Entscheidungsstichwort (Thema)

Förderung eines Wiederholungssemesters

 

Orientierungssatz

Zur Frage, ob der Erfolg einer Fortbildungsmaßnahme grundsätzlich nur vorausschauend zu beurteilen ist.

 

Normenkette

AFG § 36 Fassung: 1969-06-25, § 41 Abs. 1 Fassung: 1969-06-25, § 42 Fassung: 1969-06-25

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 24.05.1973; Aktenzeichen L 16 Ar 59/72)

SG Gelsenkirchen (Entscheidung vom 23.03.1972; Aktenzeichen S 4 Ar 272/71)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers werden die Urteile des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 24. Mai 1973 und des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 23. März 1972 sowie der Bescheid der Beklagten vom 13. August 1971 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Dezember 1971 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Unterhaltsgeld für die Zeit vom 1. Juli 1971 bis zum 31. Januar 1972 zu gewähren.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Gewährung von Unterhaltsgeld für die Zeit, in der er das von ihm zuvor nicht bestandene zweite Semester an der Techniker-Fachschule der Stadt W wiederholen mußte.

Der 1946 geborene Kläger hatte nach mehrjähriger Tätigkeit als Schlosser am 8. September 1970 an der o.a. Techniker-Fachschule eine auf drei Semester angelegte Ausbildung zum Maschinenbautechniker begonnen; die Ausbildung wurde im Vollzeitunterricht durchgeführt. Die Beklagte bewilligte dem Kläger zunächst antragsgemäß für die Zeit vom 8. September 1970 bis zum 31. Januar 1972 Unterhaltsgeld (Verfügung vom 25. September 1970). Außerdem übernahm sie die Kosten der Lernmittel (Bescheid vom 26. April 1971). Die von ihr abgelehnte Erstattung von Fahrtkosten wurde vom Kläger nicht angefochten.

Als die Beklagte erfuhr, daß der Kläger das Ziel des zweiten Semesters wegen mangelhafter Leistungen nicht erreicht hatte, hob sie durch Bescheid vom 14. Juli 1971 mit Wirkung ab 1. Juli 1971 die Bewilligungsentscheidungen vom 25. September 1970 und vom 26. April 1971 auf. Nachdem der Kläger dieses Semester wiederholt und erfolgreich abgeschlossen hatte, bewilligte ihm die Beklagte durch Verfügung vom 24. März 1972 vom 8. Februar 1972 an erneut Unterhaltsgeld. Ferner übernahm sie nochmals Kosten für Lernmittel. Den vom Kläger am 10. August 1971 gestellten Antrag auf Förderung des Wiederholungssemesters lehnte die Beklagte jedoch im Bescheid vom 13. August 1971 mit der Begründung ab, es seien keine Gründe für den Mißerfolg des Klägers erkennbar, die er nicht zu vertreten habe. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 1. September 1971).

