Leitsatz (amtlich)

Die Vorschrift, daß der Anspruch auf Kindergeld nicht übertragbar ist (KGG § 8), steht der Überleitung von Rechtsansprüchen nach der bis zum 1962-05-31 gültigen FürsPflV § 21a nicht entgegen.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Beschwer des Rechtsmittelklägers ist stets gegeben, wenn die Entscheidung etwas versagt, was der Rechtsmittelkläger beantragt hat.

Dies ist wegen der geringeren Rechtskraftwirkung auch dann der Fall, wenn statt einer begehrten Sachabweisung nur eine Prozeßabweisung erfolgt.

2. Wenn gegen das Urteil des Gerichts, an das die Sache auf die erste Revision hin zurückverwiesen worden ist, Revision erneut zulässig eingelegt wird, ist das Revisionsgericht im allgemeinen an sein früheres Urteil in demselben Ausmaß wie das vorinstanzliche Gericht gebunden.

Ausnahmen hiervon werden anerkannt, wenn zwischen dem ersten und dem zweiten Revisionsurteil neue revisionsrichterliche Grundsätze aufgestellt worden sind.

 

Normenkette

KGG § 8 Fassung: 1954-11-13; FürsPflV § 21a Fassung: 1924-02-13

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 19. Juli 1961 wird zurückgewiesen; der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist zulässig.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I. Das Landratsamt R. o.d. T. (Kläger) gewährte dem Beigeladenen H, einem kleinen landwirtschaftlichen Unternehmer, für seine vier jüngsten, namentlich bezeichneten Kinder für Januar 1955 Fürsorgeunterstützung von je 25,- DM, insgesamt 100,- DM. Als ihm von der beklagten Familienausgleichskasse (FAK) mitgeteilt worden war, daß dem Beigeladenen für jene Kinder vom 1. Januar 1955 an das beantragte Kindergeld zustehe, machte es bei dieser mit Schreiben vom 24. Februar 1955 in Höhe der gewährten Fürsorgeunterstützung einen Ersatzanspruch geltend und wies mit anschließendem Schreiben vom 1. März 1955 darauf hin, daß seine Anzeige eine solche gemäß § 21 a der Verordnung über die Fürsorgepflicht (FürsPflVO) sei, folglich es weder einer Abtretungserklärung noch einer Anordnung des Vormundschaftsgerichts nach § 8 des Kindergeldgesetzes (KGG) zur Überleitung seines Anspruchs bedürfe. Gleichwohl reichte es aber zusätzlich eine Abtretungserklärung des Beigeladenen vom 28. Februar 1955 nach. Im anschließenden Schriftwechsel vertrat die beklagte FAK die Auffassung, der Anspruch auf Kindergeld sei nicht übertragbar und sie könne ohne Anordnung des Vormundschaftsgerichts die Erstattung nicht vornehmen. Den Antrag des Klägers, die Auszahlung des Kindergeldes für Januar 1955 an ihn nach § 8 Abs. 2 KGG anzuordnen, lehnte das Amtsgericht Rothenburg als Vormundschaftsgericht ab. Die hiergegen eingelegte Beschwerde wurde durch Beschluß des Landgerichts Ansbach mit der Begründung abgewiesen, daß die Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 KGG im anhängigen Falle überhaupt nicht vorlägen. Wegen der Frage, ob die FAK nach § 21 a FürsPflVO auch ohne Anordnung des Vormundschaftsgerichts zur Zahlung verpflichtet sei, wurde der Kläger an die Sozialgerichtsbarkeit verwiesen. Auf seine erneuten Zahlungsersuchen lehnte die beklagte FAK die Zahlung unter Hinweis auf § 8 KGG durch Bescheid vom 25. Juli 1955 weiterhin ab. Diesen hob auf Klage hin das Sozialgericht (SG) Nürnberg (Urteil vom 26. März 1956) auf und verpflichtete die Beklagte, das ursprünglich dem Beigeladenen H für seine vier kindergeldberechtigten Kinder für Januar 1955 zustehende Kindergeld in Höhe von 100,- DM an den Kläger auszuzahlen. Die Berufung der Beklagten und des Beigeladenen wies das Bayerische Landessozialgericht (LSG) - Urteil vom 8. Januar 1958 - zurück. Durch die Überleitungsanzeige des Klägers vom 24. Februar 1955 sei der Kindergeldanspruch des Beigeladenen für Januar 1955 nach § 21 a Abs. 1 Satz 4 FürsPflVO trotz des in § 8 KGG ausgesprochenen Grundsatzes der Nichtübertragbarkeit auf den Kläger übergegangen. Revision wurde zugelassen.

