Verfahrensgang

SG Frankfurt am Main (Urteil vom 26.06.1979)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt vom 26. Juni 1979 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Kläger wendet sich gegen ein von der Beklagten angenommenes Ruhen seines Anspruchs auf Arbeitslosengeld (Alg).

Der 1919 geborene Kläger, von Beruf Graveur, war vom 5. September 1950 bis zum 31. März 1978 als Einrichter bei der Firma V.D.M. (VDM) AG beschäftigt. Der Kläger ist Mitglied der Industriegewerkschaft Metall, die VDM-AG ist Mitglied des Arbeitgeberverbandes der Hessischen Metallindustrie eV. Die Firma kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 28. Dezember 1977 zum 31. März 1978 wegen Betriebseinschränkungen im Werk H., in dem auch der Kläger beschäftigt war. Aus diesem Anlaß war am 15. Dezember 1977 mit dem Betriebsrat dieses Werkes ein Interessenausgleich und Sozialplan vereinbart worden. Der Kläger erhielt aufgrund dessen eine Abfindung in Höhe von 29.621,– DM.

Der Kläger meldete sich am 4. April 1978 arbeitslos und beantragte Alg. Mit Bescheid vom 11. Mai 1978 bewilligte die Beklagte Alg für 312 Wochentage, jedoch erst mit Wirkung ab 13. Juli 1978. Zur Begründung gab die Beklagte an, der Anspruch ruhe gemäß § 117 Abs. 2, 3 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) bis zum 12. Juli 1978, weil das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden Frist beendet worden sei und der Kläger im Zusammenhang mit dieser Beendigung die Abfindung erhalten habe. Der Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 25. Juli 1978 als unbegründet zurückgewiesen.

Durch Urteil vom 26. Juni 1979 hat das Sozialgericht (SG) den Bescheid der Beklagten vom 11. Mai 1978 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Juli 1978 abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Alg ab dem 4. April 1978 in gesetzlichem Umfang zu zahlen. Das SG hat die Berufung und die Revision zugelassen.

Zur Begründung hat das SG im wesentlichen ausgeführt: Der § 117 Abs. 2 AFG sei nicht anzuwenden, da das Arbeitsverhältnis nicht ohne Einhaltung der vom Arbeitgeber zu beachtenden Frist vorzeitig, sondern fristgerecht beendet worden sei. Insoweit sei maßgebend gewesen § 23 Abs. 2 des Manteltarifvertrages für gewerbliche Arbeitnehmer in der Eisen-Metall- und Elektroindustrie des Landes Hessen vom 10. Mai 1966 idF vom 27. März 1976 (MTV), wonach die Kündigungsfrist im Falle des Klägers drei Monate zum Quartalsende betragen habe. Dem stehe nicht die Regelung in § 8 Nr. 1 des für den Bereich des MTV geltenden Tarifvertrages über Verdienstsicherung und Kündigungsschutz für leistungsgeminderte ältere Arbeitnehmer vom 27. Januar 1975 (TV) entgegen, der dem Kläger Unkündbarkeit einräume; denn der Kündigungsschutz nach § 8 Nr. 1 TV stehe wegen Nr. 2a) dieser Vorschrift von vornherein unter der Bedingung, daß ein Sozialplan nicht bestehe. Bestehe ein solcher, bleibe es bei den ordentlichen Kündigungsfristen des MTV. Die Gesamtregelung des § 8 TV sei ohne weiteres als ein Kompromiß zwischen den sich widerstreitenden Interessen der Tarifpartner verständlich. Die Tarifvertragsparteien seien auch frei, zu bestimmen, ob überhaupt und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen der gesetzliche Kündigungsschutz zugunsten der Arbeitnehmer durch Erweiterung der ordentlichen Kündigungsfristen und (oder) die Beschränkung der Kündigung auf den Fall des wichtigen Grundes verbessert werden solle. Kamen als der „ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechende Frist” mehrere verschiedene Fristen in Betracht, so sei auch die danach kürzere eine ordentliche Kündigungsfrist des Arbeitgebers. Dem Sinn des § 117 AFG würde es nur widersprechen, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer gerade mit Blick auf dessen Rechtswirkungen und ohne sonstige sachliche Rechtfertigung eine einschränkende Abweichung von bestehenden Kündigungsfristen vereinbaren würden. Das sei hier jedoch nicht der Fall, da gerade die früheren – ordentlichen – Kündigungsfristen gelten sollten, wenn ein Sozialplan bestehe. Damit bewirke die Abfindung nicht das Ruhen des Alg gemäß § 117 AFG; sie erweise sich ihrem Inhalt nach vielmehr vollständig als Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes und der im Laufe des Arbeitsverhältnisses erwachsenen Vorteile und diene der Erleichterung und Überbrückung für die erste Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Mit ihrer Sprungrevision, der der Kläger zugestimmt hat, rügt die Beklagte die Verletzung von § 117 Abs. 2 AFG. Sie führt dazu aus: Ziel des § 117 Abs. 2 AFG sei es, das Ruhen des Anspruchs auf Alg zu bestimmen, wenn eine grundsätzlich einzuhaltende Kündigungsfrist abbedungen und (hierfür) eine Abfindung gezahlt werde. Unter den „der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist” iS des § 117 Abs. 2 AFG könne nur die Frist verstanden werden, die der Arbeitgeber ohne die Abfindung einzuhalten hätte. Es müßten diejenigen Kündigungsfristen außer Betracht bleiben, die nur gelten, wenn wegen der nach ihrem Ablauf eintretenden Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung gewährt werde. Eine Berücksichtigung solcher Kündigungsfristen würde dazu führen, daß die Regelung des § 117 Abs. 2 AFG weitgehend durch einzel- oder kollektivvertragliche Vereinbarungen abbedungen werden könnte.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt vom 26. Juni 1979 aufzuheben und die Klage abzuweisen sowie zu entscheiden, daß außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten sind.

