Leitsatz (amtlich)

Auf das Übergangsgeld, welches während der Durchführung von Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit zu gewähren ist, ist das Unfallruhegehalt eines Beamten nicht anzurechnen.

 

Normenkette

RVO § 1241 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20. Februar 1961 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die Beklagte bewilligte dem Kläger im Jahre 1959 für die Dauer einer stationären Heilstättenbehandlung und der daran anschließenden Arbeitsruhe von 7 Tagen Übergangsgeld. Hierauf rechnete sie das Unfallruhegehalt an, das der Kläger bezieht, seitdem er infolge eins Dienstunfalls den Dienst eines Polizeibeamten nicht mehr ausüben kann und deshalb - seit dem Jahre 1941 - in den Ruhestand versetzt worden ist.

Die gegen die Anrechnung des Ruhegehalts erhobene Klage wies das Sozialgericht (SG) Düsseldorf durch Urteil vom 15. Dezember 1959 ab. Zwar werde das Ruhegehalt eines Beamten in der maßgeblichen Vorschrift des § 1241 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht ausdrücklich als ein das Übergangsgeld minderndes Einkommen aufgezählt; gleichwohl müsse es dem dort genannten Arbeitsentgelt gleichbehandelt werden. Das ergebe sich aus dem Zweck der Übergangsgeldgewährung, der darin bestehe, die wirtschaftliche Versorgung eines Betreuten und seiner Familie während der Durchführung von Heilmaßnahmen zu gewährleisten. Eine Gefährdung des Unterhalts trete aber nicht ein, soweit der Betreute Ruhegehalt beziehe.

Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen änderte durch Urteil vom 20. Februar 1961 das Urteil des SG ab, und verurteilte die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 12. August 1959, bei der Berechnung des Übergangsgeldes das Ruhegeld des Klägers außer Betracht zu lassen. Das Berufungsgericht ließ sich von folgenden Überlegungen leiten: Nach dem Wortlaut des § 1241 Abs. 3 RVO müsse angenommen werde, daß der Gesetzgeber nur die dort genannten Einnahmequellen berücksichtigt wissen wolle. Andere Einnahmen, z. B. Unterhaltsleistungen eines Ehemanns an seine Ehefrau, Einnahmen aus Vermögen und Renten aus der Unfallversicherung oder der Kriegsopferversorgung stünden der vollen Gewährung eines Übergangsgeldes nicht entgegen, obgleich auch diese Bezüge der wirtschaftlichen Versorgung eines Betreuten zu dienen bestimmt seien. Das Ruhegehalt, das der Kläger als früherer Beamter beziehe, falle nicht unter die Begriffe des Arbeitsentgeltes oder sonstigen Erwerbseinkommens. Dies sei hier schon deshalb nicht der Fall, weil es sich um ein Ruhegehalt handele, das mit Rücksicht auf einen im Dienst erlittenen Unfall geleistet werde. Ein derartiges Unfallruhegehalt könne nicht anders als eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung beurteilt werden und müsse wie diese für die Höhe des zu zahlenden Übergangsgeldes völlig außer Betracht bleiben.

