Entscheidungsstichwort (Thema)

Anrechnungszeit. Arbeitslosigkeit. Arbeitsuchend. Beschäftigung, rentenversicherte. Unterbrechung. Leistungen wegen Arbeitslosigkeit. öffentlich-rechtliche Systemkonkurrenz. Nichtleistungsbezug. Verfügbarkeitseinschränkung

 

Leitsatz (amtlich)

1. In der Rentenversicherung setzt eine Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug (§ 58 Abs. 1 S 1 Nr. 3 SGB VI) auch dann eine regelmäßige Meldung beim Arbeitsvermittler in Abständen von höchstens drei Monaten voraus, wenn der Versicherte zuvor arbeitsförderungsrechtlich zulässig erklärt hat, nicht mehr bereit zu sein, jede zumutbare Beschäftigung anzunehmen (Fortführung von BSG SozR 3-2600 § 58 Nr. 2, Anschluß an BSG SozR 3-2600 § 58 Nr. 5).

2. Entscheidungen des zuständigen Trägers, öffentlich-rechtliche Leistungen wegen Arbeitslosigkeit zu gewähren oder nur wegen Einkommensanrechnung abzulehnen, haben für den Rentenversicherungsträger Tatbestandswirkung.

 

Normenkette

SGB VI § 58 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, Abs. 2, § 237 S. 2 Nr. 1; AFG § 105c Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

SG Düsseldorf (Urteil vom 10.02.1995; Aktenzeichen S 20 An 94/93)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10. Februar 1995 aufgehoben. Die Klage gegen den Bescheid vom 5. Januar 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. April 1993 wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist die Höhe einer Altersrente.

Die im März 1933 geborene Klägerin entrichtete bis April 1989 Pflichtbeiträge zur Angestelltenversicherung aufgrund versicherungspflichtiger Beschäftigung. Vom 2. Mai 1989 bis zum 31. März 1993 war sie bei der Bundesanstalt für Arbeit (BA) arbeitslos gemeldet. Im März 1991 hatte sie der BA gegenüber erklärt, sie sei nicht mehr bereit, jede zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder an zumutbaren beruflichen Bildungsmaßnahmen teilzunehmen (§ 105c Abs. 1 Satz 1 des Arbeitsförderungsgesetzes ≪AFG≫). Die BA gewährte der Klägerin vom 18. Mai 1989 bis zum 13. Januar 1992 Arbeitslosengeld (Alg), jedoch in der Folgezeit wegen des anzurechnenden Einkommens des Ehemannes der Klägerin keine Arbeitslosenhilfe (Alhi). Die BA wies die Klägerin im Blick auf rentenversicherungsrechtliche Ausfallzeiten wegen Arbeitslosigkeit darauf hin, es läge in deren Interesse, für die Dauer der Arbeitslosigkeit das Arbeitsgesuch aufrechtzuerhalten; die Klägerin sei dann gehalten, sich mindestens alle drei Monate auch ohne entsprechende Aufforderung persönlich bei ihrem Arbeitsvermittler zu melden und alle Vermittlungsbemühungen zu unterstützen.

Die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) bewilligte der Klägerin antragsgemäß Altersrente (§ 39 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch ≪SGB VI≫) ab dem 1. April 1993 (streitiger Bescheid vom 5. Januar 1993; Widerspruchsbescheid vom 30. April 1993). Dabei rechnete sie die Zeiten des Bezuges von Alg als Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit rentensteigernd an, nicht jedoch die streitigen Zeiten vom 14. Januar 1992 bis zum 31. März 1993.

