Beteiligte

Kläger und Revisionsbeklagter

Beklagte und Revisionsklägerin

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten um die Auszahlung einer von der Beklagten grundsätzlich anerkannten Rente auf Zeit der wegen Erwerbsunfähigkeit.

Der 1949 geborene Kläger war von 1969 bis 1981 Soldat auf Zeit bei der Deutschen Bundeswehr. Von April 1981 bis März 1984 erhielt er Übergangsgebührnisse in Höhe von zuletzt 1.381,58 DM netto monatlich.

Nach einer Operation mit Nachoperation im Februar 1982 beantragte der Kläger im November 1982 die Gewährung von Rente wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit auf Zeit vom 1. November 1982 bis 31. Oktober 1983 aufgrund eines am 22. Februar 1982 eingetretenen Versicherungsfalles an, stellte jedoch zugleich fest, daß die Rente nach § 1284 der Reichsversicherungsordnung (RVO) ruhe, weil sie mit einem Arbeitsentgelt aus einem Beschäftigungsverhältnis, für das die Beschäftigung tatsächlich nicht ausgeübt worden sei, zusammentreffe. Der Kläger blieb mit Widerspruch und Klage hiergegen erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 10. November 1983, Urteil des Sozialgerichts - SG - vom 14. März 1985).

Auf die - vom SG zugelassene - Berufung des Klägers verurteilte das Landessozialgericht (LSG) die Beklagte, dem Kläger die festgestellte Rente auszuzahlen (Urteil vom 17. Dezember 1986). Zur Begründung führte es aus, die Übergangsgebührnisse seinen eine finanzielle Leistung der Dienstzeitvorsorge und dazu bestimmt, dem Soldaten nach seiner Entlassung die Eingliederung in das zivile Arbeitsleben zu erleichtern. Sie setzten nicht das Fortbestehen eines Beschäftigungsverhältnisses voraus und seine daher kein Arbeitsentgelt i. S. der §§ 14 des Sozialgesetzbuches - Gemeinsame Vorschriften - (SGB 4), 1284 RVO, zu dem nur Entgelte aus einer bestehenden (aktiven) Beschäftigung zählten, nicht aber auch Bezüge, die mit Rücksicht auf ein ehemaliges, inzwischen beendetes Arbeits- oder Dienstverhältnis gewährt würden. Das Beschäftigungsverhältnis des Klägers zur Bundeswehr sei bereits am 31. März 1981 beendet worden; die an ihn seit 1. April 1981 gezahlten Übergangsgebühren stellten daher kein Arbeitsentgelt aus einem Beschäftigungsverhältnis dar, das fortbestanden habe, aber tatsächlich nicht ausgeübt worden sei. Zudem wolle § 1284 RVO eine Doppelversorgung aus Arbeitsentgelt und Lohnersatzleistung verhindern. Zu der letzten Kategorie gehörten die Übergangsgebührnisse aber ebenfalls nicht.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts. Sie wendet sich gegen die vom LSG vertretene Auslegung der Begriffe Arbeitsentgelt und Übergangsgebührnisse.

Die Beklagte beantragt sinngemäß, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.

II

Die kraft Zulassung durch das LSG statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und damit zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das LSG hat zu Recht darauf erkannt, daß die Beklagte dem Kläger die von ihr festgestellte Rente auf Zeit wegen Erwerbsunfähigkeit auszuzahlen hat. Die Feststellung der Beklagten, die Rente ruhe gemäß § 1284 RVO, ist nicht gerechtfertigt.

Trifft bei einem Berechtigten eine Rente wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit mit einem Arbeitsentgelt aus einem Beschäftigungsverhältnis zusammen, das vor Beginn der Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit begründet worden ist, so ruht gemäß § 1284 RVO die Rente insoweit, als das Zusammentreffen von Rente und Arbeitsentgelt über zwei Monate nach Rentenbeginn hinausgeht, wenn die Beschäftigung tatsächlich nicht ausgeübt worden ist. Zutreffend hat das LSG entschieden, daß es sich bei den vom Kläger für die Zeit seines Rentenanspruchs bezogenen Übergangsgebührnissen nicht um Arbeitsentgelt i.S. dieser Vorschrift handelt.

