Entscheidungsstichwort (Thema)

Umfang der gesetzlichen Beratungspflicht des Sozialversicherungsträgers

 

Leitsatz (amtlich)

Hat ein Versicherter aufgrund fehlerhafter Beratung durch den Versicherungsträger Beiträge in einer unwirtschaftlich hohen Beitragsklasse nachentrichtet, so kann er jedenfalls dann eine Erstattung der unwirtschaftlich entrichteten Beitragsteile verlangen, wenn ihm bis zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs noch keine Leistung aufgrund der entrichteten Beiträge bewilligt war (Fortführung von BSG 25.10.1985 12 RK 42/85 = BSGE 59, 60 = SozR 5070 § 10 Nr 31; Abgrenzung zu BSG 18.8.1983 11 RA 60/82 = BSGE 55, 261 = SozR 2200 § 1303 Nr 27).

 

Leitsatz (redaktionell)

Zum Umfang der gesetzlichen Beratungspflicht des Sozialversicherungsträgers:

1. Die umfassende Beratung der Versicherten ist die Grundlage für das Funktionieren des immer komplizierter werdenden sozialen Leistungssystems. Hierzu gehört, den Versicherten auch von Amts wegen auf Gestaltungsmöglichkeiten oder Nachteile hinzuweisen, die sich mit dem Anliegen des Versicherten verbinden.

2. Eine Rückforderung von Beiträgen im Wege des Herstellungsanspruchs ist nicht ausgeschlossen bei Beiträgen, die aufgrund besonderer Vorschriften für längere Zeiträume rückwirkend vor Rentengewährung nachentrichtet worden sind.

 

Normenkette

AnVNG Art. 2 § 49a Abs. 2 Fassung: 1972-10-16; ArVNG Art. 2 § 51a Abs. 2 Fassung: 1972-10-16; SGB 1 § 14 Fassung: 1975-12-11; SGB 4 § 26 Fassung: 1976-12-23

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 13.03.1984; Aktenzeichen L 6 An 49/83)

SG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 21.09.1982; Aktenzeichen S 9 An 1247/81)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte aufgrund eines Herstellungsanspruchs verpflichtet ist, nachentrichtete freiwillige Beiträge auf Mindestbeiträge herabzusetzen und den überzahlten Betrag zurückzuerstatten.

Der Kläger (geboren 29. September 1918) leistete nach dem Abitur (1938) Arbeitsdienst und Wehrdienst und war anschließend in Kriegsgefangenschaft, aus der er 1945 entlassen wurde. In den Jahren 1946 bis 1966 studierte er an verschiedenen Hochschulen. Ab 1. Dezember 1966 war er als Lehrer im Staatsdienst angestellt. Seit Januar 1982 erhält er Altersruhegeld.

Mit Schreiben vom 12. Januar 1973 wandte sich der Kläger unter Schilderung seines Werdegangs an die Beklagte und bat um Auskunft, ob er zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge berechtigt sei und in welcher Höhe diese anzuraten seien. Die Beklagte übersandte ihm daraufhin verschiedene Merkblätter. Dies veranlaßte den Kläger, sich im November 1974 zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge bereit zu erklären, wobei er um Mitteilung bat, für welche Zeiträume und in welchen Höchstklassen er solche nachentrichten könne. Durch Bescheid vom 31. Juli 1975 erfolgte die Zulassung zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge zur Angestelltenversicherung nach Art 2 § 49a Abs 2 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) für die Jahre 1956 bis 1958 in der Klasse 600, für die Jahre 1959 bis 1962 in der Klasse 800, für die Jahre 1963 und 1964 in der Klasse 1000 und für die Jahre 1965 und 1966 (bis November) in der Klasse 1200 im Gesamtbetrage von 20.088,-- DM. Diesen Betrag überwies der Kläger im Dezember 1975.

Im August 1980 teilte er der Beklagten mit, daß er bei der Nachentrichtung 17.730,-- DM zu viel überwiesen habe. Da er als Angestellter im öffentlichen Dienst einen Anspruch auf Zusatzversorgung habe, hätte die Nachentrichtung von Beiträgen in den niedrigsten Klassen genügt. Dieser Sachverhalt sei aus den der Beklagten vorliegenden Akten klar ersichtlich gewesen. Er sei also erkennbar falsch beraten worden. Die Beklagte lehnte die Forderungen des Klägers ab, für die Zeiten von 1956 bis 1966 anstelle von Höchstbeiträgen nur Mindestbeiträge entrichten zu dürfen und die dadurch zu viel eingezahlten Beträge an ihn zurückzuzahlen (Bescheid vom 6. November 1980; Widerspruchsbescheid vom 20. Mai 1981).