Gegen das ihr am 27. März 1961 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 13. April 1961 die von dem LSG zugelassene Revision eingelegt und diese am 20. Mai 1961 begründet. Die Frage, ob das Ruhegehalt des Klägers Arbeitsentgelt oder anderes Erwerbseinkommen darstelle, so führt die Revision aus, richte sich nach dem Zweck des § 1241 Abs. 3 RVO und nicht nach irgendwelchen beamtengesetzlichen Rechtsvorschriften. Mit dem Übergangsgeld verfolge der Gesetzgeber einmal die Absicht, den Gesundungswillen des Versicherten durch wirtschaftliche Versorgung seiner Familie während der Heilmaßnahmen zu stärken. Zum anderen wolle der Gesetzgeber vermeiden, daß sich der durch die Rehabilitationsmaßnahmen Begünstigte an die Geldleistungen der öffentlichen Hand gewöhne und deshalb die erforderliche Eigeninitiative erlahmen lasse. So gesehen, müsse die Anrechnungsvorschrift des § 1241 Abs. 3 RVO weit ausgelegt und dahin verstanden werden, daß die Pflicht zur Übergangsgeldgewährung entfalle, sobald anderes Einkommen die wirtschaftliche Versorgung des Betreuten und seiner Familie sicherstelle. Das treffe für die beamtenrechtliche Alimentationsleistung sicher zu. Diese beruhe im übrigen auf dem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis des Beamten und sei daher einem Arbeitseinkommen gleich zu erachten. So würden denn auch die Dienst- und Versorgungsbezüge der Beamten unter den Begriff des Arbeitseinkommens im Sinne des § 850 ZPO (Pfändungsschutz für Arbeitseinkommen) subsumiert.

Die Beklagte stellt den Antrag,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Revision der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet.

Das Unfallruhegehalt, das der Kläger erhält, weil er als Polizeibeamter infolge eines Dienstunfalls dienstunfähig geworden und in den Ruhestand versetzt worden ist, fällt nicht unter die Einkommensarten, die sich der "Betreute" nach § 1241 Abs. 3 RVO während der Durchführung von Rehabilitationsmaßnahmen auf das ihm zustehende Übergangsgeld anrechnen lassen muß. Hält man sich an den Wortlaut dieser Vorschrift, dann kann das Ergebnis nicht zweifelhaft sein. Das Unfallruhegehalt ist keine Rente aus der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten oder aus der knappschaftlichen Rentenversicherung. Es ist aber auch nicht unter die Begriffe des "Arbeitsentgelts" oder "anderen Erwerbseinkommens" zu subsumieren. Abgesehen von der Vorstellung, die der Sprachgebrauch gemeinhin mit diesen Wörtern verbindet, folgt dies aus der Bedeutung, die diesen Wörtern in bezug auf § 1241 Abs. 3 RVO beizumessen ist. Das Gesetz verwendet den Ausdruck "Arbeitsentgelt" oder auch nur "Entgelt" an verschiedenen Stellen und in mannigfacher Verknüpfung (z. B. in den §§ 180, 189, 563, 1227, 1228, 1255, 1385 Abs. 3, 1402 Abs. 2, 1413 RVO); es definiert aber nicht im einzelnen, was unter "Entgelt" zu verstehen ist; es vermeidet sogar jede abstrakte Umschreibung oder erschöpfende und verallgemeinernde Aufzählung. Dennoch geht es in § 160 RVO von einem einheitlichen Begriff "im Sinne dieses Gesetzes" aus. Dafür führt es jedoch lediglich einige typische Erscheinungsformen an: "Zum Entgelt im Sinne dieses Gesetzes gehören neben Gehalt oder Lohn auch Gewinnanteile, Sach- und andere Bezüge, die der Versicherte ... von dem Arbeitgeber oder einem Dritten erhält".

