Entscheidungsstichwort (Thema)

Unterhaltsgeld. notwendige Bildungsmaßnahme. absehbarer Zeitraum

 

Orientierungssatz

1. In den Fällen des § 44 Abs 2 Nr 1 und 2 AFG ist die Teilnahme an einer Bildungsmaßnahme nicht notwendig, wenn dem Antragsteller in absehbarer angemessener Zeit ein neuer Arbeitsplatz vermittelt werden kann (Festhaltung an BSG 1980-11-13 7 RAr 74/79 = SozR 4100 § 44 Nr 30).

2. Absehbar und angemessen ist der Zeitraum, in dem bei normaler Lage des Arbeitsmarktes die Arbeitslosen mit den beruflichen Merkmalen des Antragstellers bis auf nicht nennenswerte Ausnahmen vermittelt werden (vgl BSG 1981-06-23 7 RAr 49/80 = SozR 4100 § 44 Nr 33). Die absehbare Zeit darf ein Jahr nicht überschreiten.

 

Normenkette

AFG § 44 Abs 2 Nr 1 Fassung: 1975-12-18; AFG § 44 Abs 2 Nr 2 Fassung: 1975-12-18; AFuU § 10 Abs 1 S 3 Fassung: 1976-02-23

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 24.03.1982; Aktenzeichen L 12 Ar 173/80)

SG Duisburg (Entscheidung vom 22.08.1980; Aktenzeichen S 16 Ar 236/78)

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt höheres Unterhaltsgeld (Uhg).

Der 1955 geborene Kläger war nach seiner Ausbildung (1970 bis 1973) bei seiner früheren Lehrfirma, einer zum Krupp-Bereich gehörenden Gesellschaft, in seinem Beruf als Industriekaufmann beschäftigt, bis die wegen Betriebseinstellung zum 31. März 1976 ausgesprochene Kündigung wirksam wurde. Ab 1. April 1976 besuchte der Kläger eine Fachschule für Betriebswirtschaft; im März 1978 bestand er die Abschlußprüfung als staatlich geprüfter Betriebswirt. Seit dem 1. Mai 1978 ist er wieder als Industriekaufmann bei einer zum Krupp-Bereich gehörenden Gesellschaft tätig, jedoch nunmehr der Geschäftsführung unmittelbar unterstellt.

