Leitsatz (amtlich)

1. Die Zulassung der Revision kann auf einen bestimmten Anspruch beschränkt werden.

2. Der Umfang der in der Urteilsformel ausgesprochenen Zulassung ist durch Heranziehung des sonstigen Urteilsinhalts, vor allem der Entscheidungsgründe, zu ermitteln.

3. Der Antrag eines beklagten Versicherungsträgers in der Berufungsinstanz, den Kläger zu verurteilen, die auf Grund des Urteils des Sozialgerichts zuviel erhaltenen Beträge zurückzuzahlen, ist kein Inzident-Antrag entsprechend ZPO § 717 Abs 2 S 2, sondern eine förmliche Widerklage.

Ein Inzident-Antrag entsprechend ZPO § 717 Abs 2 S 2 ist im sozialgerichtlichen Verfahren unzulässig.

Eine Widerklage kann im sozialgerichtlichen Verfahren auch in der Berufungsinstanz erhoben werden. Sie setzt ein Rechtsschutzbedürfnis voraus. Dieses fehlt, wenn der Versicherungsträger über seinen Anspruch auf Rückgewähr der überzahlten Beträge einen Verwaltungsakt erlassen und gegenüber dem Kläger vollstrecken kann.

 

Normenkette

SGG § 100 Fassung: 1953-09-03, § 153 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03, § 154 Fassung: 1953-09-03, § 162 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1953-09-03, § 198 Fassung: 1953-09-03, § 202 Fassung: 1953-09-03; ZPO § 717 Abs. 2 S. 2

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 1. Juli 1955 wird als unzulässig verworfen, soweit sie sich gegen die Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 6. September 1954 und die Abweisung der Klage richtet.

Im übrigen wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 1. Juli 1955 auf die Revision der Klägerin aufgehoben und die Widerklage abgewiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt die Erhöhung des Grund- und Steigerungsbetrags ihrer Altersrente und die Abweisung des Antrags der Beklagten, sie zu verurteilen, die auf Grund der Entscheidung des Sozialgerichts Berlin vom 6. September 1954 zuviel erhaltenen Beträge zurückzuzahlen.

Die Klägerin entrichtete vor 1945 1278 Wochenbeiträge zur Invalidenversicherung und nach 1945 als Selbständige 66 halbe Monatsbeiträge zur einheitlichen Rentenversicherung in Berlin. Die Versicherungsanstalt Berlin bewilligte ihr durch Bescheid vom 23. April 1951, berichtigt am 15. Juni 1951, eine "Versichertenrente" von monatlich 58,50 DM; hierbei gewährte sie nach § 55 des Berliner Sozialversicherungsanpassungsgesetzes (BSVAG) vom 3. Dezember 1950 (VOBl. I S. 542) in der Invalidenversicherung den vollen Grundbetrag von 156.- DM, in der einheitlichen Rentenversicherung 5/15 des halben Grundbetrags = 74,- DM; gleichzeitig kürzte sie den Steigerungsbetrag in der Invalidenversicherung um 5/15 von 72,- DM = 24,- DM. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Kürzung des Steigerungsbetrags wies der Beschwerdeausschuß der Versicherungsanstalt Berlin am 12. Februar 1953 zurück. Ihre weitere Beschwerde an den Bezirksberufungsausschuß des Sozialversicherungsamts Berlin ging mit dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes als Klage auf das Sozialgericht Berlin über. Vor diesem beantragte die Klägerin, ihr einen Grundbetrag in Höhe von 444,- DM und den Steigerungsbetrag ungekürzt zu gewähren. Das Sozialgericht gab am 6. September 1954 der Klage statt: Die Klägerin sei keine Wanderversicherte, so daß ihr Steigerungsbetrag nicht gekürzt werden dürfe; da sie vor ihrer Pflichtversicherung als Selbständige umgerechnet auch mehr als 60 "Monatsbeiträge" zur Invalidenversicherung entrichtet habe, sei ihr nach § 55 Abs. 2 und 6 BSVAG zwar nicht der Grundbetrag in der Invalidenversicherung, jedoch der volle Grundbetrag in der einheitlichen Rentenversicherung, der 444,- DM betrage, zu gewähren. Gegen dieses Urteil legte die Beklagte Berufung ein und beantragte,

1.) das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6.September 1954 aufzuheben und die Klage abzuweisen,

2.) die Berufungsbeklagte zu verurteilen, die aufgrund des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 6.September 1954 seit dem 1. Oktober 1954 zuviel erhaltenen Beträge zurückzuzahlen.