Mit ihrer Klage zum Sozialgericht (SG) Düsseldorf hat die Klägerin – wie zuvor schon gegenüber der BfA – geltend gemacht, sie habe auch in dem umstrittenen Zeitraum „von § 105c AFG Gebrauch gemacht”; das zuständige Arbeitsamt hat dies gegenüber dem SG bestätigt. Dieses hat die Beklagte durch Urteil vom 10. Februar 1995 unter Abänderung der streitigen Verwaltungsentscheidungen verurteilt, die Zeit vom 14. Januar 1992 bis 31. März 1993 „als Anrechnungszeit anzuerkennen und bei der Berechnung der Altersrente der Klägerin rentensteigernd zu berücksichtigen”. Das SG ist folgender Ansicht: Die Klägerin habe den Tatbestand der Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit iS von § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VI erfüllt. Sie sei arbeitslos und auch subjektiv verfügbar gewesen. Dem stehe die Erklärung nach § 105c AFG nicht entgegen. Diese Vorschrift enthalte eine gesetzliche Fiktion der subjektiven Verfügbarkeit und verfolge das Ziel, ältere Arbeitnehmer vom psychischen Druck zu befreien, verfügbar zu sein. Damit sei unvereinbar, nach Ende des Leistungsbezuges von älteren Versicherten den Widerruf der abgegebenen Erklärung nach § 105c AFG und die Abgabe eines Bewerberangebotes zu verlangen. Dies sei angesichts der gegenwärtigen Arbeitsmarktlage für ältere Arbeitnehmer von vornherein sinn- und erfolglos und daher sozialinadäquat. Außerdem werde ein sinn- und erfolgloser Verwaltungsaufwand im Bereich der Arbeitsvermittlung sowie der Statistik der BA verursacht.

Die Beklagte rügt mit ihrer – vom SG zugelassenen und mit Zustimmung der Klägerin eingelegten – (Sprung-)Revision eine Verletzung des § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VI. Die Klägerin sei nicht im Sinne der Arbeitslosenversicherung arbeitslos gewesen, weil sie ihre Erklärung nach § 105 c AFG nicht widerrufen und kein erneutes Bewerberangebot abgegeben habe. Dies sei Voraussetzung einer Anerkennung von Anrechnungszeiten wegen Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug; hierauf sei die Klägerin hingewiesen worden. Das SGB VI bewerte Zeiten der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug, in denen die Verfügbarkeit nach § 105c AFG eingeschränkt sei, nicht als Anrechnungszeiten. Dies ergebe sich zwingend aus § 237 Satz 2 Nr. 1 SGB VI. Darin sei ausdrücklich angeordnet, daß vorgenannte Arbeitslosigkeitszelten bei der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit den Zeitraum von zehn Jahren verlängern, in dem acht Jahre Pflichtbeitragszeiten sein müssen. Weil Anrechnungszeiten gemäß § 38 Nr. 3 SGB VI diesen Zeitraum ohnehin verlängern, wäre § 237 Satz 2 Nr. 1 SGB VI überflüssig, falls Arbeitslosigkeitszeiten mit eingeschränkter Verfügbarkeit ohnehin nach § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VI Anrechnungszeiten wären.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10. Februar 1995 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 5. Januar 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. April 1993 abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Auch bei eingeschränkter Verfügbarkeit nach § 105c AFG sei eine Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit anzurechnen. § 237 SGB VI betreffe einen anderen Fall. Hingegen sei § 105c AFG ein Spezialgesetz, das von § 237 SGB VI lediglich flankiert, aber nicht verdrängt werde. § 105c Abs. 1 AFG fingiere zugunsten der älteren Arbeitnehmer deren Bereitschaft, jede zumutbare Beschäftigung aufzunehmen. Im übrigen habe „der 11. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) am 27. November 1995 (7 RAr 14/95) entschieden (gemeint wohl: Urteil des 7. Senats vom 14. September 1995)”, daß auch Arbeitslose, die nicht mehr jede zumutbare Stelle annehmen müssen, sich gleichwohl vor Antritt eines Urlaubs beim Arbeitsamt melden müssen, wie jeder andere auch. Damit sei unvereinbar, diesen Personenkreis der älteren Arbeitslosen im Rentenrecht zu benachteiligen, obwohl er den Pflichten nach dem AFG unterliege.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2) des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫ einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die zulässige (Sprung-)Revision der Beklagten ist begründet. Das SG hat die BfA zu Unrecht verurteilt, die Zeit vom 14. Januar 1992 bis zum 31. März 1993 als Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit rentensteigernd anzurechnen. Die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen haben dies zu Recht nicht getan. Denn die Klägerin hat den Tatbestand einer Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit nicht erfüllt, weil sie im umstrittenen Zeitraum nicht hinreichend nach Arbeit gesucht hat.

