Leitsatz (amtlich)

Die Vorschrift des KOV-VfG § 47 Abs 3 (in Kraft ab 1955-04-01) ergreift ebenfalls alle am Tage des Inkrafttretens des Gesetzes anhängigen Rückforderungsfälle (Fortführung BSG 1956-08-30 8 RV 403/54 = BSGE 3, 234).

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Rechtsprechung setzt im Verfahrensrecht höhere Gewalt im allgemeinen mit unabwendbarem Zufall gleich. Sie bezeichnet ein Ereignis, das unter den gegebenen Umständen auch durch äußerste nach Lage der Sache vom Betroffenen zu erwartende Sorgfalt nicht verhindert werden kann, als höhere Gewalt (Vergleiche BGH 1955-05-04 VI ZR 37/54 = BGHZ 17, 199).

2. Wenn ein Urteil über mehrere selbständige materiell-rechtliche Ansprüche entscheidet, dann ist die Zulässigkeit eines Rechtsmittels für jeden Anspruch selbständig zu prüfen (Vergleiche BSG 1956-07-03 1 RA 87/55 = BSGE 3, 135, wonach die Zulässigkeit des Rechtsmittels auf einen bestimmten Anspruch beschränkt werden kann); denn verschiedene Ansprüche können in verschiedenen Bescheiden behandelt und in verschiedenen Klagen geltend gemacht werden.

3. Setzt die Versorgungsbehörde die Ausgleichsrente rückwirkend herab und erhebt sie einen Rückforderungsanspruch, den sie gegen die künftige laufende Rente aufrechnet, dann steht dieser Anspruch mit der Herabsetzung in rechtlichem Zusammenhang, bedingt dadurch, daß die Herabsetzung zu Recht besteht.

Ficht der Kläger die Entscheidung der Versorgungsbehörde uneingeschränkt an, dann begehrt er in erster Linie die Gewährung der Ausgleichsrente in der bisherigen Höhe und in zweiter Linie die Fortzahlung dieser Rente ohne Einbehaltung von Tilgungsbeträgen.

Wie der Rückforderungsanspruch von der Höhe der Ausgleichsrente abhängt und endgültig nur bestehen kann, wenn die erste Entscheidung über die Herabsetzung der Ausgleichsrente bestätigt wird, so ist auch das zweite Begehren des Klägers von der Entscheidung des Gerichts über sein erstes Begehren abhängig.

Wenn das Gericht die Herabsetzung der Ausgleichsrente bestätigt, dann wird das zweite Begehren der Beseitigung des erhobenen Rückforderungsanspruchs rechtserheblich.

Infolge der Abhängigkeit des zweiten Begehrens von der Entscheidung über das erste ist das Vorbringen des Klägers zum Rückforderungsanspruch als Eventualvorbringen anzusehen (vgl Rosenberg, ZPO, 7. Aufl, § 61 IV). Dies bedeutet, daß das Gericht über das Vorbringen zur Rückforderung und Aufrechnung nur dann zu entscheiden hat, wenn es auf den ersten Klageantrag die Herabsetzung der Ausgleichsrente als zu Recht vorgenommen ansieht. Nur mit einer solchen Entscheidung tritt die Bedingung ein, von welcher der Rückforderungsanspruch und die Aufrechnung abhängen.

 

Normenkette

KOVVfG § 47 Abs. 3 Fassung: 1955-05-02

 

Tenor

Die Urteile des Landessozialgerichts Berlin vom 1. Juni 1954 und des Versorgungsgerichts Berlin vom 12. Oktober 1953, die Entscheidung des Einspruchsausschusses des Landesversorgungsamts Berlin vom 29. Dezember 1952 sowie der Bescheid des Versorgungsamts Berlin vom 25. September 1952 werden insoweit aufgehoben, als sie den Rückforderungsanspruch des Beklagten betreffen.