Den Besuch der Fachschule förderte die Beklagte auf den im Hinblick auf die bevorstehende Betriebseinstellung im August 1975 gestellten Antrag des Klägers ua für die Zeit vom 1. April 1976 bis 11. März 1978 mit Uhg, und zwar in Höhe von 58 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts (Bescheid vom 30. April 1976, Widerspruchsbescheid vom 27. Juli 1976). Klage (Urteil des Sozialgerichts -SG vom 22. August 1980) und die vom SG zugelassene Berufung hatten keinen Erfolg (Urteil des Landessozialgerichts -LSG- vom 24. März 1982). Das LSG hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, dem Kläger stehe das höhere Uhg von 80 vH des um die gewöhnlichen gesetzlichen Abzüge verminderten Arbeitsentgelts nicht zu, weil die Voraussetzungen des § 44 Abs 2 Nr 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) nicht erfüllt seien. Zwar sei der Kläger vor Beginn der Maßnahme unmittelbar von Arbeitslosigkeit bedroht gewesen. Er habe bereits vor Antragstellung mit seiner Kündigung rechnen müssen; nach dem Stillegungsbeschluß und den laufenden Sozialplanverhandlungen habe er keine konkreten Aussichten gehabt, über den 31. März 1976 hinaus im Krupp-Bereich beschäftigt zu werden. Aufgrund der Rezession wäre der Kläger sicherlich einige Monate arbeitslos gewesen; denn die Zahl der arbeitsuchenden Industriekaufleute habe die Zahl der geeigneten offenen Stellen überstiegen. Es sei nicht zweifelhaft, daß die drohende Arbeitslosigkeit den Kläger zu der Fortbildung veranlaßt habe. Doch lasse sich nicht feststellen, daß gerade die gewählte Ausbildung notwendig gewesen sei, den drohenden Eintritt der Arbeitslosigkeit zu verhindern. Die Teilnahme an einer Bildungsmaßnahme sei nämlich nicht notwendig, wenn dem Arbeitnehmer nach dem Verlust des Arbeitsplatzes in absehbarer, angemessener Zeit ein neuer Arbeitsplatz in einer dem Beruf des Antragstellers entsprechenden berufsnahen oder gleichwertigen Tätigkeit vermittelt werden könne (BSG SozR 4100 § 44 Nr 33). Der Beklagten sei dabei eine bestimmte Zeit für Vermittlungsbemühungen zuzugestehen, die mit 13 Wochen (3 Monaten) entsprechend der Arbeitslosengeld(Alg)-Mindestbezugszeit anzusetzen sei. Andererseits könne dem Antragsteller eine Zeit von mehr als einem Jahr (Alg-Höchstbezugszeit) nicht zugemutet werden. Mithin sei eine Bildungsmaßnahme notwendig, wenn der Betroffene ohne sie voraussichtlich innerhalb eines Jahres nicht zumutbar vermittelt werden könne. Das erfordere die Feststellung, daß der Kläger nicht binnen eines Jahres zumutbar hätte vermittelt werden können. Zwar sei das Verhältnis der offenen Stellen für Bürofachkräfte zu der Zahl der arbeitslosen Bürofachkräfte ungünstig gewesen (Arbeitsamtsbezirk Essen, September 1976, 37 zu 440 Männer). Doch rechtfertigten diese Zahlen nach den Bekundungen der als Zeugen vernommenen Vermittlerin B. bei allen Schwierigkeiten der Vermittlung angesichts der Jugend des Klägers und seiner beruflichen Erfahrung noch nicht den Schluß, daß er ohne die Teilnahme an der Bildungsmaßnahme innerhalb von drei bis zwölf Monaten nicht zumutbar hätte vermittelt werden können, wenn die Zeugin auch nicht hinreichend sicher bekundet habe, ob der Kläger vor oder nach Ablauf eines Jahres vermittelt worden wäre. Eine Vermittlungsmöglichkeit habe durchaus bestanden. Dem Kläger obliege die Beweislast, daß seine Teilnahme an der Bildungsmaßnahme notwendig gewesen sei. Die Schwierigkeiten des Nachweises oder die zivilrechtliche Beweislastverteilung nach Gefahrenkreisen, Verantwortungsbereichen und Sphären rechtfertigten eine Umkehr der Beweislast hier nicht; es fehle an einer die Umkehr rechtfertigenden Interessenlage. Ob die Teilnahme des Klägers überhaupt geeignet gewesen sei, seine berufliche Eingliederung zu fördern, sei daher nicht mehr zu prüfen.

Der Kläger rügt mit der Revision eine Verletzung von § 44 Abs 2 Nr 2 AFG und bringt hierzu insbesondere vor: Diese Vorschrift räume das höhere Uhg ein, wenn die Bildungsmaßnahme notwendig sei, damit der Arbeitnehmer nicht arbeitslos werde. Es treffe zu, daß eine kurze Arbeitslosigkeit hingenommen werden müsse, da das erhöhte Uhg den Arbeitnehmer nur vor einem nachhaltigen Abstieg bewahren wolle. Die vom LSG für richtig erachtete Frist von einem Jahr überschreite jedoch den Rahmen zulässiger Gesetzesauslegung. Denn wer vier, fünf oder gar neun Monate ohne Beschäftigung sei und Alg beziehe, sei nach natürlichem Sprachgebrauch arbeitslos.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Urteile des LSG und SG aufzuheben und die Beklagte in Abänderung des Bescheides vom 30. April 1976 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juli 1976) zu verurteilen, ihm für den Besuch der Fachschule das Uhg in Höhe von 80 vH des um die gesetzlichen Abzüge verminderten Arbeitsentgelts zu gewähren,

