Leitsatz (redaktionell)

1. Zur arbeitsmarktpolitischen Zweckmäßigkeit der Fortbildungsförderung.

Hier: Lehrgang zur Vorbereitung auf die theoretische Prüfung zum Linienflugzeugführer.

2. Die Förderung der beruflichen Fortbildung (hier: eines Berufsflugzeugführers zum Linienflugzeugführer) ist - anders als die der Umschulung - in der Regel auch bei eingeschränkten Aussichten in dem betreffenden Beruf zweckmäßig iS des AFG § 36.

3. Der Beurteilung der Zweckmäßigkeit iS des AFG § 36 sind die im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Tatsachengerichts vorhandenen Erkenntnisse und Prognosemöglichkeiten zugrundezulegen.

 

Normenkette

AFG § 41 Abs. 1 Fassung: 1969-06-25, § 36 Fassung: 1969-06-25; AFuU § 8 Fassung: 1969-12-18; AFuU 1969 § 8 Fassung: 1969-12-18

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 15.10.1975; Aktenzeichen L 12 (16) Ar 2/73)

SG Düsseldorf (Entscheidung vom 12.09.1972; Aktenzeichen S 23 (1) Ar 34/71)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. Oktober 1975 aufgehoben. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 12. September 1972 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, die Teilnahme des Klägers an dem Lehrgang zur Vorbereitung auf die theoretische Prüfung zum Linienflugzeugführer zu fördern, der vom 5. Oktober 1970 bis 31. März 1971 an der Fachschule für Verkehrsluftfahrt GmbH in M stattgefunden hat.

Der 1944 geborene Kläger erlernte von April 1963 bis März 1966 den Beruf eines Industriekaufmanns. In dieser Zeit nahm er auch an Lehrgängen zum Programmierer teil. Nach Abschluß der Ausbildung zum Industriekaufmann arbeitete er etwa ein halbes Jahr als Korrespondent und war dann von November 1966 bis März 1967 als Angestellter (Operator) der D AG in Hannover tätig. Von Mai 1967 bis Juni 1970 war er Koordinator bei einem Lufttransportunternehmen. Diese Tätigkeit umfaßte die Erstellung von Lade- und Trimmberechnungen, Flugdokumentation, Flugzeitkalkulation, im besonderen Hinblick auf Pünktlichkeit, technische Mängel und Fehler sowie die Beladungen und die Streckenführung der Maschinen. Während dieser Zeit erwarb er (am 25. März 1969) den Privatpilotenschein (Private Pilot Licence = PPL) und im Anschluß an seine Tätigkeit bei dem Lufttransportunternehmen (Juli 1970) den Berufspilotenschein zweiter Klasse (Commerciel Pilot Licence 2 = CPL 2). Im September 1970 wurde ihm die Instrumentenflugberechtigung für die beiden Pilotenscheine (Instrument Rating = IFR) zuerkannt.

Vom 5. Oktober 1970 bis 31. März 1971 nahm der Kläger an einem Lehrgang zur Vorbereitung auf die theoretische Prüfung als Linienflugzeugführer (ATPL = Airline Transport Pilot Licence) an der Fachschule für Verkehrsluftfahrt GmbH in M teil. Er legte im Anschluß daran die Prüfung ab und nahm am 22. April 1971 eine Tätigkeit bei der IFG (= I) als Flugzeugführer (zweiter Offizier) auf. Vom 1. April bis 30. November 1974 war der Kläger arbeitslos. Danach begann er eine Beschäftigung als Flugzeugführer bei der W Flugdienst GmbH.

Am 23. Juni 1970 stellte er den Antrag, seine Teilnahme an dem Lehrgang zur Vorbereitung auf die theoretische Prüfung zum Linienflugzeugführer an der Fachschule für Verkehrsluftfahrt GmbH M zu fördern. Die Beklagte lehnte diesen Antrag (Bescheid vom 17. November 1970; Widerspruchsbescheid vom 1. Juli 1971) mit der Begründung ab, der Kläger habe, wie es für die Förderung einer solchen Ausbildung erforderlich sei, noch nicht 300 Flugstunden als berufsmäßiger Flugzeugführer hinter sich gebracht.

