Entscheidungsstichwort (Thema)

Bemessung des Arbeitslosengeldes

 

Orientierungssatz

1. Zur Bemessung des Arbeitslosengeldes nach § 112 Abs 5 Nr 5 AFG idF vom 7.8.1974 (ab 1.1.1982 § 112 Abs 5 Nr 9 AFG) iVm § 112 Abs 7 AFG.

2. Zivildienstzeiten sind im Rahmen des § 112 Abs 5 Nr 5 AFG (§ 112 Abs 5 Nr 9 AFG), auch wenn davon auszugehen ist, daß der Arbeitslose ohne den Zivildienst beschäftigt gewesen wäre, nicht den Zeiten einer beruflichen Beschäftigung gleichzustellen.

 

Normenkette

AFG § 112 Abs 5 Nr 5 Fassung: 1974-08-07; AFG § 112 Abs 5 Nr 9 Fassung: 1981-12-22; AFG § 112 Abs 7; ArbPlSchG §§ 6, 12

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 20.01.1983; Aktenzeichen L 9 Ar 119/81)

SG Düsseldorf (Entscheidung vom 25.05.1981; Aktenzeichen S 23 Ar 50/80)

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt höheres Arbeitslosengeld (Alg).

Der 1957 geborene Kläger arbeitete nach dem erfolgreichen Abschluß seiner Berufsausbildung vom 1. Oktober bis 20. November 1976 sowie vom 17. Mai 1977 bis 15. Mai 1978 in seinem Beruf als Werbetechniker. Anschließend war er bis zum Beginn seines Zivildienstes (1. August 1978 bis 30. November 1979) arbeitslos.

Auf seinen Antrag bewilligte die Beklagte dem Kläger ab 1. Dezember 1979 Alg, und zwar unter Zugrundelegung eines Stundenlohnes von 9,45 DM, wie ihn der Bundeslohntarifvertrag für das Schilder- und Lichtreklameherstellerhandwerk vom 31. Mai 1979 für Fachgesellen mit abgeschlossener Lehre im 2. Gesellenjahr vorsah; die Berücksichtigung des vom 3. Gesellenjahr an vorgesehenen Stundenlohnes von 11,55 DM lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 3. Januar 1980, Widerspruchsbescheid vom 15. Februar 1980).

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte unter entsprechender Änderung der ergangenen Bescheide verurteilt, bei der Berechnung des Alg einen Betrag von 11,55 DM zugrundezulegen (Urteil vom 25. Mai 1981). Die vom SG zugelassene Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen (Urteil vom 20. Januar 1983).

Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, die Bemessung des Alg richte sich gemäß § 112 Abs 5 Nr 5 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) nach § 112 Abs 7 AFG, weil der Kläger unmittelbar vor Antritt des Zivildienstes keine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung als Arbeiter oder Angestellter ausgeübt habe. Das führe zwar noch nicht zum Stundenlohn eines Gesellen im 3. Gesellenjahr, weil der Kläger zu Beginn des Alg-Anspruchs erst weniger als ein Jahr und zwei Monate als Geselle beschäftigt gewesen sei, doch sei das vom SG gewonnene Ergebnis unter Berücksichtigung allgemeiner arbeits- und sozialversicherungsrechtlicher Schutzbestimmungen für Wehr- und Zivildienstpflichtige gerechtfertigt. Zwar beziehe sich das Arbeitsplatzschutzgesetz (ArbPlSchG) nur auf vor dem Dienstantritt bestehende Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse, so daß dieses Gesetz hier nicht unmittelbar anzuwenden sei. Der Schutz vor beruflichen oder sozialversicherungsrechtlichen Nachteilen aus der Ableistung des Wehr- oder Zivildienstes sei aber hierauf nicht beschränkt. So unterlägen zB Zivildienstleistende, die zunächst versicherungspflichtig beschäftigt, unmittelbar vor der Einberufung jedoch arbeitslos gewesen seien, der Rentenversicherung (§ 1227 Abs 1 Satz 1 Nr 7 Reichsversicherungsordnung).  Dies zeige, daß der Gesetzgeber Wehr- und Zivildienstleistende in beruflicher Hinsicht vor jeglichen Nachteilen schützen wolle. Es sei deshalb im Rahmen des § 112 Abs 5 Nr 5 AFG geboten, Zivildienstzeiten jedenfalls dann Zeiten einer beruflichen Beschäftigung gleichzustellen, wenn davon ausgegangen werden könne, daß der Arbeitslose ohne Zivildienst beschäftigt gewesen wäre, wie das hier der Fall sei. Trotz gewisser Vermittlungsschwierigkeiten sei anzunehmen, daß der Kläger ohne den Zivildienst bis zum 1. Dezember 1979 die ihm an dem 2. Gesellenjahr noch fehlenden zehn Monate als Werbetechniker zurückgelegt hätte.