Das Landessozialgericht hob durch Urteil vom 1. Juli 1955, zugestellt am 19. Juli 1955, die Entscheidung des Sozialgerichts auf, wies die Klage ab und verurteilte die Klägerin, "die aufgrund des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 6. September 1954 zuviel erhaltenen Beträge in angemessenen Raten zurückzugewähren": Die Klägerin sei Wanderversicherte, weil sie Beiträge zur Invalidenversicherung und zur einheitlichen Rentenversicherung entrichtet habe. Die Versicherungsanstalt Berlin habe daher die Rente richtig berechnet; der volle Grundbetrag aus der einheitlichen Rentenversicherung stehe der Klägerin nach § 55 Abs. 6 BSVAG nicht zu, weil nach Wortlaut und Sinn dieser Vorschrift unter "Monatsbeiträge" nur Beiträge zur Angestelltenversicherung zu verstehen seien. Die Klägerin sei verpflichtet, die Beträge, die sie aufgrund des Urteils des Sozialgerichts von der Beklagten zuviel erhalten habe, zurückzuzahlen; hierzu könne sie nach §§ 202 SGG, 717 ZPO im anhängigen Verfahren verurteilt werden.

Im Tenor dieses Urteils heißt es u. a.: "Die Revision wird zugelassen"; in den Entscheidungsgründen führt das Landessozialgericht hierzu aus: "Da die Frage, ob über die Rückgewähr des zuviel gezahlten Rentenbetrags schon in diesem Verfahren entschieden werden kann, von grundsätzlicher Bedeutung ist, ist die Revision zugelassen worden. Im übrigen ist ohne Zulassung die Revision nur statthaft, wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG)".

Die Klägerin legte am 17. August 1955 Revision ein und beantragte, "das Urteil des Landessozialgerichts Berlin aufzuheben und ihren Rentenanspruch entsprechend dem Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6. September 1954 als begründet anzuerkennen, ferner, das Recht auf Rückforderung der gezahlten Rentenbeträge auszusetzen". Sie begründete die Revision am 17. August und 1. Dezember 1955. Hinsichtlich der Höhe ihrer Altersrente rügte sie die Verletzung des § 55 BSVAG und machte sich die Ausführungen des Sozialgerichts Berlin zu eigen; zur Verurteilung auf Rückzahlung der zuviel erhaltenen Beträge führte sie aus, diese sei schon deshalb nicht gerechtfertigt, weil nach § 1305 RVO die Beklagte Leistungen, die sie vor rechtskräftiger Entscheidung gezahlt habe, nicht zurückzufordern brauche.

Die Beklagte beantragte, die Revision aus den Gründen des angefochtenen Urteils zurückzuweisen.

II.

1.) Soweit sich die Revision gegen die Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 6. September 1954 und gegen die Abweisung der Klage richtet, ist sie nicht statthaft; das Landessozialgericht hat sie insoweit nicht zugelassen, die Klägerin hat einen wesentlichen Mangel des Verfahrens nicht gerügt (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGG).

a) Die vom Landessozialgericht in der Urteilsformel ausgesprochene Revisionszulassung unterscheidet nicht zwischen dem Anspruch der Klägerin auf Erhöhung ihrer Altersrente und dem Anspruch der Beklagten auf Rückzahlung der zuviel entrichteten Rentenbeträge. Der Inhalt der Urteilsformel ist jedoch durch die Heranziehung des sonstigen Urteilsinhalts, vor allem der Entscheidungsgründe, auszulegen (ebenso BGH, Urteile vom 7.5.1951, NJW 1951 S.838 ff. und vom 23.10.1952, NJW 1953 S. 185; Stein-Jonas, ZPO Komm. 18. Aufl. § 313 Anm.III 3 und § 322 Anm. VII mit Nachweisen; Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts; 6.Aufl. S.706 ff.; Baumbach-Lauterbach, ZPO Komm. 23.Aufl. § 313 Anm.6 und § 322 Anm.1). Dies gilt auch für den Ausspruch über die Zulassung der Revision, wenn er in der Urteilsformel enthalten ist (ebenso BGH, Urteil vom 17.4.1952, Lindenmaier-Möhring § 546 ZPO Nr.9). Im vorliegenden Fall geht aus den Entscheidungsgründen eindeutig hervor, daß die Zulassung der Revision auf den Anspruch der Beklagten gegen die Klägerin beschränkt ist. Die Revision ist nämlich nur zugelassen worden, weil die Frage, ob über die Rückgewähr des zuviel gezahlten Rentenbetrags schon im anhängigen Verfahren entschieden werden könne, von grundsätzlicher Bedeutung sei. Diese Ausführungen treffen nur auf den Anspruch der Beklagten zu. Sie können nicht als unvollständige Begründung einer allgemeinen Revisionszulassung gedeutet werden, denn das Landessozialgericht hat ausdrücklich festgestellt, daß "im übrigen" die Revision nur statthaft sei, wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt werde. Diese Feststellung hat nur dann einen Sinn, wenn die Revision durch die Zulassung nur beschränkt statthaft ist, so daß "im übrigen" ihre Statthaftigkeit die Rüge eines wesentlichen Verfahrensmangels voraussetzt. Das Landessozialgericht hat demnach die Revision nur für den Anspruch der Beklagten zugelassen, nicht für den Anspruch der Klägerin.