Der Kläger beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Er beruft sich darauf, daß § 117 Abs. 2 AFG auf den vorliegenden Fall schon deshalb nicht anzuwenden sei, weil das Arbeitsverhältnis mit Einhaltung der einer der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist beendet worden ist. Der Kläger sei nicht nach § 8 Nr. 1 TV „unkündbar” gewesen. Er habe nur einen bedingten Anspruch auf Unkündbarkeit seines Arbeitsverhältnisses gehabt. Die Unkündbarkeit gelte nämlich nicht beim Vorliegen eines Sozialplanes (§ 8 Nr. 2 TV). Ohne diese Regelung wäre es nicht zu der in § 8 Nr. 1 TV festgelegten Unkündbarkeit gekommen. Daraus, daß der Kläger unter § 8 Nr. 2 TV falle, folge weiter, daß die Abfindung ausschließlich als Entschädigung bzw Ausgleich für den Verlust eines sozialen Besitzstandes gedacht sei, und daher kein Entgelt im Sinne des § 117 Abs. 1 AFG darstelle.

 

Entscheidungsgründe

II

Die zulässige Sprungrevision der Beklagten ist nicht begründet. Ein Ruhen des Anspruchs des Klägers auf Alg nach § 117 AFG ist nicht eingetreten.

Nach den unangegriffenen Feststellungen des SG, an die der Senat gemäß § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gebunden ist, erfüllte der Kläger mit seiner Arbeitslosmeldung und Antragstellung am 4. April 1978 von diesem Tage an die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Alg für 312 Wochentage (§§ 100 ff AFG). Das SG hat zutreffend entschieden, daß dieser Anspruch nicht gemäß § 117 AFG bis zum 12. Juli 1978 geruht hat; es hat dementsprechend zu Recht den die Alg-Zahlung bis zu diesem Zeitpunkt verweigernden Verwaltungsakt abgeändert.

Dieser Entscheidung des Senats steht es nicht entgegen, daß die Alg-Zahlung an den Kläger nach dem Inhalt des angefochtenen Verwaltungsaktes gegebenenfalls ab 13. Juli 1978 eingesetzt hatte. Dadurch ist sein rechtliches Interesse an einer Sachentscheidung durch das Revisionsgericht nicht entfallen, eine Frage, die bei einer zugelassenen Revision auch von Amts wegen zu prüfen ist (vgl. Urteil des Senats vom 11. Dezember 1979 – 7 RAr 10/79 – mwN); denn einmal wurde der Kläger durch den angefochtenen Verwaltungsakt auf den vorzeitigen Verbrauch seiner Eigenmittel für die Lebensunterhaltung verwiesen, zum anderen verkürzte sich im Falle der Arbeitsaufnahme nach dem 13. Juli 1978 sein Anspruch auf Alg-Zahlung, im Falle fortbestehender Arbeitslosigkeit ein möglicher Anspruch auf Arbeitslosenhilfe (Alhi). Das reicht aus, um das fortbestehende Rechtsschutzinteresse des Klägers an der Entscheidung zu bejahen, ob die Verweigerung der Alg-Zahlung für die Zeit vom 4. April bis 12. Juli 1978 rechtens war oder nicht.