Das Sozialgericht (SG) Düsseldorf hat mit Urteil vom 12. September 1972 die Bescheide der Beklagten aufgehoben und sie verurteilt, den Kläger für die Dauer der Umschulungsmaßnahme vom 5. Oktober 1970 bis zum 31. März 1971 Förderungsleistungen zu gewähren.

Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 15. Oktober 1975 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt:

Die Ausbildung des Klägers zum Linienflugzeugführer sei nicht zweckmäßig (§ 36 des Arbeitsförderungsgesetzes - AFG -). Es sei übereinstimmende Feststellung der fachkundigen Dienststellen und privaten Organisationen, daß sich der Arbeitsmarkt für Linienflugzeugführer in der Weise entwickelt habe, daß nach einer Zeit des bis 1971 vorhandenen Bedarfs seit Jahren durchgehend ein Überangebot von Flugzeugführern bestehe. Dabei werde der Zeitpunkt, in dem eine Wende vom Bedarf zum Überangebot eingetreten sei, im allgemeinen mit dem wirtschaftlichen Zusammenbruch der P etwa im Oktober 1971 angenommen. Das sei - auf die hier in Betracht kommende Maßnahme bezogen-zwar ein Zeitpunkt nach Beendigung des Lehrgangs. Dieser Wendepunkt allein umschreibe die Entwicklung des Arbeitsmarktes aber nicht vollständig. Im Sommer 1972 sei mit dem Zusammenbruch der Fa. A eine große Zahl von Flugzeugführern stellungslos geworden, die bis heute keine neue Anstellung gefunden hätten. Anhaltspunkte für eine nennenswerte Besserung der Beschäftigungslage seien nicht erkennbar.

Mit der zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 36 AFG durch das LSG und führt hierzu insbesondere aus: Bei dem angefochtenen Verwaltungsakt handele es sich um einen Verwaltungsakt ohne Dauerwirkung, bei dem nach allgemeiner Rechtsauffassung die Sach- und Rechtslage zugrunde zu legen sei, wie sie sich im Zeitpunkt der letzten angefochtenen Verwaltungsentscheidung darstelle. Zu der Zeit, als er bei der Beklagten den Antrag auf Förderung gestellt habe und auch noch zu der Zeit, als er seinen Lehrgang durchlaufen habe, sei man allgemein davon ausgegangen, daß ein Bedarf an Flugzeugführern bestehe.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Düsseldorf vom 12. September 1972 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des Klägers ist begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch darauf, daß seine Teilnahme an dem Lehrgang zur Vorbereitung auf die theoretische Prüfung zum Linienflugzeugführer gefördert wird, der vom 5. Oktober 1970 bis 31. März 1971 an der Fachschule für Verkehrsluftfahrt GmbH in M stattgefunden hat.

Nach § 41 Abs. 1 fördert die Bundesanstalt für Arbeit (BA) die Teilnahme an Maßnahmen, die das Ziel haben, berufliche Kenntnisse und Fertigkeiten festzustellen, zu erhalten, zu erweitern oder der technischen Entwicklung anzupassen oder einen beruflichen Aufstieg zu ermöglichen (berufliche Fortbildung), wenn die Maßnahme eine abgeschlossene Berufsausbildung oder eine angemessene Berufserfahrung voraussetzt. Bei dem Lehrgang zur Vorbereitung auf die theoretische Prüfung zum Linienflugzeugführer hat es sich nicht um Ausbildung, sondern um eine Maßnahme der beruflichen Fortbildung gehandelt.