1. Gemäß § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 2 Satz 1 SGB VI liegt eine Anrechnungszeit „wegen Arbeitslosigkeit” nur vor, wenn ein Versicherter wegen Arbeitslosigkeit bei einem deutschen Arbeitsamt als Arbeitsuchender gemeldet war und eine öffentlich-rechtliche Leistung bezogen oder nur wegen des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens nicht bezogen hat und wenn dadurch eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit oder ein versicherter Wehrdienst oder Zivildienst unterbrochen ist.

Diese Bestimmung ist hier gemäß § 300 Abs. 1 SGB IV anwendbar. Mit ihr hat das SGB IV die bis zum 31. Dezember 1991 maßgebliche, in § 36 Abs.1 Satz 1 Nrn 3 und 3a des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG = § 1259 Abs.1 Nrn 3 und 3a der Reichsversicherungsordnung (RVO)) gesetzlich verlautbarte Regelung der Anrechnungszeiten (Ausfallzeiten) wegen Arbeitlosigkeit zwar in ihrem wesentlichen sozialpolitischen Gehalt unbeeinträchtig übernommen Die Neufassung von Wortlaut und Struktur des Gesetzestextes verdeutlicht aber zugleich rentenversicherungsrechtliche Änderungen (zB hinsichtlich der für den Leistungsbezug maßgeblichen öffentlich-rechtlichen Leistungen) und Klarstellungen. So hat das SGB VI die (scheinbare) Tatbestandsvoraussetzung, der Berechtigte müsse ein "Arbeitsloser" sein, nicht in das neue Recht übernommen; ferner hat der neue Gesetzestext rentenversicherungsrechtliche Voraussetzungen dieser Anrechnungszeiten dadurch verdeutlicht, daß er die in § 58 Abs 2 SGB VI genannten gemeinsamen Voraussetzungen für die Anrechnungszeiten nach Abs 1 Nrn 1 bis 3 aaO, also deren "allgemeinen Teil", zusammengefaßt hat. Dem hat der Senat in seinem Urteil vom 15. Dezember 1994 (SozR 3-2600 § 58 Nr 2 S 3/4) bereits Rechnung getragen.

2. Gemessen an diesen, von § 58 SGB VI gegenüber dem alten Recht umgestalteten Vorgaben sind nach den für den Senat bindenden (§§ 163, 161 Abs 4 SGG) tatsächlichen Feststellungen des SG folgende Voraussetzungen einer Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit erfüllt:

a) Die Klägerin ist "Versicherte", weil sie (bis April 1989 Pflicht-)Beiträge zur Angestelltenversicherung entrichtet hat. Sie übte im umstrittenen Zeitraum auch "keine in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit" aus, wie § 58 Abs 2 SGB VI voraussetzt. Durch diesen Zustand war eine rentenversicherte Beschäftigung "unterbrochen" (Abs 2 aaO). Zwar liegt zwischen dem Ende der versicherungspflichtigen Beschäftigung am 30. April 1989 und dem Beginn des umstrittenen Zeitraums am 14. Januar 1992 mehr als ein voller Kalendermonat; je doch wird der sog unmittelbare Anschluß durch die von der BfA im angefochtenen Bescheid angerechnete Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit (Bezug von Alg) vom 18. Mai 1989 bis zum 13. Januar 1992 gewahrt. Hinreichende Feststellungen dazu, ob die Klägerin im umstrittenen Zeitraum bereits endgültig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden war, liegen allerdings nicht vor (stellvertretend zur sog Unterbrechung Kass Komm-Niesel, § 58 SGB VI RdNrn 100 ff mwN). Insoweit ist der Rechtsstreit trotz der Ausführungen des SG, die auf ein endgültiges Ausscheiden der Klägerin aus dem Erwerbsleben hindeuten, nicht zurückzuverweisen, weil die Revision der Beklagten (ggf auch) aus einem anderen Grunde (dazu unter 3) Erfolg haben muß.