Als Grundlage für das von der Beklagten angenommene Ruhen des Alg-Anspruchs des Klägers in dieser Zeit kommt lediglich § 117 Abs. 2 und 3 AFG in Betracht, und zwar in der Fassung des Vierten Gesetzes zur Änderung des AFG vom 12. Dezember 1977 (BGBl I 2557 – 4. AFG-ÄndG). Das SG hat bereits zutreffend darauf hingewiesen, daß der Senat diese Regelung für verfassungsgemäß hält (BSGE 46, 20 = SozR 4100 § 117 Nr. 2).

Nach § 117 Abs. 2 AFG ruht der Anspruch auf Alg in näher bestimmtem Umfange, wenn der Arbeitslose wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung erhalten oder zu beanspruchen hat und das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigung des Arbeitgebers entsprechenden Frist beendet worden ist. Die Dauer des Ruhens regelt im einzelnen § 117 Abs. 3 AFG.

Die Voraussetzungen des § 117 Abs. 2 Satz 1 AFG sind hier nicht gegeben. Das SG hat zwar festgestellt, daß der Kläger die Abfindung wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhalten hat. Das Arbeitsverhältnis des Klägers ist jedoch nicht ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist beendet worden. Maßgebend hierfür ist der beendete Arbeitsvertrag des Arbeitslosen.

Die für das Arbeitsverhältnis des Klägers maßgebliche Kündigungsfrist betrug drei Monate zum Quartalsende; denn § 23 Abs. 2 MTV, der für die nach den Feststellungen des SG tarifgebundenen Arbeitsvertragsparteien gültig war, bestimmt diese Kündigungsfrist für beide Parteien, wenn der Arbeitnehmer – wie hier – das 55. Lebensjahr vollendet und dem Betrieb zwanzig Jahre angehört hat. Die VDM-AG hat diese Frist mit ihrer Kündigung vom 28. Dezember 1977 zum 31. März 1978 eingehalten.

Die genannte Kündigungsfrist galt im Falle des Klägers bei Ausspruch der Kündigung ungeachtet der Regelung in § 8 TV. Dieser Tarifvertrag hat nach seinem § 1 den gleichen räumlichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereich wie der MTV, erfaßte somit auch das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der VDM-AG. § 8 TV lautet:

„Kündigungsschutz

  1. In Betrieben mit in der Regel mindestens 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern kann einem Arbeitnehmer, der das 55., aber noch nicht das 65. Lebensjahr vollendet und dessen Arbeitsverhältnis in dem Unternehmen zu diesem Zeitpunkt mindestens 10 Jahre ununterbrochen bestanden hat, das Arbeitsverhältnis nur noch aus wichtigem Grunde gekündigt werden.
  2. Ziffer 1 gilt nicht bei

    1. Vorliegen eines für den betroffenen Arbeitnehmer geltenden Sozialplanes
    2. Änderungskündigungen zum Zwecke innerbetrieblicher Versetzungen und Versetzungen im Rahmen des Unternehmens bzw. Konzerns, wenn damit keine Veränderung des Wohnsitzes erforderlich wird.”