Ausbildung i.S. des § 40 AFG ist stets nur die erste zu einem Abschluß führende Maßnahme der beruflichen Bildung. Alle späteren Schritte sind demgemäß nur als Fortbildung oder Umschulung zu werten (BSGE 38, 174; SozR 4100 § 41 Nr. 12; BSGE 38, 274; SozR 4100 § 47 Nr. 14; Beschluß vom 3. November 1976 - 7 S 4/76 -). Der Kläger hatte bereits seit langem einen auf dem Arbeitsmarkt verwertbaren Beruf, denn er war schon bisher nicht nur als Flugzeugführer, sondern auch als Industriekaufmann tätig gewesen. Auch war für ihn die Teilnahme an dem Lehrgang zur Vorbereitung auf die Linienflugzeugführerprüfung keine Umschulung. Für die Unterscheidung von Fortbildung und Umschulung ist maßgebend, ob die in dem bisherigen Beruf erlernten Fertigkeiten in den angestrebten Beruf inhaltlich mit übernommen werden (Fortbildung) oder ob diese Fertigkeiten entweder nicht oder nur unwesentlich für die "andere geeignete berufliche Tätigkeit" i.S. des § 47 Abs. 1 AFG Bedeutung haben (Umschulung) - BSG SozR 4100 § 41 Nr. 11 -. Der Kläger hatte bereits Anfang 1969 den Luftfahrerschein für Berufsflugzeugführer zweiter Klasse, später mit der Berechtigung für Instrumentenflüge erworben. Nach § 8 Abs. 2 der Prüfordnung für Luftpersonal vom 5. April 1967 (BGBl I 413) - LuftPersPO -, die damals gültig war (die Verordnung über Luftpersonal - LuftPersV - vom 9.1.76 - BGBl I 53 - ist erst am 1. März 1976 in Kraft getreten), berechtigte diese Lizenz neben der privaten Führung eines Flugzeugs zu der Tätigkeit im gewerbsmäßigen Luftverkehr als verantwortlicher oder zweiter Flugzeugführer auf Flugzeugen der im Luftfahrerschein eingetragenen Muster, auch zur Beförderung von Personen, soweit es sich um Rund- oder Gesundheitsflüge in der Umgebung des Startflugplatzes handelte. Sofern der Inhaber zur Ausübung des Flugfunkverkehrs in englischer Sprache berechtigt war, durfte er auch Personen, Post oder Fracht auf Flugzeugen der im Luftfahrerschein eingetragenen Muster bis zu einem höchstzulässigen Fluggewicht von 5.700 kg befördern. Hatte der Inhaber die Instrumentenflugberechtigung, so konnte er auch als zweiter Flugzeugführer auf Flugzeugen der im Luftfahrerschein eingetragenen Muster bis zu einem höchstzulässigen Fluggewicht von 20.000 kg einschließlich der Beförderung von Personen, Post oder Fracht eingesetzt werden. Die Erlaubnis für Berufsflugzeugführer zweiter Klasse bildete demnach die Grundlage eines Berufes. Daran ändert sich weder deshalb etwas, weil die Anforderungen, die an den Berufsflugzeugführer gestellt wurden, nicht unter dem Gesichtspunkt berufsregelnder Voraussetzungen geschaffen worden waren, noch deshalb, weil die Lizenz als Berufsflugzeugführer gleichzeitig die Möglichkeit gab, privat Flugzeuge zu führen. Entscheidend ist, daß die Berechtigung als Berufsflugzeugführer tätig zu werden, die Möglichkeit gab, sich auf dem Arbeitsmarkt als Flugzeugführer anzubieten. Anders als die Beklagte meint, kann die Berufsflugzeugführerlizenz nicht dem Führerschein der Klasse 3 für Kraftfahrzeuge gleichgesetzt werden. Auch der Führerschein der Klasse 3 kann allerdings im Ausnahmefall die Grundlage einer beruflichen Tätigkeit bilden, etwa als Privatchauffeur. Die Regel ist heute jedoch, daß er zum privaten Gebrauch erworben wird, so daß die Kenntnisse und Fertigkeiten, die - ebenso wie bei der Berufsflugzeugführerlizenz - aus Gründen der öffentlichen Sicherheit für die Fahrberechtigung gefordert werden, typischerweise auf dem Arbeitsmarkt nicht gleichzeitig als Voraussetzungen eines Berufes angesehen werden. Das ist anders beim Erwerb der Berufsflugzeugführerlizenz. Sie wird im Normalfall nur von demjenigen erworben, der auch beabsichtigt, als Flugzeugführer beruflich tätig zu werden. Die aus Sicherheitsgründen geschaffenen Voraussetzungen für die Berechtigung, gewerblich ein Flugzeug zu führen, bilden damit gleichzeitig die Anforderungen an den Beruf des Flugzeugführers. Die in diesem Beruf des Berufsflugzeugführers 2. Klasse (CPL 2) erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten nahm der Kläger auch in den neuen Beruf des Linienflugzeugführers mit. Nach § 14 der LuftPersPO waren Voraussetzungen für den Erwerb der Erlaubnis für Linienflugzeugführer die Erlaubnis für Berufsflugzeugführer zweiter oder erster Klasse, sodann die Instrumentenflugberechtigung, und weiter die Musterberechtigung für ein mehrmotoriges Flugzeug mit mehr als 5.700 kg höchstzulässigem Fluggewicht und eine praktische Tätigkeit als Flugzeugführer. Die praktische Tätigkeit als Flugzeugführer muß mindestens 1.200 Flugstunden, davon 400 Stunden im Linien- oder linienähnlichem Verkehr, innerhalb der letzten 7 Jahre vor Stellung des Antrages auf Erteilung der Erlaubnis umfassen. Gemäß § 15 Abs. 3 konnten Bewerber, die an einem amtlich anerkannten Ausbildungslehrgang für Linienflugzeugführer teilnahmen und anschließend im Linien- oder linienähnlichen Luftverkehr als Flugzeugführer tätig wurden, die theoretische Prüfung am Schluß des Lehrgangs ohne den Nachweis der vollen Flugzeit ablegen. Die praktische Prüfung mußte in diesem Falle innerhalb von drei Jahren nach der theoretischen Prüfung abgelegt werden. Daran, daß die beruflichen Kenntnisse als Berufsflugzeugführer der Klasse 2 in den Beruf des Linienflugzeugführers übernommen wurden, ändert sich auch nicht dadurch, daß der Kläger die vollen Flugstunden zu der Zeit, als er die theoretische Prüfung zum Linienflugzeugführer ablegte, noch nicht abgeleistet hatte. Wenn die Beklagte in ihrem Runderlaß Nr. 98/71. 1 vom 29. Januar 1971 (Dienstblatt A der BA 1971, S. 309) ausgeführt hat, bei den Bildungsgängen der Flugzeugführer ließen sich die Bereiche der Berufsausbildung von denen der beruflichen Fortbildung nur schwer voneinander abgrenzen, nach gutachtlichen Äußerungen des Luftfahrtbundesamtes sei die Schulung zum Berufsflugzeugführer zweiter Klasse als Berufsausbildung anzusehen, weil dies die erste Stufe sei, auf der ein Flugzeugführer beruflich tätig werden könne, so findet das im Gesetz keine Grundlage (es kann sich z.B. auch um Umschulung oder Fortbildung handeln). Ebensowenig kann sich die Weisung auf das Gesetz berufen, die besagt, daß nach der Berufsausbildung zum Berufsflugzeugführer zweiter Klasse eine praktische Tätigkeit als Berufsflugzeugführer von mindestens 300 Flugstunden die Voraussetzung dafür ist, daß die Schulung zum Berufsflugzeugführer erster Klasse oder Linienflugzeugführer gefördert wird.

