Leitsatz (amtlich)

Für die Frage, ob die Teilnahme an einer Bildungsmaßnahme als Fortbildung oder Umschulung einzuordnen ist, ist nicht notwendig von der letzten beruflichen Tätigkeit vor der Maßnahme auszugehen. Es kommt vielmehr darauf an, ob und in welchem Umfange (noch vorhandene) berufliche Kenntnisse und Fertigkeiten in den neuen Beruf übernommen werden.

 

Normenkette

AFG § 41 Abs. 1 Fassung: 1969-06-25, § 47 Abs. 1 Fassung: 1969-06-25, § 36 Fassung: 1969-06-25; AFuU § 7 Abs. 2 Fassung: 1971-09-09

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 17. Januar 1975 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Der Kläger hat vom 1. Juni 1962 bis zum 31. März 1965 die Verwaltungslehre absolviert und war anschließend bis zum 30. Juni 1966 als Verwaltungsangestellter tätig. Danach diente er bis zum 30. Juni 1968 als Soldat auf Zeit. Er arbeitete vom 15. Juli 1968 bis zum 31. März 1970 wieder als Verwaltungsangestellter. Nach viermonatiger Ausbildung zum Programmierer war er vom 1. August 1970 bis zum 30. September 1972 in diesem Beruf tätig.

Er beantragte am 16. Mai 1972 die Förderung der Teilnahme an dem Lehrgang zum staatlich geprüften Betriebswirt an der Akademie für praktische Betriebswirtschaft in B vom 1. Oktober 1972 bis zum 30. September 1974. Das Arbeitsamt lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 5. Dezember 1972, Widerspruchsbescheid vom 5. Juli 1973). Zur Begründung wies es darauf hin, daß der Kläger die vom Maßnahmeträger geforderten Zugangsvoraussetzungen, nämlich entweder eine kaufmännische Berufsausbildung und eine zweijährige Berufspraxis oder eine sechsjährige kaufmännische Berufspraxis nicht erfülle. Außerdem sei "eine Förderung dieses Personenkreises zum Betriebswirt aufgrund der gegenwärtigen Arbeitsmarktsituation und der voraussichtlichen zukünftigen Arbeitsmarktentwicklung ... nicht zweckmäßig". Mit der Klage hatte der Kläger keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 15. Februar 1974).

Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers am 17. Januar 1975 zurückgewiesen und ausgeführt: Die Zugangsvoraussetzungen der Akademie für praktische Betriebswirtschaft in B hätten entweder die kaufmännische Gehilfenprüfung und eine zweijährige Berufspraxis oder - bei fehlendem Kaufmannsgehilfenbrief - eine dem Lehrgangsziel förderliche Berufspraxis von sechs Jahren vorgesehen. Eine Ausnahmeregelung hätten die Zugangsvoraussetzungen nicht enthalten. Der Kläger habe die Zugangsvoraussetzungen erfüllt, denn er habe eine mindestens sechsjährige förderliche Berufspraxis gehabt, die ihn befähigt habe, in wesentlichem Umfang kaufmännische Tätigkeiten zu verrichten. Nach einer Auskunft der Handelskammer B könne für die Zulassung zur Kaufmannsgehilfenprüfung die Verwaltungslehre auf die nachzuweisende sechsjährige kaufmännische Tätigkeit angerechnet werden. Die Tätigkeit des Klägers als Verwaltungsangestellter sei nicht anders zu beurteilen; ebenso die berufliche Tätigkeit als Stabsdienstsoldat (S 1 - Schreiber). Schließlich sei der Programmierer ein kaufmännischer Beruf (siehe Erlaß des Bundesministers für Wirtschaft vom 9. Juli 1969 - BABl 1969 S. 785 f). Eine Förderung der Teilnahme an dem Lehrgang zum staatlich geprüften Betriebswirt sei aber unter Berücksichtigung von Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes nicht zweckmäßig. Nach der Statistik des Landesarbeitsamtes N habe bei den Warenkaufleuten seit Juli 1972 die Zahl der Arbeitsuchenden die Zahl der offenen Stellen deutlich überstiegen und im Dezember 1973 mehr als das Dreifache betragen, nämlich 2.064 Arbeitsuchende (davon 1343 Arbeitslose) gegenüber 699 offenen Stellen. Darüber hinaus würden staatlich geprüfte Betriebswirte in aller Regel mehr Gehalt verlangen. Deshalb sei das Arbeitsplatzangebot erfahrungsgemäß noch geringer - was sich auch eindeutig aus einem Aufsatz in der Zeitschrift Capital (Heft 5/74 S. 245 ff; vgl. dazu ferner ANBA 1974 Nr. 5 S. 518) ergebe sowie aus der Tatsache, daß der Kläger seit Beendigung des Lehrgangs am 30. September 1974 arbeitslos sei. Auf eine vom Kläger behauptete Zusage durch den Förderungsberater des Arbeitsamtes H könne dieser sich nicht berufen. Der Kläger könne seinen Anspruch auch nicht aus einer Verletzung von Grundrechten herleiten. Wenn die Beklagte einen anderen Lehrgangsteilnehmer mit nicht abgeschlossener Verwaltungslehre gefördert habe, so könne der Kläger jedenfalls keine Wiederholung dieses Fehlverhaltens verlangen.

