Beteiligte

Klägerin und Revisionsbeklagte

Beklagte und Revisionsklägerin

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten um die Verpflichtung der beklagten Landesversicherungsanstalt (LVA), die Aufwendungen für Arbeitsausrüstung, Überbrückungsbeihilfe und Eingliederungshilfe in Höhe von insgesamt 3.410,20 DM, die die klagende Bundesanstalt für Arbeit (BA) zur Förderung der Arbeitsaufnahme des Schweißers F… B…(Versicherter) nach erfolgreicher Umschulung erbracht hat, zu erstatten.

Der im Jahre 1935 geborene Versicherte konnte wegen einer Meniskusverletzung seinen früheren Beruf als Schweißer nicht mehr ausüben. In der Zeit vom 16. August 1972 bis 2. Juli 1974 wurde er auf Kosten der Beklagten erfolgreich zum Elektromechaniker umgeschult. Im Anschluß daran bemühte sich das Arbeitsamt W…, dem Versicherten einen ausbildungsgerechten Arbeitsplatz zu vermitteln. Über die Vermittlungsbemühungen wurde die Beklagte unterrichtet. Zum 25. November 1974 wurde dem Versicherten ein geeigneter Arbeitsplatz bei den O…-W… vermittelt. Dies teilte das Arbeitsamt mit Schreiben vom 27. November 1974 der beklagten LVA mit, worauf diese den Rehabilitationsvorgang als abgeschlossen betrachtete. Die Arbeitsaufnahme wurde durch die erwähnten Leistungen gefördert.

Mit Schreiben vom 25. November 1975 verlangte die Klägerin von der Beklagten im Rahmen einer Sammelliste Ersatz ihrer Aufwendungen. Dies lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, ihre Zuständigkeit habe mit dem erfolgreichen Abschluß der Umschulung des Versicherten geendet.

Mit Ihrer Klage machte die Klägerin geltend, ihre Aufwendungen seien gemäß §§ 53, 54 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) zur Begründung eines Arbeitsverhältnisses erforderlich gewesen. Diese Leistungen seien gemäß § 6 Abs. 2 des Rehabilitations-Angleichungsgesetzes (RehaAnglG) vorweg erbracht worden. Die Beklagte sei zur Erstattung der Aufwendung nach § 6 Abs. 3 RehaAnglG verpflichtet, da sie gemäß § 1237a Abs. 1 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) i.V.m. § 5 Abs. 2 RehaAnglG für die Gewährung dieser Leistungen zuständig sei. Die Beklagte vertrat demgegenüber die Auffassung, mit der erfolgreichen Umschulung des Versicherten sei das Rehabilitationsverfahren abgeschlossen; danach sei der Versicherte nicht mehr behindert gewesen. Die von der Klägerin gewährten Leistungen seien keine Maßnahmen zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit, sondern eigenständige Leistungen der Klägerin, die sich aus deren Vermittlungsmonopol ergäben. Die Erbringung dieser Leistungen sei nicht durch die Behinderung des Versicherten bedingt gewesen.

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin 3.410,20 DM zu zahlen (Urteil vom 21. September 1977), die Berufung der Beklagten ist zurückgewiesen worden (Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts -LSG- vom 27. Juni 1979). Zur Begründung ist ausgeführt: Leistungen zur Förderung der Arbeitsaufnahme fielen im vorliegenden Fall in den Zuständigkeitsbereich der Rentenversicherungsträger. Die medizinischen Voraussetzungen brauchten im Zeitpunkt der Gewährung dieser Leistungen nicht mehr vorzuliegen, weil das Rehabilitationsgeschehen ein einheitliches sei, für das der einmal eingetretene Rehabilitationsträger von Anfang bis Ende verantwortlich sein solle. Die Zuständigkeit eines Umschulungsträgers erstrecke sich grundsätzlich bis zur Arbeitsvermittlung. Dem stehe nicht entgegen, daß es sich bei Rehabilitationsleistungen um Ermessensleistungen handele, weil die Klägerin als vorleistender Rehabilitationsträger für notwendige Maßnahmen ihr Ermessen pflichtgemäß ausgeübt habe.

Gegen diese Rechtsauffassung wendet sich die Beklagte mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision. Sie trägt vor, alle Rehabilitationsmaßnahmen nach § 1237a RVO setzten voraus, daß die Erwerbsfähigkeit des Versicherten gefährdet oder gemindert sei. Diese Voraussetzung sei hier nicht erfüllt. Auch nach dem RehaAngIG bleibe die Arbeitsvermittlung Aufgabe der Klägerin. Mit dem Abschluß der Umschulung sei der Versicherte auch aus rentenrechtlicher Sicht nicht mehr in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert.

Die Beklagte beantragt, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie macht geltend, die berufliche Rehabilitation sei final ausgerichtet und erst mit der vollendeten Eingliederung des Behinderten in das Arbeitsleben beendet. Es genüge daher, daß eine medizinische Ursache zu Beginn des Rehabilitationsverfahrens vorgelegen habe. Die von ihr erbrachten Leistungen hätten der Eingliederung eines Behinderten gedient. Die Zuständigkeit der Beklagten ergebe sich auch aus den §§ 56, 57 AFG.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet.

Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten für die an den Versicherten erbrachten Leistungen einen Erstattungsanspruch nach § 6 Abs. 3 RehaAngIG. Diese Leistungen hätten nach § 1237a Abs. 1 Nr. 1 RVO von der Beklagten als dem zuständigen Sozialleistungsträger (Rehabilitationsträger) erbracht werden müssen. Diese Zuständigkeit war im vorliegenden Verfahren ungeklärt im Sinne des § 6 Abs. 2 RehaAnglG.

Das Rehabilitationsverfahren ist ein Verwaltungsverfahren, das von demjenigen Sozialleistungsträger als Rehabilitationsträger einzuleiten ist, der zur Gewährung von Sozialleistungen aufgrund der im konkreten Fall bestehenden oder drohenden Behinderung kraft Gesetzes zuständig ist. Diese Zuständigkeit ist im Gesetz nicht einheitlich geregelt. Sie ergibt sich für den Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung aus § 1236 RVO bei Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit eines Versicherten. Diese Voraussetzungen waren im vorliegenden Fall bei Einleitung des Rehabilitationsverfahrens mit dem Ziel der Umschulung des Versicherten erfüllt.

Das Ziel eines Rehabilitationsverfahrens ist in § 1 Abs. 1 RehaAnglG festgelegt. Danach sind Rehabilitationsleistungen darauf auszurichten, Behinderte möglichst auf Dauer in Arbeit, Beruf und Gesellschaft einzugliedern. Ziel der Rehabilitation ist also nicht nur die Abwendung von Leistungsansprüchen, im Bereich der Rentenversicherung von Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit. Das gilt einheitlich für alle Rehabilitationsträger unabhängig davon, in welcher Phase des Rehabilitationsverfahrens ein Erfolg insofern eingetreten ist, als ein Rentenanspruch nicht oder nicht mehr bestehen kann . Die Rehabilitation erweist sich damit als Prototyp einer final ausgerichteten Leistung der sozialen Sicherung (vgl. BSG SozR 2200 § 1236 Nr. 3), deren erfolgreicher Abschluß vom Ziel der Eingliederung und nicht allein von der Beseitigung der Behinderung oder deren Ursachen her zu beurteilen ist.

Im Falle einer Umschulung ist das Ziel der Eingliederung i.S. des § 1 Abs. 1 RehaAnglG nicht schon mit dem Abschluß der Umschulung selbst erreicht , sondern erst dann, wenn der Betreute in Arbeit vermittelt worden ist. Ein Arbeitsloser ist nicht "auf Dauer in Arbeit, Beruf und Gesellschaft" eingegliedert. Er ist noch nicht in der Lage, seine Arbeitskraft wirtschaftlich zu verwerten und auf diese Weise seinen Lebensunterhalt sicherzustellen, sondern ist noch auf die Hilfe Dritter (Sozialleistungsträger) angewiesen. Zumindest muß ein Sozialleistungsträger, nämlich die Bundesanstalt für Arbeit, für einen Arbeitslosen insoweit tätig sein, als sie ihm einen geeigneten Arbeitsplatz zu vermitteln hat. Solange aber ein Sozialleistungsträger noch Leistungen irgendwelcher Art zu erbringen hat, ist das Ziel einer dauernden Eingliederung noch nicht erreicht. Eine berufliche Rehabilitation, die sich darauf beschränkt, Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln, bliebe auf halbem Wege stehen. Die Kenntnisse und Fähigkeiten haben nur dann einen Sinn, wenn sie im Erwerbsleben verwertet werden. Hierzu bedarf es der Vermittlung eines Arbeitsplatzes. Dies ergibt sich auch aus § 5 Abs. 2 RehaAnglG, wonach die Leistungen so vollständig und umfassend zu erbringen sind, daß Leistungen eines anderen Trägers nicht erforderlich werden.

Diese Grundsätze wirken sich auf die Zuständigkeit eines Rehabilitationsträgers dahin aus, daß der das Verfahren durch eine Leistung einleitende Träger bis zum Ende des Rehabilitationsverfahrens zuständig bleibt, ein Wechsel der Zuständigkeit somit nicht stattfindet. Nur auf diese Weise ist die umfassende Erbringung von Leistungen im Einzelfall (§ 5 Abs. 2 RehaAnglG) sichergestellt. Diese einheitliche Zuständigkeit entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers (vgl. BT-Drucks 7/1237 S. 56 zu § 5 RehaAnglG). Der Gesetzgeber verfolgte das Ziel, die früher zu beobachtende Praxis des Wechsels von Zuständigkeiten, die zu Nachteilen für die Betreuten führen konnte, zu beenden (vgl. Ilgenfritz, Das RehaAngleichungsgesetz, Kompaß 1974 S. 185, 187). Hieraus folgt auch, daß das Rehabilitationsziel möglichst durch ein Verfahren (das aus mehreren Maßnahmen bestehen kann) zu erreichen ist. Dies wäre nicht der Fall, wenn das Verfahren durch die Umschulung beendet wäre und zur beruflichen Eingliederung ein neues Verfahren - z.B. zur Beschaffung von behinderungsgerechter Arbeitskleidung - eingeleitet werden müßte.