Fortbildung wird von der Beklagten nur dann gefördert, wenn die Maßnahme, an der der Bildungswillige teilnimmt, eine abgeschlossene Berufsausbildung oder eine angemessene Berufserfahrung voraussetzt. Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 41 AFG kann die abgeschlossene Berufsausbildung oder angemessene Berufserfahrung nicht nur als eine auf den Teilnehmer bezogene subjektive Förderungsvoraussetzung begriffen werden. Sie muß vielmehr generell eine objektive Voraussetzung für die Teilnahme - also hinsichtlich aller Teilnehmer der betreffenden Maßnahme - sein, wenn diese als berufliche Fortbildung förderbar sein soll. Das ist ständige Rechtsprechung (vgl. u.a. BSG SozR 4100 § 41 Nr. 1; BSGE 36, 48 = SozR Nr. 1 zu § 41 AFG; SozR 4100 § 41 Nr. 21). Diese "objektiven Zugangsvoraussetzungen" wurden im vorliegenden Fall auch von der Fachschule für Verkehrsluftfahrt GmbH in M, wo der Kläger seine Fortbildung durchführte, hinsichtlich aller Teilnehmer gefordert. Denn wie das LSG festgestellt hat, war fachliche Voraussetzung für die Zulassung zum Lehrgang die Inhaberschaft des Flugzeugführerscheins CPL 1 oder CPL 2 mit Instrumentenflugberechtigung. Wer eine dieser Lizenzen besaß, hatte aber, wie bereits ausgeführt, eine abgeschlossene Berufsausbildung.