Der Kläger hat die zugelassene Revision eingelegt und rügt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das LSG und führt hierzu insbesondere aus: Das LSG habe die im Urteil verwerteten Statistiken und den Artikel aus der Zeitschrift Capital nicht mit dem Kläger erörtert. In der mündlichen Verhandlung sei vielmehr lediglich allgemein von den Erfahrungen des LSG hinsichtlich der schlechten Berufsaussichten für den Kläger die Rede gewesen, ohne daß das Gericht diese Erfahrung näher substantiiert hätte. Mit dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes sei er auch vom LSG überrascht worden. Hätte das LSG ihm das rechtliche Gehör ausreichend gewährt, so hätte er darauf hingewiesen, daß nach den eigenen Durchführungsanweisungen der Beklagten eine umfassende Prognose zu erstellen sei. Die Beklagte habe dabei die Forschungsergebnisse des Institutes für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in geeigneter Weise zu verwerten, außerdem die Informationen für die Beratungs- und Vermittlungsdienste der Bundesanstalt für Arbeit (BA) und weitere aus der Arbeitsmarktbeobachtung gewonnene Erkenntnisse. Gegebenenfalls müßten die Fachvermittlungsstellen und andere fachkundige Stellen außerhalb der BA gehört werden. Die Zweckmäßigkeit nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes sei ein unbestimmter Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum, so daß die Prognose abschließend von der Arbeitsverwaltung zu stellen sei. Bei der Entscheidung über den Antrag des Klägers sei das Landesarbeitsamt Niedersachsen-Bremen selbst von der Zweckmäßigkeit ausgegangen. Es habe auch seit 1972 fortwährend angehende Betriebswirte gefördert. Diese Übung könne nicht durch die richterliche Beurteilung von ihrer Rechtswidrigkeit aus der Welt geschaffen werden, sie könne allenfalls für die Zukunft beseitigt werden (vgl. VGH Baden-Württemberg DVBl 1972 S. 186 mit Anmerkung von Götz).

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 17. Januar 1975 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm die durch die Teilnahme an dem Lehrgang zum staatlich geprüften Betriebswirt in der Zeit vom 1. Oktober 1972 bis zum 30. September 1974 entstandenen Kosten nach den Vorschriften des Arbeitsförderungsgesetzes zu erstatten,

hilfsweise,

die Beklagte zu verurteilen, ihn unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Sie macht geltend: Mit dem LSG sei die arbeitsmarktpolitische Zweckmäßigkeit der Förderung zu verneinen. Darüber hinaus erfülle der Kläger die Zugangsvoraussetzungen des Maßnahmeträgers nicht; denn weder die Verwaltungslehre noch die Tätigkeit als Verwaltungsangestellter sei der geforderten kaufmännischen Berufspraxis gleichzusetzen. Das gleiche gelte für die Tätigkeit als Schreiber bei der Bundeswehr. Darüber hinaus sei zu bezweifeln, daß die Maßnahme für den Kläger eine berufliche Fortbildung gewesen sei. Ausbildung und Tätigkeit als Programmierer seien nicht dem kaufmännischen Bereich zuzurechnen. Für die Frage, ob die Teilnahme an einer beruflichen Bildungsmaßnahme Fortbildung oder Umschulung sei, habe ein Beruf keine Bedeutung mehr, wenn der Antragsteller inzwischen für einen anderen Beruf umgeschult worden sei.