Die Beklagte rügt mit der Revision eine Verletzung des § 112 AFG sowie des § 103 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und bringt hierzu insbesondere vor: Gemäß § 112 Abs 7 AFG sei von dem am Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort des Arbeitslosen maßgeblichen tariflichen Arbeitsentgelt auszugehen. Der maßgebliche Tarifvertrag stelle bei der Lohnhöhe nicht auf die Betriebszugehörigkeit, sondern auf die Beschäftigungszeit im Beruf ab. In diesen Fällen seien Wehrdienstzeiten nicht anzurechnen (vgl BAG Betrieb 1981, 328). Das gelte für vor Dienstantritt arbeitslose Zivildienstleistende wie vor Dienstantritt als Arbeiter oder Angestellte beitragspflichtige Beschäftigte; eine Ungleichbehandlung liege nicht vor. Diese Rechtsauffassung stehe mit dem ArbPlSchG im Einklang. Der § 6 Abs 2 Satz 2 ArbPlSchG bestimme zwar, daß die Zeit des Grundwehrdienstes als Beschäftigungszeit gelte, jedoch sei diese Vorschrift nur anwendbar, soweit es sich um Tarifordnungen und Tarifverträge des öffentlichen Dienstes handele. Die Vorteile des § 6 Abs 4 ArbPlSchG kämen nur zum Tragen, wenn der Arbeitnehmer im Anschluß an den Grundwehrdienst in seinem bisherigen Betrieb die Arbeit wieder aufnehme. Das gleiche gelte nach § 12 Abs 1 ArbPlSchG, wenn der Arbeitnehmer im Anschluß an seine Dienstzeit eingestellt werde und daraufhin dem neuen Betrieb sechs Monate angehört habe; diese Voraussetzungen lägen hier jedoch nicht vor. Soweit das LSG angenommen habe, daß der Kläger ohne den Wehr- oder Zivildienst als Werbetechniker beschäftigt gewesen wäre, hätte sich das LSG gedrängt fühlen müssen, die Vermittlungsaussichten des Klägers in diesem Beruf näher zu untersuchen. Vor dem Zivildienst sei der Kläger vom 6. Dezember 1976 bis 16. Februar 1977 als Kraftfahrer und vom 14. März bis 8. April 1977 aushilfsweise als Rohrnetzmonteur beschäftigt gewesen. Die jeweiligen Arbeitsverhältnisse seien von Arbeitslosigkeit unterbrochen worden. Nach dem Zivildienst habe er erst am 2. Juni 1980 eine Beschäftigung in einer Steinfabrik aufgenommen, die er am 10. Juni 1980 abgebrochen habe. Seit dem 4. August 1980 habe er die Fachhochschule besucht. Aufgrund dieser Gegebenheiten hätte das LSG weitere Feststellungen hinsichtlich der Vermittelbarkeit des Klägers in dem Beruf des Werbetechnikers für die Zeit vom 1. August 1978 bis 1. Dezember 1979 treffen müssen.