und hilfsweise,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache an das LSG zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG im Ergebnis und in der Begründung für zutreffend und führt ergänzend aus: Die vom LSG als angemessen angesehene Übergangszeit von bis zu 12 Monaten dürfe nicht überbewertet werden. Das LSG wäre zu keinem anderen Ergebnis gekommen, wenn man den Zeitraum mit sechs oder neun Monaten ansetze. 1976 seien zwar nur relativ wenige offene Stellen für Industriekaufleute gemeldet gewesen; diese seien aber vorrangig mit jungen, qualifizierten Bewerbern besetzt worden. Die Möglichkeit, dies zu beweisen, habe die Beklagte nicht gehabt; es müsse daher zu Lasten des Klägers gehen, wenn sich der hypothetische Verlauf nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen lasse. Im übrigen sei die vom LSG angenommene Übergangszeit insbesondere im Hinblick auf die angestrebte zweijährige Maßnahme angemessen. Sollte der erkennende Senat insoweit dem LSG nicht folgen, komme es auf die Frage an, ob die Teilnahme an der Bildungsmaßnahme notwendig gewesen sei, die berufliche Eingliederung des Klägers zu fördern. Die Unterbringung des Klägers sei 1976 nicht wegen mangelnder Kenntnisse oder Fertigkeiten erschwert gewesen, sondern nur wegen der Lage des Arbeitsmarktes. Zu der Zeit sei der Arbeitsmarkt für Betriebswirte aber noch ungünstiger gewesen. Deshalb sei die Fortbildung zum Betriebswirt nicht die einzige, sondern keine Möglichkeit gewesen, eine drohende Arbeitslosigkeit zu verhindern. Daß der Kläger 1978 einen Arbeitsplatz auf der Ebene der Betriebswirte erhalten habe, spreche nicht dagegen; der Arbeitsmarkt habe sich 1978 erheblich verbessert gehabt, so daß der Kläger zu dieser Zeit auch als Industriekaufmann ohne Schwierigkeiten untergekommen wäre. Maßgebend könnten aber nur die Tatsachen zu Beginn der Maßnahme sein.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet.

Ob und in welcher Höhe dem Kläger für den am 1. April 1976 begonnenen Besuch der Fachschule Uhg zusteht, richtet sich nach dem AFG in der Fassung, die dieses Gesetz durch das Gesetz zur Verbesserung der Haushaltsstruktur im Geltungsbereich des AFG und des Bundesversorgungsgesetzes (vom 18. Dezember 1975, BGBl I 3113 -HStruktG-AFG-) erhalten hat, das am 1. Januar 1976 in Kraft getreten ist (vgl Art 5 HStruktG-AFG). Für Maßnahmen beruflicher Bildung, die nach dem 1. Januar 1976 begonnen haben, hat das HStruktG-AFG keine besonderen Überleitungsregeln vorgesehen (vgl Art 1 § 2 HStruktG-AFG); es ist daher das neue Recht anzuwenden.

Nach § 44 Abs 2 AFG beträgt das Uhg 80 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts iS des § 112 AFG, wenn die Teilnahme an der Bildungsmaßnahme erforderlich ist, damit ein Antragsteller, der 1. arbeitslos ist, beruflich eingegliedert wird, 2. von Arbeitslosigkeit unmittelbar bedroht ist, nicht arbeitslos wird, (oder) 3. keinen beruflichen Abschluß hat, eine berufliche Qualifikation erwerben kann.