Hiernach blieb die Beklagte aufgrund der Einleitung berufsfördernder Maßnahmen auch nach dem erfolgreichen Abschluß der Umschulung bis zur Begründung eines Arbeitsverhältnisses durch den Versicherten zuständig. Nach der abgeschlossenen Umschulung war der Versicherte noch nicht auf Dauer in Arbeit und Beruf eingegliedert. Dies geschah erst durch die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses. Diesem Fortbestehen der Zuständigkeit der Beklagten steht nicht etwa die Vorschrift des § 1241e Abs. 3 RVO entgegen. Diese Vorschrift spricht nur von dem Abschluß einer berufsfördernden Maßnahme, nicht aber von der Arbeitslosigkeit im Anschluß an ein Rehabilitationsverfahren. Dieses kann durchaus aus mehreren, unter Umständen auch gleichartigen aufeinanderfolgenden Maßnahmen bestehen (vgl. BSG SozR 2200 § 1241e Nr. 5). Die Auswirkungen erstrecken sich lediglich auf den Anspruch auf Übergangsgeld. Dieses ist im Anschluß an eine berufsfördernde Maßnahme für die Dauer der Arbeitslosigkeit nur für 6 Wochen zu gewähren. Der Wegfall des Anspruches auf Übergangsgeld bedeutet indessen nicht, daß ein Rentenversicherungsträger keine berufsfördernden Leistungen i.S. des § 1237a RVO mehr zu erbringen braucht.

Das Fortbestehen der Zuständigkeit eines Rentenversicherungsträgers bis zur Arbeitsaufnahme kann zur Folge haben, daß dessen Zuständigkeit über einen langen Zeitraum, unter Umständen über Jahre hinaus fortdauert, weil wegen der Lage am Arbeitsmarkt die Vermittlung eines geeigneten Arbeitsplatzes besonders erschwert und auf längere Sicht unmöglich sein kann. In solchen Fällen könnte Veranlassung bestehen, das Rehabilitationsverfahren zu beenden, weil der erwartete Erfolg nicht eingetreten ist und voraussichtlich auch nicht eintreten wird. Diese Möglichkeit besteht bei jeder Art und in jeder Phase der Rehabilitation. Auch eine medizinische Rehabilitation (Heilverfahren) kann vorzeitig als erfolglos beendet werden, wenn nach medizinischen Erkenntnissen ein Heilerfolg nicht eintreten wird. Hierüber brauchte jedoch nicht entschieden zu werden, weil im vorliegenden Fall der Versicherte in Arbeit vermittelt und damit eingegliedert wurde.

Über diese allgemeinen Grundsätze hinaus ergibt sich die Zuständigkeit der Beklagten auch aus den §§ 56 und 57 des AFG, wonach die Klägerin berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation nur gewähren darf, wenn kein anderer Rehabilitationsträger zuständig ist. Die von der Klägerin gewährten berufsfördernden Leistungen sind indessen solche des § 1237a Abs. 1 Nr. 1 RVO, die auch von der Beklagten im Rahmen ihrer Zuständigkeit erbracht werden können (vgl. BSG, Urteil vom 15. März 1979 - 11 RA 36/78, SozR 2200 § 1236 Nr. 15 und Urteil vom 15. November 1979 - 11 RA 22/79).

Dem Anspruch der klagenden BA steht auch nicht entgegen, daß die beklagte LVA zur Gewährung von Leistungen zur Rehabilitation nicht verpflichtet, sondern nur im Rahmen ihres Ermessens (§ 1236 Abs. 1 Satz 1 RVO "kann") ermächtigt ist. Denn das LSG hat ausgeführt, daß die Leistungen zur Förderung der Arbeitsaufnahme jeweils notwendig waren. Dagegen wendet sich die Revision nicht. Der Senat kann deshalb davon ausgehen, daß hier eine Art von "Reduzierung des Ermessens auf Null" (Meyer-Ladewig, SGG, Rz. 31 zu § 54) oder von ''Ermessensschrumpfung" (Verbands-Kommentar, Rz. 4 zu § 39 SGB 1) vorgelegen hat. Im übrigen haben die Rehabilitationsträger in § 10 Abs. 1 Satz 1 der am 1. Januar 1978 in Kraft getretenen Gesamtvereinbarung über die Gewährung vorläufiger Leistungen bestimmt, daß die von einem vorleistungspflichtigen Träger erbrachten Leistungen von dem zuständigen Träger in voller Höhe zu ersetzen sind. Die Vereinbarung ist zwar auf den vorliegenden Fall nicht unmittelbar anzuwenden, gibt aber eine allgemeine Regelung dahin bekannt, daß in diesen Fällen der zuständige Träger nicht noch eine eigene Ermessensprüfung vornehmen soll.

Die Revision der Beklagten war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 51

Breith. 1981, 781

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