II. Die hiergegen eingelegte Revision des Beigeladenen H wurde durch Beschluß des Bundessozialgerichts (BSG) vom 5. Juni 1959 wegen Formmangels als unzulässig verworfen. Auf die Revision der beklagten FAK hob das BSG mit Urteil vom 25. Januar 1961 das angefochtene Urteil auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das LSG zurück. Nicht der Bescheid vom 25. Juli 1955 sei Gegenstand der Klage, sondern die Überleitungsanzeige des Klägers vom 24. Februar 1955. Dieser Verwaltungsakt, der nach § 21 a FürsPflVO den Anspruchsübergang bewirke, nicht aber der Kindergeldanspruch als Stammrecht stehe im Streit. Mithin seien die Vorschriften des allgemeinen Verwaltungsrechts maßgebend. Das LSG müsse danach feststellen, ob die Überleitungsanzeige bindend geworden sei und gegebenenfalls die Klage als unzulässig abweisen. Weder eine Anfechtung der Überleitungsanzeige noch der Erstattungsanspruch an sich auf Grund von § 21 a FürsPflVO beträfen öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten des Kindergeldgesetzes.

Durch das nach der Zurückverweisung gefällte Urteil des LSG vom 19. Juli 1961 wurde das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Den Feststellungen des LSG zufolge ist die Überleitungsanzeige des Klägers vom 24. Februar 1955 von der Beklagten nicht angefochten worden. Das LSG erachtete zwar im Hinblick auf § 28 KGG den Rechtsweg vor der Sozialgerichtsbarkeit für eröffnet, hielt sich aber auch hinsichtlich der prozeßrechtlichen Fragen gemäß § 170 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) an die Rechtsauffassung des Revisionsgerichts gebunden. Gegen dieses Urteil hat die beklagte FAK form- und fristgerecht Revision eingelegt. Sie vertritt die Meinung, daß vorliegend der Rechtsweg zu den Sozialgerichten gegeben sei, und erstrebt eine Sachentscheidung über die Frage des Übergangs des Kindergeldanspruchs nach § 21 a FürsPflVO. Sie führt hierzu im einzelnen aus, daß § 8 KGG die Übertragbarkeit hindere. In dessen Absatz 2 habe der Gesetzgeber bewußt die Fälle, in denen das Wohl des Kindes die Auszahlung an einen Dritten erfordere, abschließend geregelt. Die zu § 851 der Zivilprozeßordnung (ZPO) entwickelte Lehre von der Unpfändbarkeit bei "treuhänderischer Zweckbestimmung" des Anspruchs könne daher im KGG nicht zur Anwendung kommen, zumal auch die höchstpersönliche Natur des Kindergeldanspruchs einer Pfändung entgegenstehe. Im übrigen sei die Fürsorgeunterstützung für die Kinder gewährt worden und nicht dem Beigeladenen zugeflossen. Wegen Fehlens der Identität des Anspruchsberechtigten mit dem Unterstützten könne deshalb der Kläger die Kindergeldansprüche nicht überleiten.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Bayer. LSG vom 19. Juli 1961 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger hat selbst keine Revision eingelegt, obwohl durch die Klagabweisung in erster Linie er betroffen ist. Er schließt sich dem Vorbringen der Beklagten als Revisionsklägerin in verfahrensrechtlicher Hinsicht an und begehrt ebenfalls eine Sachentscheidung. Ohne einen förmlichen Antrag zu stellen, erstrebt er die Aufhebung des Berufungsurteils und die Bestätigung, daß die Überleitung nach § 21 a FürsPflVO bezüglich des Kindergeldanspruchs eintritt. Die Identität zwischen den nach Fürsorgerecht unterstützten und der nach dem KGG anspruchsberechtigten Personen liege vor.