Das SG hat festgestellt, daß die betrieblichen und persönlichen Voraussetzungen für den Eintritt des Kündigungsschutzes nach § 8 Nr. 1 TV im Falle des Klägers zwar gegeben waren; es hat die Regelung jedoch dahin ausgelegt, daß dadurch die Kündigungsfrist des § 23 Abs. 2 MTV nicht zeitlich unbegrenzt ausgeschlossen war, sondern von vornherein nur unter der Bedingung, daß ein Sozialplan nach § 8 Nr. 2a) TV nicht besteht. Bestehe ein solcher, so bleibe es für alle betroffenen Arbeitnehmer bei den ohne § 8 Nr. 1 TV gegebenen Kündigungsmöglichkeiten, im Falle des Klägers bei der des § 23 Abs. 2 MTV. Der Senat tritt dieser Auslegung bei. Er ist an einer eigenen Auslegung des TV nicht durch § 162 SGG gehindert, obwohl es sich bei der Tarif Vorschrift weder um eine solche des Bundesrechts handelt noch ersichtlich ist, daß dieser TV sich über das Land Hessen und damit über den Bezirk des im Falle einer Berufung zuständigen Hessischen Landessozialgerichts erstreckt. Zu den sonstigen im Bezirk des Berufungsgerichts geltenden und die Revisibilität im Sinne von § 162 SGG insgesamt eröffnenden Vorschriften zählen nämlich auch inhaltsgleiche Vorschriften, die in Bezirken anderer Landessozialgerichte gelten, jedenfalls sofern die Übereinstimmung nicht nur zufällig ist (vgl. BSGE 1, 98, 100; 3, 77, 80; 13, 189, 191). Dies gilt auch für normative Bestimmungen in Tarifverträgen (vgl. BSGE 6, 41, 43), wie es hier der Fall ist. Wörtlich mit § 8 TV übereinstimmende Kündigungsausschlußklauseln hat die IG Metall nämlich zB auch für Tarifbezirke in Rheinland-Pfalz abgeschlossen (vgl. Ziffer III des Tarifvertrages zwischen der IG Metall und dem Verband der pfälzischen Metallindustrie über Verdienst Sicherung und Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer vom 21. Februar 1975 sowie § 8 des Tarifvertrages der IG Metall mit dem Industrieverband Schmuck- und Metallwaren für die Schmuck- und Metallwarenindustrie des Kreises B. vom 26. April 1976).

Das SG hat ferner festgestellt, daß zwischen der VDM-AG und dem Betriebsrat des Firmenwerks H. am 15. Dezember 1977 ein Interessenausgleich und ein Sozialplan vereinbart worden sind. Seine Schlußfolgerung, daß zu Gunsten des Klägers nicht mehr die Unkündbarkeit nach § 8 Nr. 1 TV galt, sondern gemäß § 8 Nr. 2a) TV (wieder) die vom Arbeitgeber hier eingehaltene Kündigungsfrist des § 23 Abs. 2 MTV, ist nicht zu beanstanden. Das Arbeitsverhältnis des Klägers ist deshalb durch die Kündigung vom 28. Dezember 1977 mit Wirkung zum Ende des 1. Quartals 1978 rechtmäßig aufgelöst worden.

Bei der hier gewahrten und rechtswirksamen Kündigungsfrist des § 23 Abs. 2 MTV von drei Monaten zum Quartalsende handelte es sich im Falle des Klägers um eine der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechende Frist im Sinne von § 117 Abs. 2 Satz 1 AFG. Der Begriff der „ordentlichen Kündigungsfrist” ist gesetzlich nicht normiert. Im allgemeinen versteht man darunter diejenigen Fristen, die der Kündigende nach gesetzlicher, kolletiv- oder einzelvertraglicher Regelung für seine Kündigungserklärung einhalten muß, um ein unbefristete Arbeitsverhältnis einseitig beenden zu können (vgl. Hueck-Nipperday, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 7. Aufl., Erster Band, §§ 57 ff; Zöllner, Arbeitsrecht, 2. Aufl., § 22 II). Im Gegensatz dazu steht die sogenannte außerordentliche Kündigung, die unter bestimmten Voraussetzungen grundsätzlich ohne Frist möglich ist, aber auch befristet erfolgen kann (vgl. Bundesarbeitsgericht –BAG– in AP Nr. 15 zu § 626 BGB). Die mit Frist erklärte außerordentliche Kündigung verliert den Charakter als außerordentliche Kündigung allerdings dann, wenn dem Gekündigten nicht klar erkennbar ist, daß aus wichtigem Grund gekündigt wird (vgl. BAG in AP Nr. 31 zu § 626 BGB). Die außerordentliche Kündigung ist eine vorzeitige Kündigung, die insbesondere bei Vorliegen eines wichtigen Grundes zulässig ist, also eines besonderen Anlasses bedarf, der regelmäßig auch bei der Kündigung angegeben werden muß (Hueck-Nipperday, aaO, § 56 VI 2; Zöllner, aaO, § 22 I 5; vgl. auch Palandt, Kommentar zum BGB, 35. Aufl., Anm. 3 zu § 626). Diese insgesamt nicht scharf abgegrenzten definitorischen Beschreibungen der „ordentlichen” und der „außerordentlichen” Kündigung und der jeweils maßgebenden Fristen, wie sie im Arbeitsrecht entwickelt worden sind, lassen die Entscheidung, ob die dem Kläger erklärte Kündigung und die dabei beachtete Frist nach § 23 Abs. 2 MTV eine jeweils „ordentliche” oder „außerordentliche” in diesem Sinne war, zweifelhaft erscheinen. Einerseits war für ihre rechtliche Wirksamkeit das äußere Ereignis des Abschlusses eines Sozialplanes erforderlich, um die grundsätzliche Unkündbarkeit des Klägers zu beseitigen. Andererseits ergab diese Wirksamkeit sich ohne weiteres aus dessen Vorliegen gemäß § 8 Nr. 2a) TV iVm § 23 Abs. 2 MTV. Zudem entsprach sie nach Charakter und Fristbestimmung der allgemeinen tariflichen Kündigungsabrede.