Der Senat hat darüber Beweis erhoben, ob und in welchem Umfange das LSG die von ihm erwähnte Statistik und den Aufsatz in der Zeitschrift Capital in der mündlichen Verhandlung mit den Beteiligten erörtert hat sowie darüber, wo die Statistik veröffentlicht ist. Wegen des Ergebnisses wird auf die dienstlichen Äußerungen der Richter des 5. Senats des LSG vom 26. Oktober 1976 verwiesen.

Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt und gemäß § 160 Abs. 1 SGG zulässig. Sie ist i.S. der Zurückverweisung begründet.

Es ist davon auszugehen, daß der Kläger entsprechend seinem Antrag im Berufungsverfahren die Anfechtungs- und Leistungsklage weiter verfolgt, d.h. sinngemäß auch Aufhebung der angefochtenen Bescheide beantragt.

Zutreffend geht das LSG davon aus, daß die Teilnahme des Klägers an dem Lehrgang zum staatlich geprüften Betriebswirt für ihn eine Maßnahme der beruflichen Fortbildung gewesen ist. Es hat sich nicht um eine berufliche Umschulung i.S. des § 47 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) gehandelt.

Bei ihrer Meinung, daß die Teilnahme des Klägers an dem Lehrgang eine Maßnahme der beruflichen Umschulung gewesen sei, geht die Beklagte zu Unrecht von dem letzten Beruf des Klägers als Programmierer aus. Allerdings ist der bisherige Beruf des Teilnehmers an der Bildungsmaßnahme Anknüpfungspunkt für die Unterscheidung zwischen den Maßnahmen der beruflichen Fortbildung und der beruflichen Umschulung. Jedoch ist entscheidend, ob die in dem bisherigen Beruf erlernten Fertigkeiten in den angestrebten Beruf inhaltlich mit übernommen werden oder ob diese Fertigkeiten entweder nicht oder nur unwesentlich für die "andere geeignete berufliche Tätigkeit" i.S. des § 47 Abs. 1 AFG Bedeutung haben, insoweit also ein Beruf mit neuem Inhalt erlernt wird (BSG SozR 4100 § 41 AFG Nr. 11). Im Fall des Klägers ist der "bisherige Beruf" in diesem Sinne nicht nur der Beruf des Programmierers, sondern auch derjenige des Verwaltungsangestellten.

Anknüpfungspunkt ist bei der beruflichen Fortbildung schon nach dem Wortlaut des § 41 AFG nicht der letzte vor der Maßnahme ausgeübte Beruf. Der bisherige Beruf mit den erlernten Fertigkeiten braucht überhaupt noch nicht ausgeübt worden zu sein (vgl. BSG SozR 4100 § 41 AFG Nr. 1). Vielmehr baut die Fortbildung gemäß § 41 AFG auf den beruflichen Kenntnissen und Fertigkeiten auf, so daß dafür z.B. eine bloße abgeschlossene Berufsausbildung genügt. Fortbildung kann deshalb auch an Kenntnisse und Fertigkeiten anknüpfen, die der Antragsteller einmal erworben, aber danach längere Zeit in einem Beruf nicht mehr angewendet hat. Die zwischenzeitliche Umschulung in einen anderen Beruf steht dem nicht entgegen. Allerdings müssen die erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten bei Beginn der Fortbildungsmaßnahme noch in einem solchen Umfange vorhanden sein, daß sie effektiv als Grundlage einer Fortbildung dienen können.