Der Beklagte hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die Mutter der Kläger beantragte im August 1950 für sich und ihre Kinder Hinterbliebenenversorgung nach dem gefallenen Ehemann bzw. Vater. Mit Bescheid vom 13. Oktober 1951 gewährte das Versorgungsamt (VersorgA.) Berlin Hinterbliebenenversorgung nach dem Berliner Gesetz über die Versorgung von Kriegs- und Militärdienstbeschädigten sowie ihren Hinterbliebenen (KVG) vom 24. Juli 1950 und Grund- und Ausgleichsrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Dabei rechnete es die Waisenrente der Versicherungsanstalt Berlin (VAB.) in Höhe von monatlich je DM 26,-- ab 1. Januar 1951 als Einkommen an. Die Erhöhung der VAB.-Rente, die nach dem Aktenvermerk vom 4. September 1951 ab 1. Juni 1951 monatlich je DM 34,-- betrug, ließ es unberücksichtigt. Die Waisenrente nach dem BVG betrug nach diesem Bescheid monatlich je DM 20,--. Am 25. September 1952 erließ das VersorgA. einen "Neufeststellungsbescheid", in dem es rückwirkend ab 1. Juni 1951 die VAB.-Waisenrente mit monatlich je DM 34,-- als Einkommen anrechnete und die BVG-Waisenrente rückwirkend auf monatlich je DM 12,-- herabsetzte. Zur Begründung gab das VersorgA. eine wesentliche Änderung der VAB.-Waisenrente ab 1. Juni 1951 an (§ 62 BVG). Es errechnete eine Überzahlung an Waisenausgleichsrente für die Zeit vom 1. Juni 1951 bis 31. Oktober 1952 in Höhe von DM 272,--. Das VersorgA. forderte diesen Betrag zurück und wollte ihn in Raten von der laufenden Rente einbehalten.

Auf den Einspruch der gesetzlichen Vertreterin der Kläger hat der Einspruchsausschuß des Landesversorgungsamts (LVersorgA.) Berlin die Berechnung der Waisenrente unter Anrechnung der höheren VAB.-Waisenrente bestätigt und im übrigen den Bescheid vom 25. September 1952 dahin geändert, daß ein Rückforderungsanspruch nur in Höhe von DM 192,-- besteht.

Hiergegen haben die Kläger beim Versorgungsgericht (VersorgG.) Berlin Klage erhoben. Die Erhöhung der VAB.-Rente sei eine Teuerungszulage und stelle keine wesentliche Einkommensänderung dar. Einen Rückforderungsanspruch lehnten sie ab. Während des Klageverfahrens stellte die Landesversicherungsanstalt (LVA.) Berlin mit Bescheid vom 15. April 1953 fest, daß die VAB.-Waisenrente ab 1. Juni 1951 nicht je DM 34,10, sondern monatlich je DM 28,50 betrage. Sie stellte die Zahlung der bisherigen VAB.-Waisenrente von je DM 34,10 mit Ende Mai 1953 ein, sah jedoch von einer Rückforderung der überzahlten VAB.-Waisenrente für diese Zeit (1.6.1951-31.5.1953) ab. Daraufhin rechnete das VersorgA. mit Bescheid vom 3. Juli 1953 ab 1. Juni 1953 nur noch je DM 28,-- VAB.-Waisenrente als Einkommen an und erhöhte die laufende Waisenrente auf monatlich je DM 18,--.

Das VersorgG. Berlin hat mit Urteil vom 12. Oktober 1953 die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, nach § 47 Abs. 3 BVG sei auch eine Erhöhung der VAB.-Waisenrente anzurechnen. Aus der Mitteilung der LVA. Berlin vom 15. April 1953 ergebe sich, daß für die beiden Waisen bis zu diesem Zeitpunkt tatsächlich eine Waisenrente von DM 72,20 (davon DM 4,-- nicht anzurechnende Teuerungszulage) gewährt und der zuviel gezahlte Betrag von der LVA. Berlin nicht zurückverlangt worden sei. Daher habe das VersorgA. mit Recht den höheren Betrag bei der Berechnung der Ausgleichsrente angerechnet.

Die Kläger haben mit der Berufung beantragt, "das angefochtene Urteil und den Neufeststellungsbescheid vom 25. September 1952 in der Fassung des Einspruchsbescheids vom 29. Dezember 1952 insoweit aufzuheben, als darin eine Neufestsetzung der Ausgleichsrente in der Höhe erfolgt ist, daß eine Rückzahlungsverpflichtung in Höhe von DM 192,-- sich für die Kläger ergibt".