In der Rechtsprechung sind als Entgelt alle vermögenswerten Vorteile bezeichnet worden, die einem Beschäftigten als Vergütung für seine Arbeit oder für seine Bereitschaft zur Arbeit gegeben werden. Dagegen sind als Entgelt nicht solche Zuwendungen eines Arbeitgebers angesehen worden, die nicht die Gegenleistung für die Arbeit eines Beschäftigten sind, sondern auf anderen Voraussetzungen beruhen. Legt man der Besoldung des Beamten die auf anderen Rechtsgebieten entwickelte Auffassung zu Grunde, so stellt sie allerdings keine Entlohnung für die einzelnen von ihm geleisteten Dienste dar, sondern ist eine dem Beamten für die Dauer des Dienstverhältnisses und als Pension (Ruhegehalt) für den anschließenden Ruhestand gewährte, für den standesgemäßen Unterhalt bestimmte Leistung (so u. a. RGZ 125, 318; BGHZ 12, 172 f; BGH NJW 1956, 550). Daraus, daß man das Beamtengehalt als eine dem Staate gesetzlich obliegende Alimentation wertet, darf indessen nicht rechtsgrundsätzlich gefolgert werden, daß auch im sozialversicherungsrechtlichen Sinne zwischen den Bezügen eines Beamten und dem Arbeitsentgelt ein unverträglicher begrifflicher Unterschied oder Gegensatz bestehe (vgl. früher EuM Bd. 10, 36; AN 1922, S. 187). Wenn man danach für das Recht der gesetzlichen Rentenversicherung davon ausgehen muß, daß auch Beamte Arbeitnehmer sind, die gegen Entgelt beschäftigt werden (vgl. § 1227 Abs. 1 Nr. 1 und § 1229 Abs. 1 Nr. 2, 3, 4 RVO), so wird man dasselbe nicht von einem Ruhestandsbeamten sagen können. Für das Rentenversicherungsrecht kann nicht die Sicht aus der beamtenrechtlichen Anschauung maßgeblich sein, nach der sowohl das Gehalt als auch die Pension einheitlich betrachtet werden. Dort geht die rechtliche Beurteilung davon aus, daß die Bezüge des aktiven Beamten einerseits und die der Ruhestandsbeamten und Hinterbliebenen andererseits keine zwei verschiedenen Kategorien bilden, sondern der gleichen rechtlichen Wurzel, nämlich dem öffentlich-rechtlichen Anstellungsverhältnis, entspringen. Die Pension ist danach "eine Form des Dienstgehaltes, welches kraft Gesetzes oder auch kraft Angestelltenvertrages in gemindertem Betrage dem dienstunfähig gewordenen Beamten fortgewährt wird" (RGZ 64, 353). Für die Rentenversicherung jedoch wird gerade darauf abzuheben sein, daß der Ruhestandsbeamte sein noch vorhandenes Leistungsvermögen nicht mehr dem Staate zu widmen braucht, daß er die Pension vielmehr erhält, ohne dem Staate gegenüber noch arbeitspflichtig zu sein.

Von dieser Erwägung her leuchtet es ohne weiteres ein, daß Pensionen, Ruhegelder und ähnliche Einkünfte aus früheren öffentlich-rechtlichen Beschäftigungsverhältnissen, die zur Zeit der Entstehung des Anspruchs auf Übergangsgeld bereits beendet sind, nicht als Arbeitsentgelt angerechnet werden können. Als solches sind vielmehr nur solche Leistungen an den "Betreuten" zu bewerten, die von einem Arbeitgeber zur Abgeltung einer Arbeitstätigkeit gegenwärtig und in unmittelbarem Austausch zu bewirken sind. Für diese Deutung ist neben dem Sinn, den das Gesetz durchgängig mit dem Begriff Arbeitsentgelt verbindet, vornehmlich der Zweck entscheidend, der mit der Gewährung des Übergangsgeldes verfolgt und der als erreicht angesehen wird, wenn und soweit Arbeitsentgelt tatsächlich bezogen wird. Dem "Betreuten" soll für den während der Rehabilitationsmaßnahmen entgehenden Arbeitsverdienst ein Ersatz geboten werden. Er soll vor wirtschaftlichen Nachteilen bewahrt, aber andererseits auch nicht durch eine Doppelversorgung in Gestalt des gleichzeitigen Empfangs von Übergangsgeld und Arbeitsentgelt bereichert werden (Begründung zu § 1246 des Regierungsentwurfs, Drucksache 2437 des Bundestags, 2. Wahlperiode). In diesem Grundgedanken stimmt § 1241 Abs. 3 RVO mit § 189 Abs. 1 RVO überein. Deshalb erscheint es auch folgerichtig, daß beide Leistungen nicht nebeneinander gewährt werden können (vgl. § 183 Abs. 6 Satz 1 RVO idF des Gesetzes vom 12.7.1961 - BGBl. I 913 -). Das nach beiden Vorschriften auf die Leistungen der Versicherungsträger anrechenbare "Arbeitsentgelt" ist daher auch hier wie dort seiner Art und seinem Umfange nach gleichbedeutend.