Klage und Berufung hatten ebenfalls keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Freiburg -SG- vom 21. September 1982; Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg -LSG- vom 13. März 1984).

Das LSG hat im Anschluß an das Bundessozialgericht -BSG(SozR 5750 § 51a Nr 17 = BSGE 45, 247) entschieden, daß eine Herabsetzung der Beitragssumme nicht mehr möglich sei, nachdem von dem Nachentrichtungsrecht Gebrauch gemacht worden sei. Etwas anderes könne der Kläger auch nicht aufgrund eines Herstellungsanspruchs beanspruchen, da das Beitragsrecht der Sozialversicherung die nachträgliche Herabsetzung entrichteter Beiträge grundsätzlich ausschließe (BSGE 49, 76, 81) und sich eine derartige Entscheidung deshalb als unzulässige Amtshandlung darstellen würde, die mit dem Herstellungsanspruch nicht verlangt werden könne. Im übrigen liege aber auch eine unrichtige Beratung des Klägers nicht vor. Die Beratungspflicht erstrecke sich nur auf das Versicherungsverhältnis selbst, nicht jedoch auf Auswirkungen, die sich auf Rechtspositionen in anderen Rechtsgebieten ergeben, wie zB bei Betriebsrenten oder in der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes, zumal entsprechende Kenntnisse bei den Rentenversicherungsträgern nicht erwartet und von ihnen auch nicht verlangt werden könnten. Auf die Frage, ob der Kläger seinen Nachentrichtungsantrag auch wegen Irrtums anfechten könne, brauche nicht eingegangen zu werden, da eine Anfechtungserklärung nicht vorliege.

Mit der Revision macht der Kläger weiterhin unzureichende Beratung geltend. Er habe ausdrücklich um Beratung gebeten. Soweit sich die Beklagte zu dieser Beratung nicht in der Lage gefühlt habe, hätte ein Hinweis auf die Besonderheit des Falles genügt, um ihn dann zu veranlassen, bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) nachzufragen. Weder aus den Merkblättern noch aus dem Verhalten der Beklagten sei jedoch zu entnehmen gewesen, daß eine solche zusätzliche Information geboten gewesen sei. Hieraus folge ein Herstellungsanspruch auf Erstattung der infolge unzureichender Beratung zuviel entrichteten Beiträge. Im übrigen habe das LSG den Tatbestand unzutreffend gewürdigt. Es treffe nicht zu, daß er, der Kläger, seinen Antrag auf Nachentrichtung von Beiträgen nicht angefochten habe. Er habe vielmehr im Schreiben vom 14. August 1980 eindeutig erklärt, durch die unterbliebene Beratung der Beklagten irrtümlich zu hohe Beitragsklassen gewählt zu haben, die er bei Kenntnis der richtigen Sachlage nicht gewählt hätte. Die Rückzahlungspflicht ergebe sich alsdann aus Bereicherungsrecht. Das Urteil des BSG vom 18. August 1983 - 11 RA 60/82 - (BSGE 55, 261) stehe nicht entgegen, weil es sich mit einem anderen Sachverhalt befasse.

Der Kläger beantragt sinngemäß, die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 6. November 1980 idF des Widerspruchsbescheides vom 20. Mai 1981 zu verurteilen, die Herabsetzung der für die Zeiten von 1956 bis 1966 nachentrichteten Beiträge auf Mindestbeiträge zuzulassen und den überzahlten Betrag von 17.730,-- DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1. September 1980 zurückzuerstatten.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie beruft sich im wesentlichen auf das angefochtene Urteil, macht aber darüber hinaus geltend, daß sich ihre Beratungspflicht schon aus Kompetenzgründen nur auf ihre eigenen Aufgaben beziehen könne. Eine Anfechtung komme nur in Betracht, wenn der Kläger die größtmögliche Rentabilität seiner nachentrichteten Beiträge auch und gerade im Hinblick auf seine Mitgliedschaft bei der VBL zur Grundlage seiner Beitragsnachentrichtung gemacht hätte oder er und die Beklagte gemeinsam einem Irrtum über die Rentabilität erlegen gewesen wären. Hierfür gebe es jedoch keine Hinweise.