Die Beklagte beantragt,

die ergangenen Urteile aufzuheben und die Klage abzuweisen,

und hilfsweise,

die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Er trägt vor, der Revision sei schon deshalb der Erfolg zu versagen, weil die Beklagte sie allein auf die Rüge der Verletzung des § 112 AFG stütze. Eine Verletzung des Tarifvertrages und des ArbPlSchG rüge die Beklagte nicht. Sie meine lediglich, die Anwendung des Tarifvertrages scheide aus, weil dieser nicht auf die Betriebszugehörigkeit, sondern auf die Dauer der Beschäftigung im Beruf abstelle, ohne jedoch diese Bestimmung des Tarifvertrages zu zitieren und die Feststellung des LSG, daß Zivildienstzeiten den Beschäftigungszeiten als Geselle gleichzustellen seien, mit zulässigen Rügen anzugreifen. Die Beklagte übersehe aber auch, daß nicht die Höhe eines Tariflohnes streitig sei, sondern die Bemessung des Alg nach § 112 Abs 7 AFG. Die Rüge, das LSG hätte sich gedrängt fühlen müssen, über die Vermittlungschancen des Klägers in seinem Beruf weiteren Beweis zu erheben, sei unbegründet. Die Beklagte habe im Berufungsverfahren nicht angeregt, weiteren Beweis zu diesem Thema zu erheben. Darüber hinaus sei es für § 6 Abs 2 ArbPlSchG unerheblich, welche Vermittlungschancen bestanden hätten. Das Ansinnen der Beklagten, rückwirkend für die Zeit des Zivildienstes die Vermittlungschancen festzustellen, habe nur das Ziel, unter Umgehung der Vorschriften des ArbPlSchG einen Tariflohn feststellen zu können, der die Bemessung eines den fiskalischen Möglichkeiten der Beklagten entsprechenden Algs ermöglichen könne.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf höheres Alg; die Beklagte ist zutreffend von einem Stundenlohn von 9,45 DM ausgegangen.

Das Alg beträgt nach § 111 Abs 1 AFG, das hier in der Fassung anzuwenden ist, die es durch das am 1. August 1979 in Kraft getretene Fünfte Gesetz zur Änderung des AFG vom 23. Juli 1979 (BGBl I 1189) erhalten hat, 68 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts. Dieses ist regelmäßig das im Bemessungszeitraum in der Arbeitsstunde durchschnittlich erzielte Arbeitsentgelt, vervielfacht mit der Zahl der Arbeitsstunden, die sich als Durchschnitt der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit der Beschäftigungsverhältnisse im Bemessungszeitraum ergibt (§ 112 Abs 2 Satz 1 AFG). Bemessungszeitraum sind die letzten, am Tage des Ausscheidens des Arbeitnehmers aus dem Beschäftigungsverhältnis abgerechneten, insgesamt 20 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt umfassenden Lohnabrechnungszeiträume der letzten die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung vor der Entstehung des Anspruchs (§ 112 Abs 3 Satz 1 AFG).

Die letzte die Beitragspflicht begründende Beschäftigung vor der Entstehung des Anspruchs am 1. Dezember 1979 war der Zivildienst; denn Zeiten, in denen der Arbeitslose als Wehr- oder Ersatzdienstleistender beitragspflichtig war, wie das für den Kläger aus § 168 Abs 2 Nr 3 AFG folgt, stehen einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gleich (§ 107 Nr 1 AFG). Abweichend von § 112 Abs 2 AFG ist gemäß § 112 Abs 5 Nr 5 AFG bei der Feststellung des Arbeitsentgelts für die Zeit, in der der Arbeitslose als Wehr- oder Zivildienstleistender nach § 168 Abs 2 AFG beitragspflichtig war, das Arbeitsentgelt nach § 112 Abs 7 AFG zugrundezulegen, wenn der Arbeitslose unmittelbar vor Dienstantritt keine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung als Arbeiter oder Angestellter ausgeübt hat. Da das beim Kläger der Fall war, ist gemäß § 112 Abs 7 AFG von dem am Wohnsitz des Klägers maßgeblichen tariflichen oder mangels einer tariflichen Regelung von dem ortsüblichen Arbeitsentgelt derjenigen Beschäftigung auszugehen, für die der Kläger nach seinem Lebensalter und seiner Leistungsfähigkeit unter billiger Berücksichtigung seines Berufes und seiner Ausbildung in Betracht gekommen ist.