Ziel einer beruflichen Umschulung ist nach dem Wortlaut des § 47 AFG demgegenüber eine andere berufliche Tätigkeit. Das Gesetz enthält keinen Hinweis darauf, welche Tätigkeit der Anknüpfungspunkt sein soll. Nach § 7 Abs. 2 der Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit über die individuelle Förderung der beruflichen Fortbildung und Umschulung (AFuU) vom 9. September 1971 muß ein Umschüler in der Regel mehr als drei Jahre berufstätig gewesen sein. Diese Bestimmung, die der Ermächtigung des § 39 AFG entspricht (BSG SozR 4460 § 3 AFuU Nr. 4 mit weiteren Angaben), kann bei der Auslegung des Begriffs "andere" berufliche Tätigkeit nicht unbeachtet bleiben. Sie bedeutet aber nicht, daß eine dreijährige Tätigkeit gerade im letzten Beruf vor der Umschulung nachgewiesen werden muß. Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 17. Dezember 1974 (SozR 4460 § 3 AFuU Nr. 4) ausgeführt, die Regelung des (mit § 7 Abs. 2 AFuU 1971 übereinstimmenden) § 3 Abs. 2 Satz 2 der AFuU vom 18. Dezember 1969 solle den Arbeitsuchenden veranlassen, zunächst eine angemessene Zeit in seinem erlernten oder angelernten Beruf zu arbeiten, damit er hier die bestehenden Berufschancen eingehend kennenlernt und sachgerecht ausschöpft. Erst wenn die hierbei gewonnene Erfahrung ergibt, daß die Sicherung oder Verbesserung der beruflichen Beweglichkeit den Übergang in eine andere geeignete Tätigkeit erfordert (§ 47 AFG), solle er einer Umschulungsmaßnahme zugeführt werden dürfen. Andernfalls könnte man bereits nach einer Kurzausbildung oder nach nur kurzer Berufserfahrung - sogar ohne jede Ausbildung - Umschulungsmittel (§ 44 AFG) in Anspruch nehmen, die erheblich umfangreicher als die für eine Berufsausbildung nach § 40 AFG möglichen Leistungen sein könnten. Mit diesen Ausführungen hat der Senat dargelegt, daß mit § 3 Abs. 2 Satz 2 AFuU 1969 die Umschulung von der Ausbildung abgegrenzt werde. Dies hindert nicht, die Bestimmung dahin auszulegen, daß sie nicht auf die Tätigkeit im letzten vor der Umschulung ausgeübten Beruf abstellt. Es genügt vielmehr eine irgendwann ausgeübte Berufstätigkeit, mit der der Arbeitsuchende die Chancen jedenfalls in diesem Beruf eingehend kennengelernt und sachgerecht ausgeschöpft hat.

Die Beklagte kann sich für ihre gegenteilige Ansicht nicht auf die Entscheidung des Senats vom 6. März 1975 - 7 RAr 68/72 - berufen. Dort hat der Senat ausgeführt, die streitige Bildungsmaßnahme könne nicht als Ausbildung eingestuft werden, weil der Kläger bereits eine Ausbildung als Seemann absolviert habe. Dieser Beruf sei im übrigen aber für die weiteren Überlegungen nicht mehr von Bedeutung, weil der Kläger inzwischen bereits auf den Beruf des Baustoffkaufmanns umgeschult habe. Für den Kläger als Baustoffkaufmann stelle der Besuch des DAG-Technikums für die Hochbautechnik eine Maßnahme der Fortbildung dar. Anknüpfungspunkt dafür konnten nur die im letzten Beruf des Baustoffkaufmanns erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten sein. Dagegen hätte es ganz fern gelegen, auf den Beruf des Seemanns zurückzugreifen und wegen dieses Berufes eine Umschulung anzunehmen. Schon deshalb kann die Entscheidung nicht dahin verstanden werden, daß für die Prüfung, ob eine Maßnahme als Fortbildung oder als Umschulung zu fördern ist, d.h. nicht nur als Abgrenzung zwischen den beiden Maßnahmearten, alle vor dem letzten Beruf ausgeübten Tätigkeiten nicht mehr von Bedeutung sind.

Wenn bei der Abgrenzung zwischen Fortbildung und Umschulung nicht notwendig auf den letzten Beruf, sondern auf die Kenntnisse und Fertigkeiten und deren Verwertung abgestellt wird, lassen sich Bildungsmaßnahmen doch eindeutig einer der beiden Maßnahmearten zuordnen. Werden erlernte berufliche Fertigkeiten in den angestrebten Beruf inhaltlich mit übernommen, so handelt es sich um eine Maßnahme der Fortbildung; wenn dagegen die bisher erworbenen beruflichen Fertigkeiten nicht oder nur unwesentlich für die "andere geeignete berufliche Tätigkeit" Bedeutung haben, liegt eine Umschulung vor.

In den Beruf des staatlich anerkannten Betriebswirts werden die vom Kläger vorher erworbenen beruflichen Fertigkeiten inhaltlich mit übernommen; sie haben für diesen Beruf nicht nur unwesentliche Bedeutung.

