Leitsatz (amtlich)

Die Befreiung von der Krankenversicherungspflicht nach RVO § 173b setzt voraus, daß die Erhöhung der Jahresverdienstgrenze tatsächlich zur Versicherungspflicht führt; das gilt auch, wenn dem Eintritt der Versicherungspflicht eine nicht nur vorübergehende Beschäftigung im Ausland entgegensteht.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Rentenversicherung erbringt im Ausland keine Rehabilitationsleistungen.

2. Wird eine Angestellte (des Auswärtigen Amtes) als "entsandte Kraft" unbefristet (seit 1968) bei einer deutschen Botschaft im Ausland beschäftigt, so kann nicht davon ausgegangen werden, daß ihre Beschäftigung im Ausland nur vorübergehend ist. Die Auslandstätigkeit ist daher nicht krankenversicherungspflichtig. Eine vertraglich zwar vorgesehene, zeitlich aber unbestimmte Unterbrechung der Auslandsbeschäftigung durch eine Inlandstätigkeit ändert daran nichts.

3. Die in der Rentenversicherung nach AVG § 2 Abs 1 Nr 2 (RVO § 1227 Abs 1 S 1 Nr 2) vorgesehene Regelung, nach der bei einer amtlichen Vertretung des Bundes beschäftigte Deutsche rentenversicherungspflichtig sind, läßt nicht den Schluß zu, daß auch in anderen Versicherungszweigen (Krankenversicherung) entsprechend verfahren werden kann.

4. Der Rechtsstatus der Exterritorialität gewährt nur die Freiheit von Zwangsmaßnahmen seitens des ausländischen Staates, ermöglicht aber nicht etwa die Ausstrahlung des inländischen Sozialversicherungsrechts.

 

Normenkette

RVO § 173b Fassung: 1969-07-27; AVG § 2 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1227 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 24. Mai 1974 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Klägerin ist Angestellte beim Auswärtigen Amt und als sogenannte entsandte Kraft ohne ausdrückliche Befristung bei einer Botschaft der Bundesrepublik im Ausland beschäftigt. Nach Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze zum 1. Januar 1972 beantragte die Klägerin bei der beklagten Ortskrankenkasse Bonn am 12. Januar 1972, sie in entsprechender Anwendung des § 173 b Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) von der Versicherungspflicht zu befreien, weil sie durch die genannte Erhöhung zwar nicht tatsächlich, aber doch dem Grunde nach versicherungspflichtig geworden sei und einen ausreichenden privaten Krankenversicherungsschutz habe.

Die Beklagte lehnte die Befreiung ab, weil die Klägerin wegen ihrer Beschäftigung im Ausland ohnehin versicherungsfrei sei (Bescheid vom 31. Mai 1972, Widerspruchsbescheid vom 17. August 1972). Die Klägerin meinte, wenn schon die Befreiung nicht ausgesprochen werden könnte, müsse doch zumindest klargestellt werden, daß die Monatsfrist des § 173 a Abs. 2 RVO iVm § 173 b Abs. 1 Satz 2 RVO erst mit der nächsten Beschäftigung in der Bonner Zentrale beginne, mit der nach einigen Jahren Auslandsaufenthalt wieder zu rechnen sei.

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte zur Erteilung eines Befreiungsbescheides verurteilt und gemeint, § 173 b Abs. 1 RVO müsse im Wege der Lückenausfüllung entsprechend angewendet werden. Für die Klägerin sei die Befreiung von besonderem Interesse, weil sie anderenfalls in den vorgesehenen Zeiten der Beschäftigung im Inland praktisch doppelt versichert sein müsse (Urteil vom 4. Dezember 1972). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Klage hingegen abgewiesen und ausgeführt: Die Klägerin, die weit überwiegend im Ausland tätig sei, könne auch bei großzügiger Anwendung der sogenannten Ausstrahlungstheorie während ihrer Auslandsbeschäftigung nicht als versicherungspflichtig angesehen werden. Die Befreiung versicherungsfreier Beschäftigter sei aber logisch nicht möglich. Eine planwidrige Gesetzeslücke liege entgegen der Auffassung des SG nicht vor, weil offenkundig von § 173 b RVO nur diejenigen Beschäftigten erfaßt werden sollten, die von der Versicherungspflicht eingeholt werden, nicht aber diejenigen, die nach Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze aus anderen Gründen versicherungspflichtig werden, wie dies zB. bei bisher Selbständigen oder bei solchen Angestellten der Fall sei, deren Verdienst unter die Versicherungspflichtgrenze herabsinke.

