Entscheidungsstichwort (Thema)

Versicherungspflicht zur KVdR bei Wohnsitz im Ausland

 

Leitsatz (amtlich)

Rentner, die sich gewöhnlich im Ausland aufhalten, sind nicht für den Fall der Krankheit nach RVO § 165 Abs 1 Nr 3 versichert. Ihre Versicherungsfreiheit bleibt in Zeiten vorübergehenden Inlandsaufenthalts jedenfalls dann unberührt, wenn dieser nicht länger als ein Jahr beträgt.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der als Ausfluß des die deutsche Sozialversicherung beherrschenden Territorialprinzips entwickelte Grundsatz, daß die Versicherungspflicht an den Grenzen der inländischen Staatsgewalt endet, gilt auch für die KVdR; im Ausland wohnhafte Bezieher von Renten aus der deutschen RV unterliegen daher grundsätzlich nicht der Versicherungspflicht nach RVO § 165 Abs 1 Nr 3.

2. Der Bezieher einer deutschen Sozialversicherungsrente mit gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland ist auch während eines vorübergehenden Inlandsaufenthaltes nicht versicherungspflichtig zur Rentnerkrankenversicherung.

 

Normenkette

RVO § 165 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1956-06-12, § 381 Abs. 2 Fassung: 1956-06-12

 

Tenor

Die Revision der beklagten Allgemeinen Ortskrankenkasse gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 13. September 1967 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahren sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Rentnerin E G (G.) - sie bezieht von der klagenden Landesversicherungsanstalt (LVA)seit 1. August 1955 eine Witwenrente - siedelte am 9. Juli 1956 in die USA über. Vom 22. Juli bis 27. November 1962 hielt sie sich besuchsweise in Küps/Oberfranken auf, das im Bezirk der beklagten Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) liegt. Diese ist der Auffassung, die LVA habe jedenfalls für die Zeit des Aufenthalts der G. im Inland Beiträge zur Krankenversicherung der Rentner (KVdR) zu leisten (§ 381 Abs. 2 i. V. m. § 165 Abs. 1 Nr. 4 der Reichsversicherungsordnung - RVO - aF).

Das Sozialgericht (SG) hat die hiergegen erhobene (negative) Feststellungsklage der LVA abgewiesen. Auf die Berufung der LVA hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und antragsgemäß festgestellt, daß für die G. in der Zeit vom 22. Juli bis 27. November 1962 keine Beiträge zur KVdR zu entrichten seien: Nach dem Territorialprinzip, das die ganze deutsche Sozialversicherung beherrsche, erstrecke sich die Versicherungspflicht in der KVdR nicht auf Rentner mit Wohnsitz im Ausland. Danach sei die G. auch in der fraglichen Zeit nicht versicherungspflichtig gewesen, weil sie sich nur vorübergehend zu Besuch im Inland aufgehalten habe.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die AOK die Verletzung sachlichen Rechts: Beginn und Ende der Pflichtmitgliedschaft in der KVdR seien in den §§ 306 Abs. 2, 312 Abs. 2 RVO aF abschließend geregelt. Ein Ende der Mitgliedschaft für den Fall, daß sich der Rentner ins Ausland begebe, sei im Gesetz nicht vorgesehen. Selbst wenn aber die Mitgliedschaft in diesem Falle ende, müsse sie wieder wirksam werden, sobald der Rentner - sei es auch nur besuchsweise - Aufenthalt im Inland nehme.

Die AOK beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der LVA gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Die LVA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) einverstanden.

II

Die Revision der beklagten AOK ist unbegründet. Wie das LSG mit Recht entschieden hat, braucht die klagende LVA für die Zeit des vorübergehenden Aufenthalts der Rentnerin G. im Inland keine Beiträge zur KVdR zu entrichten.