Das Landessozialgericht (LSG.), auf das die Sache mit Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) am 1. Januar 1954 übergegangen ist, hat mit Urteil vom 1. Juni 1954 die Berufung als unzulässig verworfen. Revision wurde zugelassen. Das LSG. hat ausgeführt, es sei nur die Höhe der Ausgleichsrente streitig. Die errechneten Beträge, die angeblich zurückzuzahlen seien, stellten nur Folgen der Berechnung der Höhe der Waisenausgleichsrente dar. Die Zulässigkeit der Berufung sei nach dem SGG zu beurteilen. Sie sei nach § 148 Nr. 4 SGG nicht gegeben, weil allein die Höhe der Waisenausgleichsrente streitig sei.

Die Kläger haben am 23. September 1954 beim Bundessozialgericht (BSG.) die Gewährung des Armenrechts zur Einlegung der Revision gegen das am 24. Juli 1954 zugestellte Urteil des LSG. beantragt und später das Armutszeugnis vorgelegt. Nachdem mit Beschluß vom 29. Februar 1956, zugestellt am 5. März 1956, das Armenrecht bewilligt worden war, haben sie am 28. März 1956 Revision eingelegt. Sie sind der Ansicht, es handele sich nicht um einen Streit über die Höhe der Ausgleichsrente im Sinne des § 148 Nr. 4 SGG. Sie beanstanden nicht die Höhe der Ausgleichsrente, sondern die ihnen auferlegte Verpflichtung zur Zurückzahlung von DM 192,--. Diese Rückforderung sei gemäß § 47 Abs. 3 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (VerwVG) vom 2. Mai 1955 ausgeschlossen, da die Rückzahlungsverpflichtung auf einer Änderung des Bescheids nach § 41 VerwVG beruhe.

Der Beklagte hat beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Revision ist infolge Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG).

Sie ist auch fristgerecht eingelegt. Da die Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils unrichtig ist - es fehlt der Hinweis auf das Erfordernis eines bestimmten Antrags in der Revisionsschrift (BSG. 1 S. 227) - konnte die Revision nach § 66 Abs. 2 SGG nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung des Urteils eingelegt werden, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war. Die Rechtsprechung setzt im Verfahrensrecht höhere Gewalt im allgemeinen mit unabwendbarem Zufall gleich. Sie bezeichnet ein Ereignis, das unter den gegebenen Umständen auch durch äußerste nach Lage der Sache vom Betroffenen zu erwartende Sorgfalt nicht verhindert werden kann, als höhere Gewalt (vgl. BGHZ. 17 S. 199; AN 1933 S. 348 Nr. 4658).

Die Jahresfrist nach Zustellung des angefochtenen Urteils ist am 25. Juli 1955 abgelaufen (der 24.7.1955 war ein Sonntag, § 64 Abs. 3 SGG). Bis zu diesem Zeitpunkt haben die Kläger die Gewährung des Armenrechts beantragt und ihre Armut durch ein Armutszeugnis nachgewiesen. Sie waren daher verhindert, die Revision innerhalb der Jahresfrist einzulegen. Daß bis zu diesem Zeitpunkt über das Armenrechtsgesuch nicht entschieden war, stellt für sie höhere Gewalt dar. Die höhere Gewalt ist mit Zustellung des Beschlusses über die Bewilligung des Armenrechts weggefallen. Nach § 66 Abs. 2 Satz 2, § 67 Abs. 2 SGG ist in einem solchen Fall die versäumte Rechtshandlung binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses nachzuholen. Da die Revisionsschrift innerhalb eines Monats seit Zustellung des Beschlusses eingegangen ist, ist die Revision fristgerecht eingelegt worden. Sie entspricht den Formvorschriften der 164 Abs. 2 Satz 1, 166 SGG. Sie ist auch form- und fristgerecht begründet worden (§ 164 SGG).

Die Revision ist begründet.

Es war zu entscheiden, ob die Berufung der Kläger zulässig war. Das BSG. hat bereits entschieden, daß sich in den Übergangsfällen des § 218 Abs. 6 SGG die Zulässigkeit der Berufung nach den §§ 143 bis 150 SGG richtet (BSG. 1 S. 78 u. 2 S. 129). Der Ausschluß der Berufung nach §§ 145 bis 148 SGG richtet sich nach dem Gegenstand des angefochtenen Urteils, nicht nach dem Beschwerdegegenstand im Berufungsverfahren (vgl. BSG. 1 S. 225, 3 S. 217). Gegenstand des Urteils des VersorgG. war der Bescheid vom 25. September 1952 und die Entscheidung des Einspruchsausschusses des LVersorgA. vom 29. Dezember 1952 (§ 41 Abs. 1 u. 2 Berl. KVG vom 24.7.1950 i.d.F. vom 22.12.1952, GVBl. S. 1184).