Das LSG hat festgestellt, der Kläger könne eine dem Lehrgangsziel förderliche Berufspraxis von mindestens sechs Jahren nachweisen. Er sei aufgrund der im kaufmännischen Bereich erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten im Stande gewesen, in wesentlichem Umfange kaufmännische Tätigkeiten zu verrichten. Die dem zugrunde liegenden Feststellungen des LSG greift die Beklagte nur insoweit an, als sie die Tätigkeit des Programmierers betreffen. Auf diese Tätigkeit kommt es aber, wie dargelegt, nicht an. Das LSG hat überdies festgestellt, daß es sich beim Programmierer um einen kaufmännischen Beruf handelt. Mit der Bezugnahme auf den Erlaß des Bundesministers für Wirtschaft hat es sich lediglich auf das im Erlaß enthaltene Berufsbild und die Berufsbeschreibung gestützt. Das ändert nichts daran, daß es aus dieser Quelle auf eine Tatsache geschlossen hat. Gemäß § 163 SGG ist der Senat an diese Feststellung gebunden, denn die Beklagte hat dagegen keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen vorgebracht.

Die kaufmännischen Kenntnisse und Fähigkeiten, die der Kläger als Verwaltungsangestellter und auch als Programmierer erworben hat, haben für den Beruf des staatlich anerkannten Betriebswirts nicht nur unwesentliche Bedeutung, was sich schon daraus ergibt, daß die Teilnahme an dem Lehrgang für diesen Beruf die Kaufmannsgehilfenprüfung oder eine entsprechende Berufserfahrung voraussetzt. Der staatlich anerkannte Betriebswirt gehört selbst zu den kaufmännischen Berufen und grenzt sich nach "unten" zum kaufmännischen Ausbildungsberuf ab. Zu seinem Arbeitsfeld gehören nicht nur die branchen-gebundenen kaufmännischen Funktionen, sondern auch verwaltungstechnische Arbeiten und Tätigkeiten in der Datenverarbeitung. Deshalb gehört die Datenverarbeitung einschließlich des Programmierers zur Ausbildung des Betriebswirts (Blätter zur Berufskunde 2 - IX A 25).

Allerdings ist der Programmierer, worauf die Beklagte zutreffend hinweist, kein Datenverarbeitungskaufmann. Die Tätigkeit des Programmierers ist nur ein Teilbereich dieses Ausbildungsberufes. Wie dargelegt, ist es aber für die Bestimmung als Fortbildungsmaßnahme entscheidend, daß der Kläger durch seine Tätigkeiten als Verwaltungsangestellter und als Programmierer und die dabei erworbenen Kenntnisse befähigt war, im wesentlichen Umfange kaufmännische Tätigkeiten zu verrichten.

Wie das LSG weiter zutreffend ausgeführt hat, muß eine Fortbildungsmaßnahme objektiv eine abgeschlossene Berufsausbildung oder eine angemessene Berufserfahrung voraussetzen. Der Lehrgang der Akademie für praktische Betriebswirtschaft in Bremen hat diese Bedingung erfüllt, denn er hat von den Teilnehmern eine kaufmännische Berufsausbildung und eine zweijährige Berufspraxis oder eine sechsjährige kaufmännische Berufspraxis verlangt.

Das LSG hat auch zutreffend festgestellt, daß der Kläger persönlich die Zugangsvoraussetzungen für den Lehrgang erfüllt hat (§ 42 AFG). Hinsichtlich der kaufmännischen Berufspraxis sind diese Voraussetzungen im Einklang mit der tatsächlichen Übung des Maßnahmeträgers, wie sie sich aus der Zulassung des Klägers ergibt, dahin zu verstehen, daß auch sachverwandte Tätigkeiten genügen. Nach den Feststellungen des LSG kann für die Zulassung zur Kaufmannsgehilfenprüfung die Verwaltungslehre auf die nachzuweisende sechsjährige kaufmännische Tätigkeit angerechnet werden, d.h., damit kann i.S. des § 40 Abs. 2 Satz 2 des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) glaubhaft dargetan werden, daß der Bewerber Kenntnisse und Fertigkeiten erworben hat, die die Zulassung zur Kaufmannsgehilfenprüfung rechtfertigen. Die Tätigkeit des Klägers als Verwaltungsangestellter kann insoweit nicht anders beurteilt werden; sie ist daher als "bisherige berufliche Tätigkeit" anzusehen, die eine erfolgreiche Teilnahme an der Fortbildungsmaßnahme erwarten läßt. Zusammen mit der Verwaltungslehre macht diese Zeit 69 1/2 Monate aus, hinzu kommen 30 Monate Tätigkeit als Programmierer (einschließlich 4 Monate Ausbildung). Bei einer einschlägigen beruflichen Tätigkeit von weit mehr als sechs Jahren kann davon ausgegangen werden, daß der Kläger die Fähigkeiten erworben hat, welche von dem nach § 42 AFG als förderungsfähig bezeichneten Personenkreis verlangt werden.