Die Klägerin hat die von dem LSG zugelassene Revision eingelegt und beantragt, das erstinstanzliche Urteil wieder herzustellen; hilfsweise beantragt sie, den Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen. Sie stellt sich nunmehr auf den Standpunkt, sie unterliege auch während ihrer Auslandsbeschäftigung der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung, so daß eine Befreiung möglich sei. Was (in § 1227 Abs. 1 Nr. 2 RVO und § 2 Abs. 1 Nr. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -) für die Rentenversicherung hinsichtlich der bei einer amtlichen Vertretung des Bundes Beschäftigten ausdrücklich festgelegt sei, müsse für den ganzen Bereich der Sozialversicherung gelten. Außerdem hätte das LSG weitere Ermittlungen über die Dauer der Auslandsbeschäftigung der Klägerin anstellen müssen, wobei es erkannt hätte, daß sie nicht ununterbrochen, wie festgestellt, von 1968 bis 1974 im Ausland beschäftigt gewesen sei.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Zutreffend hat das LSG entschieden, daß die beklagte Krankenkasse nicht verpflichtet ist, die Befreiung der Klägerin von der Krankenversicherungspflicht zum 1. Januar 1972 auszusprechen, weil sie wegen ihrer Beschäftigung im Ausland durch die Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze nicht versicherungspflichtig geworden ist und § 173 b RVO nicht die Möglichkeit vorsieht, von einer nur in Aussicht stehenden Versicherungspflicht zu befreien.

Der Revision kann nicht darin gefolgt werden, die Klägerin sei entgegen der Auffassung beider Vorinstanzen am 1. Januar 1972 versicherungspflichtig geworden und deshalb ohne rechtliche Schwierigkeiten nach § 173 b RVO zu befreien. Das LSG hat - insoweit von der Revision unbeanstandet - festgestellt, daß die Klägerin unbefristet vom Auswärtigen Amt als "entsandte Kraft" seit 1968 bei einer deutschen Botschaft im Ausland beschäftigt war, wobei jedoch nach der Praxis des Arbeitgebers spätestens nach zwei Auslandsstationen mit einer Unterbrechung der Auslandstätigkeit durch eine Tätigkeit in der B Zentrale zu rechnen war. Da die Klägerin hiernach zum maßgeblichen Stichtag - 1. Januar 1972 - in einem unbefristeten, auf Tätigkeit im Ausland abgestellten Beschäftigungsverhältnis stand, kann nicht davon ausgegangen werden, daß die Beschäftigung im Ausland nur vorübergehend gewesen sei, was jedoch Voraussetzung für eine Ausdehnung sozialversicherungsrechtlicher Rechte und Pflichten nach den Grundsätzen der "Ausstrahlung" ist, wenn, wie hier, mit dem betreffenden ausländischen Staat keine andere Regelung getroffen ist (BSG 7, 257; 17, 173; 22, 31). Die vertraglich zwar vorgesehenen, zeitlich aber unbestimmten Unterbrechungen durch Inlandsbeschäftigungen ändern daran nichts.

Die Versicherungspflicht der Klägerin kann auch nicht aus allgemeinen Erwägungen hergeleitet werden, wie sie nach Auffassung der Klägerin in § 1227 Abs. 1 Nr. 2 RVO, § 2 Abs. 1 Nr. 2 AVG ihren Niederschlag gefunden haben. Nach diesen Vorschriften sind bei einer amtlichen Vertretung des Bundes beschäftigte Deutsche rentenversicherungspflichtig, ohne daß es auf die Dauer der Beschäftigung ankommt. Diese Regelung läßt aber nicht den Schluß zu, daß auch in anderen Versicherungszweigen entsprechend verfahren werden kann. Offenbar gehen die genannten Vorschriften von der Voraussetzung aus, daß die Durchführung der Rentenversicherung von Deutschen in amtlichen Vertretungen im Ausland keinen ins Gewicht fallenden Schwierigkeiten begegnet, auch wenn diese Personen viele Jahre lang dort beschäftigt sind. Denn die Durchführung der Rentenversicherung erschöpft sich in der Zeit der Beschäftigung regelmäßig in der Entgegennahme von Zahlungen. Leistungen der Rehabilitation, die für die Rentenversicherung ohnehin keine im Vordergrund stehenden typischen Leistungen sind, werden grundsätzlich nicht im Ausland erbracht (vgl. § 1237 c RVO). Im Gegensatz dazu ist die Durchführung der Krankenversicherung mit ihren kurzfristigen Risiken und ihrem Sachleistungsprinzip im Ausland mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, denen bei vorübergehender Auslandsbeschäftigung durch die Einschaltung des Arbeitgebers - unvollkommen - Rechnung getragen wird (vgl. § 221 RVO). Zu Folgerungen, die über die Grundsätze der Ausstrahlung hinausgehen, gibt auch die Exterritorialität des Arbeitsplatzes der Klägerin keinen Anlaß. Der Rechtsstatus der Exterritorialität gewährt nur die Freiheit von Zwangsmaßnahmen seitens des ausländischen Staates, ermöglicht aber nicht etwa die Ausstrahlung des inländischen Sozialversicherungsrechts.