Beim Kläger liegen auch die persönlichen Förderungsvoraussetzungen vor. Der Kläger hatte eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung ausgeübt (§ 42 AFG) und seine Eignung und Neigung für den angestrebten Beruf (§ 36 AFG) stehen nicht in Frage.

Die Förderung der Teilnahme des Klägers an dem Lehrgang zur Vorbereitung auf die theoretische Prüfung zum Linienflugzeugführer ist zweckmäßig (§§ 36 AFG, 8 der Anordnung des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeit über die individuelle Förderung der beruflichen Fortbildung und Umschulung 1969 - AFuU 1969 -). Der Begriff der Zweckmäßigkeit i.S. des § 36 AFG ist als unbestimmter Rechtsbegriff anzusehen, bei dessen Anwendung die Verwaltung einen Beurteilungsspielraum besitzt. Macht die BA von dem ihr bei der Anwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen zustehenden Beurteilungsspielraum durch eine entsprechende Regelung im Rahmen des Satzungsrechts Gebrauch, so beschränkt sich die Kontrolle durch das Gericht darauf, ob die entsprechenden Satzungsbestimmungen von der Ermächtigung gedeckt sind. Durch den Inhalt eines in dieser Weise gesetzeskonformen Satzungsrechtes wird der Beurteilungsspielraum der BA in dem dargestellten Sinne konkretisiert (BSG SozR 4100 § 36 AFG Nr. 7). Bei der Anwendung des § 36 AFG ist von § 8 der AFuU 1969 auszugehen. Zweckmäßig nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes ist gemäß dieser Vorschrift eine Förderung dann, wenn der Erwerbstätige seine berufliche Beweglichkeit sichern oder verbessern oder beruflich aufsteigen will und durch die Teilnahme an einer Maßnahme arbeitsmarkt- oder sozialpolitischen Bedürfnissen besser entsprochen werden kann, als dies ohne eine berufliche Fortbildung oder Umschulung möglich wäre. Zweifelhaft könnte die Zweckmäßigkeit im vorliegenden Falle deshalb sein, weil, wie das LSG festgestellt hat, die Wende vom Bedarf zum Überhang bei dem Beruf des Flugzeugführers etwa im Oktober 1971 eingetreten ist. Auch im Runderlaß der Beklagten vom 29. Januar 1971 (Nr. 98/71.1 - Dienstblatt A 1971, S. 309 -) hieß es noch, daß die zivilen Luftverkehrsgesellschaften in der Bundesrepublik einen erheblichen Bedarf an Berufsflugzeugführern erster Klasse und an Linienflugzeugführern hätten. Die arbeitsmarktpolitische Zweckmäßigkeit der Fortbildung in dieser Richtung werde deshalb generell anerkannt. Als der Kläger seinen Lehrgang abgeschlossen hatte, änderte sich jedoch die Lage auf dem Arbeitsmarkt und es entstand, wie das LSG festgestellt hat, ein erhebliches Überangebot von Flugzeugführern, ohne daß Anhaltspunkte für eine nennenswerte Besserung der Beschäftigungslage zu erkennen waren. Zu Recht hat das LSG ausgeführt, daß bei der Beurteilung der Zweckmäßigkeit der Förderung nicht nur die Lage des Arbeitsmarktes, sondern auch seine Entwicklung zu berücksichtigen ist. Daraus geht hervor, daß auch solche Erwägungen in die Entscheidung über die Zweckmäßigkeit einbezogen werden müssen, die die voraussichtliche künftige Lage des Arbeitsmarktes über den Abschlußzeitpunkt der Maßnahme hinaus betreffen und für die Verwertbarkeit der neuen Berufsqualifikation von Bedeutung sind. Es ist also eine arbeitsmarktpolitische Prognose in Richtung auf die Zukunft zu stellen. Zieht sich die Entscheidung der letzten Tatsacheninstanz über den Zeitpunkt der Beendigung der Maßnahme hinaus, dann obliegt es dem Gericht, die bis dahin bekannt gewordenen Fakten in bezug auf die Entwicklung des Arbeitsmarktes als weitere Erkenntnismittel mit in Betracht zu ziehen; denn es handelt sich dabei um die Berücksichtigung von Umständen, die auch zur Zeit der Verwaltungsentscheidung schon in die vom Gesetzgeber erwartete Vorausschau hätten einbezogen werden müssen, deren zutreffende Erkenntnis aber an der eingeschränkten möglichen Prognosefähigkeit gescheitert ist. Hinsichtlich des Merkmals der Eignung eines Maßnahmeteilnehmers hat der Senat bereits entschieden, daß sie auch nach den von ihm während der Maßnahme erzielten Unterrichtsergebnissen beurteilt werden kann (BSGE 37, 163, 171; SozR 4100 § 42 Nr. 2; außerdem Urteil vom 24. September 1974 - 7 RAr 66/73 -). Die Berücksichtigung nachträglich eingetretener Tatsachen ist dort zwar damit begründet worden, daß es sich bei der Eignung um einen Umstand handele, der bei Beginn der Maßnahme ebenso vorliege wie im späteren Verlauf und der lediglich durch die späteren Ereignisse sicherer feststellbar geworden sei. Gleichzeitig hat der Senat jedoch darauf hingewiesen, daß es wirklichkeitsfremd sei, einen Maßnahmeteilnehmer nicht als geeignet anzusehen, obwohl feststehe, daß er später die Ausbildung mit Erfolg abgeschlossen habe. Das gleiche gilt für jede andere Prognose der Verwaltung, die sich bestätigt oder nicht bestätigt hat. Dort wo das Gesetz vorschreibt, eine Prognose zu stellen, verpflichtet es den, der die Entscheidung zu treffen hat, nach bestem Wissen erst zukünftig eintretende Tatsachen zu beurteilen. Wird durch den Zeitablauf die Möglichkeit verbessert, über diese zukünftigen Ereignisse zu urteilen, so kann an den neu hinzugekommenen Fakten, die die Prognosefähigkeit erhöhen oder gar dadurch überflüssig machen, daß aus der Feststellung zukünftiger Tatsachen die Feststellung gegenwärtiger Tatsachen wird, nicht vorübergegangen werden. Zu Recht hat es daher das LSG auf den Erkenntniszustand der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung abgestellt.