Nach Auffassung des LSG scheitert der Anspruch des Klägers daran, daß die Förderung nicht unter Berücksichtigung der Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes zweckmäßig ist (§ 36 AFG). Der Kläger rügt, das LSG halte sich zu Unrecht für befugt, insoweit eine eigene Entscheidung zu treffen. Das Landesarbeitsamt N sei bei der Entscheidung über den Antrag des Klägers selbst davon ausgegangen, daß die Arbeitsmarktprognose eine Förderung der Umschulung zum Betriebswirt durchaus rechtfertige. Insoweit irrt sich der Kläger aber, denn im Widerspruchsbescheid wird die Förderung ausdrücklich als unzweckmäßig bezeichnet.

Der Senat versteht den Begriff der Zweckmäßigkeit i.S. des § 36 AFG als unbestimmten Rechtsbegriff, bei dessen Anwendung die Verwaltung einen Beurteilungsspielraum besitzt. Macht die BA von dem ihr bei der Anwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen zustehenden Beurteilungsspielraum durch eine entsprechende Regelung im Rahmen des Satzungsrechts Gebrauch, so beschränkt sich die Kontrolle durch das Gericht darauf, ob die entsprechenden Satzungsbestimmungen von der Ermächtigung gedeckt sind. Durch den Inhalt eines in dieser Weise gesetzeskonformen Satzungsrechts wird der Beurteilungsspielraum der BA in dem dargestellten Sinne konkretisiert (BSG SozR 4100 § 36 AFG Nr. 7). Bei der Anwendung des § 36 AFG ist von § 8 der AFuU 1971 auszugehen. Zweckmäßig nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes ist gemäß dieser Vorschrift eine Förderung dann, wenn der Erwerbstätige seine berufliche Beweglichkeit sichern oder verbessern oder beruflich aufsteigen will und durch die Teilnahme an einer Maßnahme arbeitsmarkt- oder sozialpolitischen Bedürfnissen besser entsprochen werden kann, als dies ohne eine berufliche Fortbildung oder Umschulung möglich wäre.

Für die Beurteilung der Zweckmäßigkeit nach § 8 AFuU 1971 ist das vom LSG hervorgehobene Verhältnis von Angebot und Nachfrage im angestrebten Beruf ein entscheidender Gesichtspunkt. Der Kläger rügt insoweit aber eine Verletzung des rechtlichen Gehörs und meint, im Urteil habe das LSG Statistiken und einen Zeitschriftenartikel verwertet, die ihm vorher nicht bekanntgegeben worden seien. Diese Rüge trifft jedenfalls für die statistischen Mitteilungen des Landesarbeitsamtes N zu. Die in ihnen enthaltenen Statistiken sind keine allgemeinkundigen Tatsachen. Unter diesen Begriff fallen nur Tatsachen, die in einem größeren oder kleineren Bezirk einer beliebig großen Menge bekannt sind oder wahrnehmbar waren und über die man sich aus zuverlässiger Quelle ohne besondere Fachkunde sicher unterrichten kann (Rosenberg-Schwab, Zivilprozeßrecht, 11. Aufl., S. 605). Die statistischen Mitteilungen des Landesarbeitsamts N werden aber nur in vervielfältigter Form Behörden und Gerichten zur Verfügung gestellt, d.h. also, keiner beliebig großen Anzahl von Personen bekanntgegeben. Als gerichtskundige Tatsachen hätte der Inhalt der statistischen Mitteilungen zum Gegenstand der Verhandlung gemacht werden müssen (BSG SozR 1500 § 128 SGG Nr. 4 mit weiteren Angaben). Hinsichtlich des vom LSG verwendeten Inhalts der statistischen Mitteilungen des Landesarbeitsamts N läßt sich dies nicht nachweisen. Die Berufsrichter des 5. Senats des LSG, die an dem Urteil mitgewirkt haben, können aus der Erinnerung nicht mehr sagen, ob und in welchem Umfange die Statistiken und der Inhalt des Zeitschriftenartikels in der mündlichen Verhandlung mit den Beteiligten erörtert worden sind. Nach ihrer dienstlichen Äußerung ist nur erörtert worden, daß die "Zahl" der Arbeitsplätze für Betriebswirte zum damaligen Zeitpunkt geringer war als die Zahl der Bewerber". Für das rechtliche Gehör reicht es aber nicht aus, wenn darüber gesprochen worden ist, daß die Zahl der (offenen) Arbeitsplätze für Betriebswirte "zum damaligen Zeitpunkt" geringer war als die Zahl der Bewerber. Im Urteil hat sich das LSG nämlich besonders darauf gestützt, die Zahl der Arbeitsuchenden habe die Zahl der offenen Stellen deutlich überstiegen und im Dezember 1973 mehr als das Dreifache betragen. Das LSG wird deshalb dem Kläger Gelegenheit geben müssen, zum Inhalt der statistischen Mitteilungen des Landesarbeitsamts Stellung zu nehmen.