Indessen bedarf es dazu keiner abschließenden kündigungs- bzw arbeitsrechtlichen Wertung. Nach Auffassung des Senats ergibt sich der Charakter der Kündigungsfrist aus § 23 Abs. 2 MTV als einer der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist im Sinne von § 117 Abs. 2 Satz 1 AFG hier aus Inhalt, Sinn und Zweck dieser Vorschrift im Zusammenhang mit der vorliegenden besonderen Fallgestaltung. Dem entspricht übrigens die Auffassung des Bundestagsausschusses für Arbeit, wonach die Neuregelung des § 117 AFG durch das 4. AFG-ÄndG nur das Verhältnis des Arbeitslosen zur Arbeitslosenversicherung betreffe und keine Auswirkungen auf das Arbeitsrecht habe (vgl. BT-Drucks 8/1053 S 13).

Mit der Schaffung des § 117 AFG ging der Gesetzgeber von dem Grundgedanken aus, daß Leistungen, die der Arbeitslose im Zusammenhang mit einem vorzeitigen Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis erhält oder zu beanspruchen hat, unter anderem zur Abfindung von Ansprüchen auf Arbeitsentgelt für die Zeit der normalen (ordentlichen) Kündigungsfrist bestimmt sind (vgl. BT-Drucks V/2291, Begründung zu § 106 Abs. 2). Abfindungen, die nach ordentlicher Kündigung gewährt würden, seien folglich ohne Einfluß auf den Anspruch auf Alg (vgl. Schriftlichen Ausschußbericht, zu BT-Drucks V/4110, Begründung zu § 106 Abs. 2), Die Neufassung des § 117 Abs. 2 AFG durch das 4. AFG-ÄndG erfaßt mit Ruhenswirkung ebenfalls alle Fälle der vorzeitigen Beendigung eines Arbeitsverhältnisses. Das Gesetz enthält damit die unwiderlegbare Vermutung, daß Abfindungen, Entschädigungen und ähnliche Leistungen, die wegen der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gewährt werden, in einem bestimmten, durch § 117 Abs. 3 AFG pauschalierten Umfang Arbeitsentgelt enthalten (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs eines 4. AFG-ÄndG, BT-Drucks 8/857 S 9; Schönefelder/Kranz/Wanka, Kommentar zum AFG, 5. Lieferung, Stand Juni 1978, RdNr. 12 zu § 117).

Zur Auslegung des § 117 Abs. 2 AFG ist ferner der Grundsatz aus Abs. 1 heranzuziehen, wie der Senat bereits entschieden hat (BSGE 46, 20, 29 = SozR 4100 § 117 Nr. 2). Der Senat hat mit zahlreichen weiteren Nachweisen (aaO) ausgeführt, daß § 117 Abs. 1 AFG den Doppelbezug von Arbeitsentgelt und Alg verhindern soll, und daß dieses Ziel ohne die Regelung des Abs. 2 umgangen werden könnte. In der vereinfachten und typisierten Aussage des § 117 Abs. 2 AFG wird dieser Doppelbezug (bis zu den Grenzen des Abs. 3) vermutet, solange das Arbeitsverhältnis vor Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist beendet wird. Das setzt aber begrifflich voraus, daß der Arbeitnehmer eigentlich Anspruch auf die Einhaltung einer längeren Kündigungsfrist gehabt hätte, als sie der Arbeitgeber eingehalten hat, und er – der Arbeitnehmer – die Verkürzung, wie auch immer, durch sein Verhalten ermöglicht und hingenommen hat.