Der Beigeladene ist nicht vertreten.

III. Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Revision ist zulässig, obwohl sie seitens der Beklagten gegen ein klagabweisendes Urteil eingelegt wurde. Denn die Beklagte ist durch die angefochtene Entscheidung gleichwohl beschwert, da abweichend von ihrem ursprünglichen Antrag die Klage nicht als unbegründet, sondern - wie sich aus den Urteilsgründen des LSG wörtlich ergibt - als unzulässig abgewiesen wurde. Die Beschwer des Rechtsmittelklägers im Zeitpunkt der Rechtsmitteleinlegung ist auch im sozialgerichtlichen Verfahren Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rechtsmittels (vgl. BSG 6, 180, 182; 9, 17, 19 ff; 11, 26, 27). Die Beschwer ist stets dann gegeben, wenn die Entscheidung dem Rechtsmittelkläger etwas versagt, was er beantragt hat. Rechtsprechung und Lehre sind sich darüber einig, daß dies wegen der geringeren Rechtskraftwirkung auch dann der Fall ist, wenn statt einer von der Beklagten begehrten Sachabweisung nur eine Prozeßabweisung erfolgt (vgl. ua Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 8. Aufl., S. 661; BGH NJW 1959, 436; Baumbach/Lauterbach, Komm. z. ZPO, 26. Aufl. Grundz. 3) vor § 511; Eyermann/Fröhler, Komm.z.VerwGO 1960, Anm. 4 zu § 124).

Die Revision der beklagten FAK ist sachlich-rechtlich nicht begründet; indessen blieb sie insoweit nicht erfolglos, als der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit als zulässig anzuerkennen ist.