Der Bescheid des VersorgA. spricht zwei Entscheidungen aus: Einmal setzt die Versorgungsbehörde die Waisenrente rückwirkend von monatlich je DM 20,-- auf monatlich je DM 12,-- herab. Ferner erhebt sie einen Rückforderungsanspruch und erklärt, sie werde damit gegen die künftige laufende Rente aufrechnen. Der Rückforderungsanspruch steht mit der ersten Entscheidung in rechtlichem Zusammenhang; denn er ist dadurch bedingt, daß die Waisenrente nicht, wie ausbezahlt, je DM 20,--, sondern nur je DM 12,-- monatlich beträgt. Der Einspruchsausschuß hat diese beiden Entscheidungen bestätigt und nur die Höhe des Rückforderungsanspruchs geändert.

Die Kläger haben die Entscheidung des Einspruchsausschusses uneingeschränkt angefochten. Ihr Begehren ist rechtlich dahin auszulegen, daß sie entsprechend den zwei Entscheidungen im Bescheid zweierlei verlangen: In erster Linie die Gewährung der Waisenrente in der bisherigen Höhe und in zweiter Linie die Fortzahlung der zustehenden Waisenrente in der vollen Höhe ohne Einbehaltung von Tilgungsbeträgen seitens der Versorgungsbehörde.

Das erste Begehren betrifft die Höhe der Ausgleichsrente. Das zweite setzt voraus, daß die Höhe der Ausgleichsrente feststeht, die den Klägern nach § 47 BVG zu zahlen ist. Es betrifft die Auszahlung der zustehenden Rente und die Berechtigung der Versorgungsbehörde, mit dem streitigen Rückforderungsanspruch aufzurechnen.

Wie der Rückforderungsanspruch von der Höhe der Ausgleichsrente abhängt und endgültig nur bestehen kann, wenn die erste Entscheidung über die Herabsetzung der Ausgleichsrente bestätigt wird, so ist auch das zweite Begehren der Kläger von der Entscheidung des Gerichts über ihr erstes Begehren abhängig. Wenn das Gericht die Herabsetzung der Ausgleichsrente bestätigt, so wird das zweite Begehren der Beseitigung des erhobenen Rückforderungsanspruchs rechtserheblich. Infolge der Abhängigkeit des zweiten Begehrens von der Entscheidung über das erste ist das Vorbringen der Kläger zum Rückforderungsanspruch als Eventualvorbringen anzusehen (vgl. Rosenberg, Zivilprozeßordnung -ZPO-, 7. Aufl. § 61 IV). Dies bedeutet, daß das Gericht über das Vorbringen zur Rückforderung und Aufrechnung nur dann zu entscheiden hat, wenn es auf den ersten Klageantrag die Herabsetzung der Ausgleichsrente als zu Recht vorgenommen ansieht. Nur mit einer solchen Entscheidung tritt die Bedingung ein, von der der Rückforderungsanspruch und die Aufrechnung abhängen.

Das VersorgG. hatte hiernach zunächst über den Antrag auf Weitergewährung der Waisenausgleichsrente in der bisherigen Höhe (nach dem Bescheid vom 13.10.1951) und damit über die Höhe der Ausgleichsrente im Sinne des § 148 Nr. 4 SGG zu entscheiden. Es hat sich hiermit in den Gründen seines Urteils auseinandergesetzt. Das Urteil betrifft daher insoweit die Höhe der Ausgleichsrente. Damit, daß das VersorgG. die Herabsetzung der Ausgleichsrente in dem angefochtenen Bescheid (v. 25.9.1952) bestätigt hat, ist die Bedingung eingetreten, unter der es über den Eventualantrag zum Rückforderungsanspruch entscheiden mußte. Insoweit betraf sein Urteil nicht die Höhe der Ausgleichsrente; denn für diese zweite Entscheidung stand nach seiner ersten Entscheidung die Höhe der Ausgleichsrente schon fest. Mit der ersten Entscheidung hat es eine der Voraussetzungen eines Rückforderungsanspruchs bejaht, nämlich, daß Versorgungsbezüge zuviel gezahlt worden sind.