Daraus folgt aber noch nicht, daß die Förderung des Klägers im Jahre 1971 unzweckmäßig war. Zwar stellte sich nach 1971 heraus, daß der Arbeitsmarkt für Flugzeugführer überfüllt war. Zu beachten ist aber, daß die Zweckmäßigkeit einer Förderung bei der beruflichen Fortbildung nicht ohne weiteres in derselben Weise beurteilt werden kann wie bei der beruflichen Umschulung. Derjenige, der sich bereits in einem bestimmten Beruf befindet, hat andere und stärkere Gründe, sich in seinem Beruf auch dann fortzubilden, wenn dieser bereits übersetzt ist, als derjenige, der erst in einen überfüllten Berufsbereich gelangen will. Gerade wenn in einem Beruf bereits eine gewisse Sättigung des Arbeitsmarktes eingetreten ist, kann es für den Einzelnen geraten erscheinen, seine Wettbewerbslage dadurch zu verbessern, daß er zusätzlich zu den bereits vorhandenen Kenntnissen weitere hinzu erwirbt, die es ihm ermöglichen, den Beruf, den er bereits hat, besser auszuüben. Ihm kann nicht entgegengehalten werden, es sei nicht Aufgabe der BA, durch Förderung von Bildungsmaßnahmen den Wettbewerb zwischen Arbeitnehmern zu verstärken. Wie der Senat bereits ausgeführt hat (Urteil vom 22. September 1976 - 7 RAr20/75 -), wird die für einen Arbeitsplatz erforderliche Qualifikation nicht durch die BA, sondern durch den Arbeitgeber bestimmt. Stehen z.B. für Arbeitsplätze, die auch durch Flugzeugführer der zweiten Klasse ausgefüllt werden können, solche der ersten Klasse oder gar Linienflugzeugführer zur Verfügung, so liegt es auf der Hand, daß diejenigen mit der besseren Ausbildung auch die höheren Chancen haben, einen Arbeitsplatz zu erwerben und zu behalten. Dieser Wettbewerb kann auch nicht ohne weiteres vom Gesichtspunkt der allgemeinen Wirtschaftsförderung her als unzweckmäßig bezeichnet werden, da die vorgeschriebenen Qualifikationen in einem Beruf jeweils Mindestvoraussetzungen darstellen und höhere Ausbildungen in der Regel auch zu einer besseren Erfüllung der Aufgaben des entsprechenden Berufes befähigen.