Arbeitsentgelt sind gemäß der für alle Zweige der Sozialversicherung (§ 1 Abs. 1 SGB 4) geltenden Definition, in § 14 Abs. 1 SGB 4 alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Nur auf ein derartiges Arbeitsentgelt bezieht sich die Bestimmung des Zweckes des § 1284 RVO, daß die Rente wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit nach Ablauf von zwei Monaten nach Rentenbeginn ruht, wenn sie mit Arbeitsentgelt zusammentrifft, das im Wege der Lohn- oder Gehaltsfortzahlung oder für Zeiten nach Beendigung der Beschäftigung gezahlt wird. Dadurch soll vermieden werden, daß für Zeiten, in denen der Versicherte tatsächlich keine Arbeitsleistung erbringt, Rente wegen Berufsunfähigkeit und Erwerbsunfähigkeit und Arbeitsentgelt nebeneinander gezahlt werden (BT-Drucks. 8/337 S. 91). Eine Auslegung des § 14 Abs. 1 SGB 4 dahin, daß die Definition auch Übergangsgebührnisse i.S. von § 11 des Soldatenversorgungsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 5. März 1987, BGBl. I S. 842 (SVG) erfaßt, findet weder im Gesetzeswortlaut noch in der gemeinsamen Entstehungsgeschichte von § 1284 RVO und den einschlägigen Vorschriften des SVG eine rechtfertigende Grundlage.

Die Übergangsgebührnisse haben weder Arbeitsentgeltcharakter noch Lohnersatzfunktion. Voraussetzung für den Anspruch auf Übergangsgebührnisse ist, daß das Dienstverhältnis des Soldaten endet wegen Ablaufs der Zeit, für die er in das Dienstverhältnis berufen war, oder wegen Dienstunfähigkeit, die nicht auf grobes Verschulden zurückzuführen ist, und die Wehrdienstzeit mindestens vier Jahre gedauert hat (§ 11 Abs. 1 Satz 1 SVG). Der Anspruch auf Übergangsgebührnisse ist Teil der Soldatenversorgung und beruht damit wie diese auf dem Alimentationsgrundsatz (vgl. BVerwGE 51, 226, 229). Er besteht unabhängig davon, ob der frühere Soldat Arbeitseinkommen erzielt oder beispielsweise wegen der Teilnahme an einer Maßnahme beruflicher Bildung an der Erzielung von Einkommen gehindert ist. Nach § 53 Abs. 1 SVG muß sich der frühere Soldat auf Zeit - als Ausfluß des Alimentationsgrundsatzes - auf die Übergangsgebührnisse lediglich ein Einkommen anrechnen lassen, das er aus einer Verwendung im Wehrdienst oder im anderen öffentlichen Dienst bezieht (vgl. Urteil des 7. Senats des Bundessozialgerichts -BSG- vom 26. November 1986 - 7 RAr 97/85 -)

Wie der 4. Senat des BSG in seiner Entscheidung vom 24. Januar 1963 (BSGE 18, 204 ff. = SozR Nr. 1 zu § 1241 RVO) dargelegt hat, können Pensionen, Ruhegelder und ähnliche Einkünfte aus früheren, bereits beendeten öffentlich-rechtlichen Beschäftigungsverhältnissen nicht als Arbeitsentgelt angesehen werden. Als Arbeitsentgelt sind vielmehr nur solche Leistungen zu bewerten, die von einem Arbeitgeber zur Abgeltung einer Arbeitstätigkeit gegenwärtig und in unmittelbarem Austausch zu bewirken sind (vgl. auch Urteil des 11. Senats des BSG vom 29. August 1984 - SozR 5420 § 2 Nr. 31 -). Übergangsgebührnisse nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SVG sind in gleicher Weise wie Pensionen, Ruhegelder usw. zu beurteilende Bezüge aus einem bereits beendeten öffentlich-rechtlichen Beschäftigungsverhältnis.

Das Rechtsverhältnis des früheren Soldaten ist in der Zeit, für die ihm Übergangsgebührnisse gezahlt werden, nicht mehr auf Leistung von Diensten gerichtet. Die Beendung des Dienstverhältnisses ist gerade Voraussetzung für die Gewährung von Übergangsgebührnissen gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 SVG. Es besteht während der Zeit des Bezuges von Übergangsgebührnissen kein Dienst-, sondern ein Versorgungsverhältnis (vgl. Urteil des 7. Senats des BSG vom 26. November 1986 a.a.O.). Bei den Übergangsgebührnissen handelt es sich somit nicht um Leistungen, die zur Abgeltung einer Arbeitstätigkeit gegenwärtig und in unmittelbarem Austausch bewirkt werden, sondern um Versorgungsbezüge für eine Dienstleistung, die vor Beginn ihrer Zahlung erbracht wurde. Sie sind eine finanzielle Leistung der Dienstzeitversorgung i.S. der §§ 11 ff. SVG mit dem Charakter einer zwar im Regelfall monatlich zu zahlenden, jedoch ausnahmsweise auch kapitalisierbaren Abfindung (vgl. § 11 Abs. 5 SVG). Diese soll den Soldaten nach der Entlassung für eine Übergangszeit der Sorge für den Lebensunterhalt für sich und seine Familie entheben und ihm den Übergang in einen Zivilberuf erleichtern (vgl. Urteil des 2. Senats des BSG vom 24. Mai 1984 - 2 RU 12/83 - und BVerwGE 51, 226, 229). In Übereinstimmung hiermit ist denn auch das Dienstverhältnis des Klägers zur Bundeswehr am 31. März 1981 beendet worden, und hat die Zahlung von Übergangsgebührnissen an ihn sodann erst für die Zeit ab 1. April 1981 begonnen.