b) Die Klägerin hat ferner einen Teil der spezifischen Voraussetzungen des § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VI erfüllt:

Sie hat eine öffentlich-rechtliche Leistung wegen Arbeitslosigkeit (hier: Alhi) nur wegen des zu berücksichtigenden Einkommens (ihres Ehemannes) nicht bezogen. § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VI setzt voraus, daß der Versicherte, der bis zuletzt (dh bis unmittelbar vor Beginn der Anrechnungszeit) aufgrund rentenversicherter Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet hat, jetzt keinem solchen Erwerb mehr nachgeht und in dieser Zeit deswegen öffentlich-rechtliche Leistungen wegen Arbeitslosigkeit bezieht, wobei nicht nur solche der BA nach dem AFG in Betracht kommen. Bezieht er Leistungen wegen Arbeitslosigkeit (zB Hilfe zum Lebensunterhalt vom Sozialhilfeträger) nicht, kann er den Tatbestand der Anrechnungszeit nur erfüllen, wenn er ohne die Einkommensanrechnung eine solche Leistung bezogen hätte.

Der Rentenversicherungsträgen der über die Gewährung von Leistungen wegen Arbeitslosigkeit selbst nicht zu befinden hat, darf daher insoweit nur prüfen, ob dem Versicherten in dem jeweiligen Zeitraum von einem anderen Hoheitsträger eine Leistung wegen Arbeitslosigkeit gewährt worden ist oder – nach dessen Entscheidung – ohne Einkommensanrechnung gewährt worden wäre, insbesondere liegt es nicht in der Kompetenz des Rentenversicherungsträgers, die Voraussetzungen für öffentlich-rechtliche Leistungen, weiche andere Hoheitsträger wegen Arbeitslosigkeit zu erbringen haben, in eigener Verantwortung zu prüfen und über sie zu entscheiden. Vielmehr sind von ihm – auch von den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit im rentenversicherungsrechtlichen Rechtsstreit – die Entscheidungen der anderen Hoheitsträger darüber, ob öffentlich-rechtliche Leistungen wegen Arbeitslosigkeit nach dem für sie maßgeblichen Recht zu gewähren oder nur wegen Einkommensanrechnung zu versagen sind, für das Rentenversicherungsverhältnis hinzunehmen. Die BfA hatte somit die Entscheidung der BA, der Klägerin Alhi nur wegen Einkommensanrechnung nicht zu gewähren, als maßgeblich zugrunde zu legen. Sie hat also rentenversicherungsrechtlich richtig entschieden, daß die Klägerin in der streitigen Zeit eine öffentlich-rechtliche Leistung wegen Arbeitslosigkeit „nur” wegen des zu berücksichtigenden Einkommens ihres Ehemannes (nicht aber wegen ihrer Erklärung nach § 105c AFG) nicht bezogen hat.

Ferner war die Klägerin iS von Nr. 3 a.a.O. wegen Arbeitslosigkeit bei einem deutschen Arbeitsamt gemeldet. Denn sie hat dem zuständigen Arbeitsamt mitgeteilt, daß sie seit dem 1. Mai 1989 keine rentenversicherte Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit iS von § 58 Abs. 2 SGB VI mehr ausübte.