b) Die Beschränkung der Revisionszulassung auf den Anspruch der Beklagten ist zulässig.

Nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG hat das Landessozialgericht die Revision zuzulassen, wenn über Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden ist oder es von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts ... abweicht. Der Wortlaut dieser Vorschrift spricht weder für noch gegen eine Beschränkbarkeit der Revisionszulassung; die Worte "Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung" beziehen sich eindeutig auf die Voraussetzung der Revisionszulassung, nicht auf die Möglichkeit einer Beschränkung der Zulassung auf solche Rechtsfragen.

Die Möglichkeit, die Zulassung der Revision zu beschränken, ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der "Zulassungsrevision". Das Erfordernis der Zulassung bezweckt, vom Revisionsgericht alle nicht unbedingt im Interesse der Rechtseinheit und Rechtsfortbildung notwendige Arbeit fernzuhalten (ebenso BGH, Urteil vom 5.7.1951, BGHZ 2, 396 ff.). Daraus folgt, daß das Berufungsgericht befugt sein muß, die Zulassung insoweit zu beschränken, als im Interesse der Rechtseinheit und Rechtsfortbildung eine höchstrichterliche Klärung erforderlich ist (ebenso BGH, Beschluß vom 11.7.1952, BGHZ 7, 62 ff.). Dieser Begründung widerspricht es nicht, daß es im Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit auch die "Verfahrens-Revision" und die "Kausalitäts-Revision" gibt, denn diese Revisionen dienen einem ganz anderen Zweck als die "Zulassungsrevision".

Die Zulassung der Revision kann aber nicht auf bestimmte Rechtsfragen - z.B. Anwartschaft, Wartezeit -, sondern nur auf bestimmte streitige Ansprüche - z.B. auf Ruhegeld, Hinterbliebenenrente - beschränkt werden. Dies folgt daraus, daß im Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit wie in den Verfahren der Zivilgerichtsbarkeit und der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit Ansprüche, nicht Rechtsfragen Gegenstand des Verfahrens sind und daß auch das Revisionsgericht über den konkreten Streit, nicht über eine abstrakte Rechtsfrage, entscheidet (im Ergebnis ebenso BGH, Urteile vom 17.4.1952 a.a.O. und vom 8.5.1953, BGHZ 9, 357 ff.; RAG Urteil vom 11.5.1929, RAGE 5, 193 ff.; Rosenberg a.a.O. S.658; Stein-Jonas a.a.O. § 546 Anm.VI 2a; Baumbach-Lauterbach a.a.O. § 546 Anm.3). Die Zulassung der Revision kann demnach bei einer subjektiven Klagehäufung auf einen Streitgenossen (ebenso BGH, Urteil vom 17.4.1952 a.a.O.; Rosenberg a.a.O. S. 658; Stein-Jonas a.a.O. § 546 Anm.VI 2a; Baumbach-Lauterbach a.a.O. § 546 Anm.3), bei einer objektiven Klagehäufung auf einen der streitigen Ansprüche, bei Klage und Widerklage auf Klage oder Widerklage beschränkt werden. Ob für die Fälle, in denen ausnahmsweise eine Rechtsfrage Gegenstand der Entscheidung ist - z.B. die selbständig anfechtbaren Zwischenurteile über den Grund des Anspruchs und über das Vorliegen der Prozeßvoraussetzungen, vgl. §§ 202 SGG, 274, 275, 304 ZPO - oder in denen die Entscheidung nur einheitlich ergehen kann - wie z.B. in Ehescheidungsverfahren - etwas anderes gilt, kann dahingestellt bleiben, weil der vorliegende Fall keinen Anlaß zur Entscheidung dieser Fragen gibt. Jedenfalls steht das Urteil des RG vom 29.April 1937 (Warn. Rspr. S.190 Nr.80) der hier vertretenen Auffassung nicht entgegen, weil es auf Verfahren beschränkt ist, in denen der Grundsatz der Einheitlichkeit der Entscheidung gilt (ebenso BGH Urteil vom 17.4.1952 a.a.O.).

