Entscheidungsstichwort (Thema)

Mehrstufenschema. Angelernter. Beamtendiensttuer. qualitativer Wert des bisherigen Berufs. tarifliche Einstufung

 

Orientierungssatz

Bei der Prüfung der Frage, welche Qualität die letzte berufliche Tätigkeit (hier: als Hilfs-Zugschaffner) hatte, genügt die Bezugnahme allein auf die relativ hohe tarifliche Einstufung (hier: Lohngruppe IV des Lohntarifvertrages für die Arbeiter der Deutschen Bundesbahn - LTV) nicht.

 

Normenkette

RVO § 1246 Abs 2 S 2 Fassung: 1957-02-23

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 17.09.1982; Aktenzeichen L 6 J 174/81)

SG Trier (Entscheidung vom 12.05.1981; Aktenzeichen S 1 J 212/80)

 

Tatbestand

Streitig ist die Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit.

Der 1923 geborene Kläger, gelernter Former, war seit November 1952 bei der Deutschen Bundesbahn als Bahnunterhaltungsarbeiter, Hilfsheizer, Betriebsarbeiter, Rangierarbeiter und zuletzt als (Hilfs-)Schaffner versicherungspflichtig tätig. Nachdem er im November 1956 die Prüfung nach den Laufbahnvorschriften für Zugschaffner abgelegt hatte, war er in die Lohngruppe IV des Lohntarifvertrages für die Arbeiter der Deutschen Bundesbahn (LTV) eingestuft. Ab Februar 1957 wurde er als Zugschaffner-Anwärter von der Rentenversicherungspflicht befreit und Ende 1958 in das Beamtenverhältnis übernommen. Zum 1. September 1980 wurde der Kläger als Bundesbahnobersekretär wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt.

Den im Juni 1980 gestellten Antrag des Klägers auf Rente wegen Erwerbs- bzw Berufsunfähigkeit lehnte die beklagte Bundesbahn-Versicherungsanstalt mit Bescheid vom 12. November 1980 ab, weil der Kläger noch imstande sei, leichte bis mittelschwere Arbeiten in dem vor Übernahme in das Beamtenverhältnis ausgeübten Beruf des Arbeiters im Schaffnerdienst vollschichtig zu verrichten.

Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Trier abgewiesen (Urteil vom 12. Mai 1981). Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz durch die angefochtene Entscheidung vom 17. September 1982 unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung die Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Zeit von September 1980 an Rente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren. Es hat ausgeführt: Der Kläger könne nur noch körperlich leichte Arbeiten in geschlossenen Räumen ohne langes Stehen, sondern mit Sitzpausen und nicht auf Leitern und Gerüsten vollschichtig verrichten. Für die zuletzt ausgeübte rentenversicherungspflichtige Zugschaffnertätigkeit sei er nicht mehr geeignet, weil diese Tätigkeit, was von ihm nicht abverlangt werden könne, erhöhte Verantwortung und besondere Zuverlässigkeit voraussetze. Diese Tätigkeit sei aber als bisheriger Beruf maßgebend. Die Lohngruppe IV, in der sich der Kläger zuletzt befunden habe, sei eine Mischlohngruppe und erfasse auch Facharbeiter. Qualitativ stehe der Zugschaffner einem Facharbeiter gleich; es sei nicht ersichtlich, daß die tarifliche Einstufung nicht wegen der Qualität der Tätigkeit erfolgt sei. Eine dem Kläger zumutbare Verweisungstätigkeit könne nicht benannt werden. Es sei nicht anzunehmen, daß sich der Kläger innerhalb von drei Monaten in eine bisher nicht ausgeübte, tariflich wenigstens den Anlernberufen entsprechende Tätigkeit einarbeiten könne.