Nach § 381 Abs. 2 RVO in der - hier noch anzuwendenden - Fassung (aF) des Gesetzes über KVdR vom 12. Juni 1956 (BGBl I 500) leisteten die Träger der Rentenversicherung zu den Aufwendungen "für die in § 165 Abs. 1 Nr. 3 und 4 bezeichneten Versicherten...Beiträge nach Maßgabe des § 385 Abs. 2". Frau G., die seit 1. August 1955 eine Witwenrente aus der Rentenversicherung der Arbeiter bezieht, hat zu diesen Personen gehört. Die RVO enthält keine Bestimmung, der unmittelbar entnommen werden kann, daß Frau G. als Rentnerin mit Wohnsitz im Ausland der Versicherungspflicht nach § 165 Abs. 1 Nr. 4 RVO aF nicht unterlegen hat. § 20 Abs. 1 der Verordnung über die KVdR vom 4. November 1941 (RGBl I 689), wonach § 4 des Gesetzes über die Verbesserung der Leistungen in der Rentenversicherung vom 24. Juli 1941 (RGBl I 443) und "diese Verordnung" ausdrücklich nicht für Rentner galten, deren Rente in das Ausland gezahlt wurde, hat keine Aufnahme in das Gesetz über KVdR gefunden, durch das die KVdR systematisch in das Zweite Buch der RVO eingegliedert worden ist.

Nach der systematischen Einbeziehung der KVdR in die allgemeine gesetzliche Krankenversicherung war jedoch eine besondere Regelung für Rentner mit Wohnsitz im Ausland überflüssig geworden, wenn diese nur die bisherige Rechtslage bestätigen sollte. Daß Rentner mit Wohnsitz im Ausland nicht krankenversicherungspflichtig sind, ergibt sich nunmehr ohne ausdrückliche Normierung aus dem allgemein die deutsche Sozialversicherung - und damit auch die gesetzliche Krankenversicherung - beherrschenden Territorialprinzip. Ausgehend von der völkerrechtlichen Grundnorm, daß die staatliche Hoheitsgewalt nur innerhalb der Grenzen des eigenen Hoheitsbereichs ausgeübt werden darf, ist als Ausfluß des Territorialprinzips der Grundsatz entwickelt worden, daß der Versicherungszwang grundsätzlich seine Schranke an den Grenzen der inländischen Staatsgewalt findet (BSG 7, 257, 263; 30, 244, 246). Das gilt auch für die Pflichtkrankenversicherung der Rentner (vom Senat in seiner Entscheidung BSG 27, 129, 132 betr. den Beitragszuschuß für freiwillig versicherte Rentner mit Wohnsitz im Ausland offengelassen). Wenn auch die Auferlegung der Pflichtmitgliedschaft nach der derzeitigen Rechtslage keine Beitragspflicht für den Rentner auslöst (vgl. aber die inzwischen aufgehobene Regelung des § 381 Abs. 2 Satz 2 RVO idF des Art. 1 § 1 Nr. 14 Buchst. a des Finanzänderungsgesetzes - FinÄndG - 1967 vom 21. Dezember 1967 - BGBl I 1259 -, wonach die in § 165 Abs. 1 Nr. 3 bezeichneten Versicherten von ihrem Krankenversicherungsbeitrag einen bestimmten Teilbetrag zu tragen hatten), so würde sie doch in jedem Fall Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt über die Staatsgrenzen hinaus darstellen, die die Gefahr der Kollision mit der Staatsgewalt des fremden Territoriums in sich trüge. Ein solches Übergreifen des Versicherungszwangs über die Grenzen des inländischen Herrschaftsbereichs hinaus ist daher nur unter weitgehenden sachlichen und zeitlichen Beschränkungen zulässig ("Ausstrahlung"; vgl. BSG 17, 173, 177; 20, 69, 70), wenn es nicht kraft supranationalen Rechts oder auf Grund zwischenstaatlicher Vereinbarungen gestattet ist.

Im übrigen sprechen auch Gründe der Praktikabilität gegen eine Erstreckung der Versicherungspflicht auf Rentner mit Wohnsitz im Ausland. Die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung und auch die Versicherten hätten außerordentliche Schwierigkeiten bei der Abwicklung der Leistungsfälle (vgl. die komplizierten Regelungen nach §§ 216 ff RVO für einzelne Auslands-Leistungsfälle). Dem Bedürfnis des im Ausland wohnhaften Rentners nach Krankenversicherungsschutz kann sachgemäßer durch freiwillige Versicherung und Gewährung des Beitragszuschusses nach § 381 Abs. 4 RVO entsprochen werden (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 28. August 1970 - 3 RK 94/69 -, SozR § 381 RVO Nr. 24).

