Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufsunfähigkeit. Lösung vom bisherigen Beruf

 

Orientierungssatz

1. Eine Lösung von einer bisher ausgeübten Tätigkeit liegt auch dann vor, wenn der Tätigkeitswechsel zwar ausschließlich aus betrieblichen Gründen erfolgt ist, der Versicherte sich aber im Laufe der Zeit damit abgefunden hat (vgl BSG 1978-04-25 5 RKn 9/77 = BSGE 46, 121).

2. Ein angelernter Arbeiter kann zumutbar auf ungelernte Tätigkeiten verwiesen werden (vgl BSG 1978-03-15 1/5 RJ 128/76 = SozR 2200 § 1246 Nr 29).

 

Normenkette

RVO § 1246 Abs 2 S 2 Fassung: 1957-02-23

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 19.05.1982; Aktenzeichen L 2 J 409/81)

SG Hannover (Entscheidung vom 11.11.1981; Aktenzeichen S 7 J 237/80)

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt Rente wegen Erwerbs- bzw Berufsunfähigkeit.

Der 1938 geborene Kläger arbeitete von 1951 bis 1964 im landwirtschaftlichen Betrieb seiner Eltern in Griechenland. Seit Juni 1964 war er in der Bundesrepublik in verschiedenen Betrieben als Hilfsarbeiter tätig, von 1969 bis 1973 als Betriebsarbeiter und Fahrzeugreiniger bei der Bundesbahn, mit einer Entlohnung nach Lohngruppe VII des Lohntarifvertrages für die Arbeiter der Deutschen Bundesbahn (LTV). Anschließend arbeitete er bis Oktober 1975 als Lokheizer und wurde als solcher ab Mai 1974 nach Lohngruppe II LTV entlohnt. Von Oktober 1975 bis November 1977 war der Kläger als Betriebsarbeiter, Fahrzeugreiniger und Bahnunterhaltungsarbeiter auf einem Arbeitsplatz mit einer Bewertung nach Lohngruppe VII tätig, anschließend hatte er bis August 1978 einen nach Lohngruppe V LTV bewerteten Arbeitsplatz als Weichenreiniger inne.

Die Umsetzung des Klägers von der Tätigkeit als Lokheizer wurde wegen der Umstellung des Dampflokbetriebes auf E-Lokbetrieb erforderlich. In Anwendung der "Richtlinien zum Schutz der von Rationalisierungsmaßnahmen betroffenen Mitarbeiter im Arbeitsverhältnis" erhielt der Kläger von Oktober 1975 bis Oktober 1978 weiterhin die Entlohnung nach Lohngruppe II bzw IIa LTV.

Von November 1978 bis Februar 1981 hatte er einen Arbeitsplatz als Weichenreiniger mit einer Entlohnung nach Lohngruppe V LTV inne. Für diese Zeit erhielt er nach den genannten Richtlinien eine Monatsausgleichszulage zum Lohn. Nachdem der Kläger seit August 1978 überwiegend arbeitsunfähig erkrankt war, ist er seit März 1982 als Reiniger in der Bahnhofskolonne im Hauptbahnhof Hannover beschäftigt mit einer Entlohnung nach Lohngruppe VII LTV.

Seinen Antrag vom Januar 1979 auf Rente wegen Erwerbs- bzw Berufsunfähigkeit lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 20. März 1980). Klage und Berufung blieben erfolglos.