In allen anderen Fällen beträgt das Uhg 58 vH des um die gesetzlichen Abzüge verminderten Bemessungsentgelts (§ 44 Abs 2a AFG). Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG, an die der Senat gebunden ist (§ 163 SGG), hat der Kläger seine Ausbildung zum Industriekaufmann ordnungsgemäß abgeschlossen und ist vor Beginn des Fachschulbesuchs nicht arbeitslos gewesen, weil dieser unmittelbar an die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses anschloß. Der geltend gemachte Anspruch auf das höhere Uhg ist somit nur begründet, wenn der Kläger unmittelbar von Arbeitslosigkeit bedroht und der Schulbesuch notwendig war, damit der Kläger nicht iS des § 44 Abs 2 Nr 2 AFG arbeitslos wird.

Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß der Kläger unmittelbar von Arbeitslosigkeit bedroht gewesen ist. Es kann dahingestellt bleiben, ob unmittelbar von Arbeitslosigkeit schon der Arbeitnehmer bedroht ist, dessen Arbeitsverhältnis gekündigt ist (so Schönefelder/Kranz/Wanka, Komm zum AFG, § 44 RdNr 16, August 1976; Krebs, Komm zum AFG, § 44 RdNr 7, Mai 1982; vgl Begründung zum Regierungsentwurf des HStruktG, BT-Drucks 7/4127 S 50 und § 44 Abs 2 Satz 3 AFG idF des Gesetzes vom 22. Dezember 1981, BGBl I 1497). Jedenfalls droht unmittelbar der Eintritt von Arbeitslosigkeit, solange der gekündigte Arbeitnehmer über keinen Anschlußarbeitsplatz verfügt und sicherlich einige Monate arbeitslos geblieben wäre, wenn er sich nicht, um der Arbeitslosigkeit zu entgehen, zu einer Bildungsmaßnahme entschieden hätte, wie das nach den Feststellungen des LSG beim Kläger der Fall war.