Mit der hiergegen vom Senat zugelassenen Revision trägt die Beklagte vor: Für den qualitativen Wert des bisherigen Berufs sei nicht allein die tarifliche Einstufung maßgebend. Bei der Schaffnertätigkeit handele es sich um eine Beamtentätigkeit, die auch in der Anlage zum Tarifvertrag in einem besonderen Abschnitt C verzeichnet sei und in der Regel von Beamten des einfachen Dienstes wahrgenommen werde. Stehe für eine solche Tätigkeit kein Beamter zur Verfügung, so sehe der LTV bei der Beschäftigung eines Arbeiters als Schaffner die Lohngruppe IV für einen "Beamtendiensttuer" nur deshalb vor, weil die Verwendung eines Arbeiters auf einem Beamtendienstposten - also ein qualitätsfremdes Merkmal - besonders honoriert werden solle. Für die Tätigkeit eines Schaffners sei keine Ausbildung im üblichen Sinne erforderlich. Eine betriebliche Einweisung und Einarbeitung reiche aus. Die Verwendungsausbildung des Schaffners dauere einschließlich der vorbereitenden Beschäftigung insgesamt dreieinhalb Monate, die Laufbahnausbildung zum Schaffner insgesamt sechs Monate. Damit entspreche die Schaffnertätigkeit derjenigen eines angelernten Arbeiters im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG).

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 17. September 1982 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 12. Mai 1981 in vollem Umfange zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und führt aus: Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG erstrecke sich der Berufsschutz eines Facharbeiters nicht nur auf gelernte Arbeiter, sondern auch auf gleichhoch zu bewertende andere Arbeitertätigkeiten. Erfaßt würden daher auch entsprechend hoch zu bewertende Beamtentätigkeiten, die von Arbeitern verrichtet würden. Die Schaffnertätigkeit verlange erhöhte Verantwortung und besondere Zuverlässigkeit. Dies seien Qualitätsmerkmale, die die Gleichstellung mit einem Facharbeiter rechtfertigten. Für den Bundesbahnbetrieb gebe es noch keine Dienstleistungsfachkraft als staatlich anerkannten Ausbildungsberuf. Wichtig sei aber, daß für Jugendliche eine dreijährige Ausbildungszeit für den einfachen Dienst bei der Deutschen Bundesbahn vorgesehen sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist insoweit begründet, als der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden muß. Die Feststellungen des Berufungsgerichts reichen für eine abschließende Entscheidung nicht aus.

Nach § 1246 Abs 2 Satz 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) ist ein Versicherter berufsunfähig, dessen Erwerbsfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr die Hälfte derjenigen eines vergleichbaren gesunden Versicherten beträgt. Nach Satz 2 der Vorschrift beurteilt sich dabei die Erwerbsfähigkeit des Versicherten nach allen (objektiv) seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechenden Tätigkeiten, die ihm (subjektiv) unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Hiernach stehen die sogenannten Verweisungstätigkeiten in einer Wechselwirkung zum "bisherigen Beruf". Von diesem aus bestimmt sich, welche Verweisungstätigkeiten als zumutbar in Betracht kommen. Deshalb muß er zunächst ermittelt und - da die Verweisbarkeit davon abhängt - nach den vorgenannten Kriterien bewertet, also sein qualitativer Wert festgestellt, werden (zB BSG SozR 2200 § 1246 Nr 41). Hierzu hat die Rechtsprechung ein Mehrstufenschema entwickelt, das die Arbeiterberufe in verschiedene "Leitberufe" untergliedert, nämlich diejenigen des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters, des "angelernten" und schließlich des ungelernten Arbeiters. Grundsätzlich darf der Versicherte nur auf die jeweils niedrigere Gruppe verwiesen werden. Denn das Gesetz sieht den Versicherten nicht schon dann als berufsunfähig an, wenn er den "bisherigen Beruf" aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben kann, sondern verlangt, daß er, ausgehend von diesem Beruf, einen "zumutbaren" beruflichen Abstieg in Kauf nimmt. Erst wenn der Versicherte in diesem Sinne nicht auf eine zumutbare andere Tätigkeit verwiesen werden kann - sei es, daß es eine solche Tätigkeit (objektiv) nicht gibt, sei es, daß er (subjektiv) aus gesundheitlichen Gründen oder wegen fehlender (nicht ausreichender) Kenntnisse und Fähigkeiten eine solche Tätigkeit nicht zu verrichten vermag.

