Leitsatz (redaktionell)

"Zugang der Mitteilung" (BVG § 60 Abs 2) bedeutet nicht , daß der Verwaltungsakt, der die Mitteilung der Einkommensminderung enthält, bindend geworden sein muß.

 

Normenkette

BVG § 60 Abs. 2 Fassung: 1966-12-28

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22. April 1970 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger, geboren 18. Juni 1942, bezog ab 1. September 1951 bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres (1960) Waisenrente mit Waisenausgleichsrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Die ab August 1952 aus der gesetzlichen Rentenversicherung bewilligte Waisenrente wurde bei der Feststellung der Ausgleichsrente des Klägers nach dem BVG angerechnet. Ab Oktober 1952 erhielt der Kläger erneut Waisenrente nach dem BVG mit voller Ausgleichsrente, da er von dieser Zeit an ein Technikum besuchte. Die Rente wurde ab 1. Dezember 1964 eingestellt, weil sich der Kläger verheiratet hatte, jedoch vom 1. Januar bis 30. Juni 1965 im Wege des Härteausgleichs erneut bewilligt.

Mit Bescheid vom 30. Juli 1964 forderte die Landesversicherungsanstalt Westfalen vom Kläger einen Betrag von 3.863,- DM zu Unrecht gezahlter Waisenrente aus der Rentenversicherung zurück; diese Waisenrente war auf Grund unwahrer Angaben der Mutter des Klägers über ein in Wirklichkeit nicht bestehendes Beschäftigungsverhältnis ihres Ehemannes - des Vaters des Klägers - gewährt worden. Die hiergegen erhobene Klage wurde im März 1965 zurückgenommen.

Im April 1965 beantragte der Kläger beim Versorgungsamt (VersorgA), ihm Waisenausgleichsrente ab August 1952 ohne Anrechnung der - inzwischen entzogenen - Waisenrente aus der Sozialversicherung zu gewähren.

Das VersorgA lehnte am 19. September 1966 die Erteilung eines Zugunstenbescheides nach § 40 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (VerwVG) ab, weil die früheren Bescheide im Zeitpunkt ihres Erlasses nicht unrichtig gewesen seien; eine Neufeststellung der Versorgungsbezüge sei wegen Überschreitens der in § 60 Abs. 2 BVG vorgeschriebenen Frist von 6 Monaten nicht mehr möglich. Der Widerspruch blieb ohne Erfolg. Das Sozialgericht (SG) Münster verurteilte den Beklagten, dem Kläger für die Zeit vom 1. September 1951 bis 30. September 1965 Waisenausgleichsrente unter Berücksichtigung der bereits gezahlten Waisenausgleichsrente und ohne Berücksichtigung einer Waisenrente aus der Sozialversicherung zu zahlen. Es ließ die Berufung zu (Urteil vom 19. Dezember 1968). Auf die Berufung der Beklagten hob das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG auf und wies die Klage ab (Urteil vom 22. April 1970): Beschwert sei der Kläger durch die Anrechnung der Waisenrente aus der Rentenversicherung nur für die Zeit vom 1. August 1952 bis 30. Juni 1960; denn für die übrigen Zeiten habe er die Ausgleichsrente ungekürzt erhalten. Eine nachträgliche Leistungsgewährung komme jedoch auch für die Zeit vom 1. August 1952 bis 30. Juni 1960 nicht in Betracht. Dabei könne dahingestellt bleiben, ob die Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides in § 40 VerwVG oder in § 62 BVG zu suchen sei. Die Ablehnung eines Zugunstenbescheides könnte der Beklagte zu Recht auf die von ihm jedenfalls im Berufungsverfahren ausdrücklich erhobene Einrede der Verjährung stützen. Falls der angefochtene Bescheid als Ablehnung einer Neufeststellung nach § 62 BVG zu deuten sei, so habe sich der Beklagte zu Recht darauf berufen, daß der Kläger die Frist des § 60 Abs. 2 BVG versäumt habe. Nach dieser Vorschrift beginne eine höhere Leistung, die wegen einer Einkommensminderung beansprucht werde, mit dem Monat, in dem die Voraussetzungen erfüllt seien, sofern der Antrag innerhalb von 6 Monaten nach Eintritt der Minderung oder nach Zugang der Mitteilung über die Minderung gestellt werde. Die Einkommensminderung für die streitige Zeit sei mit dem Bescheid der Landesversicherungsanstalt vom 30. Juli 1964 eingetreten. Dieser Bescheid sei dem Kläger spätestens am 27. August 1964 zugegangen; denn an diesem Tage habe er gegen den Bescheid Klage erhoben. Mit dem "Zugang der Mitteilung" sei der tatsächliche Vorgang des Zugehens gemeint, es sei nicht entscheidend, wann die Mitteilung (der Rückforderungsbescheid) bindend geworden sei. Die Halbjahresfrist des § 60 Abs. 2 BVG sei somit am 27. Februar 1965 abgelaufen. Auf den erst im April 1965 gestellten Antrag hin habe deshalb die Ausgleichsrente nicht mehr rückwirkend gewährt bzw. erhöht werden dürfen. Die Klage sei daher unter beiden in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten abzuweisen. Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Revision rügt die Verletzung der §§ 60 Abs. 2, 62 Abs. 1 BVG: Der Wortlaut des § 60 Abs. 2 BVG lasse die Auslegung zu, daß erst mit der Bindungswirkung des Bescheides über die Rückforderung der Waisenrente aus der Rentenversicherung die Sechsmonatsfrist in Lauf gesetzt werde. Damit solle der Umstand berücksichtigt werden, daß nicht selten gegen einen Rückforderungsbescheid der Rechtsweg beschritten werde. Führe er zum Erfolg, so müßte die in der Zwischenzeit gewährte höhere Ausgleichsrente wieder neu berechnet und zurückgefordert werden. Dieses Ergebnis wäre unbefriedigend.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