Nicht schon bei Bedrohung mit Arbeitslosigkeit beträgt das Uhg 80 vH, sondern nur dann, wenn die Teilnahme an der konkreten Bildungsmaßnahme notwendig ist, damit der Antragsteller nicht arbeitslos wird. Zutreffend hat das LSG daher geprüft, ob die Notwendigkeit gegeben war. Das ist allgemein der Fall, wenn das jeweilige Ziel ohne die Teilnahme an der Bildungsmaßnahme nicht erreicht werden kann; die Teilnahme an der Maßnahme muß die einzige Möglichkeit sein (BSGE 48, 176, 178 = SozR 4100 § 44 Nr 21; SozR 4100 § 44 Nr 33). Nicht notwendig ist die Teilnahme, wenn dem Antragsteller in absehbarer angemessener Zeit ein Arbeitsplatz vermittelt werden kann; dies hat der Senat sowohl für arbeitslose Antragsteller (BSG aaO), als auch für Personen, denen Arbeitslosigkeit droht, entschieden (Urteil des Senats vom 10. Mai 1979 - 7 RAr 37/78 - vgl AuB 1980, 89). Hieran ist festzuhalten. Zwar bezieht der § 44 Abs 2 Nr 2 AFG seinem Wortlaut zufolge die Notwendigkeit der Bildungsmaßnahme darauf, daß der von Arbeitslosigkeit unmittelbar bedrohte Arbeitnehmer nicht arbeitslos wird. Das ist jedoch nicht dahin zu verstehen, daß allein der drohende Eintritt der Arbeitslosigkeit maßgebend wäre; andernfalls käme der von Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitnehmer leichter in den Genuß des höheren Uhg als der Arbeitnehmer, der schon arbeitslos geworden ist, obwohl an der Teilnahme an wirksamen Maßnahmen beruflicher Bildung in dem einen wie dem anderen Falle das gleiche arbeitsmarktpolitische Interesse besteht, einer drohenden Dauerarbeitslosigkeit durch berufliche Bildung zu begegnen. Der § 44 Abs 2 Nr 2 AFG ergänzt § 44 Abs 2 Nr 1 AFG, in dem die günstigere Förderung ermöglicht wird, obwohl die dazu in § 44 Abs 2 Nr 1 AFG geforderte Arbeitslosigkeit nicht eingetreten ist, zB, weil der von Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitnehmer die Bildungsmaßnahme begonnen hat. Entsprechend hat die Bundesregierung in der Begründung zu Art 20 § 1 Nr 6a (§ 44 Abs 1 und 2 AFG) des HStruktG-AFG ausdrücklich vermerkt, Voraussetzung für das "volle" Uhg sei sowohl bei Arbeitslosigkeit als auch bei drohender Arbeitslosigkeit, daß ohne die Teilnahme an einer Maßnahme auf absehbare Zeit die Vermittlung einer anderen Arbeitsstelle nicht zu erwarten sei (BT-Drucks 7/4127 S 50). Daher ist daran festzuhalten, daß in den Fällen des § 44 Abs 2 Nr 1 und 2 AFG die Teilnahme an einer Bildungsmaßnahme nicht notwendig ist, wenn dem Antragsteller in absehbarer angemessener Zeit ein neuer Arbeitsplatz vermittelt werden kann (BSG aaO; ferner BSG SozR 4100 § 44 Nr 30). Der § 10 Abs 1 Satz 3 der am 1. April 1976 in Kraft getretenen und hier anwendbaren Anordnung über die individuelle Förderung der beruflichen Fortbildung und Umschulung vom 23. März 1976 (ANBA 1976, 559 -AFuU-) gibt daher zutreffend eine gesetzliche Anspruchsvoraussetzung wieder, soweit dort für die Fälle des § 44 Abs 2 Nr 1 und 2 AFG ausgeführt ist, Voraussetzung sei weiter, daß dem Antragsteller in absehbarer Zeit kein Arbeitsplatz vermittelt werden kann. Die weitergehende Regelung des § 10 Abs 1 Satz 3 AFuU, derzufolge die Vermittelbarkeit eines Arbeitsplatzes, der mindestens den Berufsabschluß eines Facharbeiters, eines Gesellen oder Gehilfen oder eine vergleichbare Qualifikation verlangt, das höhere Uhg ausschließt, ist, wie der Senat ebenfalls entschieden hat, nicht zu beanstanden (vgl das zur Veröffentlichung vorgesehene Urteil vom 5. Oktober 1982 - 7 RAr 112/81 -).

Ob dem Kläger in absehbarer Zeit ein Arbeitsplatz hätte vermittelt werden können, kann aufgrund der Feststellungen des LSG nicht entschieden werden. Welcher Zeitraum absehbar ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles; denn hätte der Gesetzgeber oder der Anordnungsgeber die Notwendigkeit einer Bildungsmaßnahme zur dauerhaften beruflichen Eingliederung nur dann bejahen wollen, wenn der Arbeitnehmer innerhalb eines für Arbeitnehmer aller Berufe gleichen Zeitraumes nicht vermittelt werden kann, hätten sie einen bestimmten Zeitraum angegeben und nicht die unbestimmten Begriffe der Notwendigkeit bzw der absehbaren Zeit verwendet. Daher ist der Ansicht des LSG, derzufolge absehbar immer der Zeitraum eines Jahres ist, dh eine Bildungsmaßnahme immer dann nicht notwendig ist, wenn der Antragsteller ohne sie innerhalb eines Jahres hätte vermittelt werden können, nicht zu folgen. Welcher Zeitraum im Einzelfalle absehbar und angemessen ist, richtet sich entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht nach der Dauer der infrage stehenden Bildungsmaßnahme. Absehbar und angemessen ist vielmehr der Zeitraum, in dem bei normaler Lage des Arbeitsmarktes die Arbeitslosen mit den beruflichen Merkmalen des Antragstellers bis auf nicht nennenswerte Ausnahmen vermittelt werden, wie der Senat schon zu § 44 Abs 2 Nr 1 AFG entschieden hat (BSG SozR 4100 § 44 Nr 33; vgl auch SozR 4460 § 12 Nr 5. Für § 44 Abs 2 Nr 2 AFG kann nichts anderes gelten; denn Grund und Ziel der Förderung nach beiden Tatbeständen stimmen überein. Allerdings ist dem LSG insoweit zuzustimmen, als die absehbare Zeit ein Jahr nicht überschreiten darf. Dies folgt zum einen aus dem Zweck der Förderung nach § 44 Abs 2 Nr 1 und 2 AFG, eine Dauerarbeitslosigkeit möglichst abzuwenden, zum andern daraus, daß die Vermittlungsfähigkeit über einen längeren Zeitraum kaum sicher übersehbar ist. Eine unter einem Jahr liegende Höchstgrenze läßt sich aus dem Gesetz, seinem Zweck oder der Anordnung dagegen nicht ableiten. Entsprechend hat der Senat in SozR 4100 § 44 Nr 33 einen Zeitraum von zehn Monaten, innerhalb dessen eine Vermittlung des Antragstellers möglich war, nicht allein seiner Länge wegen für unangemessen gehalten.