Das Landessozialgerichts -LSG- (Urteil vom 19. Mai 1982) hat im wesentlichen ausgeführt: Der Kläger könne noch vollschichtig leichtere Arbeiten verrichten bei regelmäßiger Arbeitszeit (ohne Nacht- und Wechselschicht) ohne Hitze und Zeitdruck (keine Fließband- oder Akkordarbeit), zu ebener Erde (nicht auf Leitern und Gerüsten) und mit der Möglichkeit zur Einnahme von vier bis sechs Mahlzeiten täglich unter Einhaltung einer Diät. Die vom Kläger im März 1982 aufgenommene Arbeit als Reiniger in der Bahnhofskolonne des Hauptbahnhofs Hannover entspreche seinem gesundheitlichen Leistungsvermögen sowie seinen beruflichen Kenntnissen und Fähigkeiten. Es handele sich um eine leichtere Arbeit, die mit dem Wagen und dem Besen zu verrichten sei und bei der die genannten Einschränkungen berücksichtigt seien, bei der der Kläger insbesondere die erforderlichen kleineren Mahlzeiten einnehmen könne. Diese Tätigkeit sei dem Kläger auch zumutbar. Der Kläger sei zuletzt als angelernter Arbeiter beschäftigt gewesen. Als sein Hauptberuf sei nicht die von ihm für mehr als zwei Jahre ausgeübte und nach Lohngruppe II LTV bewertete Tätigkeit als Lokheizer anzusehen. Ob dieser Beruf als Facharbeitertätigkeit einzustufen sei, bedürfe keiner Entscheidung. Denn der Kläger habe sich von dieser Tätigkeit gelöst und damit einen möglichen Facharbeiterschutz verloren. Für die Umsetzung des Klägers auf die Tätigkeit als Betriebsarbeiter und Fahrzeugreiniger im Oktober 1975 seien keine gesundheitlichen Gründe maßgebend gewesen. Die Umsetzung sei aus Gründen der Rationalisierung erfolgt. Der Kläger habe durch sein Verhalten zu erkennen gegeben, daß er die betriebliche Umsetzung zumindest billigend hinnehme. Daß der Kläger eine Lohnabsicherung erhalten habe, sei unerheblich. Denn das habe ihm den Facharbeiterschutz nicht erhalten. Als angelernter Arbeiter könne der Kläger auf ungelernte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden, sofern sie seinem gesundheitlichen Leistungsvermögen und seinen beruflichen Kenntnissen und Fähigkeiten entsprächen.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 1246 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Er ist der Auffassung, daß er Facharbeiterschutz genießt.

Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil sowie das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 11. November 1981 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit, beginnend ab 1. Februar 1979, zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Zu Recht hat das LSG die Berufung des Klägers gegen das klagabweisende Urteil der ersten Instanz zurückgewiesen.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Berufsunfähigkeits- oder Erwerbsunfähigkeitsrente. Berufsunfähig ist ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (§ 1246 Abs 2 RVO). Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist der Kläger nicht berufsunfähig. Der Kläger war bis 1978 zuletzt als Weichenreiniger tätig. Zu Recht hat das LSG diese Arbeit als angelernte Tätigkeit eingestuft. Denn wie das LSG festgestellt hat, wurde sie nach Lohngruppe V LTV bewertet, die für angelernte Arbeiter vorgesehen ist. Zu Recht ist das LSG auch davon ausgegangen, daß der Kläger sich von dem bisherigen Beruf des Lokheizers gelöst hat. Wie der Senat mehrfach entschieden hat, liegt eine Lösung von einer bisher ausgeübten Tätigkeit auch dann vor, wenn der Tätigkeitswechsel zwar ausschließlich aus betrieblichen Gründen erfolgt ist, der Versicherte sich aber im Laufe der Zeit damit abgefunden hat (vgl BSGE 46, 121 = SozR 2600 § 45 Nr 22 mwN). Daß das bei dem Kläger der Fall ist, hat das LSG in tatsächlicher Hinsicht festgestellt. An diese Feststellung ist der erkennende Senat gemäß § 163 SGG gebunden, weil sie vom Kläger verfahrensrechtlich nicht angegriffen worden ist.

Als angelernter Arbeiter kann der Kläger indes zumutbar auf ungelernte Tätigkeiten verwiesen werden (ständige Rechtsprechung des BSG: vgl SozR 2200 § 1246 Nr 29 mwN). Die von dem Kläger derzeit ausgeübte Beschäftigung ist eine solche ungelernte Tätigkeit, die - wie das LSG ebenfalls unangegriffen festgestellt hat - seiner Leistungsfähigkeit entspricht. Sie entspricht in der Entlohnung den Tätigkeiten, die der Kläger jahrelang ausgeübt hatte, bevor er in die Stelle des Lokheizers aufrückte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1660528

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