II

Die Revision des Klägers ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG); sie ist jedoch nicht begründet. Der Senat hält nach eigener Prüfung die Rechtsauffassung des 8. Senats in dem die Schwester des Klägers betreffenden Urteil vom 30. September 1970 - 8 RV 383/70 -, dem ein gleichgelagerter Sachverhalt zugrunde liegt, für zutreffend und schließt sich ihr an. Der Beklagte ist weder nach § 62 Abs. 1 BVG noch nach § 40 Abs. 1 VerwVG zu der vom Kläger begehrten Neufeststellung der Waisenausgleichsrente verpflichtet.

Der - bindend gewordene - Bescheid der Versorgungsverwaltung mit dem auf die Waisenausgleichsrente des Klägers die Waisenrente aus der Rentenversicherung angerechnet worden ist, ist bei seinem Erlaß rechtmäßig gewesen. Er ist jedoch nachträglich deshalb unrichtig geworden, weil der Versicherungsträger mit dem durch die Klagerücknahme ebenfalls bindend gewordenen Bescheid vom 30. Juli 1964 entschieden hat, die Waisenrente aus der Rentenversicherung sei als "zu Unrecht gezahlt" zurückzuerstatten; insoweit ist - rückwirkend - eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne von § 62 Abs. 1 Satz 1 BVG eingetreten. Die vom Kläger begehrte Neufeststellung durch Gewährung der vollen Waisenausgleichsrente für die Zeit vom 1. August 1952 bis 30. Juni 1960 (für die anderen Zeiten hat der Kläger nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG die Waisenausgleichsrente ungekürzt erhalten) scheitert jedoch daran, daß der Kläger den Antrag nicht innerhalb von sechs Monaten nach "Zugang der Mitteilung" über die Einkommensminderung gestellt hat (§ 60 Abs. 2 Satz 2 BVG, letzter Halbsatz). Der Bescheid des Versicherungsträgers über die Entziehung der Waisenrente vom 30. Juli 1964, die "Mitteilung" der Einkommensminderung, ist dem Kläger, wie das LSG zutreffend angenommen hat, spätestens am 27. August 1964 - dem Tag der Erhebung der Klage gegen diesen Bescheid - zugegangen. Der Antrag auf Neufeststellung für die allein streitige zurückliegende Zeit hätte daher bis spätestens 27. Februar 1965 gestellt werden müssen. Der Kläger hat den Antrag jedoch erst im April 1965 gestellt, nachdem er die Klage gegen den Rückforderungsbescheid im März 1965 zurückgenommen hatte. Der Auffassung der Revision, die Sechsmonatsfrist habe erst mit dem Zeitpunkt begonnen, in dem der Rückforderungsbescheid des Versicherungsträgers bindend geworden ist, vermag der Senat aus den bereits vom 8. Senat dargelegten Gründen nicht zu folgen. "Zugang der Mitteilung" bedeutet nicht, daß der Verwaltungsakt, der die Mitteilung der Einkommensminderung enthält, bindend geworden sein muß. Denn der Versorgungsberechtigte hat schon mit dem Zugang der Mitteilung von der Einkommensminderung Kenntnis nehmen können und damit die Möglichkeit gehabt, seine sich daraus ergebenden Rechte bei der Versorgungsbehörde geltend zu machen. Der Fristbeginn dient der Beschleunigung des Verfahrens und zielt auf eine möglichst baldige Feststellung der "richtigen" Versorgungsleistungen ab. Dadurch soll vermieden werden, daß die höhere Leistung erst nach Eintritt der Bindungswirkung, die möglicherweise durch einen Anfechtungsstreit in mehreren Rechtszügen aufgehalten wird, neu festgestellt und die Neufeststellung damit erheblich verzögert wird. Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber bewußt in Kauf genommen, daß die Versorgungsbehörde in den wenigen Fällen, in denen die mitgeteilte Einkommensminderung im Rechtsmittelverfahren mit Erfolg angefochten wird, zu einer mehrfachen Bearbeitung der Versorgungssache genötigt wird. Unterläßt der Versorgungsberechtigte die baldige Anmeldung und verläßt er sich auf den günstigen Ausgang eines Anfechtungsprozesses, dann hat er damit das Risiko der Versäumung der Antragsfrist, von der eine rückwirkende Erhöhung von Versorgungsbezügen abhängt, auf sich genommen.

Ob bei dem hier gegebenen Sachverhalt ein Zugunstenbescheid nach § 40 Abs. 1 VerwVG überhaupt in Betracht käme, hat der erkennende Senat ebenso dahingestellt lassen können wie der 8. Senat. Der Beklagte wäre nämlich auf Grund des Antrags des Klägers vom April 1965 jedenfalls nicht verpflichtet gewesen, die Versorgungsbezüge für eine Zeit (1952 bis 1960) zu erhöhen, die mehr als vier Jahre zurücklag (BSG 19, 12, 26 und 146); insoweit hat der Kläger mit der Revision auch keine Einwendungen erhoben.

Da das LSG richtig entschieden hat, war die Revision des Klägers als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669744

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