Fortbildung ist daher - anders als Umschulung - in der Regel auch bei eingeschränkten Aussichten in dem betreffenden Beruf zweckmäßig. Von der Zweckmäßigkeit dieser Förderung nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes kann, wie der Senat bereits ausgeführt hat (Urteil vom 11. Mai 1976 - 7 RAr 127/74) regelmäßig ausgegangen werden. Der Kläger war, als er den Lehrgang zum Linienflugzeugführer besuchte, bereits Berufsflugzeugführer der Klasse 2. Nicht nur unter dem Gesichtspunkt eines beruflichen Aufstiegs, sondern auch aus dem Blickwinkel seiner verbesserten Konkurrenzlage als einfacher Berufsflugzeugführer mußte ihm daher der Erwerb weiterer Kenntnisse geraten erscheinen.

Zu beachten ist auch, daß es dem Kläger gelungen ist, eine Anstellung zu finden und zu behaupten. Dem Kläger könnte die Unzweckmäßigkeit seiner Teilnahme an dem Lehrgang zur Vorbereitung auf die theoretische Prüfung als Linienflugzeugführer nur dann entgegengehalten werden, wenn es bei der Beurteilung der Zweckmäßigkeit i.S. des § 36 AFG, i.V.m. § 8 AFuU 1969 nicht auf die Zweckmäßigkeit seiner eigenen Förderung ankäme, sondern allein darauf, was für den Arbeitsmarkt allgemein günstig wäre. Als unzweckmäßig könnte die Teilnahme des Klägers an der Fortbildungsveranstaltung aufgrund der veränderten Arbeitsmarktlage nur dann angesehen werden, wenn im Vordergrund der individuellen Förderung nicht das individuelle Wohl des zu Fördernden stehen würde, sondern die Ausgeglichenheit des Arbeitsmarktes. Nur in diesem Falle könnte man dem Kläger entgegenhalten, daß zwar er eine Anstellung gefunden habe, daß er aber dennoch durch seine Fortbildung zum Linienflugzeugführer die Lage auf dem Arbeitsmarkt für Linienflugzeugführer verschärft habe, etwa damit, daß er einem anderen Bewerber die Stelle weggenommen habe. Eine solche Auslegung des § 36 AFG würde jedoch nicht seinem Sinn und Zweck entsprechen. Zwar gehört es zu den Aufgaben der Beklagten nach §§ 1 bis 3 AFG Ziele zu fördern, die im allgemeinen Wohle liegen, so die Erhaltung eines hohen Beschäftigungsstandes, die Verbesserung der Beschäftigungsstruktur und die Förderung des Wachstums der Wirtschaft (§ 1 AFG). In diesem Rahmen erwähnt das Gesetz die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und die Förderung der beruflichen Beweglichkeit der Erwerbstätigen. Daraus aber zu schließen, daß bei der individuellen Förderung der beruflichen Bildung das Interesse des Einzelnen den Interessen des Arbeitsmarktes untergeordnet ist, wäre verfehlt. Das ergibt sich insbesondere daraus, daß § 36 AFG gleichwertig neben dem Gebot, Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes zu berücksichtigen, vorschreibt, auf die berufliche Neigung des Antragstellers zu achten. So hat der Senat ausgeführt, daß der Zweck der Umschulung in erster Linie darin zu suchen ist, die berufliche Beweglichkeit des Arbeitnehmers zu sichern und zu verbessern und daß dieses Ziel bereits regelmäßig dann erreicht wird, wenn der Bildungswillige in dem neuen Beruf, zusätzlich zu seinem bisherigen Beruf, eine auf dem Arbeitsmarkt verwertbare Beschäftigungsmöglichkeit erhalten hat. Für die Beurteilung, ob eine Förderung unter Berücksichtigung der Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes zweckmäßig erscheint, kommt es grundsätzlich auf die Verhältnisse in dem angestrebten Beruf an (BSG SozR 4100 § 36 Nr. 4). Der Senat hat in dieser Entscheidung ausdrücklich die Befugnis der Beklagten verneint, den Arbeitsmarkt zu ordnen, insbesondere die Arbeitskräftefluktuation zwischen verschiedenen Berufen zu lenken. Der BA ist zwar das Recht eingeräumt, durch ihre Maßnahmen auf den Arbeitsmarkt einzuwirken. Dies geschieht, soweit es sich um die Förderung der beruflichen Bildung handelt, aber dadurch, daß die BA den Bildungswilligen die Möglichkeit gibt, ihr eigenes Interesse zu verfolgen und dadurch, nämlich mittels Verbesserung der beruflichen Fähigkeiten und der beruflichen Mobilität, das Gesamtwohl zu fördern.