Eine solche mit der Absicht des § 117 Abs. 2 AFG verbundene Sachlage ist nach Auffassung des Senats in einem Falle wie dem des Klägers jedoch nicht gegeben. Die für ihn rechtswirksam geltende Kündigungsfrist des § 23 Abs. 2 MTV ist eine direkte Folge der Vereinbarung des Sozialplanes zwischen seinem Arbeitgeber und dem Betriebsrat. Die Beseitigung der ihm in § 8 Nr. 1 TV zunächst eingeräumten Unkündbarkeit durch diesen Sozialplan war bereits in derselben tarifvertraglichen Vereinbarung angelegt (§ 8 Nr. 2a) TV) und vom Kläger als Einzelperson grundsätzlich nicht zu beeinflussen. Das SG hat mit Recht darauf hingewiesen, daß die Regelung des TV, insbesondere seines § 8, objektiv einem beiderseitigen, wohlverstandenen Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und schutzbedürftigem Arbeitnehmer dienen soll. Dem Bedürfnis von älteren und leistungsgeminderten Arbeitnehmern nach verstärktem Schutz der Arbeitsplätze einerseits und dem verständigen Interesse des Arbeitgebers nach personalwirtschaftlicher Flexibilität in Fällen einschneidender betrieblicher Strukturveränderungen andererseits (dem übrigens das Interesse von jüngeren und nicht leistungsgeminderten Arbeitnehmern hieran entsprechen kann) wird die Regelung in § 8 TV gerecht. Sie gewährleistet das eine ohne das andere damit zu verhindern, berücksichtigt dabei aber gleichzeitig den für die Rücknahme der arbeitsrechtlichen Sicherung (Unkündbarkeit) notwendigen sozialen Ausgleich mit den Mitteln institutioneller betriebsverfassungsrechtlicher Art (Sozialplan), wie sie der Gesetzgeber selbst vorgesehen hat. Dasselbe Ergebnis wäre ohne die Regelung in § 8 Nr. 2a) TV nicht zu erreichen. Das SG weist zu Recht darauf hin, daß die in § 8 Nr. 1 TV vorgesehene Kündigung aus wichtigem Grunde allein nicht geeignet wäre, im Falle eines wegen betrieblich notwendiger Veränderungen zwingend erforderlichen Personalabbaus der Interessenlage des Arbeitgebers gerecht zu werden; denn ein wichtiger Grund zur Kündigung liegt in solchen Fällen im allgemeinen nicht vor (vgl. Hueck-Nipperday, aaO, § 59 III 2; Palandt, aaO, Anm. 5 n zu § 626; vgl. auch BAG in AP Nr. 15 zu § 626 BGB).