Zutreffend ist das Berufungsgericht von der letzten vor der Befreiung von der Versicherungspflicht ausgeübten Tätigkeit des (Hilfs-)Zugschaffners als dem bisherigen Beruf des Klägers ausgegangen. Zwar hat der Kläger ursprünglich den Formerberuf erlernt, sich aber offenbar von ihm bereits vor Jahrzehnten gelöst, zumal er 1952 in den Dienst der Deutschen Bundesbahn eintrat. Der Bestimmung des bisherigen Berufs steht auch nicht entgegen, daß zwischen dem Ende dieser versicherungspflichtigen Beschäftigung und dem (behaupteten) Eintritt des Versicherungsfalles ein längerer Zeitraum liegt (vgl BSG aaO Nr 66 und ständige Rechtsprechung).

Als festgestellt und, da hiergegen von der Beklagten keine Revisionsgründe vorgebracht worden sind, für den Senat bindend (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) gilt aufgrund der Ausführungen des LSG, daß der Kläger als Zugschaffner nicht mehr einsatzfähig ist. Es kommt daher, wie dargelegt, auf den qualitativen Wert dieses bisherigen Berufs an, um von dem gewonnenen Ergebnis aus dem Kreis der zumutbaren Verweisungstätigkeiten abstecken und anschließend untersuchen zu können, ob der Kläger den Anforderungen eines solchen Verweisungsberufes gesundheitlich sowie von seinem Können und Wissen her gewachsen ist.

Der Kläger hat, um die Schaffnertätigkeit ausüben zu können, keine berufliche Ausbildung durchlaufen, die dem Leitbild des Facharbeiters entspricht. Dabei geht es hier nicht darum, daß im Falle eines an sich vorgesehenen "herkömmlichen" Ausbildungswegs dieser nicht beschritten, sondern eine Facharbeitertätigkeit ohne vorgeschriebene Ausbildung ausgeübt worden wäre: In einem solchen Fall hat die Rechtsprechung gleichwohl die berufliche Tätigkeit dem Leitberuf des Facharbeiters zugeordnet, wenn dieser Beruf seiner Qualität nach der eines Facharbeiters entsprach und nicht nur vorübergehend "vollwertig" ausgeübt worden ist. Sie hat aber gleichzeitig betont, es sei dann im Interesse einer klaren und sachgerechten Abgrenzung geboten, eingehend zu prüfen, ob die abweichend vom "normalen" Ausbildungsweg erlangte berufliche Position tatsächlich in voller Breite derjenigen des vergleichbaren Versicherten bzw Facharbeiters entspricht, der die üblichen Stadien der Entwicklung durchlaufen hat. Neben der tariflichen Einstufung und Entlohnung sei zu verlangen, daß der Versicherte nicht nur eine seinem individuellen Arbeitsplatz entsprechende Leistung erbringe, sondern auch über die theoretischen Kenntnisse und praktischen Fertigkeiten verfüge, die in seiner Berufsgruppe im allgemeinen erwartet werden. In diesem Sinne müsse eine "Wettbewerbsfähigkeit" im Vergleich zu anderen Versicherten derselben Berufsgruppe bestehen (erkennender Senat in SozR 2200 § 1246 Nr 53 S 163; dem folgend der 1. Senat aaO Nrn 68, 70; ebenso 5b Senat, Urteil vom 29. Oktober 1985 - 5b/1 RJ 14/84 S 6, 7).