Der Kläger hat den Beruf des Werbetechnikers erlernt und vor Antritt des Zivildienstes zuletzt in diesem Beruf gearbeitet. Das tarifliche Arbeitsentgelt richtet sich daher nach dem zwischen dem Zentralverband Werbetechnik (Bundesinnungsverband für Schilder- und Lichtreklamehersteller) und der Industriegewerkschaft Bau-Steine-Erden abgeschlossenen Bundeslohntarifvertrag für das Schilder- und Lichtreklameherstellerhandwerk vom 31. Mai 1979. Die Anwendung der normativen Bestimmungen dieses Lohntarifvertrages auf den Fall des Klägers kann der Senat in vollem Umfange überprüfen. Er ist insoweit nicht an die Feststellungen gebunden, die das LSG über den Inhalt des Tarifvertrages getroffen hat; die Prüfung setzt entgegen der Ansicht des Klägers nicht voraus, daß die Revision den Tarifvertrag zitiert und seine Anwendung durch das LSG rügt. Zwar zählen die normativen Bestimmungen eines Tarifvertrages nicht zum revisiblen Bundesrecht; jedoch gilt der hier maßgebende Lohntarifvertrag nach seinem § 1 im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und des Landes Berlin; seine Bestimmungen gehören damit zu den von § 162 SGG neben dem Bundesrecht für revisibel erklärten sonstigen im Bezirk des Berufungsgerichts geltenden Vorschriften, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt (vgl BSGE 6, 41, 43; BSGE 50, 121, 123 f = SozR 4100 § 117 Nr 3; SozR 4100 § 112 Nr 14).

Der Tarifvertrag sieht in § 2 drei Lohngruppen vor, nämlich die Gruppe 1 "Facharbeiter oder Erstgeselle", die Gruppe 2 "Fachgeselle mit abgeschlossener Lehre" und die Gruppe 3 "Helfer". Innerhalb der Lohngruppe 2 billigt der Tarifvertrag dem Fachgesellen im 1. Gesellenjahr 8,40 DM, im 2. Gesellenjahr 9,45 DM und allen anderen Fachgesellen 11,55 DM in der Stunde zu. Der Tarifvertrag sieht nicht vor, daß Wehr- oder Zivildienstzeiten auf die Gesellenjahre angerechnet werden. Da der Kläger nach dem Abschluß seiner Ausbildung erst knapp 14 Monate als Werbetechniker gearbeitet hat, kann er nach dem Tarifvertrag nur einen Stundenlohn von 9,45 DM erzielen, wie ihn die Beklagte der Bemessung des Alg zugrundegelegt hat. Daß dem Kläger zu einer späteren Zeit - zB nach zehn weiteren Gesellenmonaten - der Stundenlohn von 11,55 DM zustünde, ist ohne Belang; denn maßgebend ist grundsätzlich das Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose am Tage der Arbeitslosmeldung, an dem auch die weiteren Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, erzielen kann (Schönefelder/Kranz/Wanka, Komm zum AFG, § 112 RdNr 28, August 1972). Ob das dann nicht gilt, wenn für eine Probezeit ein geringerer Lohn vorgesehen ist (vgl BSG SozR 4100 § 112 Nr 2; Hennig/Kühl/Heuer, Komm zum AFG, § 112 Anm 14, Juni 1982), bedarf hier keiner Entscheidung; denn der Lohntarifvertrag sieht den Stundenlohn von 9,45 DM nicht für eine Probezeit, sondern für das ganze 2. Gesellenjahr vor.

