Entscheidungsstichwort (Thema)

Bisheriger Beruf bei ungelernten Arbeiten. Bezeichnung von Verweisungstätigkeiten

 

Leitsatz (amtlich)

Auch bei einem auf das allgemeine Arbeitsfeld verweisbaren Versicherten bedarf es der konkreten Bezeichnung wenigstens einer Verweisungstätigkeit jedenfalls dann, wenn seine gesundheitliche Fähigkeit zur Verrichtung selbst leichter Tätigkeiten vielfältig und in erheblichem Umfange eingeschränkt ist (Fortführung von BSG 1978-04-19 4 RJ 55/77 = SozR 2200 § 1246 Nr 30, BSG 1978-10-31 4 RJ 27/77 = SozR 2200 § 1246 Nr 33, BSG 1978-11-28 4 RJ 127/77 = SozR 2200 § 1246 Nr 35).

 

Orientierungssatz

1. Auch bei Versicherten, welche nach ihrer Berufstätigkeit der unteren Gruppe der Arbeiterberufe zuzuordnen sind, ist von der "bisherigen Berufstätigkeit" auszugehen und zu prüfen, ob ihnen deren Ausübung nach ihrem Leistungsvermögen noch möglich ist.

2. Von der Benennung zumindest einer konkreten Verweisungstätigkeit kann lediglich ausnahmsweise dann abgesehen werden, wenn es im Einzelfall offensichtlich ist, daß es für den Versicherten geeignete Tätigkeiten gibt; sie ist hingegen dann nicht entbehrlich, wenn dem Versicherten besondere Umstände vorliegen, die die Ausübung geeigneter Tätigkeiten erschweren.

 

Normenkette

RVO § 1246 Abs 2 S 2 Fassung: 1957-02-23

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 15.10.1979; Aktenzeichen L 9 J 588/79)

SG Mannheim (Entscheidung vom 01.12.1978; Aktenzeichen S 3 J 2106/76)

 

Tatbestand

Streitig ist ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit oder wegen Berufsunfähigkeit.

Die im Jahre 1926 geborene Klägerin ist spanische Staatsangehörige. Sie war im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland als ungelernte Arbeiterin beschäftigt. Ihren Antrag auf Gewährung einer Versichertenrente vom 14. Juli 1976 lehnte die Beklagte aufgrund eines ärztlichen Gutachtens, wonach die Klägerin zwar mit Einschränkungen, aber noch vollschichtig tätig sein könne, mit Bescheid vom 26. Oktober 1976 ab.

Das Sozialgericht (SG) Mannheim hat nach weiterer Sachaufklärung ua durch Einholung ärztlicher Gutachten verschiedener Fachrichtungen die Klage abgewiesen (Urteil vom 1. Dezember 1978). Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 15. Oktober 1979). Zur Begründung hat es ausgeführt:

Nach der Leistungsbeurteilung in vier der fünf vom SG eingeholten ärztlichen Gutachten könne die Klägerin leichte Arbeiten in voller Schicht verrichten. Sie sei allerdings insofern Einschränkungen unterworfen, als sie keine schweren Arbeiten ausüben, keine Lasten über fünf bis acht kg bewegen sowie nicht allein im Stehen, allein im Gehen oder allein im Sitzen, nicht in dauernd gebückter Haltung oder sonstiger körperlicher Zwangshaltung, nur ohne stereotype Bewegungsabläufe der Arme und Hände und ohne Treppensteigen, nicht in feuchten, zugigen, zu warmen oder zu kalten Räumen, nicht auf Leitern oder Gerüsten und nicht im Akkord, am Fließband oder zur Nachtzeit arbeiten könne. Der Klägerin verbleibe damit ein eingeschränktes Leistungsvermögen unter den Bedingungen, daß sie nur leichte Arbeiten mit Bewegen von Lasten bis höchstens acht kg im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen, in normaler Körperhaltung, mit abwechselnden Arm- und Handbewegungen, ohne Zeitdruck, auf ebener Erde, in geschlossenen Räumen unter normalen Luft- und Temperaturverhältnissen und zur Tageszeit verrichten könne. Zwar könne durch die Mehrzahl dieser Bedingungen auch in ihrer Summierung eine ausreichende Häufigkeit von für die Klägerin in Betracht kommenden Tätigkeiten nicht in Frage gestellt werden. Problematisch sei dagegen, ob es ausreichend viele Tätigkeiten gebe, bei denen Arbeiten im Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen zu verrichten seien und die keine einförmigen Handbewegungen verlangten. In der Industrie gebe es solche Arbeiten nicht sehr häufig. Anders sei es im gewerblichen Bereich. Hier gebe es in zahlreichen Warenhäusern und Lebensmittelgeschäften Arbeiten, die mit den genannten Bedingungen vereinbar seien und die für die Klägerin verlangte Abwechslung in den Bewegungsabläufen zuließen. Das gelte etwa für das Auszeichnen von Waren und das Auffüllen von Warenbehältnissen. Auch im Dienstleistungsbereich wie in Altenpflegeheimen gebe es leichte ungelernte Tätigkeiten für die Klägerin. Sie sei daher nicht außerstande, die Hälfte des Erwerbseinkommens ihrer Versichertengruppe zu erzielen.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision trägt die Klägerin vor, entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts gebe es gerade in handwerklichen Betrieben keine Arbeiten, die sie (Klägerin) verrichten könne und die ihr zumutbar seien. Speziell in diesem Bereich komme es auf die Arbeitskraft viel entscheidender an als in Industrie- und Großbetrieben, in denen Angestellte und Arbeiter schon eher "durchgeschleppt" werden könnten. Ihr (Klägerin) könnten somit Arbeiten schlechterdings nicht angeboten werden. Dabei sei besonders zu berücksichtigen, daß sie nach dem Gutachten ihres Hausarztes, der sie dauernd gesehen, getestet und behandelt habe, täglich nur zwei Stunden einer Erwerbstätigkeit nachgehen könne. Sie sei daher nicht in der Lage, die Hälfte des Erwerbseinkommens ihrer Versichertengruppe zu erzielen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

die Urteile des Landessozialgerichts

Baden-Württemberg vom 15. Oktober 1979 und des

Sozialgerichts Mannheim vom 1. Dezember 1978

aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres

Bescheides vom 26. Oktober 1976 zu verurteilen,

ihr ab Antragstellung Rente wegen

Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen

Berufsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte hat von einer Antragstellung abgesehen.

 

Entscheidungsgründe

Die durch Zulassung statthafte Revision der Klägerin ist zulässig. Ihre Zulässigkeit wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß entgegen § 164 Abs 2 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in der Revisionsbegründung die verletzte Rechtsnorm nicht bezeichnet worden ist. Die genaue Angabe der verletzten Rechtsnorm nach Gesetz und Paragraphennummer ist nicht erforderlich. Es reicht aus, wenn sich die als verletzt erachtete Vorschrift deutlich aus dem Inhalt der Darlegungen des Revisionsklägers ergibt (vgl BSG SozR 1500 § 164 Nr 12 S 17 mwN). Das ist hier der Fall. Insbesondere aus dem Vorbringen der Klägerin, sie sei nach ihrer (Rechts-)Meinung nicht in der Lage, die Hälfte des Erwerbseinkommens ihrer Versichertengruppe zu erzielen, ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit die Rüge einer Verletzung des § 1246 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO).

Die Revision ist im Sinne einer Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht begründet.