Der vorliegende Sachverhalt ist dadurch gekennzeichnet, daß der bisherige Beruf des Klägers generell keine Ausbildungszeit von etwa drei Jahren voraussetzt, wie sie regelmäßig beim Facharbeiter - mindestens - vorgeschrieben ist (vgl Verzeichnis der anerkannten Ausbildungsberufe, hgg v Bundesinstitut für Berufsbildung, Ausgabe 1984, S 16 ff). In einem derartigen Fall gestaltet sich die Einordnung in das Mehrstufenschema besonders schwierig. Zur Erleichterung einer zutreffenden - tatsächlichen - Einordnung in eine der Gruppen des Schemas hat die Rechtsprechung des BSG die Heranziehung von Tarifverträgen zugelassen. Es hat sich dazu berechtigt gesehen, weil seiner Ansicht nach die Tarifpartner als die "unmittelbar am Arbeitsleben beteiligten Bevölkerungskreise" durch die Tarifverträge - trotz aller im Einzelfall möglichen Mängel - noch relativ zuverlässig eine Bewertung von Berufstätigkeiten vornehmen, die den Anforderungen auch des Mehrstufenschemas entspricht. Denn auch die der Berufswelt besonders nahestehenden Tarifpartner berücksichtigen bei der tariflichen Einstufung die Qualität des Berufs aufgrund seiner positiv zu bewertenden Anforderungen und Merkmale (vgl BSGE 41, 129, 133 = SozR 2200 § 1246 Nr 11; SozR 2200 § 1246 Nr 29). Damit ist den Versicherungsträgern und Gerichten bei der auf tatsächlichem Gebiet liegenden Ermittlung des qualitativen Wertes des bisherigen Berufes ein wertvolles Hilfsmittel an die Hand gegeben worden (vgl Urteil des Senats vom 28. November 1985 - 4a RJ 51/84).

Hieran knüpft das Berufungsgericht an, wenn es ausführt, der Beruf des Zugschaffners sei in Lohngruppe IV des LTV für die Arbeiter der Deutschen Bundesbahn eingeordnet; danach müsse, da die von den Lohngruppen I bis IV erfaßten Tätigkeiten wegen ihrer Qualität denen eines Facharbeiters gleichgestellt seien, der Kläger dem Leitberuf des Facharbeiters zugeordnet werden. Es seien keine Umstände erkennbar, daß ausnahmsweise die qualitätsbedingte Einstufung auf die Zugschaffnertätigkeit nicht zutreffe.

Diese Bewertung und Würdigung vermag schon deshalb nicht zu überzeugen, weil außer der Wiedergabe der Tarifgruppe keine Feststellungen getroffen oder Prüfungen vorgenommen worden sind, die vom Revisionsgericht nachvollzogen werden können. So fehlen nähere Feststellungen, welche Tätigkeiten die erwähnte Tarifgruppe IV insgesamt erfaßt. Der Hinweis auf vier Gruppen (I bis IV) kann nicht genügen, weil die Bezeichnung "Facharbeiter" in Tarifverträgen häufig einen grundlegend anderen Inhalt hat als nach dem Mehrstufenschema in der Rechtsprechung des BSG. Weiter könnte von Bedeutung sein, ob die Gruppe IV des LTV eine Mischlohngruppe insofern ist, als sie im Sinne des Mehrstufenschemas sowohl Facharbeiter wie auch angelernte Arbeiter umfaßt. Aufschlußreich wäre ferner, ob Facharbeiter, die in der Regel eine Regelausbildungszeit etwa von drei Jahren zurückgelegt haben, in die Lohngruppe IV etwa nur für eine begrenzte, relativ kurze Zeit eingestuft werden.

