Leitsatz (amtlich)

Unter "Unterhalt" im Sinne der letzten Alternative des RVO § 1265 sind nicht zur Unterhaltsleistungen zu verstehen, die zur Deckung des notwendigen Lebensbedarfs der früheren Ehefrau erforderlich sind; der Versicherte kann Unterhalt geleistet haben, auch wenn die frühere Ehefrau eigene ausreichende Einkünfte hatte.

 

Leitsatz (redaktionell)

Zur Anerkennung von Ehescheidungsurteilen sowjetzonaler Gerichte.

 

Normenkette

RVO § 1265 S. 1 Alt. 3 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 30. Januar 1959 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die Klägerin erstrebt Hinterbliebenenrente als geschiedene Frau. Ihr früherer Ehemann hat der Rentenversicherung angehört. Bei seinem Tode im September 1954 war die Versicherung geordnet.

Die Ehe wurde im April 1953 geschieden (Urteil des Kreisgerichts Leipzig vom 14.4.1953). Die Klägerin verzichtete durch gerichtlichen Vergleich auf Unterhalt.

Im Mai 1953 siedelte die Klägerin von der sowjetischen Besatzungszone in die Bundesrepublik über und nahm in Köln eine Stellung als Buchhalterin und Kassiererin an. Ihr Gehalt betrug monatlich 385,- DM brutto. Sie bekam eine Zweizimmer-Wohnung und kaufte - auf Abzahlung im Gesamtpreis von über 4.500,- DM - die Einrichtungen für ein Doppelschlafzimmer, ein Wohnzimmer und eine Küche.

Im April 1954 flüchtete auch der Versicherte in die Bundesrepublik und lebte wieder mit der Klägerin zusammen. Beide beabsichtigten, sich erneut zu heiraten. Der Versicherte arbeitete in Köln als Zimmermann und verdiente vom 3. Mai bis zu seinem Tode am 4. September 1954 insgesamt 2.070,85 DM brutto, monatlich also über 500,- DM. Er gab, von einem geringfügigen Taschen geld abgesehen, der Klägerin regelmäßig seinen gesamten Lohn. Das beiderseitige Einkommen wurde folgendermaßen verwendet: 250,- DM Haushaltsgeld, 77,- DM Miete, 140,- DM Ratenzahlungen für die Möbel, der Rest für sonstige Anschaffungen wie Gardinen, Geschirr usw.

Die Klägerin beantragte im Februar 1955 Rente als geschiedene Frau. Sie brachte dabei zum Ausdruck, daß sie glaube, möglicherweise statt dessen Anspruch auf Witwenrente zu haben, weil ihre Ehescheidung aus politischen Gründen nur zum Schein erfolgt sei und sie auch nach der Scheidung mit dem Versicherten zusammengelebt hätte. Ihr Antrag wurde in vollem Umfange abgelehnt (Bescheid vom 16.2.1956, Widerspruchsbescheid vom 18.5.1956), auch ihre Klage hatte keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts BSG - Köln vom 9.5.1957). Vor dem Landessozialgericht (LSG Nordrhein-Westfalen beschränkte sie ihren Anspruch auf Hinterbliebenenrente auf die Zeit von Januar 1957 an. Dementsprechend wurde die Beklagte verurteilt. Das LSG ist der Auffassung, Witwenrente könne nicht gewährt werden, weil die Scheidung trotz des geheimen Vorbehalts der Ehegatten rechtswirksam sei. Auch habe keine Unterhaltsverpflichtung des Versicherten z. Zt. seines Todes vorgelegen. Die Zahlungen des Versicherten an die Klägerin von Mai bis September 1954 stellten jedoch eine tatsächliche Unterhaltsleistung im Sinne des § 42 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) n. F. - Unterhaltsleistung im letzten Jahr vor dem Tode - dar. Damit seien die Voraussetzungen für eine Rentengewährung an die Klägerin als der früheren Ehefrau des Versicherten für die Zeit von Januar 1957 an erfüllt. Der Versicherte habe durch die Überlassung seines vollen Lohnes nicht nur den auf ihn entfallenden Beitrag zur gemeinsamen Haushaltsführung erbracht, dafür hätten monatlich etwa 200,- DM ausgereicht; er habe vielmehr den überschießenden Betrag von 100,- bis 170,- DM monatlich der Klägerin als Unterhaltsleistung gegeben. Daß die Klägerin dadurch mehr Geldmittel zur Verfügung gehabt habe, als sie für ihren angemessenen Unterhalt benötigte, ändere an der Wertung der Zahlungen als Unterhaltsleistungen nichts. § 42 AVG n. F. verlange nicht, daß die Unterhaltsleistungen das ganze Jahr hindurch erfolgt seien. Die Revision wurde zugelassen (Urteil vom 30.1.1959).