In Übereinstimmung mit den beiden Vorinstanzen muß daher davon ausgegangen werden, daß die Klägerin durch die Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze zum 1. Januar 1972 nicht versicherungspflichtig geworden ist, obwohl ihr Verdienst von nun an unter dieser Grenze lag. Entgegen der Meinung des SG ist weder das besondere Interesse der Klägerin noch die besondere Fallgestaltung geeignet, entgegen dem Wortlaut des § 173 b RVO - etwa im Wege der Lückenausfüllung - einen Befreiungsanspruch zu gewähren. Gegen eine Erweiterung des von § 173 b RVO nach seinem unmittelbaren Wortsinn erfaßten Personenkreises spricht nicht nur der Charakter dieser Vorschrift als Ausnahmeregelung, sondern auch der Grundsatz, daß Freistellungen von der gesetzlichen Versicherungspflicht im Interesse der gebotenen Solidarität der Versichertengemeinschaft nur in begrenztem Umfang zugelassen werden können (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 4. Oktober 1973 - SozR Nr. 76 zu § 165 RVO). Die Befürchtungen der Klägerin, daß sie bei einer späteren vorübergehenden Inlandsbeschäftigung einerseits versicherungspflichtig würde und andererseits ihre private Versicherung aufrecht erhalten müßte, um bei einer weiteren unbefristeten Entsendung ins Ausland gesichert zu sein weist darauf hin, daß dann, wenn diese Ereignisse eintreten, ein besonderes Interesse an der Befreiung besteht. Diese ungewissen Ereignisse sind aber kein Grund bei Anwendung des § 173 b RVO davon abzusehen, daß die Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze schon zur Versicherungspflicht geführt haben muß. Anders als im Fall des befristet ruhenden Beschäftigungsverhältnisses mit den Merkmalen einer die Versicherungspflicht begründenden Tätigkeit (vgl. dazu Urteil des 12. Senats vom 26. Mai 1971 zu der Befreiung nach Art. 2 § 1 Abs. 1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) idF des Finanzänderungsgesetzes vom 21. Dezember 1967 - BGBl I 1259 - in: Die Angestelltenversicherung 1971 S. 326 mit Anmerkung von Lepszy) liegt bei der Klägerin ein Beschäftigungsverhältnis vor, das nach seiner Art - Auslandstätigkeit - in jedem Fall ohne Rücksicht auf die Höhe des Jahresarbeitsverdienstes (JAV) versicherungsfrei ist und deshalb hinsichtlich der Versicherungspflicht von den Schwankungen des JAV gar nicht berührt werden kann.

Indessen ist nicht zu übersehen, daß die Klägerin ein berechtigtes Interesse daran haben kann, davor geschützt zu sein, bei einer späteren vorübergehenden Inlandsbeschäftigung versicherungspflichtig zu werden, obwohl sie einen ausreichenden privaten Krankenversicherungsschutz hat und ihn aufrecht erhalten möchte. Diesem Interesse kann aber nicht in der von der Klägerin gewünschten Form einer Feststellung Rechnung getragen werden, daß die Monatsfrist erst mit der Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland beginnt. Eine solche Feststellung wäre rein theoretischer Natur und beträfe kein Rechtsverhältnis im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), das allein feststellungsfähig ist; denn erst mit der Aufnahme einer die Versicherungspflicht begründenden Tätigkeit wäre die konkrete Rechtsbeziehung gegeben, die die Frage nach der Befreiung von der Versicherungspflicht auslösen könnte.

Im übrigen scheitert die von der Klägerin hilfsweise begehrte Feststellung auch daran, daß nach geltendem Recht eine Befreiung von der Krankenversicherungspflicht für solche Arbeitnehmer, die im Ausland nicht versicherungspflichtig beschäftigt waren und nach ihrer Rückkehr eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufnehmen - etwa in der Art des Art. 2 § 1 Abs. 2 AnVNG idF des Dritten Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes vom 28. Juli 1969 (BGBl I 956) - nicht vorgesehen ist. Ob darin eine verfassungsrechtlich bedenkliche Ungleichbehandlung liegt, braucht hier jedoch nicht näher erörtert zu werden. Jedenfalls müßte es dem Gesetzgeber überlassen bleiben, hier Abhilfe zu schaffen. Hierfür bietet sich nicht nur die Befreiung nach § 173 b RVO ohne Fristbegrenzung nach § 173 a Abs. 2 RVO an; auch privatrechtliche Regelungen (Änderung der allgemeinen Versicherungsbedingungen) könnten geeignet sein, die Auslandsangestellten vor Härten zu bewahren. Im übrigen hat sich die Klägerin nicht gegen die Auffassung des LSG gewendet, daß es ihr gegenwärtig schon möglich sei, durch Vereinbarung mit dem privaten Krankenversicherungsträger ihre Krankenversicherung in der Zeit einer vorübergehenden Inlandsbeschäftigung zum Ruhen zu bringen und die Prämienhöhe erheblich herabzusetzen. - Im Hinblick auf die Ungewissheit der tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten bei einer - ebenfalls ungewissen - Beschäftigungsaufnahme im Inland sind auch die Voraussetzungen einer vorbeugenden Feststellungsklage nicht gegeben.

Das angefochtene Urteil war daher zu bestätigen (§§ 170 Abs. 1 Satz 1, 193 SGG).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1647229

BSGE, 239

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