3. Sie kann jedoch die rentensteigernde Anrechnung dieser Zeit nicht beanspruchen, weil sie bei der BA nicht „als Arbeitsuchende” iS von § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VI gemeldet war,

a) Diese Vorschrift soll (BSG SozR 3-2600 § 58 Nr. 2 S 4 mwN) einem Rentenversicherten Versicherungsschutz erhalten für die Zeit, in der er aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen des Arbeitsmarktes trotz Erwerbsfähigkeit und aktiver Arbeitsplatzsuche keine rentenversicnerungsbeitragspflichtige Erwerbstätigkeit oder Beschäftigung ausüben kann; im Wege des sozialen Ausgleichs, dh des solidarischen Einstehens der Rentenversicherten untereinander, soll ihm zur Abmilderung der aus unfreiwillig pflichtbeitragslos gebliebenen Zeiten drohenden rentenversicherungsrechtlichen Nachteile eine Anrechnungszeit gewährt werden, welche nicht nur für die Höhe einer späteren Rente, sondern auch für die Erfüllung versicherungsrechtlicher Voraussetzungen Bedeutung erlangen kann. Diese Wohltat soll aber nur Versicherten zukommen, die sich selbst solidarisch verhauen, also wirklich und ohne Vorbehalte nach Arbeit „suchen”, die also nicht nur arbeitslos und erwerbsfähig, sondern auch bemüht sind, unter Nutzung der Möglichkeiten der Arbeitsvermittlung der BA eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit wiederzuerlangen. Daher reicht das bloße passive Abwarten, ob die BA eine rentenversicherte Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit „anbietet”, nicht aus. Das solidarische Einstehen der anderen Rentenversicherten darf vielmehr nur in Anspruch genommen werden, wenn der erwerbsfähige Versicherte sich aktiv um eine rentenversicherte Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit bemüht. Deswegen müssen grundsätzlich alle, die nicht rentenversichert beschäftigt oder erwerbstätig sind, aber die Solidarität der anderen Rentenversicherten in Anspruch nehmen wollen, sich wenigstens regelmäßig, dh jedenfalls alle drei Monate, bei der BA als (weiterhin) eine rentenversicherte Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit suchend melden. Hierauf ist die Klägerin von der BA auch zutreffend hingewiesen worden (vgl § 15 Abs. 2 AFG).

b) Das SGB VI enthält weder in § 58 a.a.O. noch in sonstigen Vorschriften, welche die Anrechnungszeiten betreffen (zB § 252 SGB VI), ein Privileg zugunsten der Versicherten, die das 58. Lebensjahr vollendet und die in § 105c AFG für das Arbeitsförderungsrecht zugelassene Erklärung abgegeben haben. Keiner Darlegung bedarf, daß § 105c AFG eine Norm des Arbeitsförderungsrechts ist, also im Rechtsverhältnis zwischen dem Beitragspflichtigen und der BA gilt; die Vorschrift ist nicht anwendbar im Rentenversicherungsrecht, welches das Rechtsverhältnis zwischen dem Versicherten und dem Rentenversicherungsträger regelt. Das Arbeitsförderungsrecht ist nicht Bestandteil der Sozialversicherung iS des Sozialgesetzbuchs (§§ 3, 4, 18 bis 19b, 23) des Ersten Buches Sozialgesetzbuch ≪SGB I≫; §§ 1, 2 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch ≪SGB IV≫. Eine von der Klägerin behauptete spezialgesetzliche Regelung, welche die Geltung von § 105c AFG im Rentenversicherungsrecht anordnete, gibt es nicht. Gemäß § 31 SGB I (Vorbehalt des Gesetzes) wäre aber ein spezialgesetzlicher Anwendungsbefehl erforderlich, damit die für einen außerhalb der Rentenversicherung gelegenen Rechtsbereich erlassene Vorschrift rentenversicherungsgesetzlich begründete Rechte oder Pflichten abändern könnte. Schon deswegen ist § 105c AFG keine „Spezialregelung” zu § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VI.