Die Regelung des § 8 Nr. 2 TV verstößt nicht gegen höherrangiges Recht. Hinsichtlich der Kündigungsfrist geht sie lediglich auf die für die betroffenen Arbeitnehmer zuvor geltende Regelung zurück, im Falle des Klägers auf § 23 Abs. 2 MTV. Die Abhängigkeit des Eintritts dieser Rechtsfolge vom Abschluß eines Sozialplanes steht ebenfalls mit der Rechtsordnung in Einklang; denn § 112 des Betriebsverfassungsgesetzes vom 15. Januar 1972 (BGBl I 13 – BetrVG –) sieht einen solchen Sozialplan gerade für den Fall vor, daß in Betrieben bestimmter Größenordnungen Betriebsänderungen anstehen, die wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder Teile davon mit sich bringen (§ 111 BetrVG) und deswegen einen Ausgleich oder die Milderung solcher Nachteile erfordern (§ 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG). Welche Bedeutung der Gesetzgeber dem Sozialplan beimißt, kommt besonders in der Regelung des § 112 Abs. 4 BetrVG zum Ausdruck, wonach die Einigungsstelle diesen anstelle der Vertragspartner mit Wirkung für diese beschließen kann, obwohl der Sozialplan die Wirkung einer Betriebsvereinbarung besitzt (§ 112 Abs. 1 Satz 3 BetrVG; zum Wesen des Sozialplans vgl. Kammann/Hess/Schlochauer, Kommentar zum BetrVG, 1979, Anm. 4 zu § 112; Dietz-Richardi, Kommentar zum BetrVG, 5. Aufl., RdNrn 24 ff zu § 112). Nach § 112 Abs. 1 Satz 4 BetrVG gilt §77 Abs. 3 BetrVG für Sozialpläne nicht. Jene Vorschrift verbietet grundsätzlich die Regelung von Arbeitsentgelten und Arbeitsbedingungen, die durch Tarifverträge geregelt sind oder üblicherweise durch sie geregelt werden, in Form von Betriebsvereinbarungen. In Sozialplänen hingegen wird dieses ausdrücklich zugelassen, um den Beteiligten volle Handlungsfreiheit bei deren Aufstellung zu gewährleisten (vgl. Kammann/Hess/Schlochauer, aaO, RdNr. 24 zu § 112; Dietz-Richardi, aaO, RdNr. 36 zu § 112). Die Regelung in § 8 TV nimmt darauf in beiden Nummern Bezug; denn sie betrifft nicht nur den Betriebstyp, für den Sozialpläne in Betracht kommen (vgl. § 8 Nr. 1 TV und § 11 Satz 1 BetrVG), sondern bestimmt sogar ausdrücklich die Wechselbeziehung zwischen den Rechten aus § 8 Nr. 1 TV und der Existenz eines Sozialplans (§ 8 Nr. 2a) TV).

Bei einer derartigen rechtlichen Verknüpfung betrieblicher und sozialer Ziele und gesetzlicher Anliegen hierzu im Rahmen einer kollektiv-vertraglichen Regelung kann die für den einzelnen Arbeitnehmer daraus resultierende und allein geltende Kündigungsfrist nicht anders als eine der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechende Frist im Sinne von § 117 Abs. 2 Satz 1 AFG angesehen werden. Das gilt auch für die sich aus § 8 Nr. 2a) TV ergebende Kündigungsfrist des Klägers nach § 23 Abs. 2 MTV. Motive, Gestaltung und Form des TV entsprechen – wie dargestellt – den Belangen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, seine Regelungen fußen auf der grundsätzlichen Vertragsfreiheit von Tarifvertragspartnern und beachten bestehende Mindestnormen. Es wäre abwegig, anzunehmen, der TV wäre wesentlich mit Blick auf § 117 Abs. 2 AFG abgeschlossen worden; für eine Umgehungsabsicht liegen, wie das SG schon betont hat, keinerlei Anhaltspunkte vor. Das ergibt sich schon daraus, daß die geltende Fassung des § 117 Abs. 2 AFG erst im Dezember 1977 verkündet wurde (BGBl I 2557), den Tarifvertragsparteien bei Abschluß des TV im Januar 1975 also noch gar nicht bekannt sein konnte, die frühere Fassung des § 117 Abs. 2 AFG das Ruhen des Anspruchs auf Alg im vorliegenden Falle aber keineswegs ausgelöst hätte.

Geht aber die Regelung des § 117 Abs. 2 und 3 AFG, wie dargelegt, von den Kündigungsmöglichkeiten der einzelnen Arbeitsverhältnisse aus, sind die hierfür geltenden tariflichen Regelungen maßgebend. Daß die Ruhenswirkung des § 117 Abs. 2 AFG idF des 4. AFG-ÄndG nicht eintritt, ist gerade nicht – wie die Beklagte meint – eine Folge des „Verzichts” des Klägers auf seinen Kündigungsschutz aus § 8 Nr. 1 TV, sondern ergibt sich deshalb, weil für ihn wegen § 8 Nr. 2a) TV nur (noch) die Kündigungsfrist des § 23 Abs. 2 MTV galt. Die Beklagte übersieht, daß die Regelung des § 117 Abs. 2 AFG nicht als eine das Tarifvertragsrecht umfassend beherrschende Grundnorm zu verstehen ist. Nach dieser Vorschrift sind geltende tarifvertragliche Regelungen zu beachten, nicht umgekehrt haben die Tarifvertragspartner bei den aus ihrer Sicht notwendigen und zulässigen Abreden alles zu unterlassen, was dem Ruhen möglicher Ansprüche auf Alg entgegenstünde, solange dies nicht gesetzesmißachtend mißbräuchlich erfolgt.