Bei der neuen Entscheidung wird das LSG folgendes zu beachten haben: Der Umstand, daß in einem Beruf zur Zeit des Antrags auf eine Förderung die Zahl der Bewerber größer war als die Zahl der offenen Arbeitsplätze, reicht allein nicht aus, um eine Förderung i.S. des § 36 AFG als unzweckmäßig zu bezeichnen. Dies wird bei einem krassen Mißverhältnis zwischen der Zahl der Arbeitsuchenden und der offenen Stellen anders sein. Darüber hinaus kommt es für die Zweckmäßigkeit der Förderung des Klägers grundsätzlich auf die Angebots- und Bedarfslage im ganzen Bundesgebiet an; dies im vorliegenden Fall besonders deshalb, weil der Kläger nach seinem eigenen Vorbringen für das gesamte Bundesgebiet dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht. Außerdem stützt sich das LSG nur allgemein auf die Zahlen für Warenkaufleute; es wäre zu prüfen, ob sich nicht speziellere Angaben für Betriebswirte finden lassen. Weiter ist zu bedenken, daß es sich um eine berufliche Fortbildung handelt. Der Kläger war vor der Bildungsmaßnahme bereits im Berufsfeld der Kaufleute tätig. Die Förderung wäre daher schon dann zweckmäßig gewesen, wenn er nach der im Oktober 1972 möglichen Voraussicht als staatlich geprüfter Betriebswirt oder in einer entsprechenden Tätigkeit, in der die neu erworbenen Kenntnisse benötigt werden, wahrscheinlich dauerhaft eine Anstellung gefunden haben würde (vgl. BSG 4. November 1975 - 7 RAr 53/74). Dabei kommt es also auf die Aussicht für die Zeit nach Abschluß der Maßnahme an.

Seinen Förderungsanspruch kann der Kläger hingegen nicht darauf stützen, daß seit 1972 fortwährend im Bereich des Landesarbeitsamts N angehende Betriebswirte gefördert worden seien. Zwar mag der Grundsatz, daß es keine Gleichbehandlung im Unrecht gibt, nicht uneingeschränkt gelten. Er ist aber jedenfalls zu beachten, solange nur in Einzelfällen, sei es auch fortwährend, Leistungen zu Unrecht erbracht wurden. Der Verwaltungsgerichtshof B hat in der vom Kläger erwähnten Entscheidung (DVBl 72. 186) dem Gleichbehandlungsprinzip nur deshalb den Vorrang vor der Gesetzesbindung der Verwaltung gegeben, weil die Verwaltung ein Gesetz bewußt und im Regelfall nicht mehr angewendet hatte, und weil sie von dieser Praxis ohne gesetzliche Grundlage keine Ausnahmen machen durfte.

Nach allem war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das LSG zu neuer Entscheidung zurückzuverweisen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Urteil des LSG vorbehalten.

 

Fundstellen

BSGE, 124

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