Beide Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, daß der Rechtsstreit durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden wird (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Der Rechtsstreit ist zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Entgegen der Auffassung des LSG liegt ein Beratungsmangel vor, der einen Herstellungsanspruch begründen kann. Auch ist eine Rückforderung von Beiträgen im Wege des Herstellungsanspruchs nicht generell ausgeschlossen, jedenfalls nicht bei Beiträgen, die aufgrund besonderer Vorschriften für längere Zeiträume rückwirkend vor Rentengewährung nachentrichtet worden sind. Zur abschließenden Entscheidung bedarf es im vorliegenden Fall jedoch noch weiterer Feststellungen darüber, ob die unzureichende Beratung des Klägers ursächlich dafür war, daß er Höchstbeiträge statt Mindestbeiträge entrichtet hat.

Der Beratungsfehler der Beklagten ist darin zu sehen, daß sie den Kläger nicht auf die für die Wahl der Beiträge bedeutsame Verklammerung von Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung und der VBL aufmerksam gemacht hat (s dazu §§ 40 ff Satzung der VBL). Der erkennende Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß eine umfassende Beratung der Versicherten die Grundlage für das Funktionieren des immer komplizierter werdenden sozialen Leistungssystems ist (vgl zB BSG SozR 1200 § 14 Nr 16). Im Vordergrund steht dabei nicht mehr nur die Beantwortung von Fragen oder Bitten um Beratung, sondern die verständnisvolle Förderung des Versicherten, dh die aufmerksame Prüfung durch den Sachbearbeiter, ob Anlaß besteht, den Versicherten auch von Amts wegen auf Gestaltungsmöglichkeiten oder Nachteile hinzuweisen, die sich mit seinem Anliegen verbinden; denn schon gezielte Fragen setzen Sachkunde voraus, über die der Versicherte oft nicht verfügt.

Dabei beschränkt sich die Beratungspflicht nicht auf Normen, die der betreffende Sozialversicherungsträger, hier die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, anzuwenden hat. Die Kompliziertheit des Sozialrechts liegt gerade in der Verzahnung ihrer Sicherungsformen bei den verschiedenen versicherten Risiken (zB den Risiken der Renten- und der Krankenversicherung), aber auch in der Verknüpfung mit anderen Sicherungssystemen. Besonders die Alterssicherung ist in der Bundesrepublik Deutschland weit gefächert und bietet eine Vielzahl von Möglichkeiten, die teils verschiedenen Berufstätigkeiten zugeordnet sind, teils sich als Grundsicherung und Zusatzsicherung ergänzen, teils gesetzlich vorgeschrieben sind, teils Wahlmöglichkeiten bieten. Diese Sicherungssysteme können sowohl nebeneinander als auch nacheinander für den einzelnen wirksam werden. So kann nach den Normen, die ihr Verhältnis zueinander regeln, die Anrechnung bestimmter Zeiten in dem einen System die Anrechnung in dem anderen ausschließen oder die Gewährung von Leistungen aus dem einen System der Gewährung entsprechender aus dem anderen entgegenstehen oder sie begrenzen. Gerade in einem solchen, vielfältig gefächerten und miteinander verzahnten Spektrum von Sicherungsformen und angesichts der langfristigen Bedeutung der Alterssicherung muß es als dringliche Aufgabe der Verwaltung angesehen werden, dazu beizutragen, daß der Versicherte sachgerechte und für ihn sinnvolle Entscheidungen trifft.

Es wäre allerdings eine Überforderung und unvertretbare Verwaltungserschwerung, den Sachbearbeitern der Rentenversicherung aufzuerlegen, jeweils zu ergründen, welches von verschiedenen, für den einzelnen Versicherten in Betracht kommenden Systemen für ihn wirksam werden kann und welchen Einfluß eine Beitragsnachentrichtung in diesem Zusammenhang hat. Wohl aber ist unter Umständen ein Hinweis erforderlich, daß ein solcher Einfluß möglicherweise besteht und es deshalb angeraten ist, sich mit dem für das jeweils andere System zuständigen Träger der Alterssicherung in Verbindung zu setzen. Das gilt besonders für die Zusatzsicherung der VBL, deren Grundstrukturen auch den Bediensteten der Rentenversicherungsträger im allgemeinen aus eigener Betroffenheit bekannt sein werden.