Das VersorgG. hat mit dem Tenor seines Urteils die Klage uneingeschränkt abgewiesen. Damit hat es die Entscheidung des Einspruchsausschusses bestätigt. Es hat in den Urteilsgründen die Anrechnung der Erhöhung der VAB.-Waisenrente als Einkommen und die Herabsetzung der Ausgleichsrente als zutreffend erachtet. Dadurch hat es festgestellt, daß Ausgleichsrente zuviel gezahlt worden ist. Es hat jedoch zum Rückforderungsanspruch nichts Weiteres ausgeführt, obwohl es ihn im Tatbestand des Urteils erwähnt. Es geht daher anscheinend davon aus, daß mit der Feststellung der Überzahlung der Rückforderungsanspruch bejaht wird. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob diese Entscheidung des VersorgG. dem Gesetz entspricht. Jedenfalls betraf das Urteil insoweit nicht die Höhe der Ausgleichsrente im Sinne des § 148 Nr. 4 SGG.

Wenn ein Urteil über mehrere selbständige materiell-rechtliche Ansprüche entscheidet, so ist die Zulässigkeit eines Rechtsmittels für jeden Anspruch selbständig zu prüfen (vgl. BSG. 3 S. 135 [139], wonach die Zulässigkeit des Rechtsmittels auf einen bestimmten Anspruch beschränkt werden kann); denn verschiedene Ansprüche können in verschiedenen Bescheiden behandelt und in verschiedenen Klagen geltend gemacht werden. So hätte die Versorgungsbehörde den Rückforderungsanspruch erst nach rechtskräftiger Entscheidung über die Herabsetzung der Ausgleichsrente erheben können (vgl. BSG. 3 S. 135 [141]).

Die Berufung war hiernach insoweit ausgeschlossen, als das VersorgG. über die Herabsetzung der Ausgleichsrente ab 1. Juni 1951 entschieden hat. Sie war dagegen für das Klagebegehren gegen den Rückforderungsanspruch zulässig. Das LSG. hat daher insoweit zu Unrecht eine Sachentscheidung unterlassen. Das Urteil war somit in diesem Umfang aufzuheben.

Das BSG. konnte selbst sachlich entscheiden, da weitere Ermittlungen tatsächlicher Art nicht notwendig sind.

Ob der Beklagte einen Ruckforderungsanspruch gegen die Kläger geltend machen kann, ist nach § 47 VerwVG zu entscheiden (BSG. 3 S. 234). Nach Absatz 1 dieser Vorschrift sind zu Unrecht empfangene Leistungen grundsätzlich zurückzuerstatten. Daß in der Zeit vom 1. Juni 1951 bis 31. Oktober 1952 den Klägern eine zu hohe Ausgleichsrente gezahlt wurde, steht nach dem Urteil des VersorgG. fest. Desgleichen steht auf Grund der Einspruchsentscheidung, die den Rückforderungsanspruch herabgesetzt hat und vom Beklagten nicht angefochten worden ist, fest, daß die in Streit befindliche zurückgeforderte Summe DM 192,-- beträgt.

Der Absatz 2 des § 47 VerwVG schränkt eine Rückforderung ein, wenn die Überzahlung auf einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse beruht. Absatz 3 schließt die Rückforderung bei Berichtigungsbescheiden nach § 41 oder 42 VerwVG grundsätzlich aus.

Das BSG. hat in dem in BSG. 3 S. 234 veröffentlichten Urteil nur für § 47 Abs. 1 und 2 VerwVG entschieden, daß diese Vorschriften alle am Tag des Inkrafttretens des VerwVG anhängigen Rückforderungsfälle ergreifen. Über Absatz 3 des § 47 enthält das Urteil nichts, da der zugrundeliegende Sachverhalt dem Absatz 2 entsprach. Dieselben Gründe, die zur Anwendung des Absatz 2 auf alle anhängigen Rückforderungsfälle führen (Band 3 S. 237 bis 239), sprechen auch für die Anwendung des Absatz 3 des § 47 auf die noch anhängigen Rückforderungsansprüche bei Berichtigungsbescheiden. In diesen Fällen müssen anstelle des in Absatz 3 genannten § 41 VerwVG die bis zum Inkrafttreten des VerwVG angewandten entsprechenden länderrechtlichen Bestimmungen zu Grunde gelegt werden, wenn sie wie § 41 VerwVG der Beseitigung der Rechtskraft unrichtiger Bescheide dienten und diese im wesentlichen an die gleichen Voraussetzungen wie § 41 knüpften.