Die Beklagte legte gegen das ihr am 3. Juni 1959 zugestellte Urteil des LSG am 27. Juni 1959 Revision ein und beantragte, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Köln zurückzuweisen. Sie begründete die Revision - nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 3. September 1959 - am 1. September 1959 mit der Rüge, das Berufungsgericht habe § 42 AVG n. F. nicht richtig angewandt. Sie ist der Meinung, Unterhalt sei nur der Betrag, der zur Deckung des notwendigen Lebensbedarfs des Berechtigten erforderlich sei. Der Ankauf von Einrichtungsgegenständen für die Errichtung eines gemeinsamen Haushalts stelle keine Unterhaltsleistung dar, solche einmaligen Anschaffungen dienten nicht der Befriedigung des laufenden Lebensbedarfs.

Die Klägerin beantragte, die Revision zurückzuweisen; die Hingabe von Mitteln für die notwendige Einrichtung einer Wohnung sei Unterhaltsleistung.

Die Revision ist zulässig, aber unbegründet.

Die Klägerin ist geschieden. Die Scheidungsurteile von Gerichten der sowjetischen Besatzungszone werden in der Bundesrepublik grundsätzlich anerkannt (Art. 17 EGBGB; vgl. Palandt, BGB, 19. Aufl. S. 1682). Umstände, die ausnahmsweise eine andere Beurteilung der Wirksamkeit eines Scheidungsurteils rechtfertigen könnten, z. B. Verstoß des Urteils gegen die guten Sitten, sind weder von der Klägerin vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Die Klägerin kann daher keine Witwenrente, sondern nur Hinterbliebenenrente als frühere Ehefrau des Versicherten beanspruchen. Eine solche Rente wird, falls die Wartezeit erfüllt ist oder als erfüllt gilt, nach dem Tode des Versicherten gewährt, wenn dieser seiner geschiedenen Frau z. Zt. seines Todes Unterhalt zu leisten hatte oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat (§ 42 AVG n. F.). Die erste Alternative scheidet im vorliegenden Rechtsstreit als Rechtsgrundlage aus, weil die Klägerin durch Vergleich wirksam auf Unterhalt verzichtet hatte, so daß für den Versicherten z. Zt. seines Todes keine Pflicht zur Unterhaltsleistung bestand. Die Voraussetzungen der zweiten Alternative sind jedoch erfüllt; der Versicherte hat der Klägerin im letzten Jahr vor seinem Tode freiwillig (vgl. BSG Urteil vom 20.7.1960 - 1 RA 38/59 -) Unterhalt gewährt.

Die Leistungen des Versicherten waren, wenn auch nur zu einem Bruchteil, Unterhalt für die Klägerin. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Versicherte durch die Hingabe seines Lohnes der Klägerin von Mai bis September 1954 Zahlungen geleistet, die erheblich höher waren als ein etwaiger Beitrag, den er als seinen Anteil an der gemeinsamen Haushaltsführung zu leisten gehabt hätte. Das Gericht hat weiter festgestellt, daß die beiderseitigen Einkünfte für die Haushaltsführung und für den Kauf von Einrichtungsgegenständen verbraucht wurden. Bei dieser Sachlage hat das LSG mit Recht einen Teil des vom Versicherten geleisteten Beitrags als Unterhaltsleistung an die Klägerin angesehen. Dazu brauchte es nicht aufzuklären, wie die Klägerin die ihr zur Verfügung stehenden Geldmittel im einzelnen auf den laufenden Unterhalt und auf den Ankauf und die Abzahlungen von Mobiliar verteilte, weil auch die Anschaffung und Erhaltung der Wohnungseinrichtung und des Hausrats begrifflich zum Unterhalt gehören und deshalb Leistungen, die dafür bestimmt und verwandt werden, Unterhaltsleistungen sind. Bei einer gemeinsamen eheähnlichen Lebensführung mit eigenen, aber ungleichen Einkünften der Partner kann nach allgemeiner Lebenserfahrung angenommen werden, daß, falls das Einkommen - wie im vorliegenden Fall - insgesamt für den Haushalt verbraucht wird, etwa die Hälfte der Differenz der beiderseitigen Einkünfte dem Partner zufließt, der weniger verdient und entsprechend weniger beiträgt (vgl. hierzu für das Verhältnis von Ehegatten untereinander, die beide Einkünfte haben, BSG 10 S. 28; 11 S. 198). Der Beitrag des Versicherten war je Monat etwa um 100,- DM höher als der der Klägerin. Die Hälfte dieser Differenz muß als Unterhaltsleistung gewertet werden. Der sich daraus ergebende Betrag von etwa 50,- DM im Monat ist auch, sowohl absolut als auch gemessen an den eigenen Einkünften der Klägerin, nicht so geringfügig, daß er aus diesem Grunde nicht mehr als Unterhalt angesehen werden könnte. Zu dem gleichen Ergebnis, wenn auch über eine andere Berechnung, ist auch das LSG gekommen.