Es bestand für die Beklagte auch Anlaß, den Kläger darauf hinzuweisen, daß es für ihn ratsam war, sich vor Festlegung der Beitragshöhe von der VBL beraten zu lassen. Der Kläger hatte in seinem Schreiben vom 12. Januar 1973 seinen beruflichen Werdegang geschildert. Daraus war ersichtlich, daß er als ein im Angestelltenverhältnis beschäftigter Landesbediensteter (Lehrer) bei der VBL versichert sein mußte. Deshalb lag es nahe, daß für ihn die Nachentrichtung von Höchstbeiträgen nicht die gewünschte Wirkung haben würde; denn nach den Grundzügen des VBL-Leistungssystems ergänzt dieses die übrigen Versicherungs- und Versorgungsleistungen zu einer Gesamtversorgung, die sich nach der gesamtversorgungsfähigen Zeit und dem gesamtversorgungsfähigen Entgelt richtet (§ 41 Abs 1 Satzung der VBL), so daß eine geringere Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung im allgemeinen durch eine entsprechend höhere "Zusatzrente" der VBL ausgeglichen wird.

Nicht entscheidend ist dabei, ob eine solche Auswirkung im Falle des Klägers auch offenkundig war; denn die Hinweis- und Beratungspflicht wird bereits dann ausgelöst, wenn der Versicherte einer Gruppe angehört, bei der bestimmte Konstellationen häufig auftreten (vgl BSG SozR 1200 § 14 Nr 13). Es genügt, daß schon die nahe Möglichkeit einer Fehlentscheidung des Versicherten für die Bediensteten des Versicherungsträgers klar erkennbar war, und das war hier bei dem Angebot von Höchstbeiträgen durch ein Mitglied der VBL der Fall.

Der dargelegte Beratungsmangel kann auch einen Herstellungsanspruch auf Erstattung von Beiträgen oder Beitragsteilen auslösen, wenn der Versicherte wegen unzureichender Beratung Beiträge entrichtet hat, die für ihn unwirtschaftlich waren, und er diese Beiträge bei ausreichender Beratung nicht entrichtet hätte.

Ein solcher Erstattungsanspruch scheitert im vorliegenden Fall nicht an dem - unmittelbar oder entsprechend anwendbaren - § 26 Abs 1 des Sozialgesetzbuchs - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB 4); denn der Kläger hatte seinen Erstattungsantrag bereits im August 1980, also vor Beginn des Altersruhegeldes (Januar 1982), gestellt.

Im übrigen ergibt sich die Zulässigkeit eines Herstellungsanspruchs auf Erstattung von Beiträgen aus folgenden Überlegungen: Erforderlich ist stets nur, daß die begehrte Amtshandlung ihrer Art nach zulässig ist. Es brauchen nicht alle Voraussetzungen gesetzlich geregelter Amtshandlungen vorzuliegen; sonst bedürfte es des Herstellungsanspruchs nicht (BSGE 55, 261, 263 oben). Es muß sich nur um eine Handlung handeln, die ihrer Art nach vom Gesetz als Instrument zur Regelung ähnlicher Konfliktsituationen anerkannt wird. Das Gesetz kennt eine Erstattung von Beiträgen in verschiedenen Zusammenhängen, vor allem als Erstattung von zu Unrecht entrichteten Beiträgen (§ 26 SGB 4). Unter bestimmten Voraussetzungen ist aber auch die Erstattung von zu Recht entrichteten Beiträgen vorgesehen, so zB in § 82 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) und Art 2 § 44a Abs 5 AnVNG sowie in den entsprechenden Vorschriften für die anderen Zweige der Rentenversicherung. Es handelt sich dabei um Fälle, in denen bereits entrichtete Beiträge dem Versicherten oder seinen Hinterbliebenen keine oder keine sinnvolle Sicherung (mehr) vermitteln. Dabei bezieht sich § 82 AVG auf Fälle, in denen die Erfüllung der Wartezeit und damit eine Leistung aus der Versicherung entweder überhaupt nicht mehr in Betracht kommt oder die aus den entrichteten Beiträgen zu erwartende Leistung mangels einer Weiterversicherungsmöglichkeit für den Berechtigten ohne Interesse ist, während Art 2 § 44a Abs 5 AnVNG Fälle betrifft, in denen Beiträge für eine Zeit nachentrichtet wurden, für die der Berechtigte nachträglich eine andere Sicherung erhält. Daß diese ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmungen eine - bisher gesetzlich nicht ausdrücklich zugelassene - Beitragserstattung aufgrund eines Herstellungsanspruchs ausschließen, läßt sich nach Ansicht des erkennenden Senats nicht überzeugend begründen, zumal bei Schaffung der genannten Bestimmungen der erst später von der Rechtsprechung entwickelte Herstellungsanspruch noch unbekannt war. Es liegt vielmehr in der Konsequenz dieser Bestimmungen, die Beitragserstattung im Wege des Herstellungsanspruchs auch dort zuzulassen, wo die Nachentrichtung von Beiträgen so, wie sie geschehen ist, nicht zu der beabsichtigten sinnvollen Sicherung führt oder sich als eindeutig unwirtschaftlich erweist. Das gilt jedenfalls im Bereich besonderer Nachentrichtungsvorschriften, die eine Beitragsnachentrichtung für lange Zeiträume zulassen, bei denen meist hohe Beträge auf dem Spiel stehen, die zudem wegen einer Antragsfrist oft unter Zeitdruck und bei weitgehender Unsicherheit über ihre Auswirkungen entrichtet werden.