Die Klage hiergegen hat das Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen durch Urteil vom 23. März 1972 abgewiesen. Gegen das ihm am 7. April 1972 zugestellte Urteil hat der Kläger am 9. Mai 1972 die vom SG zugelassene Berufung eingelegt. Wegen der Versäumung der Berufungsfrist hat das Landessozialgericht (LSG) dem Kläger zwar Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 67 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gewährt; in der Sache hat es die Berufung jedoch durch Urteil vom 24. Mai 1973 zurückgewiesen. Zur Begründung hat das LSG im wesentlichen folgendes ausgeführt: Es sei zwar fraglich, ob sich die Versagung von Unterhaltsgeld für ein Wiederholungssemester mit dem Hinweis auf § 45 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) rechtfertigen lasse. Diese Vorschrift betreffe Sachkosten, die durch eine Fortbildungsmaßnahme unmittelbar entstehen. Indessen könne diese Frage dahinstehen. Die Versagung des Unterhaltsgeldes rechtfertige sich aus § 42 AFG. Wenn danach nur solche Personen bei ihrer beruflichen Fortbildung gefördert werden sollen, deren Fähigkeit und bisherige berufliche Tätigkeit erwarten lassen, daß sie an der Fortbildungsmaßnahme mit Erfolg teilnehmen werden, so genüge es nicht, daß durch den erfolgreichen Abschluß einer Fortbildungsmaßnahme nachträglich der Beweis dieser Fähigkeiten erbracht werde. Es sei vielmehr von den Verhältnissen zu Beginn der Maßnahme auszugehen und eine entsprechende Eignungsprognose zu treffen. Hingegen könne nicht gefordert werden, daß sich diese Prognose rückschauend als richtig erweise. Eine andere Auffassung hätte zur Folge, daß die von der Beklagten bei Beginn einer Fortbildungsmaßnahme oder bei Beginn ihrer einzelnen Abschnitte zu treffende Entscheidung nur eine vorläufige Bedeutung habe. Es sei also lediglich erforderlich, daß die gestellte Prognose einen zutreffenden Schluß aus denjenigen Tatsachen ziehe, die bei Beginn der Maßnahme oder der in Betracht kommenden Abschnitte bekannt seien. Dies habe die Beklagte im vorliegenden Fall in zutreffender Weise getan. Nachdem der Kläger das zweite Semester zunächst nicht erfolgreich beenden konnte, sei die Erwartung gerechtfertigt gewesen, daß er das Ziel der Maßnahme nicht erreichen werde. Einmal habe er in fünf Kernfächern nur mangelhafte Leistungen erreicht, zum anderen habe er keine Gesichtspunkte anzugeben vermocht, die unabhängig von seinen Fähigkeiten das eingetretene Versagen hätten erklären können. Insbesondere ließen sich seine schlechten Leistungen nicht befriedigend durch die vom Kläger vorgetragenen häuslichen Spannungen erklären. Soweit gewisse Zweifel bleiben mögen, müßten diese zu Lasten des Klägers gehen, weil er sich nicht gegen einen Aufhebungsbescheid i.S. von § 151 Abs. 1 AFG wende, sondern gegen die Ablehnung einer von ihm beantragten Neubewilligung. Infolgedessen treffe ihn anders als in den Fällen des § 151 Abs. 1 AFG die objektive Beweislast für das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen. Auch aus anderen gesetzlichen Vorschriften, auf die der Kläger hingewiesen habe, wie aus § 44 Abs. 6 AFG und aus § 33 Abs. 1 Satz 2 AFG, lasse sich sein Anspruch nicht rechtfertigen. Der Kläger könne sich auch nicht auf den Gleichheitssatz des Art. 3 des Grundgesetzes (GG) berufen; selbst wenn die Beklagte in gleichgelagerten Fällen Unterhaltsgeld gewährt haben sollte, hätte sie damit gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen. Der Gleichheitssatz gebiete jedoch nicht eine Gleichbehandlung im Unrecht.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und begründet. Er trägt im wesentlichen folgendes vor: Das Gesetz enthalte keinen Anhaltspunkt für die vom LSG angenommene Regel, daß die Voraussetzungen für die Förderung einer Fortbildungsmaßnahme grundsätzlich vorausschauend zu beurteilen seien. Selbst wenn eine abschnittsweise Prüfung der Förderung entgegen dem Gesetzeswortlaut möglich sein sollte, so müsse auch nach dem jeweils nächsten Abschnitt eine weitere Prüfung vorgenommen werden. Sollte sich dabei herausstellen, daß die frühere Zwischenprüfung unrichtig war, so sei die Entscheidung zu revidieren. Diese Auffassung entspreche dem Grundsatz des Prozeßrechts, wonach jeweils der Sach- und Streitstand zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgebend sei. Nur nach diesem Zeitpunkt entscheide sich die Rechtmäßigkeit einer staatlichen Maßnahme. Auf die Frage des Verschuldens komme es in diesen Fällen nicht mehr an. Eine solche Prüfung sei auch im Gesetz nicht vorgesehen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des LSG vom 24. Mai 1973 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Urteils des SG Gelsenkirchen vom 23. März 1972 zu verurteilen, dem Kläger unter Abänderung des Bescheides vom 13. August 1971 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1. Dezember 1971 Unterhaltsgeld für die Zeit vom 1. Juli 1971 bis zum 31. Januar 1972 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers als unbegründet zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig.

Beide Beteiligten sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 SGG) einverstanden.

 

Entscheidungsgründe

Die zugelassene Revision ist begründet. Dem Kläger steht der begehrte Anspruch auf Unterhaltsgeld auch für den Zeitraum der Wiederholung des zweiten Semesters seines Fachschulbesuches zu.