Gegen die Möglichkeit, die Zulassung der Revision zu beschränken, bestehen auch keine rechtsdogmatischen Bedenken. Ein Rechtsmittel kann auch außerhalb der Zulassung nur hinsichtlich eines Streitgenossen, eines Anspruchs, der Klage oder der Widerklage statthaft sein. Dies ist z.B. der Fall, wenn nur insoweit eine Beschwer oder das Revisionsvorrecht des § 547 ZPO vorliegt oder nur insoweit die Berufung zulässig ist (vgl. die §§ 144 - 149 SGG). Auch das alte Verfahrensrecht der RVO ging davon aus, daß bei mehreren Ansprüchen ein Rechtsmittel teilweise statthaft sein kann und teilweise nicht (§ 1707 RVO a.F.).

c) Die Revision, die sich gegen die Abweisung der Klage richtet, ist nicht zugelassen und daher nicht nach § 162 Abs. 1 Nr.1 SGG statthaft. Sie ist auch nicht nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft, weil die Klägerin einen Verfahrensmangel nicht gerügt hat. Die Revision ist daher insoweit als unzulässig zu verwerfen (§ 169 SGG).

2.) Soweit sich die Revision gegen die Verurteilung der Klägerin richtet, ist sie statthaft, form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 SGG). Sie ist daher zulässig (§ 169 SGG).

Die Revision ist auch begründet.

a) Der im Berufungsverfahren gestellte Antrag der Beklagten, die Klägerin zur Rückzahlung der zuviel erhaltenen Rentenbeträge zu verurteilen, kann entgegen der Auffassung des Landessozialgerichts nicht als Inzidentantrag nach § 717 Abs.2 Satz 2 ZPO behandelt werden. Diese Vorschrift bestimmt, daß die beklagte Partei im anhängigen Verfahren von der klagenden Partei Ersatz des Schadens verlangen kann, der ihr durch die Vollstreckung des Urteils entstanden ist, wenn das Urteil im Instanzenzug aufgehoben oder abgeändert wird. Sie gehört im System der ZPO nach ihrem Inhalt und nach ihrer Stellung im Gesetz zu den Vorschriften über die vorläufige Vollstreckbarkeit. Diese Vorschriften sind im sozialgerichtlichen Verfahren nicht anzuwenden (§ 198 Abs. 2 SGG), so daß der Antrag der Beklagten nicht nach § 717 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässig ist (ebenso Peters-Sautter-Wolff, Komm. zur Sozialgerichtsbarkeit, § 198 Anm.2, Miesbach-Ankenbrank, Kommentar zum SGG, § 198, Anm.3 zu § 717 ZPO S. 182; Hastler, Komm. zum SGG, § 198 Anm. 3a).