IV. Was zunächst die prozessuale Seite anbelangt, so hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) mit Urteil vom 23. November 1960 (BVerwG 11, 249 ff), das im Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Senats vom 25. Januar 1961 noch nicht veröffentlicht war, ausgeführt, daß sich die Rechtsnatur des übergeleiteten (hier: des Kindergeld-) Anspruchs durch die Überleitung nach § 21 a FürsPflVO nicht verändert. Weigert sich der Verpflichtete (hier: die FAK) zu zahlen, so muß mangels anderer Durchsetzbarkeit des Anspruchs der Fürsorgeträger die Leistungsklage erheben, und zwar vor dem Gericht, das für die Geltendmachung des übergeleiteten Anspruchs gesetzlich zuständig ist. Hinsichtlich des Kindergeldanspruchs sind dies also die Sozialgerichte (§ 28 KGG). In demselben Sinn haben nachfolgend der 10. Senat des BSG (BSG 16, 12 ff) sowie der 11. Senat (BSG in SozR SGG § 54 Bl. Da 22 Nr. 81) zu § 21 a FürsPflVO und der 4. Senat (BSG 13, 94 ff) bei einem Rechtsübergang im Lastenausgleichsrecht entschieden. Das vorausliegende Urteil des erkennenden Senats vom 25. Januar 1961 steht hierzu im Widerspruch. Es ging von der Annahme aus, daß nicht der Kindergeldanspruch im Streit stehe, weil dessen materielle Voraussetzungen nach dem KGG unbestritten seien. Diese Auffassung wird nicht aufrechterhalten. Tatsächlich macht der Kläger einen Zahlungsanspruch nach dem Kindergeldrecht geltend, und die Beklagte leugnet dessen Bestehen, indem sie den Rechtsübergang bestreitet. Infolgedessen muß das für die Prüfung der Begründetheit des Klaganspruchs (Kindergeld) zuständige Gericht (Sozialgericht) diese Frage entscheiden. Eine andere Lösung wird im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantien des Grundgesetzes - GG - (Art. 19 Abs. 4, Art. 101 GG) nicht tunlich. Deshalb ist im vorliegenden Fall die Leistungsklage des Fürsorgeträgers zu den Sozialgerichten zuzulassen. An sich steht einer dahingehenden Entscheidung des erkennenden Senats die auch für ihn geltende Bindung an sein früheres Urteil in dieser Sache entgegen (§ 170 SGG). Die Rechtsprechung hat den Grundsatz entwickelt, daß dann, wenn gegen das Urteil des Gerichts, an das die Sache auf die erste Revision hin zurückverwiesen worden ist, Revision erneut zulässig eingelegt wird, das Revisionsgericht im allgemeinen an sein früheres Urteil in demselben Ausmaß wie das vorinstanzliche Gericht gebunden ist (vgl. ua RGZ 149, 157 ff; BGHZ 3, 321; 6, 76; 25, 200; BAG in BB 1959, 491; BVerfG 4, 1; BSG 17, 50 ff). Ausnahmen hiervon werden jedoch anerkannt, wenn zwischen dem ersten und dem zweiten Revisionsurteil neue revisionsrichterliche Grundsätze erarbeitet worden sind (vgl. ua BVerwG 6, 297; 7, 159 ff; BVerwG in DVBl 1959, 857). Diese Situation ist hier durch die Rechtsprechung des BVerwG und der zitierten Senate des BSG gegeben. Jene neuen revisionsrichterlichen Grundsätze erlauben es dem erkennenden Senat, trotz gewisser Bedenken, die das Prinzip der Selbstbindung berühren, zwecks Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung seinen bisherigen Standpunkt aufzugeben und im vorliegenden Rechtsstreit den Rechtsweg der Sozialgerichtsbarkeit als zulässig anzusehen.

V. Sachlich-rechtlich ist jedoch die Revision der Beklagten nicht begründet.

Nach § 21 a Abs. 1 FürsPflVO kann der Fürsorgeverband, der auf Grund dieser Verordnung einen Hilfsbedürftigen unterstützt hat, wenn der Hilfsbedürftige für die Zeit der Unterstützung Rechtsansprüche gegen einen Dritten auf Leistungen zur Deckung des Lebensbedarfs hat, durch schriftliche Anzeige an den Dritten bewirken, daß diese Rechtsansprüche zum Ersatz auf ihn übergehen. Satz 4 aaO bestimmt, daß der Übergang selbst dadurch nicht ausgeschlossen wird, daß der Anspruch der Pfändung nicht unterworfen ist.