Aufgrund des gemäß § 78 Abs 1 Nr 1 des Zivildienstgesetzes idF der Bekanntmachung vom 9. August 1973 (BGBl I 1015) für anerkannte Kriegsdienstverweigerer wie den Kläger entsprechend geltenden Gesetzes über den Schutz des Arbeitsplatzes bei Einberufung zum Wehrdienst (ArbPlSchG) vom 30. März 1957 (BGBl I 293), beide Gesetze hier anwendbar in der Fassung, die sie durch das Fünfte Gesetz zur Änderung des Unterhaltssicherungsgesetzes vom 16. Juli 1979 (BGBl I 1013) erhalten haben, hätte der Kläger zu dem hier maßgebenden Zeitpunkt von einem Arbeitgeber des Schilder- und Lichtreklameherstellerhandwerks kein höheres Arbeitsentgelt beanspruchen können. Das folgt allerdings nicht schon aus dem Umstand, daß sich das ArbPlSchG auf den Schutz der vor dem Dienstantritt bestehenden Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnisse beschränkt hätte, wie das LSG gemeint hat; denn das ist unrichtig.

Es kann dahingestellt bleiben, ob nicht nur die unmittelbare Anwendung des § 6 Abs 1 ArbPlSchG, sondern auch die des § 6 Abs 2 bis 4 ArbPlSchG erst in Betracht kommt, wenn der Arbeitnehmer das während des Grundwehrdienstes (Zivildienstes) ruhende Arbeitsverhältnis nach Beendigung des Dienstes fortsetzt, wie die amtliche Überschrift der Vorschrift ("Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses") nahelegt (vgl dazu jedoch Begründung zu Art 1 Nr 4b des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des ArbPlSchG, BT-Drucks V/1397 S 6; widersprüchlich Sahmer, Komm zum ArbPlSchG, 3. Aufl 1971, § 6 Anm 9, 16 einerseits, Anm 13, 26 andererseits). Jedenfalls setzt die unmittelbare Anwendung des § 6 ArbPlSchG voraus, daß während des Wehrdienstes (Zivildienstes) ein Arbeitsverhältnis ruht bzw geruht hat, woran es im Falle des Klägers fehlt, da er unmittelbar vor dem Dienstbeginn arbeitslos war. Indessen sind Personen, die anschließend an den Wehrdienst (Zivildienst) erstmals Arbeitnehmer werden oder, was beim Kläger in Betracht gekommen wäre, ein neues Arbeitsverhältnis (bei ihrem früheren oder einem anderen Arbeitgeber) begründen, von den Vergünstigungen des § 6 Abs 2 bis 4 ArbPlSchG nicht ausgenommen; denn wenn ein entlassener Soldat im Anschluß an den Grundwehrdienst (Zivildienst) als Arbeitnehmer eingestellt wird, gilt § 6 Abs 2 bis 4 nach § 12 Abs 1 Satz 1 ArbPlSchG.

Mithin ist auch bei dem Personenkreis, zu dem der Kläger gehört, die Zeit des Grundwehrdienstes auf die Berufs- und Betriebszugehörigkeit anzurechnen (§§ 6 Abs 2 Satz 1, 12 Abs 1 Satz 1 ArbPlSchG). Bewährungszeiten, die für die Einstufung in eine höhere Lohn- oder Vergütungsgruppe vereinbart sind, verkürzen sich allerdings nicht um die Zeit des Grundwehrdienstes; jedoch erhält der Arbeitnehmer auch in den Fällen des § 12 Abs 1 Satz 1 ArbPlSchG während der Zeit, um die sich die Einstufung in eine höhere Lohn- oder Vergütungsgruppe durch den Wehrdienst (Zivildienst) verzögert, von seinem Arbeitgeber zum Arbeitsentgelt eine Zulage in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen seinem Arbeitsentgelt und dem Arbeitsentgelt, das ihm bei der Einstufung in die höhere Lohn- oder Vergütungsgruppe zustehen würde (§ 6 Abs 4 ArbPlSchG).