Richtig ist, daß sich die Berufsaussichten des Einzelnen im voraus nur unter Zugrundelegung der für den Arbeitsmarkt allgemein geltenden Daten beurteilen läßt. Die bei einem bestimmten Bildungswilligen möglicherweise vorhandenen Fähigkeiten, sich auch bei für den angestrebten Beruf ungünstiger Lage durchzusetzen, entziehen sich weitgehend der Beurteilung. Hat der Einzelne aber einen auf Dauer angelegten Arbeitsplatz gefunden, so kann das bei der nachträglichen Berichtigung der Prognose z.Zt. der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung nicht unberücksichtigt bleiben.

Der Kläger hat im Laufe seines beruflichen Lebens bereits mehrere verschiedene Tätigkeiten ausgeübt. Auch das kann nicht dazu führen, daß er wegen der eingeschränkten Nachfrage nach Flugzeugführern darauf verwiesen wird, etwa wieder in seinen Beruf als Industriekaufmann zurückzukehren. Wie der Senat bereits entschieden hat (Urteil vom 27. Januar 1977 - 7 RAr 16/75 -), liegt Fortbildung und nicht Umschulung auch dann vor, wenn der Bildungswillige mehrere Berufe gehabt hat und einer von ihnen die Grundlage für eine Fortbildung liefern kann. Entscheidend ist, ob die Fortbildung auf den beruflichen Kenntnissen und Fertigkeiten aufbauen kann. Handelt es sich aber bei der Weiterbildung des Klägers zum Linienflugzeugführer um eine Fortbildung, so ist er auch unter den Voraussetzungen der Fortbildung zu fördern, ohne daß ihm deshalb ein Nachteil erwachsen darf, weil er die Möglichkeit hätte, anstatt in einem überfüllten Beruf mit anderen Arbeitnehmern zu konkurrieren, in einen von ihm bereits ausgeübten Beruf zurückzukehren. Den Kläger deshalb schlechter zu stellen, weil er diese Möglichkeit hat, hieße, die Neigung unberücksichtigt zu lassen, die § 36 AFG zu beachten vorschreibt und würde auf eine Lenkung des Arbeitsmarktes hinauslaufen, die der BA versagt ist.

Da somit die Voraussetzungen der Förderung vorliegen, ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil erster Instanz zurückzuweisen, wobei es für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch unerheblich ist, daß in diesem Urteil die Teilnahme an der Bildungsmaßnahme im Tenor als Umschulung bezeichnet worden ist; insoweit bedurfte es keiner ausdrücklichen Berichtigung durch den Senat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1654177

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