§ 21 a FürsPflVO beinhaltet also, wie § 119 a der Reichsversicherungsordnung (RVO), eine Abtretung von Gesetzes wegen (cessio legis); diese Regelung ist wohl nicht zuletzt im Hinblick auf den das gesamte Fürsorgerecht beherrschenden Grundsatz der Subsidiarität der Fürsorgeleistungen getroffen worden. Da § 21 a FürsPflVO für alle sozialrechtlichen Sachgebiete (zB Sozialversicherung - §§ 1531 ff -; KOV - §§ 67, 68 -; AVAVG - § 111 a aF, § 94 nF -; LAG ua), wenn auch mit gewissen Modifikationen, die Rechtsgrundlage des Anspruchsübergangs (Ersatzleistung) eröffnet, wird kein sachgerechter oder vernunftbedingter Grund dafür erkennbar, allein für das Kindergeldrecht eine andere Rechtslage zu unterstellen. Wortlaut und Inhalt des § 8 KGG lassen jedenfalls einen gesetzgeberischen Willen dafür nicht erkennen, daß diese Vorschrift gegenüber § 21 a FürsPflVO vorgehendes Sonderrecht (lex specialis im weitesten Sinne) darstellt. Aus der allgemeinen Systematik des Kindergeldrechts ergeben sich ebenfalls keine Anhaltspunkte dafür. Insbesondere läßt die durch § 8 Abs. 2 KGG vorgesehene Möglichkeit der Auszahlung des Kindergeldes an Dritte keinen Schluß auf die Ausnahmelosigkeit des Übertragungsverbots nach Absatz 1 zu. § 8 Abs. 2 aaO gestattet nämlich im Kern überhaupt keine Übertragung des Anspruchs (Stammrechts) als solchen, sondern lediglich die Bestimmung eines anderen Bezugsberechtigten anstelle des weiterhin Anspruchsberechtigten (vgl. Lauterbach/Wickenhagen, Komm. z. KGG Anm. 3 zu § 8; Urteil des erkennenden Senats vom 22. November 1963 - 7 RKg 2/61 -). Der Sache nach liegt also insoweit keine Ausnahme von dem Übertragungsverbot des Abs. 1 aaO vor, die zu der Annahme zwänge, der Gesetzgeber habe die Übertragbarkeit des Kindergeldanspruchs hier abschließend regeln wollen. In diesem Zusammenhang ist die Feststellung bedeutsam, daß der Bundestag den Vorschlag einer Fraktion abgelehnt hatte, die Nichtanrechenbarkeit des Kindergeldes ua auch für Fürsorgeleistungen im KGG festzulegen. Der seinerzeit eingebrachte Ergänzungsvorschlag (damals als § 7 a einzufügen) hatte folgenden Wortlaut:

"Kindergeld wird auf Leistungen der Sozialversicherung, der Arbeitslosenversicherung, der Arbeitslosenfürsorge, der Kriegsopferversorgung, des Bundesentschädigungsgesetzes sowie auf Unterhaltshilfe nach dem Lastenausgleichsgesetz und auf Fürsorgeunterstützung nicht angerechnet."

(vgl. Protokoll der 45. Sitzung des Bundestags am 24. September 1954, Verhandlungen des Bundestags, 2. Wahlperiode 1953, S. 2165 (D)). Dieses Antrags hätte es nicht bedurft, wenn der Gesetzgeber bereits durch § 8 Abs. 1 KGG den Ausschluß von Anrechnungen, Anspruchsübertragungen uä auf das Kindergeld gewollt haben sollte. Aus der Begründung des Sprechers der Mehrheit des Bundestages, die diesen Antrag schließlich ablehnte, ergibt sich auch, daß ein derartig weitgehender Schutz des Kindergeldes im Kindergeldgesetz gerade nicht gewollt war (vgl. Sitzungsprotokoll aaO S. 2166 (A) und (B)). Hier liegt somit ein weiteres Indiz dafür, daß § 8 Abs. 1 KGG auch nach dem Willen des Gesetzgebers einen Ausschließlichkeitscharakter nicht haben sollte. Die Auffassung vom Vorrang des § 21 a FürsPflVO vor der Regelung des § 8 KGG hat überdies der Bundesminister für Arbeit nach gemeinsamer Prüfung mit dem Bundesminister des Inneren in seinem Erlaß vom 31. August 1955 - Az. III b/4378/55 - vertreten. Ferner entspricht die Anwendbarkeit des § 21 a FürsPflVO im Kindergeldrecht dem das gesamte Sozialversicherungsrecht allgemein beherrschenden Grundsatz, daß Doppelleistungen zu vermeiden sind. Nicht zuletzt beruht die Kompliziertheit und die vielfältige Ausgestaltung der Kindergeldgesetzgebung auf dem gesetzgeberischen Bemühen, einerseits möglichst alle Anspruchslücken für die Berechtigten zu schließen, andererseits jedoch Doppelleistungen zu verhindern (vgl. hierzu Goldschmidt/Andres, Ziff. II der Einführung zu "Die Kindergeldgesetze", Textausgabe mit Anmerkungen, 1956). Bei einer Verneinung des Vorrangs des § 21 a FürsPflVO könnte sich zudem die Gefahr ergeben, daß die Fürsorgebehörden die Unterstützung Kindergeldberechtigter allgemein mit besonderer Zurückhaltung wahrnehmen. Alsdann wäre die rechtzeitige Abwendung von Notlagen nicht mehr gewährleistet. Dieses Ergebnis kann aber ebenfalls nicht dem gesetzgeberischen Willen, der zur Schaffung des KGG führte, entsprechen. Schließlich hätte der Gesetzgeber, wenn er den § 21 a FürsPflVO allein für das Kindergeldrecht hätte ausschließen wollen, seinen dahinzielenden Willen im Gesetz eindeutig ausdrücken müssen.