Streitig ist ein Anspruch auf Gewährung einer Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit bzw wegen Erwerbsunfähigkeit. Rechtsgrundlagen hierfür sind §§ 1246, 1247 RVO. Hiernach erhält Rente wegen Berufsunfähigkeit bzw Erwerbsunfähigkeit der Versicherte, der berufsunfähig bzw erwerbsunfähig ist, wenn die Wartezeit erfüllt ist (§ 1246 Abs 1, § 1247 Abs 1 RVO). Berufsunfähig ist ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfanges seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (§ 1246 Abs 2 Sätze 1 und 2 RVO). Erwerbsunfähig ist der Versicherte, der infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder von Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf nicht absehbare Zeit eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausüben oder nicht mehr als nur geringfügige Einkünfte durch Erwerbstätigkeit erzielen kann (§ 1247 Abs 2 Satz 1 RVO).

Bezüglich der Frage, ob ein Versicherter berufsunfähig oder erwerbsunfähig ist, ist von seinem "bisherigen Beruf" auszugehen. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) in ständiger Rechtsprechung aller seiner für Angelegenheiten der Arbeiterrentenversicherung zuständigen Senate immer wieder hervorgehoben (vgl ua Urteile des erkennenden Senats in BSG SozR 2200 § 1246 Nr 29 S 85; Nr 41 S 124; Nr 55 S 169; des 4. Senats in BSGE 45, 276, 277 = SozR 2200 § 1246 Nr 27 S 77 und SozR aaO Nr 53 S 160 f; des 5. Senats in BSGE 43, 243, 244 = SozR 2200 § 1246 Nr 16 S 48). Kann der Versicherte seine bisherige Berufstätigkeit auch nach Eintritt der angeblich Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit bedingenden Umstände ohne wesentliche Einschränkungen weiterhin ausüben, so schließt allein dies das Vorliegen von Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit aus. Für eine Verweisung auf andere Tätigkeiten und für eine Erörterung der sozialen Zumutbarkeit dieser Verweisung ist dann kein Raum (vgl Urteil des Senats in BSGE 48, 65, 66 = SozR 2200 § 1246 Nr 39 S 118 f). Aber auch wenn eine solche Verweisung in Betracht kommt, bedarf es der Feststellung des "bisherigen Berufes". Es ist sowohl im Rahmen des § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO für die Bestimmung des Kreises der Tätigkeiten, auf die der Versicherte unter Verneinung von Berufsunfähigkeit zumutbar verwiesen werden kann (vgl Urteile des Senats in BSG 49, 54, 55 = SozR 2200 § 1246 Nr 51 S 154 und in SozR 2200 § 1246 Nr 55 S 169; jeweils mwN), als auch im Rahmen des § 1247 Abs 2 Satz 1 RVO für die Frage, ob die sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben ergebenden äußersten Grenzen der Verweisbarkeit gewahrt sind (vgl BSGE 19, 147, 149 f), von entscheidender Bedeutung. Ausschlaggebend ist nach feststehender Rechtsprechung des BSG der qualitative Wert des bisherigen Berufes des Versicherten im Betrieb. Er wird relativ zuverlässig durch die tarifliche Einstufung widergespiegelt. Sie ist daher ein geeignetes Hilfsmittel zur Feststellung der Qualität des bisherigen Berufes und damit zugleich der dem Versicherten zumutbaren Verweisungstätigkeiten. Dabei ist zu berücksichtigen, daß sich in der Arbeitswelt auf der Grundlage der tariflichen Bewertung mehrere Gruppen von Arbeiterberufen auffinden lassen, welche durch "Leitberufe" - nämlich diejenigen des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw des besonders hochqualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters, des angelernten Arbeiters und des ungelernten Arbeiters - charakterisiert werden. Zumutbar im Sinne des § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO sind dem Versicherten im allgemeinen nur Tätigkeiten der jeweils niedrigeren Gruppe, soweit sie ihn weder nach seinem beruflichen Können und Wissen noch bezüglich seiner gesundheitlichen Kräfte überfordern (vgl Urteile des Senats in BSG SozR 2200 § 1246 Nr 41 S 125; BSGE 49, 54, 56 = SozR 2200 § 1246 Nr 51 S 155 f; BSG SozR 2200 §1246 Nr 55 S 170; jeweils mwN). Eine Einschränkung der Erwerbsfähigkeit im Sinne des § 1247 Abs 2 Satz 1 RVO liegt hingegen erst dann vor, wenn es keine Tätigkeiten gibt, die dem Versicherten nach seinen Kräften und Fähigkeiten, nach sozialen Gesichtspunkten und nach der Höhe des Entgelts zumutbar sind (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 30 S 90).

