Orientierungssatz

Witwenrentenabfindung ist bei einem vorübergehenden Auslandsaufenthalt, der durch eine längere Krankenhausbehandlung wegen eines Krebsleidens bedingt war, zu gewähren.

Ein vorübergehender Auslandsaufenthalt ist neben einem gewöhnlichen Aufenthalt im RVO-Geltungsbereich möglich und löst keine Auszahlungssperre aus.

 

Normenkette

RVO § 1302 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 7. März 1968 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin Witwenrentenabfindung gemäß § 1302 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) auszuzahlen hat.

Die Beklagte gewährte der am 8. April 1922 geborenen Klägerin bis Ende August 1966 eine Witwenrente aus der Invalidenversicherung ihres ersten, mit Wirkung vom 31. Dezember 1945 für tot erklärten Ehemannes. Am 16. August 1966 schloß die Klägerin, die deutsche Staatsangehörige ist und sich von August 1966 bis November 1967 in Stockholm aufhielt, um sich dort wegen eines Krebsleidens ärztlich in einem Krankenhaus behandeln zu lassen, in Schweden die - inzwischen geschiedene - Ehe mit dem griechischen Staatsangehörigen A T. Seit November 1967 wohnt die Klägerin wieder in H.

Nachdem die Klägerin mit Schreiben vom 31. Januar 1967 von Schweden aus beantragt hatte, ihr eine Witwenrentenabfindung zu gewähren, lehnte dies die Beklagte mit der Begründung ab, die Zahlung einer Witwenrentenabfindung in das Ausland sei nicht möglich (Bescheid vom 18. April 1967).

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 18. April 1967 verurteilt, der Klägerin eine Witwenrentenabfindung zu gewähren (Urteil vom 7. März 1968). Es hat die Berufung zugelassen.

Die Beklagte hat mit Einwilligung der Klägerin gegen dieses Urteil Sprungrevision eingelegt. Sie rügt Verletzung des § 1302 Abs. 1 RVO.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des SG Hamburg vom 7. März 1968 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

II

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Im Ergebnis ist dem SG darin beizutreten, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin die Witwenrentenabfindung auszuzahlen, obwohl sich die Klägerin in Schweden aufhielt, als sie wieder heiratete, die Witwenrentenabfindung beantragte und die Beklagte ihr mit Bescheid vom 18. April 1967 diese Abfindung versagte.

Die Voraussetzungen der Vorschrift des § 1302 Abs. 1 RVO sind, wovon das SG zutreffend ausgegangen ist und wogegen auch die Beteiligten keine Bedenken erhoben haben, erfüllt. Nach § 1302 Abs. 1 RVO ist einer Witwe, die wieder heiratet, als Abfindung das Fünffache des Jahresbetrages der bisher bezogenen Rente zu gewähren. Die Klägerin war Witwe; sie bezog Witwenrente aus der Invalidenversicherung ihres für tot erklärten Ehemannes; am 16. August 1966 hat sie wieder geheiratet. Mit Schreiben vom 31. Januar 1967 hat sie den gem. § 1545 Abs. 1 Nr. 2 RVO erforderlichen Antrag auf Gewährung der Witwenrentenabfindung gestellt. Dem Anspruch auf Witwenrentenabfindung steht nicht entgegen, wie dies das SG mit Recht ausgeführt hat, daß die Ehe im Ausland geschlossen wurde und der Ehemann der Klägerin Ausländer war; denn die Ehe war nach deutschem Recht unter Beobachtung der in Schweden erforderlichen Form wirksam geschlossen (Art. 13 Abs. 1 Satz 1, Art. 11 Abs. 1 Satz 2 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch).

Ob, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang Leistungen aus der Rentenversicherung bei Aufenthalt der Berechtigten außerhalb des Geltungsbereichs der RVO zu zahlen sind, regeln die Vorschriften der §§ 1315 bis 1323a RVO (vgl. Jantz/Zweng/Eicher, Das neue Fremdrenten- und Auslandsrentenrecht, 2. Auflage 1960, Vorbemerkung a vor §§ 1315 ff., A, Seite 141). Diese Vorschriften handeln nur von Renten und - in § 1323 a RVO - der Beitragserstattung, nicht aber von der Auszahlung anderer Leistungen der Rentenversicherung, insbesondere von Witwenrentenabfindungen gem. § 1302 Abs. 1 RVO, woraus zu folgern ist, daß Witwenrentenabfindungen bei Aufenthalt außerhalb des Geltungsbereichs der RVO nicht zu bewirken sind (vgl. Jantz/Zweng/Eicher, aaO). Die Klägerin hält sich aber - und das allein hat das SG als den die Entscheidung tragenden Gedanken herausgestellt - nicht mehr im Ausland, sondern seit November 1967 wieder in der Bundesrepublik Deutschland auf. Da es - so ist in dem angefochtenen Urteil ausgeführt - für die Auszahlung der Witwenrentenabfindung nur von Bedeutung sei, wo sich die Berechtigte aufhalte, sei mit der Rückkehr der Klägerin in die Bundesrepublik Deutschland ein etwaiges Auszahlungshindernis weggefallen, so daß ihr die Abfindung auszuzahlen sei.