Die hier vertretene Ansicht hat auch im Gesetz Ausdruck gefunden. Nach Art. 3 § 5 Abs. 2 FinÄndG 1967 galt "Absatz 1" - er regelte die Einbehaltung des KVdR-Beitragsanteils der Rentner vom Zahlbetrag der Rente (§ 381 Abs. 2 Satz 2 RVO idF des Art. 1 § 1 Nr. 14 a FinÄndG 1967) - "nicht für Personen (Rentner), die nicht nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 der RVO (nF) versichert sind, weil sie sich gewöhnlich außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes aufhalten", und keine Beträge nach § 381 Abs. 4 der RVO erhalten (§ 381 Abs. 2 Satz 2 RVO und Art. 3 §§ 5 bis 7 FinÄndG 1967 seit 1. Januar 1970 gestrichen durch Art. 1 § 1 Nr. 1 und § 4 des Gesetzes über den Wegfall des von Rentnern für ihre Krankenversicherung zu tragenden Beitrags vom 14. April 1970, BGBl I 337). Diese Bestimmung beruhte ihrer Fassung nach ersichtlich auf der Vorstellung, daß Rentner bei gewöhnlichem Aufenthalt außerhalb des Geltungsbereichs der RVO der deutschen Versicherungspflicht nicht unterliegen.

Nach alledem ist festzustellen, daß im Ausland wohnhafte Rentner grundsätzlich nicht von der KVdR erfaßt werden (ebenso Bescheid des Bundesministers für Arbeit vom 5. Oktober 1956, DOK 1956, 547; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. bis 7. Aufl. S. 448 d; Kommentar zur RVO, Viertes und Fünftes Buch, herausgegeben vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, 6. Aufl., Anh. D, § 165 RVO Anm. 3 b; Rauschenbach/Harms/Laufer, Der Rentner und seine Krankenversicherung, S. 51; Ludwig, WzS 1957, 276; Reineke, ErsK 1964, 58; Laufer und Hellmuth DAngVers 1969, 64; Schreiben der Deutschen Verbindungsstelle - Krankenversicherung-Ausland - beim Bundesverband der Ortskrankenkassen vom 18. Dezember 1968, BeitragsR 1969, 113; Teich in Mitteilungen der LVA Rheinprovinz 1970, 135).

Demnach unterlag auch Frau G. nach ihrer Übersiedlung in die USA nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung. Sie ist auch in der fraglichen Zeit vom 22. Juli bis 27. November 1962 versicherungsfrei geblieben. Nach den Feststellungen des LSG hat sie sich in dieser Zeit "nur vorübergehend zu Besuch" im Inland aufgehalten, ohne ihren Wohnsitz und damit den gewöhnlichen Aufenthalt in den USA aufzugeben. Ein solches Nebeneinander von gewöhnlichem Auslands- und vorübergehendem Inlandsaufenthalt ist möglich, wie das Bundessozialgericht bereits für den umgekehrten Fall - vorübergehender Auslandsaufenthalt bei gewöhnlichem Aufenthalt im Geltungsbereich der RVO - ausgesprochen hat (Urteil vom 29. Mai 1969 - 12 RJ 152/68 -); es läßt in der KVdR die an den gewöhnlichen Auslandsaufenthalt geknüpfte Rechtsfolge der Versicherungsfreiheit unberührt. Ob der Möglichkeit eines "vorübergehenden" Aufenthalts des Rentners im Inland entsprechend § 1320 Satz 1 RVO die äußerste Grenze von einem Jahr zu setzen ist, kann hier offenbleiben, da Frau G. nach wenig mehr als vier Monaten an ihren Wohnsitz in den USA zurückgekehrt ist.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 Abs. 4 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 174

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