Die Versorgungsbehörde hat den angefochtenen Bescheid vom 25. September 1952 als "Neufeststellung" bezeichnet und mit § 62 BVG begründet. Nach dieser Vorschrift können Vorsorgungsbezüge neu festgestellt werden, wenn in den Verhältnissen, die für die Feststellung maßgebend gewesen sind, eine wesentliche Änderung eintritt. Bei der ersten Feststellung der Ausgleichsrente am 13. Oktober 1951 war jedoch der Versorgungsbehörde bekannt, daß die VAB.-Waisenrente ab 1. Juni 1951 monatlich je DM 34,10 beträgt, wie aus dem Aktenvermerk vom 4. September 1951 sowie ferner daraus hervorgeht, daß in dem Entwurf des Bescheids vom 13. Oktober 1951 auch ursprünglich die Erhöhung der VAB.-Waisenrente von je DM 26,10 auf je DM 34,10 bei der Bemessung der Ausgleichsrente berücksichtigt worden war. Die Anrechnung ist jedoch im endgültigen Bescheid unterblieben. Zur Zeit des Erlasses des angefochtenen Bescheids vom 25. September 1952 wurde nach wie vor eine VAB.-Waisenrente von DM 34,10 bezahlt. Nach § 62 Abs. 1 BVG ist Voraussetzung einer Neufeststellung, daß sich die Verhältnisse, die für die Feststellung maßgebend waren, geändert haben. Die Änderung der Verhältnisse muß danach nach Erlaß der ersten Feststellung eingetreten sein. Die Einkommensverhältnisse der Kläger, d.h. die Höhe der VAB.-Waisenrente, haben sich seit Erlaß des Bescheids vom 13. Oktober 1951 nicht geändert. Die Herabsetzung der Ausgleichsrente in dem angefochtenen Bescheid ist daher zu Unrecht als "Neufeststellung" nach § 62 BVG bezeichnet worden. Die Versorgungsbehörde hat durch diesen Bescheid vielmehr den Bescheid vom 13. Oktober 1951 dahingehend berichtigt, daß auch die Erhöhung der VAB.-Waisenrente seit 1. Juni 1951 als Einkommen nach §§ 47, 33 BVG bei Bemessung der Ausgleichsrente anzurechnen ist. Der Bescheid vom 25. September 1952 kann daher seinem Wesen nach nur einen Berichtigungsbescheid darstellen (§ 40 Abs. 4 KVG vom 24.7.1950, der in Berlin bis zur Übernahme des VerwVG galt (Art. III Abs. 2 des Übernahmegesetzes vom 6.5.1955 - GVBl. S. 324, § 12 Abs. 2 AGSGG in der Fassung des Gesetzes vom 28.10.1954 - GVBl. S. 617).

Bei Berichtigungsbescheiden ist eine Rückforderung der Überzahlung nur zulässig, wenn die Unrichtigkeit des früheren Bescheids darauf beruht, daß der Empfänger Tatsachen, die für die Entscheidung von wesentlicher Bedeutung gewesen sind, wissentlich falsch angegeben oder verschwiegen hat, oder wenn er beim Empfang der Bezüge gewußt hat, daß sie ihm nicht oder nicht in dieser Höhe zustanden. Eine falsche Angabe oder ein Verschweigen scheidet hier aus, da die Versorgungsbehörde die höhere VAB.-Waisenrente kannte. Da die Versorgungsbehörde bei Erlaß des Bescheides vom 13. Oktober 1951 anscheinend selbst an der Anrechenbarkeit der höheren VAB.-Waisenrente gezweifelt und sie deshalb unterlassen hat, kann nicht angenommen werden, daß die Kläger als Laien gewußt haben, daß ihnen die Ausgleichsrente nicht in der gewährten Höhe zustand.

Eine Rückforderung ist daher nicht möglich. Das Urteil des VersorgG., die Einspruchsentscheidung und der Bescheid vom 25. September 1952 waren deshalb insoweit aufzuheben, als sie den Rückforderungsanspruch des Beklagten betrafen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2336669

BSGE, 11

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