Unabhängig von allen Gründen, die aus der Entstehungsgeschichte des § 8 KGG herzuleiten sind oder die zusätzlich auf rechtspolitischen Erwägungen beruhen, besteht aber auch rechtsdogmatisch und tatbestandsmäßig zwischen dieser Vorschrift und § 21 a Abs. 1 FürsPflVO kein Widerspruch. Den Übergang unpfändbarer Forderungen sieht nämlich § 21 a Abs. 1 Satz 4 FürsPflVO ohne Rücksicht darauf vor, aus welchem Grunde sie unpfändbar sind. Sind sie daher, wie vorliegend, wegen ihrer Nichtübertragbarkeit unpfändbar, so gehen sie gleichwohl nach § 21 a FürsPflVO über; denn dessen Voraussetzungen sind damit erfüllt. Also steht die Vorschrift, daß der Anspruch auf Kindergeld nicht übertragbar ist (§ 8 KGG), der Überleitung von Rechtsansprüchen nach § 21 a der bis zum 31. Mai 1962 gültigen FürsPflVO nicht entgegen. Dieses aus der Systematik der bisherigen gesetzlichen Regelung gewonnene Ergebnis hat für die Zeit nach dem 1. April 1962 der Gesetzgeber in § 90 Abs. 1 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) vom 30. Juni 1961 (BGBl I 819) zum Ausdruck gebracht ("Der Übergang ist nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Anspruch nicht übertragen, verpfändet oder gepfändet werden kann"). Modifikationen hinsichtlich der Überleitung von Kindergeldansprüchen sind nach alledem weder unter der Geltung der FürsPflVO noch bei Schaffung des BSHG in den Kindergeldgesetzen getroffen worden, obwohl zumindest vor Inkrafttreten des letzteren zeitlich und sachlich die Möglichkeit dazu vorhanden war. Der ursprüngliche gesetzgeberische Wille hat sich also niemals gewandelt.