Die von der Beklagten im Bescheid vom 13. August 1971 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Dezember 1971 ausgesprochene Ablehnung der erneuten Bewilligung der Förderung dieses Teiles des Fachschulbesuches, also der Gewährung von Förderungsleistungen nach dem AFG für die Zeit vom 1. Juli 1971 bis 31. Januar 1972, ist rechtswidrig. Die Anspruchsvoraussetzungen für die Förderung der Heranbildung des Klägers zum Maschinenbautechniker an der Techniker-Fachschule im Wege der beruflichen Fortbildung i.S. von §§ 41 ff, 34, 36 AFG, welche die Beklagte zuvor für die Maßnahme insgesamt zutreffend bejaht hat, sind für den Zeitraum der Wiederholung des zweiten Semesters nicht entfallen. Das AFG schließt die Förderung der Wiederholung von Ausbildungsabschnitten nicht grundsätzlich aus.

Zutreffend hat das LSG entschieden, daß sich die angefochtene Verwaltungsentscheidung nicht aus § 45 AFG rechtfertigen läßt. Jene Vorschrift betrifft den Umfang der für eine Förderung notwendigen Sachkosten. Der vorliegende Fall betrifft jedoch nicht die Frage, ob bestimmte Kosten der Teilnahme an einer zu fördernden Bildungsmaßnahme notwendig sind, sondern die Frage, ob die Anspruchsvoraussetzungen für eine Förderung dem Grunde nach - weiterhin - gegeben sind. Speziell streitig ist dabei, ob das Merkmal der Erfolgserwartung i.S. von § 42 AFG vorliegt. Außerdem ist bei einer Maßnahme, die abschnittsweise derart aufgebaut ist, daß die Teilnahme an einem Abschnitt den erfolgreichen Abschluß des vorhergehenden Abschnitts voraussetzt, die Wiederholung eines erfolglos beendeten Abschnitts gerade "notwendig", um das Maßnahmeziel zu erreichen. Auch steht der dem § 45 AFG zu entnehmende, im übrigen selbstverständliche Grundsatz, daß die Bundesanstalt für Arbeit (BA) zu möglichst sparsamer und effektiver Leistung verpflichtet ist, der Förderung eines Wiederholungssemesters keineswegs entgegen. Diesem Grundsatz entspricht es vielmehr gerade, daß eine Ausbildung, für die bereits erhebliche Kosten sowie Arbeitszeit aufgewendet worden sind, nicht ergebnislos abgebrochen wird, wenn sie noch zum Ziel führen kann. Die Förderbarkeit eines Wiederholungsabschnittes ist nach den Regeln des AFG daher grundsätzlich nicht ausgeschlossen und auch nicht nur auf besondere Ausnahmefälle beschränkt (vgl. Entscheidung des Senats vom 24. September 1974 - 7 RAr 113/73 -).

Hängt der Anspruch des Klägers aber nur noch davon ab, ob seine Fähigkeiten und bisherigen beruflichen Tätigkeiten i.S. von § 42 AFG erwarten lassen, daß er an der Fortbildungsmaßnahme mit Erfolg teilnehmen wird, so kommt es, wie der Senat in der o.a. Entscheidung ebenfalls ausgeführt hat, entscheidend darauf an, ob der Wiederholungsabschnitt erfolgreich abgeschlossen worden ist. Dies hat das LSG im vorliegenden Fall unangegriffen festgestellt. Damit steht aber (rückschauend) fest, daß der Kläger schon bei Beginn des Wiederholungssemesters die Fähigkeit i.S. des § 42 AFG besessen hat, erfolgreich an der Fortbildungsmaßnahme teilzunehmen. Zwar gab der ernstliche Zweifel an diesen Fähigkeiten des Klägers Grund zu der Annahme, für seine Teilnahme an der Bildungsmaßnahme bestehe keine hinreichende Erfolgserwartung i.S. des § 42 AFG. Dadurch, daß diese Zweifel nach dem erfolgreichen Ergebnis eindeutig ausgeräumt worden sind, hat sich jedoch die Annahme mangelnder Erfolgserwartung nachträglich als Irrtum erwiesen.