Die rentenversicherungsrechtliche Obliegenheit zur Arbeitssuche tritt allein aus (Konkurrenz-)Gründen der Systemspezialität und zur Vermeidung von Normwidersprüchen, also ohne Bezug auf Erklärungen iS von § 105c Abs. 1 AFG, hinter die Regelungen des AFG über die Arbeitsvermittlung nur zurück bei Beziehern von Leistungen wegen Arbeitslosigkeit nach dem AFG. Nur diese Leistungsbezieher stehen aufgrund ihres Rechtsverhältnisses zur BA zu dieser in einer besonderen Pflichtenstellung; sie müssen ua für diesen Leistungsträger sogar – worauf die Klägerin richtig hinweist – dann objektiv erreichbar sein, wenn sie eine Erklärung iS von § 105c Abs. 1 AFG abgegeben haben. Derartige arbeitsförderungsrechtliche Obliegenheiten bestehen für Nichtleistungsbezieher (wie zB für die Klägerin) ebensowenig wie für diejenigen, die öffentlich-rechtliche Leistungen wegen Arbeitslosigkeit von einem anderen Hoheitsträger oder nicht nach den Vorgaben des AFG erhalten. Nur bei AFG-Leistungsbeziehern kann es zur Konkurrenz zwischen der rentenversicherungsrechtlichen Regel über die Arbeitssuche und den Anforderungen des AFG an den Leistungsbezieher kommen. Insoweit geht die Regelung des Spezialsystems vor. Wer also im AFG-Leistungsbezug steht, hat auch rentenversicherungsrechtlich hinreichend nach Arbeit gesucht. Alle anderen Rentenversicherten müssen Arbeit wenigstens dadurch suchen, daß sie sich mindestens alle drei Monate bei der BA um Vermittlung einer rentenversicherten Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit bemühen, also ihr Vermittlungsgesuch aufrechterhalte.

Ferner trifft das Revisionsvorbringen der BfA zu. Die Regelung in § 237 Satz 2 Nr. 1 SGB VI wäre offensichtlich überflüssig, falls eine Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit nach dem Konzept des SGB VI auch dann vorliegen könnte, wenn der Versicherte seine Arbeitssuche unter den Vorbehalt stellt, nicht jede „zumutbare” Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit anzunehmen. Schon aus Existenz und Wortlaut dieser Regelung ergibt sich, daß das SGB VI bei denjenigen, die keine öffentlich-rechtliche Leistung wegen Arbeitslosigkeit bezogen haben, eine uneingeschränkte Arbeitssuche für die Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit voraussetzt, im Gesetz wer den nämlich versicherungsrechtliche Voraussetzungen für die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit gerade im Blick auf die Bedeutung von Arbeitslosigkeitszeiten geregelt, in denen der Versicherte von § 105c AFG Gebrauch gemacht, aber gleichwohl keine Anrechnungszeit iS von § 58 SGB VI zurückgelegt hat: hierfür kommen nur Zeiten in Betracht, in denen eine Leistung wegen Arbeitslosigkeit nur wegen der Anrechnung von Einkommen nicht bezogen worden ist.

Soweit in der Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit und im Schrifttum dennoch (in bezug auf das im Gesetz nicht mehr als ≪scheinbar≫ eigenständige Anspruchsvoraussetzung genannte Merkmal, der Versicherte müsse „arbeitslos” gewesen sein) eine „Fernwirkung” des § 105c Abs. 1 AFG auf § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 2 SGB VI erörtert (und zT angenommen) wird, gibt es dafür keine gesetzliche Grundlage (stellvertretend für den Stand der Diskussion: Schleswig-Holsteinisches LSG, Breithaupt 1993, 494; LSG Niedersachsen, Urteil vom 11. August 1993 – L 10 J 29/93; LSG Berlin, Urteil vom 27. März 1993 – L 16/6 J 13/93; SG Duisburg, SGB 1994, 673; ferner das hier angefochtene Urteil des SG Düsseldorf vom 10. Februar 1995 – S 20 An 94/93; Eicher/Haase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, § 58 SGB VI Anm. 5a; Gemeinschaftskomm zum SGB VI/Wolff, § 58 RdNr. 36; Hirt, BB 1989, 297, 301; Koch/Hartmann/Kaltenbach/Maier, § 36 AVG Anm. B IV 1, 9.4.; Kreiss, MittLVA Württemberg, 1994, 261, 268; Paulus, DAngVers 1995, 400 ff; Verbandskomm zur Rentenversicherung, § 1259 RVO RdNr. 13, § 58 SGB VI Anm. 6, 32; Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung, § 58 SGB VI RdNr. 38; Buschmann, SGB 1994, 632 ff; Gagel/Steinmeyer, § 105c AFG RdNr. 17; Kass Komm-Niesel, § 58 SGB VI RdNr. 26; Schupmann/Oeteren, Amtliche Mitteilung LVA Rheinprovinz 1987, 527, 528 f).