VI. Die sachlichen Voraussetzungen der Überleitung nach § 21 a FürsPflVO sind erfüllt. Die Anzeige des Klägers hierüber vom 24. Februar 1955 (i.Vbdg. mit dem Schreiben vom 1. März 1955) ist nach Form und Inhalt nicht zu beanstanden. Der Kindergeldanspruch des Beigeladenen gegen die beklagte FAK ist auf Deckung des Lebensbedarfs im Sinne von § 21 a FürsPflVO gerichtet. Das Kindergeld bezweckt, allen Familien mit drei oder mehr Kindern einen Ausgleich für die Mehrbelastungen zu gewähren, die ihnen durch deren Erziehung und Ausbildung im Vergleich zu den Ledigen, kinderlos Verheirateten und kinderarmen Familien erwächst (vgl. Witting/Meier, Kindergeldhandbuch, Einleitung zum KGG). Unter Heranziehung der Prinzipien, welche die §§ 5, 6 der Reichsgrundsätze für die öffentliche Fürsorge aufstellen, muß daher das Kindergeld als eine Leistung zur Deckung des Lebensbedarfs gewertet werden (vgl. Jehle, Fürsorgerecht, Anm. 1 B zu § 21 a FürsPflVO). Auch die weiteren Bedingungen der Gleichartigkeit, Gleichwertigkeit und Gleichzeitigkeit von § 21 a FürsPflVO treffen zu. Schließlich ist das Merkmal der Identität der Personen im Hinblick auf die beiden Leistungen - Fürsorgeunterstützung und Kindergeld - erfüllt. Anspruchsberechtigt im Sinne des § 1 KGG ist zwar der Beigeladene persönlich, obzwar der Zweck des Kindergeldes in dessen Verwendung für die Kinder liegt. Aus den Verfügungen des Klägers im Verwaltungswege ergibt sich, daß die Fürsorgeunterstützung dem Beigeladenen für seine Kinder gewährt wurde, und zwar in erster Linie für Helmut, Christa, Jutta und Siegfried. Diesbezüglich handelt es sich indessen, weil nach den unangefochtenen tatsächlichen Feststellungen der Vorderrichter (§ 163 SGG) seinerzeit eine Notlage der Familiengemeinschaft bestanden hat, um eine Familienunterstützung, in die mit den Kindern der Beigeladene selbst einbezogen war, insoweit nämlich, als ihm dadurch bei der Erfüllung seiner Unterhaltsverpflichtungen öffentliche Hilfe geleistet wird (vgl. OVG Münster in BVBl 1957, 19; Jehle aaO, Anm. 2 zu § 5 der Reichsgrundsätze mit weiteren Zitaten). Maßgeblich ist in diesem Zusammenhang die Übereinstimmung der Zweckrichtung des Kindergeldes und der Fürsorgeleistung. Da letztere bestimmungsgemäß und durch keine Sonderumstände eingeschränkt demselben Personenkreis zugute kommt, für den auch das Kindergeld bestimmt ist und verbraucht wird, ist die nach § 21 a FürsPflVO geforderte Identität gewahrt. In diesem Zusammenhang bleibt eine anteilsmäßige Berücksichtigung der beiden ältesten Kinder Klaus und Karl Heinz ihres Alters wegen außer Betracht (vgl. BGH in NJW 1958 S. 102).

VII. Sachlich ist somit der vom Kläger geltend gemachte Anspruch aus § 21 a FürsPflVO gerechtfertigt. Es entspricht auch der materiellen Gerechtigkeit, daß der Beigeladene für dieselbe Zeit Leistungen aus öffentlichen Mitteln nicht doppelt und der Kläger für seine vorschußweise an diesen gewährte Unterstützung Ersatz erhält. Die Beklagte ist danach rechtlich gehalten, an den Kläger die im Streit befangenen 100,- DM zu zahlen, ohne daß es hierfür einer besonderen Anordnung des Vormundschaftsgerichts nach § 8 Abs. 2 KGG bedarf (vgl. OLG Frankfurt/M. in Zeitschrift für das Fürsorgewesen, 1961, 232).

Eine Verurteilung der Beklagten zu dieser Leistung im Revisionsverfahren würde jedoch gegen das Verbot der reformatio in peius zu Lasten des Rechtsmittelklägers verstoßen (Peters/Sautter/Wolff, Komm.z.SGb § 150 SGG Anm. 3 III/62; BSG in SozR SGG § 162 Bl. Da 24 Nr. 91). Der Kläger hat selbst die Revision nicht betrieben. Anschlußrevision kann er nicht mehr einlegen, weil die Revisionsbegründungsfrist abgelaufen ist. Auch der Schriftsatz des Klägers vom 12. Dezember 1961, in dem er dem Sinne nach eine Verurteilung der Beklagten zur Zahlung des Überleitungsbetrags begehrt, kann nicht als Anschlußrevision gelten, weil er nicht innerhalb der gesetzlichen Frist beim BSG eingegangen ist.

Nach alledem konnte der erkennende Senat allein dahin entscheiden, daß die Revision der Beklagten gegen das angefochtene Urteil zurückgewiesen wird.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2380015

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge