstände nicht ankomme, vermag der Senat nicht zuzustimmen. Anknüpfungspunkt aller Leistungsansprüche aus der Konkursausfall-Versicherung ist die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (§ 141a AFG). Würde man diese allein nach den in der Bundesrepublik gegebenen Tatsachen beurteilen, wie es das LSG getan hat, so hätten es ausländische Arbeitgeber leicht, durch Abzug von Konten und Sachwerten eine in Wahrheit nicht gegebene Zahlungsunfähigkeit "aufzubauen" und sich auf diese Weise nicht gerechtfertigte Vermögensvorteile auf Zeit oder gar auf Dauer zu verschaffen. Die der Arbeitsverwaltung mit Hilfe der Einzugsstellen erkennbaren Vermögensverhältnisse des mit Sozialversicherungsbeiträgen säumig gewordenen ausländischen Arbeitgebers müssen deshalb bei Prüfung der Voraussetzungen für die Leistungen der Konkursausfall-Versicherung berücksichtigt werden. Dies ändert indes nichts an dem Verständnis des Begriffs "offensichtlich", wie es in dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil des Senats vom 23. November 1981 - 10/8b RAr 6/80 - eingehend dargelegt worden ist. Die Arbeitsverwaltung muß die Leistungen der Konkursausfall-Versicherung schon gewähren, wenn bei einem ausländischen Arbeitgeber die auf die Frage seiner Zahlungsunfähigkeit zu beziehenden bekannten äußeren Tatsachen - im Inland und Ausland - bei unvoreingenommener Betrachtung dafür sprechen. Dabei muß ein der Konkurseröffnung ähnlicher Vorgang im Ausland im Sinne der Masseunzulänglichkeit gewertet werden. Denn dieser Umstand deutet jedenfalls auf Zahlungsunfähigkeit hin. Er kann somit nicht allein deshalb, weil es sich nicht um die im Recht der Konkursausfall-Versicherung als Anknüpfungspunkt gewählte Konkurseröffnung nach deutschem Recht, sondern um einen ähnlichen Vorgang im Ausland handelt, im Ergebnis wie ein die Zahlungsfähigkeit des Arbeitgebers belegender Umstand gewertet worden. Dies ist aber nur dann vermeidbar, wenn der Konkurseröffnung oder einem entsprechenden Vorgang im Ausland auch im Inland - unter zusätzlicher Berücksichtigung der hier gegebenen äußeren Tatsachen - im Sinne von § 141a AFG über § 141b Abs 3 Nr 2 AFG leistungsauslösende Bedeutung zuerkannt wird.

Wenn auch aufgrund dieser Grundsätze nach den Feststellungen des LSG die insolvenzbezogene Voraussetzung des Beitragsleistungsantrags der Klägerin erfüllt war, war der Leistungsantrag in dieser Form aber schon aus einem anderen vorrangigen Grunde abzulehnen. Es fehlte an dem vom Gesetz verlangten Beitragsnachweis der Einzugsstelle.

Zum Beitragsnachweis gehört die Entscheidung der Einzugsstelle über die Versicherungspflicht, Beitragspflicht und Beitragshöhe für bestimmte Personen in der Krankenversicherung, Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung für eine bestimmte Zeit (BSGE 37, 114, 116; 45, 206, 207). Nur wenn und soweit konkret entstandene Beitragsansprüche auf diese Weise von der Einzugsstelle nachgewiesen und infolge eines Insolvenzereignisses für die letzten drei Monate der konkreten Arbeitsverhältnisse ausgefallen sind, können und müssen die Beiträge vom Arbeitsamt nach § 141n AFG entrichtet werden. Nur so ist auch ihre ordnungsgemäße Zuordnung durch Mitteilung an die zuständigen Versicherungsträger möglich (§ 141n Satz 2 AFG).

An dieser Beurteilung ändert sich dadurch nichts, daß die Einzugsstelle, die dem Beitragspflichtigen regelmäßig hoheitlich - durch Bescheid - gegenüberzutreten vermag (BSGE 45, 296, 298), die Beiträge nach § 141n AFG beim Arbeitsamt zu beantragen hat. Dieser "Antrag" bezieht sich nämlich nur auf die insolvenzrechtlichen Voraussetzungen und die hieran sowie an den Beitragsnachweis geknüpfte Rechtsfolge der Beitragsentrichtung durch das Arbeitsamt. Die Prüfung, Beurteilung und Entscheidung der Versicherungspflicht, Beitragspflicht und Beitragshöhe geht dabei nicht auf das Arbeitsamt über, sondern verbleibt in der Gestalt des Beitragsnachweises bei der Einzugsstelle, wie § 141n Satz 2 AFG zu entnehmen ist (vgl Gagel, Konkursausfallgeld § 141n RdNr 3; Hennig/Kühl/Heuer, Arbeitsförderungsgesetz Stand: September 1981 § 141n Anm 2b; Krebs, AFG, Stand: März 1981, § 141n RdNr 4).

Die unterbliebene Entscheidung der Einzugsstelle über die Versicherungspflicht, Beitragspflicht und Beitragshöhe für bestimmte Personen in der Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung für eine bestimmte Zeit kann im gerichtlichen Verfahren nicht mehr nachgeholt werden (BSGE 45, 206, 208). Der Beitragsentrichtungsantrag nach § 141n AFG ist bei fehlendem Beitragsnachweis vom Arbeitsamt bereits aus diesem Grunde abzulehnen. Deshalb muß - unbeschadet der im Ergebnis zutreffenden insolvenzrechtlichen Beurteilung des LSG - auf die Revision der Beklagten deren Verurteilung durch das LSG zur Beitragsleistung zwar aufgehoben, die vom LSG zugleich ausgesprochene Aufhebung der angefochtenen Bescheide aber durch Zurückweisung der Revision im übrigen bestätigt werden. Es bleibt der Klägerin überlassen, bei der Beklagten unter Nachweis der konkreten Beiträge für die in Betracht kommenden Arbeitnehmer und Arbeitszeiten die Entrichtung der Beiträge nach § 141n AFG ordnungsgemäß zu beantragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

ZIP 1982, 718

Breith. 1983, 357

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