Der 13. Senat des BSG (Urteil vom 8. Februar 1996 – 13 RJ 19/95, zur Veröffentlichung vorgesehen) hat entschieden, daß in den Fällen, in denen trotz Anwendung von § 105c AFG ein Leistungsbezug wegen Einkommensanrechnung nicht erfolgt, eine Anrechnungszeit nach § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VI nicht vorgesehen ist (vgl dazu BT-Drucks 11/5654 S 14; Paulus, DAngVers 1995, 400, 401 f). Es stelle auch keine planwidrige, durch „richterliche Rechtsfortbildung” zu schließende Regelungslücke dar, daß – anders als in § 237 SGB VI – die Bestimmungen über die Anrechnungszeittatbestände (§§ 58, 252 SGB VI) nicht im Sinne eines Durchgreifens der in § 105c AFG getroffenen Regelung eingeschränkt worden sei. Diesem Ergebnis tritt der erkennende Senat aus den og von ihm angeführten Gründen bei.

4. Demgegenüber können die vom SG für die von ihm vorgenommene Gesetzeskorrektur angeführten Gründe, welche die Klägerin sich zu eigen gemacht hat, nicht überzeugen:

Im Rechtsstreit um rentenversicherungsrechtliche Rechte und Pflichten aus dem Versicherungsverhältnis der Klägerin mit der BfA ist nicht darüber zu entscheiden, welche Bedeutung § 105c AFG im Arbeitsförderungsrecht hat. Aus dem Wortlaut dieser Vorschrift ergibt sich keine Andeutung, die eine Auslegung erlauben könnte, die Abänderung der Voraussetzungen für bestimmte AFG-Leistungen beanspruche Geltung für ein anderes Rechtssystem und die dort ausdrücklich und abschließend geregelten Rechte und Pflichten. Sogar dann, wenn es zuträfe, daß § 105c Abs. 1 AFG eine gesetzliche Fiktion der Verfügbarkeit iS von § 103 AFG enthält, ergäben sich daraus für das Rentenversicherungsrecht keine Rechtsfolgen. Aus der vom SG angenommenen Zielsetzung der Organe der gesetzgebenden Gewalt bei Einführung des § 105c AFG zum 1. Januar 1986 wird nicht einmal ansatzweise deutlich, daß damit zugleich auch niedrigere Anforderungen an die Arbeitssuche des Rentenversicherten iS von § 58 SGB VI gestellt werden sollten, so daß auch die Entstehungsgeschichte des § 105c AFG nicht für die vom SG vertretene Ansicht spricht.

Keiner näheren Darlegung bedarf, daß der Beitragspflichtige, der sich iS des Arbeitsförderungsrechts in einem vom SG nicht näher beschriebenen Sinne „sozialadäquat” verhält, deswegen grundsätzlich keine arbeitsförderungsrechtlichen Nachteile erleiden darf. Rentenversicherungsrechtliche Rechte und Pflichten zwischen dem Versicherten und dem Rentenversicherungsträger, ebenso das zwischen ihnen „sozialadäquate” Verhalten, werden jedoch durch die Vorgaben des Sozialversicherungsrechts (§ 1 SGB IV), zu dem das Arbeitsförderungsrecht nicht gehört, näherhin durch die Regelungen, Grundsätze und Prinzipien des SGB VI festgelegt. Hier gilt die Regel der Solidarität, daß jeder Versicherte, der erwerbsfähig iS von § 44 SGB VI ist, den durch sozialen Ausgleich gewannen Versicherungsschutz der Anrechnungszeiten wegen Arbeitslosigkeit nur in Anspruch nehmen kann, wenn er sich aktiv darum bemüht, eine iS von § 44 Abs. 2 SGB VI „zumutbare” rentenversicherte Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit zu erhalten. Demgegenüber sind die Arbeitsmarktrisiken, also die von der Erwerbsfähigkeit zu unterscheidende Erwerbsmöglichkeit, für die Verteilug der rentenversicherugrechtlichen Rechte und Pflichten zwischen dem Versicherten und dem Versicherungsträger ohne Belang. Die Klägerin hätte sich in ihrem Rentenversicherungsverhältnis nur dann (im weitesten Sinne) „sozialadäquat” verhalten (und dann auch den Versicherungsschutz durch Anrechnungszeiten erlangt), wenn sie zumindest alle drei Monate aktiv bei der BA um eine „zumutbare” rentenversicherte Beschäftigung oder Tätigkeit nachgesucht hätte.