Diese Begründung und das Ergebnis des SG sind entgegen der Auffassung der Revision bedenkenfrei. Es braucht dabei nicht entschieden zu werden, ob der die Auszahlung der Witwenrentenabfindung verweigernde Bescheid der Beklagten vom 18. April 1967 in dem Zeitpunkt, in dem er von dieser erlassen wurde und in dem sich die Klägerin wegen der Behandlung ihres Krebsleidens im Ausland aufhielt, rechtmäßig oder rechtswidrig war. Denn jedenfalls hatte die Beklagte kein Recht mehr, der Klägerin die Witwenrentenabfindung vorzuenthalten, nachdem sie nach beendigter Krebsbehandlung von ihrem vorübergehenden Aufenthalt in Schweden in die Bundesrepublik Deutschland zurückgekehrt war und sich damit im Geltungsbereich der RVO aufhielt. Das war zu der Zeit, als das SG entschied, eindeutig der Fall. Daß der Aufenthalt der Klägerin in Schweden seiner Natur nach nur ein vorübergehender und nicht, wie dies die Beklagte annehmen möchte, ein gewöhnlicher Auslandsaufenthalt war, läßt sich nach Lage des Falles nicht in Abrede stellen. Schon in ihrem Antragsschreiben vom 31.Januar 1967 hatte die Klägerin mitgeteilt, daß sie sich in Stockholm nur wegen der Krankenhausbehandlung ihres Krebsleidens aufhalte; sie hatte die Rückkehr in ihre Wohnung in H angekündigt und zugleich als ihren festen Wohnsitz H, R Nr. 10, sowie ihr Konto bei der Neuen Sparkasse 1864, Filiale B, angegeben; später hatte sie diese Angaben wiederholt. Tatsächlich ist die Klägerin ja auch, nachdem die Behandlung wegen des Krebsleidens abgeschlossen war, wieder nach Hamburg als ihrem Lebensmittelpunkt zurückgekehrt. Zwar hat der Aufenthalt in Schweden nach den Feststellungen des SG von August 1966 bis November 1967 gedauert, jedoch steht diese Dauer des Auslandsaufenthaltes der Annahme eines vorübergehenden Aufenthalts nicht entgegen, weil dieser nur durch die Krankenhausbehandlung der schweren Erkrankung bedingt war (vgl. Jantz/Zweng/Eicher, aaO, § 1320 Anm. 3).

Das Ergebnis, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin die Witwenrentenabfindung auszuzahlen, läßt sich indes auch noch auf folgende Weise begründen:

In seinem bereits erwähnten Urteil vom 3. Februar 1966 - 4 RJ 387/64 - (BSG 24, 227), in dem der 4. Senat des Bundessozialgerichts ausgesprochen hat, der Aufenthalt der Berechtigten außerhalb des Geltungsbereichs der RVO stehe der Zahlung der Witwenrentenabfindung entgegen, sofern nicht übernationales Recht oder zwischenstaatliche Abkommen diese zuließen, hat dieser dem Territorialprinzip, wonach sich die Sozialversicherungsgesetze im allgemeinen nur auf das Inland beziehen, den Grundsatz entnommen, daß Geldleistungen ins Ausland ruhten, soweit nicht das Gesetz etwas anderes anordne. Gegenüber der Regel, daß Leistungen der Rentenversicherung nur im deutschen Rechtsanwendungsgebiet zu erbringen seien, behandelten die Vorschriften der §§ 1315 bis 1323a RVO die Ausnahmen. In jedem Fall ist daher der Berechtigten die Zahlung der Abfindung der Witwenrente verwehrt worden, weil sie sich freiwillig gewöhnlich außerhalb des Geltungsbereichs der RVO aufgehalten habe. Folgt man diesen Erwägungen des 4. Senats des Bundessozialgerichts, hätte die Beklagte die Witwenrentenabfindung nur dann nicht auszahlen dürfen, wenn sich die Klägerin freiwillig gewöhnlich in Schweden aufgehalten hätte. Gerade das Gegenteil war, wie bereits ausgeführt, der Fall. Die Klägerin hielt sich vielmehr nur vorübergehend im Ausland auf. Während des vorübergehenden Auslandsaufenthalts hatte sie aber ihren freiwilligen gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich der RVO beibehalten. Ein vorübergehender Auslandsaufenthalt neben einem gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich der RVO ist möglich und löst keine Auszahlungssperre aus, die die Beklagte berechtigt hätte, die Abfindungszahlung zu verweigern. Vielmehr hatte diese wegen des neben dem vorübergehenden Auslandsaufenthalt fortbestehenden freiwilligen gewöhnlichen Aufenthalts innerhalb des Geltungsbereichs der RVO die Pflicht, die Witwenrentenabfindung antragsgemäß auszuzahlen, wobei es unerheblich ist, wo die Wiederheirat - sei es im In- oder Ausland - stattgefunden hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2284943

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