Indessen gilt der § 6 Abs 2 bis 4 ArbPlSchG nach § 12 Abs 1 Satz 1 ArbPlSchG erst, nachdem der entlassene Soldat sechs Monate lang dem Betrieb oder der Verwaltung angehört. Dies hat zur Folge, daß die Anrechnung erst nach sechs Monaten erfolgt bzw der Arbeitnehmer erst nach sechs Monaten ggfs Anspruch auf die Zulage hat. Was der Kläger aber erst sechs Monate nach Einstellung erzielen könnte, ist für das Arbeitsentgelt, das der Bemessung des Alg zugrundezulegen ist, nicht entscheidend; denn nach § 112 Abs 7 AFG ist grundsätzlich das Arbeitsentgelt maßgebend, das der Arbeitslose am Tage der Arbeitslosmeldung erzielen kann. Es stellt sich daher nicht die Frage, ob die Zivildienstzeiten gemäß §§ 6 Abs 2 Satz 1, 12 Abs 1 Satz 1 ArbPlSchG auf die Gesellenjahre iS des § 2 des Bundeslohntarifvertrages angerechnet werden können, was die Revision bestreitet, oder ob dem Kläger nicht jedenfalls ein Anspruch auf die Zulage nach §§ 6 Abs 4, 12 Abs 1 Satz 1 ArbPlSchG nach einer sechsmonatigen Beschäftigung zustehen könnte.

Das LSG ist zwar auch zu dem Ergebnis gelangt, daß das ArbPlSchG eine höhere tarifliche Einstufung des Klägers nicht rechtfertigt. Es hat jedoch gemeint, es sei im Rahmen des § 112 Abs 5 Nr 5 AFG dennoch geboten, jedenfalls dann Zivildienstzeiten Zeiten einer beruflichen Beschäftigung gleichzustellen, wenn davon auszugehen sei, daß der Arbeitslose ohne den Zivildienst beschäftigt gewesen wäre. Dem kann nicht gefolgt werden. Wie die Nachteile, die der Arbeitnehmer durch Wehr- oder Zivildienst in der Arbeitslosenversicherung bei Arbeitslosigkeit nach Dienstende erleiden könnte, auszugleichen sind, hat der Gesetzgeber im AFG geregelt. Diese Regelung, die dem System der Alg-Bemessung angepaßt ist, ist abschließend; sie weist für Fälle wie dem vorliegenden keine ausfüllungsbedürftige Lücke auf.

Die Regelung des § 112 Abs 5 Nr 5 AFG geht, was das LSG übersehen hat, letztlich auf § 14 ArbPlSchG idF vom 30. März 1957 (BGBl I 293) zurück. Diese Vorschrift änderte das damalige Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG). Sie führte die Versicherung der Arbeitnehmer während des Grundwehrdienstes ein und stellte durch Änderung des § 105 Abs 4 Nr 4 AVAVG (= § 90 Abs 6 Nr 4 AVAVG idF des Zweiten Änderungsgesetzes zum AVAVG vom 7. Dezember 1959, BGBl I 705) sicher, daß der Bemessung des Alg das tarifliche oder - soweit ein Tarif fehlt - das ortsübliche Entgelt derjenigen Beschäftigung zugrundegelegt wird, für die der Arbeitslose nach seinem Lebensalter und seinem Leistungsvermögen unter billiger Berücksichtigung seines Berufs und seiner Ausbildung in Frage kommt. Der Gesetzgeber ist dabei davon ausgegangen, daß dieses Entgelt in aller Regel dem entspricht, das der Wehrpflichtige verdient hätte, wenn er nicht einberufen worden wäre (vgl Begründung zu § 17 Nr 2 des Entwurfs des ArbPlSchG, BT-Drucks II/3117 S 21). Für den Fall, daß diese Annahme nicht zutrifft, hatte der Gesetzgeber keine Sonderregelung vorgesehen. Hieraus folgt, daß ein darüber hinausgehender Nachteil nicht auszugleichen war.