Das berufliche Leistungsvermögen der Klägerin ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts dahingehend eingeschränkt, daß sie nur noch unter den vom LSG im einzelnen aufgeführten Bedingungen eine leichte Arbeit vollschichtig verrichten kann. Diese Feststellungen sind für den Senat bindend; die Klägerin hat ihnen gegenüber zulässige und begründete Revisionsrügen nicht vorgebracht (§ 163 SGG). Ihr Vorbringen, das LSG habe das Gutachten des Sachverständigen Dr B vom 26. Mai 1978, wonach sie nur noch zwei Stunden täglich leichte Arbeiten verrichten könne, nicht völlig außer Acht lassen dürfen, ist unabhängig davon, daß sich das Berufungsgericht in den Gründen des angefochtenen Urteils sehr wohl mit diesem Gutachten auseinandergesetzt hat, als Revisionsrüge unzulässig. Die Klägerin wendet sich damit gegen die vom LSG unter Zugrundelegung der vom SG eingeholten ärztlichen Gutachten vorgenommene Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG). Insofern reicht es für die Zulässigkeit der Revisionsrüge (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG) nicht aus, die Beweiswürdigung des LSG anzugreifen und an deren Stelle die eigene Beweiswürdigung zu setzen. Vielmehr muß der Revisionskläger substantiiert darlegen, daß und aus welchen Gründen die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt (BSGE 48, 228, 230 = SozR 2200 § 548 Nr 46 S 121 f mwN). Hierzu hat die Revision nichts vorgetragen.

Was den "bisherigen Beruf" der Klägerin anbelangt, so hat sich das LSG auf die Feststellung beschränkt, sie sei als "ungelernte Arbeiterin" beschäftigt gewesen. Nähere Feststellungen zu Einzelheiten der letzten versicherungspflichtigen Beschäftigung der Klägerin enthält das angefochtene Urteil nicht. Statt dessen hat das Berufungsgericht sogleich erörtert, ob und gegebenenfalls welche Verweisungstätigkeiten in Betracht kommen. Dies ist mit der oben dargestellten ständigen Rechtsprechung des BSG nicht vereinbar. Hiernach sind Ausgangspunkte der rechtlichen Prüfung stets der "bisherige Beruf" bzw die "bisherige Berufstätigkeit" und daran anschließend die Frage, ob der Versicherte diese Tätigkeit nicht mehr ausüben kann. Möglicherweise ist das LSG der Ansicht, einer solchen Prüfung bedürfe es bei denjenigen Versicherten nicht, welche nach ihrer Berufstätigkeit der unteren Gruppe der Arbeiterberufe zuzuordnen seien. Diese Ansicht ist unzutreffend. Auch bei diesen Versicherten ist von der "bisherigen Berufstätigkeit" auszugehen und zu prüfen, ob ihnen deren Ausübung nach ihrem Leistungsvermögen noch möglich ist. Dieser Weg der Sachprüfung ist bereits aus Gründen der Verfahrensökonomie und damit im Interesse eines schnellen und effektiven Rechtsschutzes geboten. Je nach ihrem Ergebnis kann sie nämlich dazu führen, daß das Vorliegen von Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit schon deswegen zu verneinen ist, weil der Versicherte trotz Einschränkungen seines Leistungsvermögens seine bisherige Berufstätigkeit noch ausüben kann. In diesem Fall ist das Tatsachengericht der Notwendigkeit einer Erörterung von Verweisungstätigkeiten und einer damit zusammenhängenden, gegebenenfalls umfangreichen und kostenaufwendigen Sachaufklärung enthoben. Das LSG wird somit zunächst festzustellen haben, welche versicherungspflichtige Tätigkeit die Klägerin zuletzt ausgeübt hat und ob sie trotz der Einschränkungen ihres Leistungsvermögens diese Tätigkeit weiterhin verrichten kann.