Für den Bereich des § 8 TV ist der Senat allerdings der Auffassung, daß nicht jedwede Abdingung der Unkündbarkeit aus Nr. 1 von der Regelung der Nr. 2a) TV gedeckt wäre. Wenn § 8 Nr. 2a) TV von dem Vorliegen eines für den betroffenen Arbeitnehmer geltenden Sozialplans spricht, so wird dadurch die soziale Absicherungsabsicht der Parteien des TV deutlich. Dann kann diese Wirkung aber auch nur ein Sozialplan auslösen, der den Erfordernissen des § 112 BetrVG gerecht wird. Diese Forderung erscheint ferner deshalb gerechtfertigt, weil die daraus sich ergebenden objektiven Merkmale auch für den Anwendungsbereich des § 117 Abs. 2 Satz 1 AFG geeignete Beurteilungsmaßstäbe im Einzelfall darstellen. Nach den Feststellungen des SG ist allerdings nicht zweifelhaft, daß der den Kündigungsschutz des Klägers aus § 8 Nr. 1 TV aufhebende Sozialplan diesen Bedingungen entspricht. Der nur in Fällen des § 111 BetrVG zulässige Sozialplan, sein Abschluß durch Arbeitgeber und Betriebsrat bzw die Aufstellung durch die Einigungsstelle, die typische wirtschaftliche Situation des Unternehmens in derartigen Fällen und nicht zuletzt die verbleibende dreimonatige Kündigungsfrist zum Quartalsende bieten in der Regel ausreichend Gewähr dafür, daß die Höhe der den älteren Arbeitnehmern gewährten Abfindungen nicht über das hinausgeht, was ihrem sozialen Besitzstand entspricht und ihnen nach den Vorstellungen des Gesetzes gemäß § 117 Abs. 2 und 3 AFG verbleiben, mithin das Ruhen des Anspruchs auf Alg nicht auslösen soll.

Dafür, daß die für den Kläger geltende Kündigungsfrist nach § 23 Abs. 2 MTV als eine der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechende Frist im Sinne von § 177 Abs. 2 Satz 1 AFG anzusehen ist, spricht auch ein Vergleich mit der Rechtslage von Arbeitnehmern, die zwar aus Altersgründen von der Unkündbarkeit des § 8 Nr. 1 TV nicht erfaßt werden, aber ebenfalls dem Sozialplan unterfallen. Erhalten sie danach eine Abfindung, die bei Staffelung nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit der von „Unkündbaren” sogar entsprechen könnte, käme deswegen bei Einhaltung der für sie von vornherein gültigen Kündigungsfrist des MTV ein Ruhen des Anspruchs auf Alg nach § 117 Abs. 2 AFG keinesfalls in Betracht. Ein davon nachteilig abweichendes Ergebnis für den von § 8 Nr. 1 TV erfaßten Arbeitnehmer wäre nicht nur in hohem Maße unerträglich, weil es den älteren gegenüber dem jüngeren Arbeitnehmer nur deswegen benachteiligte, weil jener einen besser geschützten Arbeitsplatz innehatte als dieser. Ausgehend von der für beide im Zeitpunkt der Kündigung gleichen arbeits-, kündigungs- und betriebsverfassungsrechtlichen Situation, bedeutete eine im Rahmen des § 117 AFG unterschiedliche Berücksichtigung ihrer Abfindungen auch eine Verschiedenheit in der rechtlichen Behandlung, die mangels erkennbarer sachlicher Rechtfertigung eine Verletzung des Art. 3 des Grundgesetzes im Sinne der schon vorhandenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu § 117 AFG aF zumindest nahelegte (vgl. BVerfG vom 12. Mai 1976 – 1 BvL 31/73 – SozR 4100 § 117 Nr. 1). Von mehreren Auslegungsmöglichkeiten einer Bestimmung ist aber diejenige auszuschließen, die der Verfassung zuwiderläuft (vgl. BVerfG vom 19. Juni 1979 – 2 BvL 14/75 –).

Nach allem ist die zutreffende Entscheidung des SG zu bestätigen. Die Revision der Beklagten ist somit zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 121

Breith. 1981, 343

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