Der Auffassung des LSG, daß bei gerichtlicher Überprüfung einer Verwaltungsentscheidung für die Erfolgserwartung nach § 42 AFG nachträglich eingetretene Umstände - wie hier der Abschlußerfolg - nicht berücksichtigt werden dürften, vielmehr allein von den im Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung bekannten Umständen auszugehen sei, folgt der Senat nicht. Wie er in seinem Urteil vom 19. März 1974 - 7 RAr 9/73 - bereits dargelegt hat, kann das Tatsachengericht bei Beurteilung der Eignung des Teilnehmers an einer Fortbildungsmaßnahme alle ihm z.Zt. der letzten mündlichen Verhandlung zugänglichen und bekannten Tatsachen verwerten. Es wäre ein wirklichkeitsfremdes Ergebnis, wollte man nur die Erkenntnisse im Zeitpunkt der Antragstellung verwerten und deshalb die Eignung eines Antragstellers verneinen, obwohl sich bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung der erfolgreiche Abschluß der Maßnahme ergebe; in diesen Fällen erweise sich vielmehr eine ursprünglich verneinende Entscheidung als unrichtig. Allerdings beziehen sich jene Ausführungen auf die Beurteilung der "Eignung" des Antragstellers (§ 36 AFG), während die Beklagte im vorliegenden Fall auf die Erfolgserwartung i.S. des § 42 AFG abstellt. Hierzu ist indessen im gleichen Urteil ausgeführt, daß § 42 AFG insoweit nur die in § 36 AFG aufgestellten allgemeinen persönlichen Voraussetzungen jeder Bildungsförderung ergänzt und erläutert. Wie weiter oben dargelegt, geht es im vorliegenden Fall allein um die Eignung des Klägers, speziell seine Fähigkeit, durch ein Wiederholungssemester seinen Mißerfolg im zweiten Semester auszugleichen. Von der Sache her kann aber für die Frage, ob nachträglich eingetretene Umstände für die Beurteilung heranzuziehen sind oder nicht, kein Unterschied zwischen der Eignung i.S. des § 36 AFG und den die Erfolgserwartung begründenden Fähigkeiten i.S. des § 42 AFG gemacht werden. Die Erfolgserwartung zu verneinen, nachdem der Erfolg bereits eingetreten ist, wäre sogar in noch stärkerem Maße wirklichkeitsfremd als das Festhalten an einer nicht bestätigten Eignungsbeurteilung. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob die Entscheidung über die Förderung eines Wiederholungssemesters als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung anzusehen ist oder nicht. Es geht hier nämlich nicht um die rechtliche Auswirkung einer nachträglich eingetretenen Änderung der Verhältnisse (mit Wirkung vom Eintritt an - ex nunc -), sondern um die Berücksichtigung nachträglich eingetretener Umstände bei rückschauender Beurteilung bereits von Anfang an unverändert bestehender Verhältnisse (Eignung, Fähigkeiten). Wenn auch der Senat die Schwierigkeiten für die Verwaltung nicht verkennt, eine vorausschauende Entscheidung treffen zu müssen, die sich später als unrichtig herausstellen kann, und damit rückschauend als rechtswidrig erkannt werden muß, so entspricht die von ihm vertretene Auffassung dem Sinn und Zweck der beruflichen Bildung nach dem AFG, darüber hinaus aber auch den Erfordernissen einer am täglichen Leben orientierten Betrachtungsweise.

Die vom LSG geäußerten Bedenken wegen eines nur vorläufigen Charakters von Bewilligungsentscheidungen der Beklagten in Fällen dieser Art greifen demgegenüber nicht durch; denn selbst bei einer insoweit fehlerhaften Entscheidung der Beklagten zugunsten des Berechtigten würde die Aufhebung derartiger Entscheidungen und ggf. die Rückforderung gewährter Leistungen nur nach Maßgabe der §§ 151, 152 AFG möglich sein.

SG und LSG haben sonach zu Unrecht die vom Kläger angefochtenen Verwaltungsakte der Beklagten bestätigt. Auf die Revision des Klägers sind diese daher ebenso wie die Entscheidungen des SG und des LSG aufzuheben; die Beklagte ist zur Gewährung des beantragten Unterhaltsgeldes zu verurteilen (§ 130 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1654028

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