Erst wenn nach dem Ergebnis der ergänzenden Sachaufklärung die Klägerin zur Ausübung ihrer bisherigen Berufstätigkeit nicht mehr imstande sein sollte, gewinnt die Frage der Verweisbarkeit auf andere Tätigkeiten an Erheblichkeit. Sofern die bisherige Berufstätigkeit der Gruppe der ungelernten Arbeiter zuzuordnen ist, ist bezüglich der Verweisbarkeit gemäß der entgegen der Meinung des Berufungsgerichts bereits vorliegenden Rechtsprechung des BSG folgendes zu berücksichtigen: Die Versicherten in der Gruppe der ungelernten Tätigkeiten können uneingeschränkt auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsfeldes verwiesen werden, die sie nach ihrem Gesundheitszustand und ihren beruflichen Fähigkeiten verrichten können (BSGE 43, 243, 247 = SozR 2200 § 1246 Nr 16 S 50). Grundsätzlich müssen im Verwaltungsverfahren der Versicherungsträger bzw in einem anschließenden Rechtsstreit das Gericht von Amts wegen das Vorhandensein solcher Tätigkeiten prüfen und im Bescheid bzw im Urteil wenigstens eine von ihnen konkret benennen. Das gilt insbesondere für das Berufungsgericht, weil das Revisionsgericht die insoweit erforderlichen Feststellungen tatsächlicher Art nicht selbst treffen kann und sich deshalb in der Regel darauf beschränken muß, die Beurteilung des Berufungsgerichts zu überprüfen. Von der Benennung zumindest einer konkreten Verweisungstätigkeit kann lediglich ausnahmsweise dann abgesehen werden, wenn es im Einzelfall offensichtlich ist, daß es für den Versicherten geeignete Tätigkeiten gibt. Das gilt etwa dann, wenn ein auf das allgemeine Arbeitsfeld verweisbarer Versicherter zwar nicht mehr schwere, wohl aber mittelschwere oder leichte Arbeiten ohne besondere sonstige Einschränkungen verrichten kann. Unter dieser speziellen Voraussetzung ist im allgemeinen die Zahl der in Frage kommenden Tätigkeiten so groß, daß die Benennung einzelner von ihnen durch den Versicherungsträger oder das Tatsachengericht überflüssig ist. Sie ist hingegen dann nicht entbehrlich, wenn bei dem Versicherten besondere Umstände vorliegen, die die Ausübung geeigneter Tätigkeiten erschweren. Zu diesen besonderen Umständen gehört vor allem die Zugehörigkeit zu den Gruppen der Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion (bzw der besonders hoch qualifizierte Facharbeiter) und der Facharbeiter (vgl zur Benennungspflicht speziell in diesen Fällen BSGE SozR 2200 § 1246 Nr 37 S 115; Nr 38 S 116 f; Nr 45 S 135; Urteil des Senats vom 12. November 1980 - 1 RJ 104/79 -). Besondere Umstände sind aber auch dann gegeben, wenn der Versicherte gesundheitlich stärker oder in spezifischer Weise eingeschränkt ist, nur unter besonders unüblichen Arbeitsbedingungen tätig sein kann oder wegen seines besonders gearteten Berufslebens aus dem Kreis der sonstigen in der Arbeiterrentenversicherung Versicherten deutlich herausfällt (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 30 S 90 f; Nr 33 S 99; Nr 35 S 107 f). Von der Frage des Vorhandenseins konkreter Verweisungstätigkeiten ist die Prüfung zu unterscheiden, ob es für diese Tätigkeiten in ausreichendem Umfange Arbeitsplätze gibt, der Arbeitsmarkt also dem Versicherten offensteht. Bei Vollzeittätigkeiten bedarf es einer solchen Prüfung im Regelfall nicht. Auf sie ist die Rechtsprechung des Großen Senats des BSG (BSGE 43, 75, 79 ff = SozR 2200 § 1246 Nr 13 S 38 ff) zur Frage, ob der Arbeitsmarkt für Teilzeitarbeitskräfte offen oder verschlossen ist, grundsätzlich nicht anzuwenden und somit in der Regel davon auszugehen, daß es für derartige Tätigkeiten Arbeitsplätze in ausreichendem Umfange gibt. Ausnahmen können allenfalls dann in Betracht kommen, wenn der Versicherte nach seinem Gesundheitszustand zwar an sich noch Vollzeittätigkeiten, diese aber nicht unter betriebsüblichen Bedingungen verrichten oder wenn er aus gesundheitlichen Gründen Arbeitsplätze dieser Art von seiner Wohnung aus nicht aufsuchen kann (BSGE 44, 39, 40 = SozR 2200 § 1246 Nr 19 S 57 f; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 22 S 63; Nr 30 S 91 f; Nr 32 S 97; Nr 33 S 98 f).