Schließlich erklärt § 1241 Abs. 3 RVO, seinem Zweck entsprechend, über das "Arbeitseinkommen" hinaus auch "anderes Erwerbseinkommen" für anrechenbar. Zu dem "anderen Erwerbseinkommen" rechnen neben Arbeitsentgelt aus abhängiger Beschäftigung die Einkünfte aus jeder sonstigen Form von Erwerbstätigkeit, also auch aus selbständiger Tätigkeit. Dagegen werden von diesem Tatbestandsmerkmal nicht Einkommen aus Kapitalerträgen, Einnahmen aus Beteiligungen sowie aus Vermietungen und Verpachtungen erfaßt. Einen Hinweis für das richtige Verständnis des Begriffs "Erwerbseinkommen" (vgl. dazu auch § 564 RVO) bietet der inzwischen aufgehobene § 569 b RVO, der sich des nämlichen Ausdrucks bediente (vgl. Schulte-Holthausen, RVO 4. Aufl. Anm. 3 zu § 569 b, wo ausgeführt wird, daß "Erwerbseinkommen" alles ist, was beruflich oder außerberuflich durch geistige oder körperliche Arbeit in selbständiger oder abhängiger Stellung erzielt wird). Das Merkmal des "Erwerbseinkommens" - mag es auch weitergehen als das des "Arbeitseinkommens" (wie es in § 1241 Abs. 2 und § 1385 Abs. 3 Buchst. b RVO erwähnt wird) - wird jedoch durch den Zweck der Norm über das Übergangsgeld begrenzt. Dieses soll, wie dargelegt worden ist, ein Ausgleich für die Beeinträchtigung der Erwerbsmöglichkeit durch eigene Tätigkeit sein. Anders liegt es dagegen bei allen Einkommensarten, die einem Versicherten unabhängig von seiner eigenen Arbeit zufließen. Insoweit läßt die gesetzliche Regelung deutlich erkennen, daß sie diese nicht angerechnet wissen will. Daraus folgt auch, daß die Aufzählung der Einkommensarten im § 1241 Abs. 3 RVO ausschließlich und enumerativ ist und demnach nicht ausgeweitet werden kann.

Wenn neben den erörterten Einkommensarten aaO auch bestimmte Renten für aufrechnungsfähig erklärt werden, so ist dies nur eine scheinbare Ausnahme von dem oben klargestellten Grundsatz. Tatsächlich hängt nämlich die Anrechnung jener Renten mit den bisher erörterten Fragen innerlich nicht unmittelbar zusammen; - sie will keine Ausweitung auf die Anrechnung von Einkommensarten vornehmen, die dem Versicherten ohne gleichzeitige eigene Arbeit zufließen, sondern bezweckt nur eine Entlastung des durch die Durchführung der "Maßnahmen" ohnehin stark in Anspruch genommenen Versicherungsträgers und damit für diese Sonderfälle die Vermeidung einer Doppelbelastung.

Es ergibt sich danach, daß nur derjenige, aber auch jeder, der noch im Arbeitsleben tätig ist und aus dieser Stellung während der Rehabilitationsmaßnahmen fortdauernd Einnahmen erzielt, nicht als benachteiligt gilt. Er wird sich also eine Kürzung oder gar einen Wegfall des Übergangsgeldes gefallen lassen müssen. Ein derart zu verstehendes Erwerbseinkommen ist jedoch nicht die Pension, die der in den Ruhestand getretene Beamte bezieht.

Das hat das Berufungsgericht, wenn auch mit abweichender Begründung, richtig erkannt. Die Revision der Beklagten war infolgedessen zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2379788

BSGE, 204

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