Außerdem ist § 105c AFG auch der Klägerin (ebenso wie den „Leistungsbeziehern”) bereits zugute gekommen. Denn in der Voraussetzung, daß sie Alhi „nur” wegen des anzurechnenden Einkommens ihres Ehemannes nicht bezogen hat, ist bereits berücksichtigt, daß der Rentenversicherungsträger ihr ihre gemäß § 105c Abs. 1 Satz 1 AFG eingeschränkte Verfügbarkeit (iS von § 103 AFG) nicht entgegenhalten darf. Es würde also zu einer zweifachen Anwendung des vom SG hervorgehobenen Schutzgedankens des § 105c AFG zugunsten der Versicherten ohne Leistungsbezug führen, die öffentlich-rechtliche Leistungen wegen Arbeitslosigkeit „nur” deswegen nicht erhalten, weil das zu berücksichtigende Einkommen zu hoch, also das Bedürfnis nach Sicherung durch öffentliche Leistungen gering ist. Diese Personen sind (auch wirtschaftlich) frei zu entscheiden, ob sie nach einer rentenversicherten Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit suchen oder aber die Solidargemeinschaft der Rentenversicherten nicht in Anspruch nehmen wollen.

Schließlich können auch die vom SG angeführten, aber mit tatsächlichen Feststellungen nicht näher begründeten Bedenken gegen die Sinnhaftigkeit der Arbeitssuche von älteren Versicherten und des damit verbundenen Verwaltungsaufwandes für die BA nicht überzeugen. Das Rentenversicherungsrecht geht bei erwerbsfähigen Versicherten grundsätzlich davon aus, daß sie regelmäßig bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres eine rentenversicherte Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit ausüben (Beginn der „Regel”-Altersrente – § 35 Nr. 1 SGB VI). Es übernimmt Risiken und Lasten des Arbeitsmarktes nur ausnahmsweise und in den engen Grenzen spezialgesetzlicher Regelungen (zB § 102 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI). Vor allem aber haben die Organe der gesetzgebenden Gewalt den § 15 Abs. 2 AFG nicht geändert. Danach wird das Vermittlungsgesuch eines Arbeitsuchenden, der – wie die Klägerin – weder Alg noch Alhi bezieht, drei Monate bearbeitet. Der Arbeitsuchende kann es erneuern. Eine Änderung dieser Regel hätte nahegelegen, wenn die Volksvertretung die Ansichten teilte, Vermittlungsgesuche ua von älteren Nichtleistungsbeziehern seien sinn- und zwecklos und führten zu nutzlosem Verwaltungsaufwand. Eine Einschränkung dieser Regelung gerade auch im Blick auf die von § 105c AFG Begünstigten kennt nicht einmal das Arbeitsförderungsrecht; schon deswegen gibt es keine gesetzliche Grundlage für richterliche Einschränkungen der rentenversicherungsrechtlichen Anforderungen an die Arbeitssuche in § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VI.

Nach alledem war der zulässigen Revision der Beklagten in vollem Umfang stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG.

 

Fundstellen

SozSi 1997, 158

SozSi 1997, 197

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