Abgesehen davon mag zwar die Ausfüllung eines Beamtendienstpostens durchaus nicht "qualitätsfremd" sein, andererseits kann sie aber nach der Auffassung des Senats - im Einzelfall - "qualitätsneutral" sein. Denn der Beamtenstatus allein erlaubt, bezogen auf die im konkreten Fall verrichtete Tätigkeit, noch keine umfassende qualitative Bewertung; er kann deshalb allein die Kriterien des § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO weder ersetzen noch auch nur entscheidend ergänzen. In diesem Zusammenhang hat die Beklagte auch in der Revisionsinstanz auf die besondere Struktur des LTV für die Arbeiter der Deutschen Bundesbahn hingewiesen: Während in der Anlage 1, Abschnitt B des LTV die "Lohngruppe für Arbeitertätigkeiten" angesprochen sei, beziehe sich der Abschnitt C, unter den der Kläger gefallen sei, auf "Lohngruppen für Beamtentätigkeiten". Trifft der Einwand der Revision zu, der LTV sehe bei einer vorübergehenden Beschäftigung eines Arbeiters im Weichenwärterdienst die Lohngruppe IV für einen "Beamtendiensttuer" nur deshalb vor, weil die Verwendung eines Arbeiters auf einem Beamtendienstposten "aus Personalführungsgründen besonders honoriert werden sollte", so könnten in der Tat auch qualitätsfremde oder qualitätsneutrale Gesichtspunkte für die relativ hohe tarifliche Einstufung maßgebend gewesen sein.

Es mag zwar sein, daß - obwohl das Berufungsgericht hierzu keine Ausführungen gemacht hat - von einem Zugschaffner Verantwortungsbewußtsein und Zuverlässigkeit verlangt werden. Es sind dies Kriterien, die unter die "besonderen Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit" zu subsumieren sind. Zu berücksichtigen ist aber insoweit auch, daß die Rechtsprechung die Merkmale der Vertrauensstellung und/oder besonderen Verantwortung besonders häufig dann herangezogen hat, wenn es darum ging, einen Facharbeiter auch auf "besonders herausgehobene ungelernte" Tätigkeiten, jedenfalls aber solche Tätigkeiten ohne regelrechte Berufsausbildung zu verweisen, die tariflich wie Anlerntätigkeiten eingestuft sind (vgl etwa BSGE 41, 129, 134 = SozR 2200 § 1246 Nr 11 sowie Nrn 17, 21, 23, 25, 29). Im übrigen ist zu beachten, daß für eine Beamtentätigkeit des einfachen Dienstes durchaus die Zugangsvoraussetzungen regelmäßig gesetzlich festgelegt sind: Hauptschulabschluß (oder ein gleichwertiger Bildungsstand), danach ein Vorbereitungsdienst von sechs Monaten (vgl Urteil des Senats vom 28. November 1985 - 4a RJ 51/84 S 11). Nach dem Vortrag der Beklagten tritt im konkreten Fall die Verwendungsausbildung zum Schaffner hinzu, die insgesamt nur dreieinhalb Monate dauert und sogar eine vorbereitende Beschäftigung von einem Monat als Bahnunterhaltungs- oder Rangierarbeiter einschließt.

Das angefochtene Urteil sagt über die Dauer der Ausbildung nichts aus; es fehlen auch Feststellungen, wie lange der Kläger zuletzt der Tarifgruppe IV angehört hat. Wenn das LSG gleichwohl die relativ hohe tarifliche Einstufung für die Zuordnung des Klägers zum Facharbeiterberuf hat ausschlaggebend sein lassen, so berücksichtigt es nicht genügend, daß die BSG-Rechtsprechung "den tarifbezogenen Maßstab niemals als ein Allheilmittel angesehen hat, sondern als ein ... soziologisches Hilfsmittel, das - neben denkbaren anderen - zur Ausfüllung eines rechtlich vorgegebenen Rahmens dient" (Burger in "100 Jahre sozialgerichtliche Rechtsprechung", Schriftenreihe des Deutschen Sozialrechtsverbandes, Band XXVI S 93, 97). Dieser rechtliche Rahmen - § 1246 Abs 2 Satz 1 und 2 RVO - stellt aber klar auf die "Kenntnisse und Fähigkeiten", auf "die Dauer und den Umfang der Ausbildung" des Versicherten (im bisherigen Beruf) und - besonders wichtig - auf die "besonderen Anforderungen" der bisherigen Berufstätigkeit ab, insgesamt also auf die positive Kennzeichnung durch qualitative Merkmale des bisherigen Berufs.