b) Bei dem Antrag der Beklagten handelt es sich um eine förmliche Widerklage, denn er enthält ein im Laufe des Rechtsstreits von der beklagten Partei gegen die klagende Partei erhobenes echtes Klagebegehren (ebenso Stein-Jonas a.a.O. § 33 Anm. I 1; Rosenberg a.a.O. S.424; Baumbach a.a.O. Anhang zu § 253 Anm. 1). Eine Widerklage kann im Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit auch in der Berufungsinstanz erhoben werden. Dies folgt unmittelbar aus dem Gesetz (§§ 100, 153 Abs. 1 SGG) und aus dem Grundsatz der Prozeßökonomie, dem im sozialgerichtlichen Verfahren - vgl. z.B. § 75 Abs.5 SGG - besondere Bedeutung zukommt (ebenso das Bayer.LSG, Urteile vom 9.11.1954, Amtsbl. 1955 S. B 76 = Breithaupt 1955 S. 545 ff. und vom 11.3.1955, Amtsbl. 1955 S.B 177 ff.; LSG Berlin, Urteil vom 31.3.1955, BVBl. 1955 S.124 ff.; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.12.1954, KOV 1955 Heft 6 Rspr. Nr. 181; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15.12.1955, KOV 1956 Heft 1 Rspr. Nr.291; Bettin, KOV 1954 S.171 ff. und S.186 ff.; Wagner, KOV 1956 S.65 ff.; Peters-Sautter-Wolff a.a.O. § 100 Anm.2). Es kann hier dahingestellt bleiben, ob die Widerklage ganz allgemein nur zulässig ist, wenn ein Verwaltungsakt vorausgegangen ist und ein rechtlicher Zusammenhang mit der Klage besteht und ob ihre Zulässigkeit im Berufungsverfahren außerdem voraussetzt, daß der Gegner einwilligt oder das Gericht sie für sachdienlich hält (vgl. §§ 100, 153 Abs. 1, 202 SGG, 529 Abs. 4 ZPO sowie die obengenannte Rechtsprechung und Literatur). Die Widerklage kann jedenfalls nur dann zulässig sein, wenn für sie ein Rechtsschutzbedürfnis besteht (ebenso Stein-Jonas a.a.O. § 33 Anm.III 5, Rosenberg a.a.O. S. 427, Baumbach-Lauterbach a.a.O. Anhang zu § 253 Anm. 1 B mit Nachweisen). Dies ist hier nicht der Fall. Ein Rechtsschutzbedürfnis fehlt immer dann, wenn eine Partei die Möglichkeit hat, ihren Anspruch auf einfachere, schnellere und billigere Art als im Klageverfahren durchzusetzen (ebenso Stein-Jonas a.a.O. Anm. IV 2 vor § 253, Rosenberg a.a.O. S. 378, Baumbach-Lauterbach a.a.O. Anm. V vor § 253 mit Nachweisen). Diese Möglichkeit hat die Beklagte, denn sie ist in der Lage, über ihren - der Höhe nach bisher noch gar nicht festgestellten - Anspruch auf Rückgewähr der überzahlten Beträge einen Verwaltungsakt zu erlassen und diesen gegenüber der Klägerin zu vollstrecken. Die Vollstreckbarkeit eines solchen Verwaltungsaktes ergibt sich daraus, daß die Träger der Sozialversicherung als juristische Personen des öffentlichen Rechts auch Träger obrigkeitlicher Gewalt sind, zu deren Wesen es gehört, verbindliche Anordnungen zu erlassen und deren Befolgung nötigenfalls zu erzwingen (vgl. Haueisen, NJW 1955 S. 212 ff.; im Ergebnis ebenso Tannen in "Die Sozialversicherung" 1955 S. 75 ff. mit Nachweisen). Davon geht auch das Sozialgerichtsgesetz aus, das in § 97 Abs.1 bestimmt, daß die Klage bei der Rückforderung von Leistungen "aufschiebende" Wirkung hat. Diese Vorschrift ist nur sinnvoll, wenn der Rückforderungsbescheid auch vollstreckt werden kann. Das Rechtsschutzbedürfnis für die Widerklage kann nicht damit begründet werden, daß gegen den Rückforderungsbescheid die Klage möglich sei und es daher dem Grundsatz der Prozeßökonomie entspreche, diesen möglichen Rechtsstreit schon im anhängigen Verfahren zu erledigen (so das Bayer. LSG, Urteil vom 11.3.1955 a.a.O., LSG Berlin, Urteil vom 31.3.1955 a.a.O.). Einmal steht nicht von vornherein fest, ob tatsächlich Klage gegen den Rückforderungsbescheid erhoben wird, zum anderen wäre auch durch Zulassung einer Widerklage nicht mit Sicherheit zu erreichen, daß es nicht doch zu einem Prozeß über die Rechtmäßigkeit der Rückforderung kommt; das Urteil, das auf die Widerklage hin erginge, könnte sich nämlich immer nur auf die Leistungen beziehen, die bis zum Schluß der letzten mündlichen Verhandlung erbracht sind, nicht aber auch auf die Leistungen, die dem Kläger etwa nach diesem Zeitpunkt noch zugegangen sind, so daß jedenfalls hinsichtlich der Rückforderung dieser Leistungen ohnehin noch ein Verwaltungsakt ergehen müßte. Ein zweiter Prozeß könnte auch nicht durch Aufnahme eines Feststellungsantrags in die Widerklage ausgeschlossen werden, da die Höhe des Rückforderungsanspruchs und die Art und Weise der Rückzahlung selbst (z.B. Zubilligung von Ratenzahlungen) immer noch offen wären. Es entspricht daher der Prozeßökonomie, den Anspruch auf Rückforderung der nach § 154 SGG zunächst erbrachten Leistungen in einem entsprechenden Verwaltungsakt erst dann geltend zu machen, wenn die rechtskräftige Entscheidung darüber vorliegt, daß ein Anspruch auf diese Leistungen nicht bestanden hat und nicht besteht.

c) Die Revision der Klägerin ist demnach begründet, soweit sie sich gegen die Verurteilung auf die Widerklage richtet; das Urteil des Landessozialgerichts ist insoweit aufzuheben und die Widerklage abzuweisen. Da beide Parteien im Rechtsstreit teilweise obgesiegt haben und teilweise unterlegen sind, ist von einer Kostenerstattung abzusehen (§ 193 SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2297014

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