Das AFG hat in seiner ursprünglichen Fassung diese Regelung zunächst inhaltlich unverändert in § 112 Abs 5 Nr 3 AFG übernommen; mit der Neufassung des § 112 Abs 5 AFG durch § 36 Nr 11 des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation vom 7. August 1974 (BGBl I 1881) ist ihr Anwendungsbereich jedoch eingeschränkt worden. Seitdem gilt das Arbeitsentgelt nach § 112 Abs 7 AFG nicht mehr für alle Wehr- und Zivildienstleistenden, sondern nur noch für diejenigen, die - wie der Kläger - unmittelbar vor Dienstantritt keine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung als Arbeiter oder Angestellter ausgeübt haben (§ 112 Abs 5 Nr 5, seit dem 1. Januar 1982 § 112 Abs 5 Nr 9 AFG). Diese Änderung sollte die bis zum Dienstantritt übertariflich entlohnten Arbeitslosen begünstigen und verhindern, daß ihr Alg nur nach dem Tarif bemessen wird. Nach den Vorstellungen der Bundesregierung, die diese Änderung vorgeschlagen hatte, sollte allen Arbeitslosen, die unmittelbar bis zum Dienstantritt beschäftigt waren, das Alg nach dem vor der Einberufung erzielten - gegebenenfalls gemäß § 112a AFG zu dynamisierenden - Arbeitsentgelt bemessen werden (Begründung zu § 34 Nr 11 des Entwurfs des Rehabilitationsangleichungsgesetzes, BT-Drucks 7/1237 S 78). Ob der § 112 AFG diese mit der Gesetzesänderung verfolgte Absicht zutreffend wiedergibt, ist zweifelhaft; jedoch kann dies hier dahinstehen. Die Gesetzesänderung macht jedenfalls deutlich, daß der Gesetzgeber die Bemessung des Alg von ehemaligen Wehr- und Zivildienstleistenden nach dem tariflichen oder ortsüblichen Entgelt weiterhin als angemessen angesehen hat, wenn unmittelbar vor Dienstantritt keine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung als Arbeiter oder Angestellter ausgeübt worden ist. Das haben die Gerichte zu beachten, zumal auch die Bemessung des Alg nach dem vor der Einberufung erzielten Arbeitsentgelt zwar über § 112a AFG die allgemeine Lohnentwicklung während des Wehr- oder Zivildienstes, nicht aber den Lohn berücksichtigt, den der Arbeitslose hätte erzielen können, wenn er keinen Wehr- oder Zivildienst geleistet hätte. So kommen insbesondere tariflich entlohnte Arbeitnehmer nicht in den Genuß einer Alg-Bemessung nach einer höheren tariflichen Einstufung, die sie erreicht hätten, wenn sie keinen Wehr- oder Zivildienst hätten leisten müssen. Auch deshalb besteht kein Grund, bei der Bemessung nach § 112 Abs 5 Nr 5 und Abs 7 AFG eine vermutete Entwicklung zu berücksichtigen, zumal da es dem mit § 112 Abs 7 AFG vorgegebenen Maßstab widerspräche, eine Stundenvergütung oder neben dem Stundenlohn Zulagen zum Stundenlohn der Bemessung zugrundezulegen, die der Arbeitslose nach seinem Lebensalter und seiner Leistungsfähigkeit unter billiger Berücksichtigung seines Berufes und seiner Ausbildung noch nicht erzielen kann.

Die Beklagte hat daher zu Recht der Alg-Bemessung die Stundenvergütung für das 2. Gesellenjahr von 9,45 DM zugrundegelegt; ihrer Revision kann daher der Erfolg nicht versagt werden.

Zur Rüge der Beklagten, das LSG habe § 103 SGG verletzt, bedarf es keiner Entscheidung, weil die Frage der Vermittlungsfähigkeit des Klägers während seines Zivildienstes, die das LSG unterstellt hat, für die abschließende Entscheidung des Senats rechtlich unerheblich ist, wie aus den obigen Ausführungen ersichtlich ist.

Die angefochtenen Urteile sind daher aufzuheben; die Klage ist abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1659567

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