Abzustellen ist somit im vorliegenden Falle auf den Zeitraum, in dem bei normaler Lage des Arbeitsmarktes junge Industriekaufleute erfahrungsgemäß bis auf nicht nennenswerte Ausnahmen vermittelt werden. Welcher Zeitraum dies ist, hat das LSG nicht festgestellt. Daher kann nach den bisher getroffenen Feststellungen ein Anspruch des Klägers auf das höhere Uhg nicht mit der Begründung verneint werden, es lasse sich nicht feststellen, daß der Kläger innerhalb eines Jahres nicht hätte vermittelt werden können. Das LSG hat eingeräumt, daß der Kläger aufgrund der damaligen Rezession "sicherlich einige Monate" arbeitslos gewesen wäre. Übersteigt die Zeit, in der der Kläger sicherlich arbeitslos geblieben wäre, den Zeitraum, in dem bei normaler Lage des Arbeitsmarktes mit einer Vermittlung hätte gerechnet werden können, steht § 10 Abs 1 Satz 3 AFuU der Gewährung des höheren Uhg nicht entgegen.

Die Entscheidung des LSG erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als zutreffend. Die Teilnahme an einer Bildungsmaßnahme ist zwar ferner nur dann zur beruflichen Eingliederung notwendig, wenn die begründete Aussicht besteht, daß der Antragsteller durch die Maßnahme beruflich eingegliedert wird, dh, daß ihm infolge der Maßnahme ein angemessener Dauerarbeitsplatz verschafft werden kann (SozR 4100 § 44 Nr 33). Das LSG hat diese Frage, auf die es nach seiner Rechtsauffassung nicht mehr ankam, bewußt offengelassen und deshalb diesbezüglich keine Feststellungen getroffen. Ob vor Beginn des Schulbesuches eine begründete Aussicht bestand oder nicht, daß der Kläger 1978 nach dem Ende des Schulbesuches wegen seiner Qualifizierung zum staatlich geprüften Betriebswirt einen Arbeitsplatz finden werde, ist somit offen. Daß die Teilnahme an der Maßnahme geeignet war, die berufliche Eingliederung zu fördern, ergibt sich nicht schon aus der Tatsache, daß der Kläger im Mai 1978 einen Arbeitsplatz gefunden hat, wenn ein solcher Umstand auch zu berücksichtigen ist, nachdem infolge Zeitablaufs eine Prognose nicht mehr erforderlich ist, vielmehr aufgrund des Geschehensablaufs geurteilt werden kann (vgl BSGE 44, 54, 59 = SozR 4100 § 36 Nr 3; SozR 4100 § 44 Nr 33).

Da es dem Revisionsgericht verwehrt ist, die erforderlichen Feststellungen selbst zu treffen, ist das angefochtene Urteil gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 SGG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen, das auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben wird.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1658737

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