Diese auf den Wortlaut der §§ 14 Abs. 1 SGB 4, 1284 RVO und die wirtschaftlich-soziale Funktion der Übergangsgebührnisse gestützte Auslegung wird dadurch bestätigt, daß im SVG selbst die Anrechenbarkeit bzw. Kürzungsmöglichkeit der Versorgungsbezüge eines ehemaligen Soldaten beim Zusammentreffen mit Rentenbezügen geregelt ist. So normiert § 55a Abs. 1 Satz 1 SVG, daß Versorgungsbezüge neben Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen oder aus einer zusätzlichen Alters- und Hinterbliebenenversorgung für Angehörige des öffentlichen Dienstes nur bis zu der in Abs. 2 der Vorschrift bezeichneten Höchstgrenze gezahlt werden. Diese Regelung entspricht der mit dem Dritten Gesetz zur inderung beamtenrechtlicher und besoldungsrechtlicher Vorschriften vom 31. August 1965 (BGBl. I S. 1007) im Bundesbeamtengesetz (BBG) eingefügten Vorschrift des § 160a BBG, die als § 55 in das Beamtenversorgungsgesetz (BeamtenVG) übernommen worden ist. Der Gesetzgeber hat somit frühzeitig das Problem der Doppelversorgung im Bereich der Bundeswehr erkannt. Die zitierte Vorschrift im SVG hatte allerdings bis zum 31. Dezember 1981 nur Bedeutung für Versorgungsfälle, denen ein nach dem 31. Dezember 1965 begründetes Dienstverhältnis (als Soldat auf Zeit oder Berufssoldat) zugrunde lag. Mit Inkrafttreten des Zweiten Haushaltsstrukturgesetzes (2. HStruktG) vom 22. Dezember 1981 (BGBl. I S. 1523) am 1. Januar 1982 ist der bis dahin in § 55a Abs. 1 SVG genannte Stichtag des. 1. Dezember 1965 gestrichen worden (Art 3 § 1 Nr. 7 2. HStruktG). Somit findet § 55a SVG nunmehr auch auf Versorgungsfälle Anwendung, denen ein vor dem 1. Januar 1966 begründetes Dienstverhältnis zugrunde liegt (vgl. in diesem Sinn auch Schwenck/Weidinger, Handbuch des Wehrrechts, 2. Aufl., Bd 2, § 55a SVG Anm. I. 1 und 2). Aus der Tatsache, daß diese Neufassung aus dem Jahre 1982 die bis dahin bereits bestehende Möglichkeit der Kürzung von Versorgungsbezügen auf weitere Personenkreise ausdehnt und dem Gesetzgeber die Fassung des bereits seit dem 1. Juli 1977 geltenden § 1284 RVO (eingefügt durch Art 21 Nr. 23 des Zwanzigsten Rentenanpassungsgesetzes - 20. RAG vom 27. Juni 1977, BGBl. I S. 1040) bekannt war, ist zu schließen, daß der Gesetzgeber das zu entscheidende Anrechnungsproblem ausschließlich mit 'Hilfe des § 55a SVG gelöst haben wollte. Hätte der Gesetzgeber die Übergangsgebührnisse als Arbeitsentgelt i.S. des § 1284 RVO angesehen und damit den Wegfall der Rente bezweckt, wäre das Festhalten an § 55a SVG und seine spätere Neufassung im Jahre 1982 weder erforderlich noch sinnvoll gewesen. Nach dem allgemeinen Rechtsgrundsatz, daß ein zeitlich späteres und spezielleres Gesetz einer früheren und allgemeineren Norm vorgeht, ist § 55a SVG vielmehr zur Auslegung des § 1284 RVO unter dem Blickwinkel der übergreifenden Rechtssystematik als ergänzende Begründung der oben vertretenen Interpretation der Ruhensvorschrift des 1284 RVO heranzuziehen.

Die somit unbegründete Revision der Beklagten mußte zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. 5/4a RJ 9/87

1988-09-20BSG

Bundessozialgericht

 

Fundstellen

BSGE, 71

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