Der Einwand der Beklagten, Unterhaltsleistungen lägen deshalb nicht vor, weil die Klägerin eigenes, für ihre Lebensführung ausreichendes Einkommen gehabt habe, ist nicht begründet. Das Gesetz spricht in § 42 AVG n. F. von Unterhalt schlechthin; es gibt keinen Anhalt dafür, daß darunter nur Beiträge verstanden werden sollen, die zur Deckung des notwendigen Lebensbedarfs erforderlich sind. Im Eherecht ist nicht der notwendige Unterhalt, sondern regelmäßig der angemessene Unterhalt Maßstab für die Leistungen des Verpflichteten (vgl. § 58 Ehegesetz). Aber selbst der angemessene Unterhalt ist nur der Betrag, den der Verpflichtete kraft Gesetzes höchstens zu leisten hat. Über den Begriff des Unterhalts ist damit nichts ausgesagt. Auch darüber hinausgehende Zahlungen zur Bestreitung der Lebensführung bleiben begrifflich Unterhaltsleistungen, mögen sie auch, weil freiwillig gewährt, rechtlich als Schenkungen beurteilt werden. Das schließt jedoch nicht aus, daß es - schenkungsweise gewährte - Unterhaltsleistungen bleiben. Daß Zahlungen auch dann als Unterhaltsleistungen angesehen werden, wenn der angemessene Unterhalt bereits gedeckt ist, folgt auch aus der gesetzlich zugelassenen Möglichkeit, Unterhaltsverträge zu schließen, die die Unterhaltspflicht abweichend von der gesetzlichen Regelung festlegen (vgl. § 72 Ehegesetz). In solchen Verträgen können Beträge vereinbart werden, die über dem angemessenen Unterhalt liegen, ohne daß sie ihren Charakter als Unterhaltsbeträge verlieren.

Die Leistungen des Versicherten sind im letzten Jahr vor seinem Tode erfolgt. Der Unterhalt ist zwar nicht ein volles Jahr hindurch, sondern nur in den letzten vier Monaten gewährt worden; bei den Besonderheiten des in diesem Rechtsstreit zu beurteilenden Sachverhalts ist dies jedoch ausreichend, um die Voraussetzung der letzten Alternative des § 42 zu erfüllen, ohne daß im vorliegenden Fall geklärt zu werden braucht, ob in den Regelfällen - wenn etwa der Versicherte unterhaltsfähig und an Zahlungen nicht gehindert ist - ebenfalls Unterhaltsleistungen während der letzten Monate genügen oder ob dann der Jahreszeitraum kontinuierlich oder doch überwiegend mit Unterhaltsbeiträgen gedeckt sein muß. Selbst wenn man aus § 42 AVG n. F. folgert, daß normalerweise ein ganzes Jahr hindurch Unterhaltszahlungen erfolgt sein müssen, so kann das nach Ansicht des Senats jedenfalls denn nicht gelten, wenn außergewöhnliche Umstände, die der Versicherte weder beeinflussen noch gar beheben konnte, ihn an der Gewährung laufender Unterhaltszahlungen gehindert haben und wenn aus den - nach Wegfall des Hindernisses - geleisteten Zahlungen auf die Absicht regelmäßiger Unterhaltsgewährung geschlossen werden kann (vgl. Jantz-Zweng, Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, S. 129). Ein solch ungewöhnlicher Hinderungsgrund muß in der Tatsache gesehen werden, daß der Versicherte bis April 1954 in der sowjetischen Besatzungszone lebte. Von dorther sind regelmäßige Unterhaltszahlungen an Verwandte oder frühere Angehörige, die in die Bundesrepublik geflüchtet sind, nicht möglich und wegen der politischen Verhältnisse in der sowjetischen Besatzungszone auch schlechterdings nicht zumutbar. Innerhalb des maßgeblichen Jahreszeitraums konnte deshalb die Unterhaltsgewährung erst einsetzen, nachdem der Versicherte ebenfalls in die Bundesrepublik gekommen war. Unmittelbar danach hat er die Unterhaltsleistung freiwillig und tatsächlich auch aufgenommen und bis zu seinem Tode ununterbrochen beibehalten. Aus dem Wunsch, die Klägerin wieder zu heiraten, ergibt sich auch die Absicht, regelmäßig und auf Dauer Unterhalt gewähren zu wollen.

Das Urteil des LSG ist deshalb im Ergebnis richtig.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 279

NJW 1961, 94

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