Nach den bindenden Feststellungen des LSG ist die gesundheitliche Fähigkeit der Klägerin zur Verrichtung selbst leichter Tätigkeiten vielfältig und in erheblichem Umfange eingeschränkt. Damit hätte gemäß den vorstehenden Grundsätzen das Berufungsgericht das Vorhandensein von der Klägerin möglichen und zumutbaren Verweisungstätigkeiten prüfen und bei Verneinung des geltend gemachten Rentenanspruchs wenigstens eine von ihnen konkret benennen müssen. Dem entspricht das angefochtene Urteil nicht. Das gilt einmal bezüglich der vom LSG in Erwägung gezogenen Verweisungstätigkeiten im gewerblichen Bereich (Auszeichnen von Waren, Auffüllen von Warenbehältnissen). Das LSG hat nicht ermittelt und festgestellt, ob es überhaupt Arbeitsplätze gibt, auf denen ausschließlich diese Tätigkeiten auszuüben sind. Das angefochtene Urteil enthält ferner keine Feststellungen hinsichtlich der körperlichen und geistigen Anforderungen an derartige Tätigkeiten. Damit zugleich fehlt eine revisionsgerichtlich nachprüfbare Grundlage für die Feststellung des LSG, die von ihm angeführten Tätigkeiten seien mit den Bedingungen vereinbar, unter denen das Leistungsvermögen der Klägerin eingeschränkt sei. Überhaupt nicht erörtert hat das LSG die Frage, ob die Klägerin nach ihrem geistigen Leistungsvermögen und ihren beruflichen Fähigkeiten zur Ausübung der erwähnten Tätigkeiten imstande ist. Auch hinsichtlich der Verweisung der Klägerin auf leichte ungelernte Tätigkeiten im Dienstleistungsbereich genügt das angefochtene Urteil nicht den durch die Rechtsprechung konkretisierten gesetzlichen Anforderungen. Das LSG hat sich insofern auf die Feststellung beschränkt, es kämen Tätigkeiten "etwa in Altenpflegeheimen" in Betracht. Welcher Art die Tätigkeiten sind, welche Anforderungen an das körperliche und geistige Leistungsvermögen sie stellen und welche beruflichen Fähigkeiten sie voraussetzen, ist vom LSG nicht geprüft und festgestellt worden. Dies ist jedoch unabweisbar erforderlich (zu den Anforderungen an die konkrete Bezeichnung von Verweisungstätigkeiten, dort allerdings bezogen auf Facharbeiter, vgl auch das dem LSG bekannte Urteil des BSG vom 3. Dezember 1980 - 4 RJ 83/79).

Eine abschließende Entscheidung des Rechtsstreits ist somit nur aufgrund weiterer tatsächlicher Feststellungen möglich. Sie sind vom LSG nachzuholen. Zu diesem Zweck ist der Rechtsstreit an die Vorinstanz zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Das Berufungsgericht wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1658240

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