Dies bedeutet, daß der Kläger - sofern weitere Ermittlungen und Feststellungen des LSG nicht zu neuen Erkenntnissen führen - eher in die Gruppe mit dem Leitberuf des angelernten Arbeiters, und zwar hier - insoweit im Hinblick auf seine Vertrauensstellung, besondere Verantwortung und die tarifliche Einstufung - dem oberen Bereich zuzuordnen sein dürfte mit der Folge, daß eine Verweisbarkeit auf ganz einfache Tätigkeiten der Gruppe mit dem Leitberuf des Ungelernten ausscheidet (vgl das vorerwähnte Urteil des erkennenden Senats vom 28. November 1985, S 12, 13, auch mit dem Hinweis, daß der 5b Senat im Urteil vom 15. Juli 1982 - 5b RJ 90/81 - die Frage der Einordnung des Hilfszugschaffners noch nicht abschließend entschieden hat, S 11).

Auch die Ausführungen des LSG zum Kreis der möglichen Verweisungstätigkeiten reichen nicht aus. Das Berufungsgericht hat pauschalierend gemeint, eine zumutbare Verwertungstätigkeit sei nicht erkennbar. Dabei ist die Vorinstanz vom Facharbeiterberuf ausgegangen, hat also einen wesentlich engeren Kreis der zumutbaren Verweisungstätigkeiten gezogen, als wenn als bisheriger Beruf eine Anlerntätigkeit, und sei es auch im oberen Bereich dieser Gruppe des Mehrstufenschemas, zugrunde gelegt wird.

Aber selbst wenn das Gewicht auf die tarifliche Einstufung gelegt wird, bedürfen die tatsächlichen Feststellungen des LSG zur Verweisbarkeit der Ergänzung. Denn in diesem Fall müßte zumindest im selben Tarifwerk, und zwar jedenfalls in der nächstniedrigen Tarifgruppe, nach Verweisungstätigkeiten geforscht werden. Es wären also die zur Gruppe V LTV gehörenden Tätigkeiten - und nicht nur diejenigen der sogenannten "Beamtendiensttuer" - auf ihre Eignung für den Kläger zu untersuchen. In Betracht zu ziehen wäre hiernach ua die dort genannte Tätigkeit des Amtsgehilfen, die allerdings wiederum zu den Beamtendienstposten gehört. Selbst wenn eine Verweisung hierauf deshalb scheitern sollte, weil insoweit für Nichtbeamte ein verschlossener Arbeitsmarkt bestünde, so dürfte das LSG an diesem Punkt nicht Halt machen, sondern müßte prüfen, ob es eine etwa dem Amtsgehilfen entsprechende Tätigkeit in einem anderen Tarifbereich als dem der Deutschen Bundesbahn, so beispielsweise nach dem Tarifvertrag für die Arbeiter der Länder, gibt (zur Verweisung auf berufsfremde Tätigkeiten vgl BSGE 41, 129, 135 f = SozR 2200 § 1246 Nr 11; SozR aaO Nr 23 und - in letzter Zeit - Nr 110).

Erst wenn die hiernach noch erforderlichen Ermittlungen und Feststellungen getroffen sind, kann das LSG, je nachdem, ob es eine dem Kläger zumutbare und für ihn geeignete Verweisungstätigkeit findet, über das Vorliegen von Berufsunfähigkeit entscheiden.

In der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung wird auch über die außergerichtlichen Kosten zu befinden sein.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1663830

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