Diese Entscheidung des erkennenden Senats fügt sich in seine neuere Rechtsprechung ein. Er hat nämlich bereits klargestellt, daß ein Herstellungsanspruch auch zur Umbuchung von Beiträgen führen kann, wenn die Beiträge infolge unzutreffender oder unzureichender Beratung ungünstig plaziert worden sind (BSGE 59, 60; vgl auch BSGE 59, 190 und SozR 5070 § 10 Nr 30). Dann muß aber unter sonst gleichen Voraussetzungen grundsätzlich auch eine Erstattung von Beiträgen zugelassen werden; denn für eine unterschiedliche Beurteilung je nachdem, ob der Versicherungsverlauf eine Lücke enthält, in die die Beiträge umgebucht werden können, und deshalb eine Umbuchung ausreicht, die Folgen des Beratungsmangels zu beheben, oder ob dies nicht der Fall ist und dann nur eine Erstattung der Beiträge in Betracht kommt, sind sachliche Gründe nicht erkennbar.

Auch der 1. Senat des BSG hat für einen vergleichbaren Fall bereits in einem früheren Urteil die Beitragserstattung im Wege des Herstellungsanspruchs zugelassen (BSG SozR 1200 § 14 Nr 9). Er hat zwar in einem späteren Urteil (BSGE 55, 40, 43) Bedenken geäußert, insoweit aber keine abweichende Entscheidung getroffen. Demgegenüber hat allerdings der 11. Senat des BSG (BSGE 55, 261) die vollständige Erstattung von rechtmäßig entrichteten Beiträgen als eine ihrer Art nach im Gesetz nicht vorgesehene und deshalb unzulässige Amtshandlung bezeichnet. Jedoch handelte es sich in dem entschiedenen Fall nicht um eine Beitragsnachentrichtung aufgrund besonderer Vorschriften, sondern um laufend entrichtete Beiträge (diesen Unterschied hat der 11. Senat aaO S 262 Mitte selbst betont). Außerdem ging es damals (wie auch in dem zuletzt genannten Fall des 1. Senats) um Beiträge, die nach Bewilligung einer Rente für eine dabei berücksichtigte Zurechnungszeit gezahlt worden waren.

Der Senat kann dennoch nicht abschließend entscheiden, weil nicht geklärt ist, ob der Kläger im Dezember 1975 niedrigere Beiträge entrichtet hätte (und ggf welche), wenn er ausreichend beraten worden wäre. Es kann zwar unterstellt werden, daß er sich auf entsprechenden Hinweis der Beklagten an die VBL gewandt hätte und dort auf die Folgen der §§ 40ff Satzung der VBL hingewiesen worden wäre. Immerhin ist aber zu bedenken, daß eine Entrichtung höherer Beiträge im Dezember 1975 für den Kläger noch einen gewissen Sinn gehabt haben könnte, weil er damals möglicherweise im Rahmen der VBL noch nicht oder nur unzureichend abgesichert war (Nichterfüllung der Anspruchsvoraussetzungen für die VBL-Rente). Es wird dabei abzuwägen sein, ob ausreichende Gründe dafür sprachen, im Hinblick auf eine noch fehlende oder unzureichende Sicherung bei der VBL eine hohe Nachentrichtungssumme einzusetzen, oder ob es naheliegender war, im Hinblick auf die demnächst zu erwartende Erfüllung der Voraussetzungen einer VBL-Rente stärker die Rentabilität unter dem Gesichtspunkt der Gesamtversorgung bei der Wahl der Beitragsklasse zu berücksichtigen.

Angesichts dieser Rechtslage war ein Eingehen auf die vom Kläger behauptete Anfechtung nicht mehr erforderlich; denn auch die Wirksamkeit einer etwaigen Anfechtungserklärung wäre davon abhängig, daß der Kläger die angefochtene Erklärung "bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles" (§ 119 Abs 1 BGB) nicht abgegeben hätte.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

BSGE, 175

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